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Schweiz. Z. Forstwes. 151 (2000) 11: 417–424
Z
ÜRCHER
, E.: Mondbezogene Traditionen in der Forstwirtschaft und Phänomene in der Baumbiologie
(reviewed paper)
Eine Parallele
«Der Jahresversammlung der schweizerischen naturforschen-
den Gesellschaft in Luzern, 1834, legte Charpentier [ein Ver-
treter der modernen Eiszeit-Theorie] seine Ergebnisse vor. Auf
dem Wege dorthin kam er auf der Brünigstrasse mit einem
Holzer aus Meiringen ins Gespräch. Als dieser sah, wie der
fremde Herr einen am Wege liegenden Granitblock betrach-
tete, sagte er ihm: «Solche Steine hat es viele hier oben; aber
sie kommen von weit her, von der Grimsel; denn es ist Geis-
berger, und die Berge hier sind es nicht.» Auf die Frage, wie
denn diese Steine hierher gelangt seien, antwortete der Mei-
ringer ohne Zögern: «Der Gletscher von der Grimsel hat sie
hergeführt; denn dieser reichte einst bis zu der Stadt Bern; das
Wasser hätte sie nicht hier oben, so hoch über dem Tal, abla-
gern können.» Welch ein Zusammentreffen! Der berühmte
Professor, der seinen Vortrag über die Gletschertheorie in der
Tasche trägt, hört von einem namenlos gebliebenen Holzer
mit grösster Selbstverständlichkeit die Ansicht aussprechen,
um die sich die Gelehrten noch einige Jahre streiten, bis sie
zum anerkannten Wissensgut der Welt gehören wird.»
E. G
ERBER
und K.L. S
CHMALZ
(1948)
1. Einleitung
Die meisten organischen Prozesse und die daraus resultieren-
den Strukturen weisen einen rhythmischen Charakter auf. In
der Pflanzenwelt der gemässigten Zonen ist es offensichtlich,
dass die Keimung, das Wachstum und die Bildung dauernder
Strukturen bei Bäumen gekennzeichnet sind durch eine Al-
ternierung von aktiven und ruhenden Phasen. Dieser Wechsel
findet seinen Ausdruck in der Morphologie des Triebes sowie
in der Architektur des Baumes und – auf anatomischer Ebene
– in der Bildung von deutlich strukturierten Jahrringen. Dieser
rhythmische Charakter der Pflanzen musste durch den Men-
schen (ein heterotrophes Wesen bezüglich seiner materiellen
Bedürfnisse) seit jeher berücksichtigt werden.
Bei der Lektüre von aktuellen oder auch klassischen Be-
richten über volkstümliche Bräuche in der Landwirtschaft
sowie beim Gespräch mit Gärtnern, Bauern oder Förstern mit
empirischer Erfahrung auf traditioneller Basis stösst man auf
zwei Feststellungen:
• Lunare Rhythmen, zusätzlich zu den jahreszeitlichen Rhyth-
men, werden systematisch erwähnt als Einflussfaktoren auf
das Wachstum, auf die Strukturen sowie auf bestimmte
Charakteristiken oder Eigenschaften der Pflanzen.
• Auffällig sind – unabhängig von der geographischen, kul-
turellen oder zeitlichen Distanz der Quellen – bestimmte
Gemeinsamkeiten. Diese Gemeinsamkeiten in den «Bau-
ernregeln» scheinen auf die Möglichkeit von eventuell
objektiven Phänomenen hinzudeuten. Zum Beispiel sind
Mondbezogene Traditionen in der Forstwirtschaft
und Phänomene in der Baumbiologie1
E
RNST
Z
ÜRCHER
Keywords: Moon phases; traditional forestry; tree biology; felling date; wood properties.
FDK 161 : 322 : 81 : 902
die Fällregeln für Bäume über Kontinente hinweg oft über-
einstimmend. Die Zeit des Neumondes (oder des abneh-
menden Mondes) gilt allgemein als die günstigste für die
Fällung von Bäumen, weil zu dieser Zeit das Holz am halt-
barsten sei. Diese Aussagen werden im Alpenraum (H
AU
-
SER
, 1981), im Nahen Osten (A
ICHINGER
, 1936), in Afrika,
Indien, Ceylon und Brasilien (Stebbing, 1906, in S
UESSEN
-
GUTH
, 1930; F
ORSTMANN
, 1936; K
OLISKO
und K
OLISKO
, 1953;
S
CHRÖDTER
, 1981) und in Guayana (B
AILLÈRES
, 1995)
gemacht.
Generell ist zu bedenken, dass der Mensch früher mehr Zeit
und Ruhe hatte zum Beobachten: für ihn war dies sogar von
lebenswichtiger Bedeutung.
