Die französische Soziologie der 70er Jahre gab sich kritisch, stieß damit aber weder im moralischen Sinne noch im Sinne der Gerechtigkeit auf großes Interesse. Im Gegensatz dazu betonte die pragmatische Soziologie der 80er Jahre das absichtsvolle Handeln der Individuen und nahm die moralischen Motive, die sie für sich in Anspruch nahmen, sehr ernst. Sie hat dabei jedoch sehr oft die kritische Sichtweise aufgegeben. In „Le nouvel esprit du capitalisme“ haben wir versucht, einen Rahmen zu konstruieren, der es ermöglicht, die Kernpunkte einer kritischen mit denen der pragmatischen Soziologie zu verbinden, und dazu das Programm einer Soziologie der Rolle der Kritik im sozialen Leben entwickelt. Um zu verstehen, wie ein neuer „Geist des Kapitalismus“ in den letzten dreißig Jahren entstehen konnte, muss man in der Zeit um 1968 ansetzen, einer Phase, die durch ein hohes Niveau der Kritik gekennzeichnet war. Der Kapitalismus hat zunächst — ohne Erfolg — versucht, dieser Krise auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit zu begegnen, um dann große Teile einer neuen Form der Kritik zu verinnerlichen, die Ende der 60er Jahre entwickelt wurde und die sich auf Forderungen nach Autonomie, Authentizität und Kreativität konzentrierte. Die Anpassung des Kapitalismus an diese Form künstlerischer Kritik, wie wir sie bezeichnen, hat zu seiner Wiederbelebung beigetragen. Zusammenfassend entwickeln wir ein Modell normativen Wandels, das auf dem Begriff der Bewährungsprobe und dem des Wechsels zwischen Regimen der Verlagerung und Kategorisierung gründet.