Zu den Fakten, die der Mensch erfahren hat, ist wahr-
scheinlich oft ein Teil Aberglauben hinzugekommen, sobald
die genaue und objektive Beobachtung zugunsten einer blin-
den Übernahme der traditionellen Regeln vernachlässigt
wurde. So findet man im sehr detaillierten Werk von H
AUSER
(1981) über die Bauernregeln in der Schweiz auch bestimmte
mondbezogene Aussagen zum gleichen Thema mit diametral
entgegengesetztem Gehalt. So gilt z.B. in St. Maurice
(Kt. Wallis, 1935): «Il faut éviter de couper du bois sous le signe
des planètes du poisson ou de l’écrevisse, sinon il ne sèche
pas» (man soll vermeiden, Holz im Zeichen der Planeten des
Fisches oder Krebses zu schlagen, sonst wird es nicht trock-
nen). Im Gegensatz dazu wird im Diemtigtal (Kt. Bern, 1972)
empfohlen: «Hauet das Holz im Märzenwädel Fisch, dann
bleibt es wie es ist.»
Für die Bestimmung des «richtigen Fällzeitpunktes» sind in
Überlieferungen oder bei mündlichen Aussagen drei Typen
von Regeln festzustellen:
1) nach dem synodischen Mondrhythmus (Phasendauer
29,531 Tage), zwischen Neumond und Vollmond, «zuneh-
mend – abnehmend»;
2) nach dem tropischen Mondrhythmus (Phasendauer
27,32158 Tage), bezüglich der Laufbahn gegenüber dem
Horizont, «aufsteigend – absteigend»;
3) nach dem siderischen Mondrhythmus (Phasendauer
27,32166 Tage), bis zur Wiederkehr in die gleiche Tierkreis-
konstellation, «Mond in einem bestimmten der zwölf Zei-
chen»; die Tierkreiszeichen werden manchmal auch in
«Erde-, Wasser-, Luft- und Wärmezeichen» gruppiert.
Heute sind die traditionellen astrologischen Zeichen der
Kalender gegenüber den effektiven astronomischen Konstel-
Abstract: Ancient forest utilization regulations regarding
felling dates and wood use are compared to the moon cycles.
Furthermore, moon-phase related investigations with regard
to germination behaviour, insect infestation and durability of
the wood are presented.
Abstract: Überlieferte Waldnutzungsregeln zum Fällzeit-
punkt und zur Holzverwendung werden mit den Mondzyklen
verglichen. Ausserdem werden mondphasenbezogene
Untersuchungen zum Keimverhalten, zum Insektenbefall und
zur Dauerhaftigkeit des Holzes vorgestellt.
1Nach einem Referat, gehalten am 6. Dezember 1999 im Rahmen
der Montagskolloquien des Departements Forstwissenschaften der
ETH Zürich.
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, E.: Mondbezogene Traditionen in der Forstwirtschaft und Phänomene in der Baumbiologie
(reviewed paper)
lationen etwas zeitverschoben, was eine Fehlerquelle für
eventuelle wissenschaftliche Prüfungen bedeuten kann. Eine
weitere Unbestimmtheit besteht in der trotz der progressiven
monatlichen Phasenverschiebung von 2,21 Tagen vermutlich
oft undifferenzierten Verwendung von «zunehmend-aufstei-
gend» und «abnehmend-absteigend».
Die volkstümlichen Vorstellungen über den Zusammen-
hang zwischen Pflanzenleben und Mondbewegungen sind
sehr ähnlich bei den beiden ersten Regeltypen. Bei zuneh-
mendem oder aufsteigendem Mond sieht man die Pflanzen-
säfte und die Kräfte vor allem nach oben orientiert (deshalb
günstig z.B. für Obsternte und Veredelung), bei abnehmen-
dem und absteigendem Mond hingegen nach unten orien-
tiert (deshalb günstig z.B. für Pflanzungen und Baumschnitt).
Historisch gesehen lässt sich feststellen, dass offenbar seit
jeher von einem Einfluss der Sonne und des (synodischen)
Mondes auf das Pflanzenwachstum ausgegangen wurde.
Schon im 5. Buch Moses, Kapitel 33, Vers 13–14 steht: «Sein
Land liegt im Segen des Herrn, (…) da sind edle Früchte der
Sonne – und edle, reife Früchte der Monde.» Beim griechi-
schen Historiker und Philosophen Plutarch (1. Jahrhundert
n. Chr.) ist zu lesen, dass der «Mond mit seinem feuchten und
fruchtbaren Licht günstig für die Vermehrung von Pflanzen
und Tieren ist, wohingegen die Sonne mit ihrer versengen-
den Glut alle wachsenden Dinge ausdörrt und verbrennt» (in
W
IENCKE
, 2000). In der Offenbarung des Johannes, Kapi-
tel 22, Vers 2 steht vielleicht in ähnlichem Sinn die verheis-
sungsvolle Vision: «Mitten auf den Strassen der Stadt und
hüben und drüben am Strom der Baum des Lebens, zwölf-
fach seine Früchte tragend, so dass er jeden Monat seine
Früchte gab.»
Plinius (1. Jahrhundert n. Chr.) reduzierte das Phänomen
auf seinen utilitaristischen Aspekt. Er empfahl den römischen
Bauern, die Früchte für den Markt vor dem Vollmond zu
pflücken, weil sie dann schwerer seien, und für den eigenen
Gebrauch vor Neumond, weil sie dann besser haltbar seien.
Auch soll man die Bäume bei Neumond fällen (S
TORL
, 1992).
2. Noch lebende Traditionen
Mondbezogene Fällregeln werden von holzverarbeitenden
Fachleuten auch heute noch angewendet. In diesem Artikel
soll nicht die aktuelle Populärliteratur zum Thema «Mondre-
geln» behandelt werden, welche auf wenig Fachwissen be-
ruht. Es werden hingegen ohne Wertung der Aussagen einige
dem Autor direkt bekannte Beispiele aus der Praxis oder sol-
che aus zuverlässigen aktuellen Quellen erwähnt. Diese kurze
Skizze soll aufzeigen, wie und bei welchen Formen von Holz-
verwendung man diese angenommene Wirkebene in die Ar-
beit einbezieht.
Bauholz
Die dazu gehörende Fällregel aus dem französischen Sprach-
raum lautet: «Bois tendre en cours/Bois dur en décours – Wei-
ches Holz bei Zunahme/Hartes Holz bei Abnahme» (B
ÉNICHOU
,
1989). In den Westalpen (Pays d’En-Haut, Kt. Waadt) lässt sich
ein Sägereibesitzer – zugleich eine einflussreiche Persönlich-
keit – von einem alten Förster beraten und bietet ein Spezial-
sortiment «Mondholz» an. Aus Österreich kann der erfolgrei-
che, international bekannte Familienbetrieb aus der Nähe von
Salzburg erwähnt werden. Für Bauholz werden hier langsam
gewachsene Gebirgswaldbäume gegen bzw. bei Neumond
und Tiefststellung, und zusätzlich in einem «Wärmezeichen»
wie Schütze gefällt (T
HOMA
, 1998). Berichte aus der Entwick-
lungszusammenarbeit in Bhutan und Mali erwähnen die Fäl-
lung von Bauholz ebenfalls nach Mondphasen (M
AUDERLI
,
1998; G
IESCH
, 1999). In Mali gilt die Regel: «Tu coupes l’arbre
pendant la lune vide.» (Du fällst den Baum bei leerem Mond
– wenn das Holz termitensicher sein soll.)
Schindeln
Im Pays d’En-Haut berichtet ein junger, anerkannter Schindel-
leger von interessanten, mondphasenbezogenen Erfahrun-
gen mit Verfärbungs- und Haltbarkeitsunterschieden (V
EUVE
,
1997). Im Schwarzwald sollen mondgerecht gefällte Nadel-
bäume Schindeln mit mehrfacher Haltbarkeit liefern (E
WALD
,
1998).
Kamine
Aus den Freiburger Voralpen (Teutlingen) und aus dem Neu-
enburger Jura (La Recorne/La Chaux-de-Fonds) sind im Frei-
lichtmuseum Ballenberg (Kt. Bern) zwei alte Häuser mit höl-
zernen Kaminen zu besichtigen. Nach lokalen Aussagen
wurde für solche Kamine Holz von besonderen Fällzeitpunk-
ten verwendet, das einen hohen Feuerwiderstand garantieren
sollte. Früher wurden auch Feuerwehrleitern aus schwer
brennbarem «Mondphasenholz» hergestellt (B
RETON
, 2000).
Besonders die Lärche wurde in dieser Hinsicht häufig verwen-
det. Ihr Artenname (Larix) hängt mit der folgenden Überlie-
ferung zusammen: die Widerstand leistende, mit Lärchenholz
befestigte Alpenortschaft Larignum konnte der «göttliche»
Caesar auf seinem Feldzug zunächst mit Einsatz von Feuer
nicht besiegen. Er staunte über dieses Holz, das vom Feuer
nicht ergriffen wurde (V
ITRUV
[1. Jahrhundert n. Chr.], Über-
setzung 1987).
Im Rahmen von Fernsehsendungen zum Thema «Mond»
stimmen Demonstrationen von «nicht brennbarem Lärchen-
holz», das an einem fixen Tag geschlagen wurde (1. März, nach
Sonnenuntergang), zunächst perplex (Z
ÖTTL
, 1819; L
IEDTKE
,
1999). In diesem Fall variiert bekanntlich die astronomische Si-
tuation zwangsläufig von Jahr zu Jahr.
Brennholz
Im Waadtländer Jura wird heute noch eine alte Tradition ge-
pflegt, wonach für die Gewinnung von Brennholz ebenfalls
auf den mondphasenbezogenen Einschlagszeitpunkt geach-
tet werden soll. Hier gilt allerdings im Vergleich zum Bauholz
der gegenteilige Zeitpunkt, wie eine Regel aus Frankreich
zeigt: «Le poinct de la Lune est remarquable, pour en croissant
tailler le bois de chauffage, et en décours, celui des basti-
mens.» (Der Zeitpunkt des Mondes ist beachtenswert, um bei
Zunahme Brennholz zu fällen und bei Abnahme Bauholz.)
(S
ERRES
, 1600). Bei Niederwaldbetrieben stand die Stockaus-
schlagsfähigkeit der Buche eventuell im Vordergrund, eine
physiologische Eigenschaft, die vielleicht nach Mondphasen
variieren könnte. Es ist nämlich bekannt, dass das vegetative
Wachstum von der Kohlenhydratspeicherung in der Stamm-
basis abhängt; zu dieser Reservebildung ist bisher eine Jahres-
zyklik bekannt.
Resonanzholz
Die höchste Wertschöpfung des Holzes durch handwerkliches
Können ergibt sich aus dem Bau von Musikinstrumenten, z.B.
dem Geigenbau. In den berühmten Waldungen bei Klosters
(Bündner Prättigau) wie auch im Pays d’En-Haut wollen Holz-
händler ebenso wie Instrumentenbauer zur Garantie der Qua-
lität am genau bestimmten Tag der Fällung dabei sein (S
TAHEL
,
1999). Hier wird nicht nur die Mondphase berücksichtigt, son-
dern auch das Tierkreiszeichen, in dem sich der Mond gerade
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befindet. Das gewonnene Holz soll besonders gut trocknen
und dabei sehr leicht werden (Huber, zitiert in F
EDUKOV
, 1998;
M
ICHAUD
, 1999).
Käseschachteln
Im Waadtländer Jura sind einige Säger auf die Herstellung von
Vacherin-Schachteln spezialisiert; eine Holzverwendung mit
hohen Anforderungen an Pilzresistenz aus lebensmittelhygie-
nischen Gründen. Ein Fachmann bestätigt die Berücksichti-
gung von Mondphasen beim Fällen der Fichten; er spricht von
«Notizheften voller Beobachtungen», will aber sein Berufsge-
heimnis nicht ohne weiteres preisgeben.
Fässer
Auch von einigen Fassbauern aus Frankreich wird «Mondpha-
senholz» verwendet: damit könnten undurchlässige Dauben
hergestellt werden. Der behauptete Unterschied wäre viel-
leicht im Zusammenhang mit analogen, interessanten jahres-
zeitlichen Schwankungen der Porosität von Eichenholz zu
sehen (D
AVALL
und L
ANDOLT
, 1861).
Pflüge
Die Berücksichtigung kosmischer Zusammenhänge bei der
Holzverwendung ist nicht auf den zentraleuropäischen Raum
begrenzt. In Bolivien werden durch die Ketschua-Indianer (aus
der Inkakultur) heute noch Thago-/Algarrobo-Bäume (Proso-
pis ferox) zur Pflugherstellung im ersten abnehmenden Mond
nach dem Frühlingspunkt (kurz vor dem Osterfest) gefällt. Der
Qualitätsgewinn (Härte, Haltbarkeit) sei für sie beim Ge-
brauch offensichtlich (D
ELGADILLO
, 1998).
Flössen von Holz
Der Transport des Stammholzes über Wasserwege erfolgte
früher unter Berücksichtigung des Mondstandes, weil allge-
meine analoge Gesetzmässigkeiten bei der Geschiebeführung
beobachtet wurden (S
CHWENK
, 1991; O
GI
, 1996; G
URY
, 1999).
Im Prättigau galt die Regel: «Flössen sollte man im nidschig-
entä [im absteigenden]»; dann soll das Holz in der Mitte des
Baches bleiben (S
CHMITTER
, 1953).
3. Mondbezogene Phänomene in der
Biologie des Baumes (und der Samen)
Die Aufgabe der Forschung liegt in der kritischen Prüfung
eines Wahrheitskerns dieser Aussagen und effektiver Phäno-
mene hinter den Erfahrungen. Tatsachen müssen von Aber-
glauben getrennt werden. Bei einem positiven Ergebnis könn-
ten wir heute von einem reichen Fundus aus jahrtausendeal-
tem Umgang mit der Natur bereichert werden. Zu bedenken
ist für den «modernen» Menschen grundsätzlich, dass der
Mensch früher den unmittelbaren Kontakt mit seinem Mate-
rial hatte.
Im Folgenden werden Forschungsresultate oder Hinweise
dargestellt, die im Zusammenhang mit dem synodischen
Mondrhythmus stehen.
Eichenstämme
Unter Ludwig XIV. wurde 1669 eine Königliche Forstordnung
erlassen, nach der «die Holzfällung im abnehmenden Mond
von der Zeit des Laubabwurfes bis zum Wiederausschlag»
stattfinden soll (M
ÜLLER
, 1993). Diese Regel wurde 1733 bis
1735 durch Duhamel du Monceau, Generalinspektor der fran-
zösischen Marine und einer der Gründer der modernen Baum-
biologie, als auf Aberglauben fussend kritisch betrachtet und
geprüft (K
NUCHEL
, 1930, S. 33–34). Durch den Vergleich von
Fällungen in der Mitte der abnehmenden Phase mit Fällungen
in der Mitte der zunehmenden Phase widerlegt er zwar die all-
gemeine Regel (dass Holz, gefällt bei abnehmendem Mond,
dauerhafter sei), er deckt aber ein entgegengesetztes, mond-
bezogenes Phänomen auf. Das Resultat war nicht bloss
mondneutral, sondern «es fiel (…) zugunsten des zunehmen-
den Mondes aus; eine Wiederholung des Versuches fiel wie-
der zugunsten des zunehmenden Mondes aus» (K
NUCHEL
,
1930). Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass mit
sehr wenigen Bäumen gearbeitet wurde (je drei junge, unge-
fähr drei Fuss dicke Eichen) und dass die zerlegten Stamm-
stücke «an verschiedenen Stellen» aufbewahrt wurden. Diese
zwei Aspekte stellen die Wissenschaftlichkeit und Objektivität
der Aussage stark in Frage.
Föhrenholz
Über eine ganze Jahresperiode hinweg wurde die Dauerhaf-
tigkeit von Bohrkernen gegenüber drei holzzerstörenden Pilz-
gattungen bestimmt. Die Proben wurden regelmässig alle
zwei Wochen aus sechs Bäumen entnommen, am genauen
Zeitpunkt des Neumondes und des Vollmondes (W
AZNY
und
K
RAJEWSKI
, 1984). Beim gemessenen Abbau für die Gesamtpe-
riode und für den Gesamtversuch war keine systematische
Mondrelation zu verzeichnen; es war nur ein (traditionell und
auch wissenschaftlich bekannter) Jahrestrend feststellbar.
Wenn aber die erhaltenen Werte für den Abbau durch den
Kellerschwamm (Coniophora puteana), eine Braunfäule mit
den höchsten Abbauraten bei diesem Versuch, näher betrach-
tet werden, so kann festgestellt werden, dass doch über eine
Zeitstrecke von vier vollen Monaten eine systematische
Schwankung zwischen Voll- und Neumondwerten stattfindet
(Abbildung 1). Eine Nachprüfung durch den Autor dieses Bei-
trages mittels einer Zwei-Weg-Varianzanalyse bestätigt einer-
seits den jahreszeitlichen Trend in dieser Periode von Ende Juli
bis Ende November (P-Wert =0,000), sie zeigt aber auch, dass in
diesem Abschnitt der Holzabbau bei Vollmondentnahmen stark
signifikant tiefer ist als bei Neumondproben (P-Wert = 0,006).
Diese mondbezogenen Schwankungen sind hier nicht vom ge-
nerellen Trend abhängig (Interaktion mit P= 0,270). Somit lässt
sich zwar nicht eine generelle Regel bestätigen, es tritt aber ein
relevantes mond-chronobiologisches Phänomen auf, das in zu-
künftigen Forschungen aufgegriffen werden könnte.
Aufschlussreicher wäre es gewesen, die Proben in der ab-
nehmenden und in der zunehmenden Phase zu entnehmen
– statt am genauen Zeitpunkt des Voll- und Neumondes. Dies
hätte nämlich den traditionellen Aussagen besser entspro-
chen; eine Forschungsarbeit über das Keimverhalten hatte die
Bedeutung dieser Nuance hervorgehoben (siehe übernächstes
Kapitel).
Befall durch Borkenkäfer
Eine Bestätigung alter Regeln in Bezug auf Insektenbefall lie-
ferten mehrjährige Versuche mit gefällten Fichten im Rahmen
einer Forschung des Institutes für Forstschutz der Forstlichen
Bundesversuchsanstalt Wien-Schönbrunn (J
AHN
, 1982). Nach
einer kühleren Periode ergab sich eine deutliche Bevorzugung
der Vollmondbäume gegenüber den Neumondbäumen bei
den ersten Anflügen. Diese Unterschiede wurden ferner mit
Variationen von «biophysikalischen Feldern» in Zusammen-
hang gebracht, mit Differenzierung zwischen Tag und Nacht
auf der Ebene des Kambialchemismus.
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Abbildung 1: Masseverlust durch Coniophora puteana
von Föhrenholzproben, entnommen an Voll- und
Neumondtagen über eine Periode von vier Monaten
(27. Juli bis 22. November 1980; Ausschnitt aus WAZNY
und KRAJEWSKI, 1984).
Figure 1: Weight loss in pine-wood samples due to
Coniophora puteana, collected at full moon and new
moon over a period of four months (July 27th to
November 22nd, 1980; taken from WAZNY and KRA-
JEWSKI, 1984).
Abbildung 2: Synodisches Variationsmuster der Wasser-
aufnahme (in % des Trockengewichtes) durch Bohnen
(Phaseolus vulgaris L.) A: Periode 15.5–18.8.1972;
B: Periode 25.9.72–22.1.73; C: Periode 25.9.72–5.1.73
(aus BROWN und CHOW, 1973).
Figure 2: Synodic variation-pattern of water absorption
(in % of dry weight) by beans (Phaseolus vulgaris L.)
A: period 15.5.–18.8.1972; B: period 25.9.72–22.1.73;
C: period 25.9.72–5.1.73 (taken from BROWN and CHOW,
1973).
Abbildung 3: Reversible Veränderungen im Stammdurchmesser von zwei
jungen, in separaten Containern gehaltenen Fichten (Picea abies Karst.) unter
konstanter Finsternis im Gewächshaus (a), welche sich synchron zu den
berechneten Gezeitenkräften verhalten (b). Periode: 17.–20.7.1988; Standort
der Bäume: Florenz, Italien (aus ZÜRCHER et al., 1998).
Figure 3: Reversible changes in the stem diameter of two juvenile Norway
spruce trees (Picea abies Karst.) held in separate containers under greenhouse
conditions of constant darkness (a), behaving synchronously according to the
calculated tidal powers (b). Period: 17.–20.7.1988; site of trees: Florence, Italy
(taken from ZÜRCHER et al., 1998).
Water Uptake % Water Uptake % Water Uptake %
NM FM
DAYS
60
55
50
60
55
50
55
50
A
B
C
16
12
8
4
0
–4
–8
–10
Gravimetric tides (µGal x 10
–1
) Variations of diameter (mm x 10
–2
)
–1000
–800
–600
–400
–200
0
200
400
600
800
1000
4 10 16 22 4 10 16 22 4 10 16 22 4
Hours
Tree 2
Tree 1
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(reviewed paper)
Keimung und Initialwachstum
Unter tropischen Bedingungen, wie sie an einer Baumschule
in Ruanda gegeben waren, ist eine ideale Situation für die
Untersuchung von Mondrhythmen vorhanden: Temperatur
und Tagesdauer sind mehr oder weniger konstant, während
der Trockenperioden kann gewässert werden. Über eine Zeit-
spanne von drei Jahren wurden ein Vorversuch, ein Hauptver-
such (zwölf Aussaaten mit je vier Wiederholungen) und ein
Kontroll- und Ergänzungsversuch durchgeführt. Die Aussaa-
ten erfolgten jeweils zwei Tage vor Vollmond und zwei Tage
nach Neumond (Z
ÜRCHER
, 1992). Für Maesopsis eminii zeigen
Keimung und Initialwachstum einen ausgeprägten rhythmi-
schen Charakter. Keimgeschwindigkeit, Keimrate, mittlere
Höhe und maximale Höhe nach vier Monaten hängen somit
systematisch vom Zeitpunkt der Aussaat im Zusammenhang
mit der Mondphase ab (bessere Resultate bei Vor-Vollmond-
Aussaaten). Diese Ergebnisse stimmen mit früheren Experi-
mentalwerten an Jahrespflanzen überein. Hier konnte eine
alte Aussaatregel auch für Bäume zum ersten Mal geprüft und
bestätigt werden.
Eine Bestätigung erfolgte kurz darauf durch einen unabhän-
gigen Versuch nach gleicher Methodik mit u.a. Detarium micro-
carpum in der westafrikanischen Sahel-Zone (B
AGNOUD
, 1995).
Die Vorverschiebung der Aussaaten gegenüber Voll- und
Neumond erwies sich als relevant: im Ergänzungsversuch er-
gaben Aussaaten am genauen Zeitpunkt des Vollmondes zum
Teil noch schlechtere Resultate als Vor-Neumond-Aussaaten
(Z
ÜRCHER
, 1992).
Wasseraufnahme
Ein differenziertes Keimverhalten ist vermutlich mit einer
unterschiedlichen Wasseraufnahme zum Zeitpunkt der Aus-
saat verbunden. In einem umfangreichen Versuch (7 931
Serien à 20 Bohnen), bei dem die Samen täglich vier Stunden
in Wasser eingetaucht wurden, um die Wasseraufnahme zu
bestimmen, konnte gezeigt werden, dass das Quellverhalten
der Samen einen rhythmischen Charakter besitzt (B
ROWN
und
C
HOW
, 1973; Abbildung 2). Dieses Verhältnis ist mondphasen-
bezogen, im Rhythmus mit Voll- und Neumond und zusätzlich
mit dem ersten und letzten Viertel (in einem zircaseptanen
Takt mit Phasen von 7,4 Tagen).
Bei genauer Betrachtung der publizierten Kurven lässt sich
zudem feststellen, dass die Maximalwerte gegenüber den
Mondphasen oft leicht vorverschoben sind, aber in Phase blei-
ben. Das Ausmass der kurzfristigen (wöchentlichen) Variatio-
nen ist immer beträchtlich (bis zu 20%) und erstaunt, weil es
sich um ruhende Samen handelt.
Diese Phasenverschiebung, wie sie auch bei den Keimver-
suchen festgestellt wurden, sowie der wöchentliche «Unter-
rhythmus» sollten in weiteren Pilzabbauversuchen und Holz-
eigenschaftsprüfungen künftig berücksichtigt werden.
Stockausschlag
Aussagen aus einer Sammlung von Forstregeln für das Jahr
1999 (B
RIEMLE
, 1998) wurden durch den Autor mit Hilfe von
Praktikern kritisch geprüft. Zum Thema «Waldroden/kein
Stockausschlag» (wo behauptet wird, dass nichts nachwächst)
wurden zwei angegebene Daten mit den vollmondsymmetri-
schen Gegendaten in zwei experimentellen Feldversuchen
verglichen. In der ersten Vegetationsperiode konnten weder
in Biel (Buche, Esche, Weide in den Waldungen der Burgerge-
meinde) noch im Tessin (Edelkastanie in Gerra, Versuchsflä-
chen der Sottostazione der WSL) deutliche Unterschiede fest-
gestellt werden.
Baumgezeiten
Eine interdisziplinäre Neubearbeitung von schon publizier-
ten, langjährigen baumphysiologischen Forschungsergebnis-
sen ermöglichte einen weiteren Schritt: es konnte der synodi-
sche Mondrhythmus auf Tagesebene (gravimetrischer Gezei-
tenrhythmus) bei Bäumen festgestellt werden. Dem bisher
bekannten, 24-stündigen photo- und thermoperiodischen Ab-
lauf der meisten physiologischen Prozesse liegt somit ein lu-
narperiodischer, 24,8-stündiger Rhythmus zugrunde, der erst
unter kontrollierten, konstanten Bedingungen in Erscheinung
tritt (Z
ÜRCHER
et al., 1998; Abbildung 3).
Stammgezeiten
Eine aufschlussreiche Untersuchung an der Universität Florenz
bestand auch darin, einen adulten Douglasienstamm, der von
seinem Wurzelwerk und von seiner Krone getrennt und was-
ser- bzw. luftdicht isoliert wurde, mit einer normal wachsen-
den Douglasie bezüglich Durchmesservariationen zu verglei-
chen. Das erstaunliche Ergebnis war, dass im isolierten Stamm
Schwankungen stattfanden, synchron mit denjenigen des nor-
mal wachsenden Baumes. Noch drei Monate nach der Fällung
(mit noch lebendem Kambium) waren die Variationen fest-
stellbar, in einer bestimmten Synchronizität mit den berech-
neten Gezeitenkurven (Abbildung 4). Wichtig ist hier die Tat-
sache, dass der präparierte Stamm eine konstante Holz- und
Wassermasse besitzt; die Durchmesserschwankungen wären
deshalb zunächst nur durch ein alternatives Quellen und
Schwinden der Zellwände erklärbar.
4. Hypothesen und weitere Befunde
In Anbetracht der extrem schwachen Gravitationskräfte, die
zur Erklärung dieser zircadianen Schwankungen in Frage
kämen, ist es eher unwahrscheinlich, dass es sich bei diesen
«Baum- und «Stammgezeiten» um einen direkten schwer-
kraftbezogenen Effekt handelt. Ein Argument zu dieser An-
sicht liefert die Tatsache, dass auch Organismen, die sich in
allen Richtungen autonom bewegen, einen solchen täglichen
«Gezeitenrhythmus» zeigen können. Verhaltensforscher
haben in einem berühmt gewordenen «Bunkerversuch» fest-
gestellt, dass der physiologische Grundrhythmus bei sich frei
bewegenden, vom Tagesablauf isolierten Menschen nicht 24,
sondern 25 Stunden beträgt (A
SCHOFF
und W
EVER
, 1962). Die-
ser synodische Tagesrhythmus könnte eventuell in Zu-
sammenhang stehen mit feinen (auch schwach lunarbezoge-
nen) gleichläufigen Variationen des Erdmagnetfeldes. Hier sei
auf das umfangreiche Werk «Geomagnetobiologie» von D
U
-
BROV
(1978), Sowjetische Akademie der Wissenschaften, hin-
gewiesen. Vielleicht spielt auch das darin erwähnte, ebenfalls
periodisch variierende, erdatmosphärische elektrische Feld
bezüglich chronobiologischen Phänomenen eine Rolle.
Was den Prozess betrifft, der zu den gemessenen Durch-
messervariationen führen könnte, liegen zunächst zwei Erklä-
rungsvarianten vor:
• Es findet eine Steuerung der Membranaktivität lebender
Zellen statt, die die Wasserbewegungen in die Zellwand
und von der Zellwand zurück in das Zytoplasma lenken,
gekoppelt mit Wasserverschiebungen über den Apoplasten
(Zellwandsystem ausserhalb der Plasmamembranen).
• Es handelt sich um rhythmische Variationen der Holz-Was-
ser-Relation (Bindung von Wasser an die Zellwand), in
Anlehnung an das Bohnen-Experiment. Das Verhältnis vom
Anteil freien Wassers zum Anteil elektrostatisch gebunde-
nen Wassers ist eventuell wegen variierender «Clusterbil-
dung» (übermolekulare Organisationseinheiten) nicht
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ÜRCHER
, E.: Mondbezogene Traditionen in der Forstwirtschaft und Phänomene in der Baumbiologie
(reviewed paper)
Abbildung 4: Reversible Veränderungen im Stammdurchmesser (A) von einem wurzel- und kronengetrennten Douglasien-
stamm (Pseudotsuga menziesii Fr.) («Section 2») und von einer frei wachsenden Douglasie («Section 1») unter normalen
Bedingungen. A1-A2/B1-B2/C1-C2: Referenzpunkte zur Phasenbestimmung. Die Durchmesserschwankungen verhalten sich
synchron zu den berechneten Gezeitenkräften (B). Periode: 23.6.–3.7.1977; Fälldatum: 21.3.1977; Standort der Bäume: Flo-
renz, Italien (aus ZÜRCHER et al., 1998, Gesamtartikel).
Figure 4: Reversible changes in the stem diameter (A) of a Douglas-fir stem (Pseudotsuga menziesii Fr.), cut off from the roots
and the crown (‹Section 2›) and of a freely growing Douglas fir (‹Section 1›) under normal conditions. Variations in diameter
behave synchronously according to the calculated tidal powers (B). Period: 23.6.–3.7.1977; felling date: 21.3.1977; site of the
trees: Florence, Italy (taken from ZÜRCHER et al., 1998, integral submitted article).
Abbildung 5: Wasseraufnahme durch Zellulose, kurz nach bzw. vor Neu-
und Vollmond (Box-plots/Kistendiagramme). Versuchsort: Biel; Daten: vom
11.11.99 (10) bis 03.02.00 (21). November-Neumond: 08.11.99; Februar-
Neumond: 05.02.00.
Figure 5: Water absorption through cellulose, shortly after respectively
before new moon and full moon (box plots). Site of investigation: Biel;
dates: from 11.11.99 (10) to 3.2.00 (21). November new-moon: 8.11.99;
February new-moon: 5.2.00.
Abbildung 6: Bioelektrisches
Potential einer Gebirgsfichte auf
Kambialniveau, vom 1. Juli bis
1. August 1999 (aus GEHRIG, 1999).
Figure 6: Bio-electric potential of a
Norway spruce (grown in mountain-
ous surroundings) at cambial level,
from July 1st to August 1st, 1999
(taken from GEHRIG, 1999).
VARIATIONS OF DIAMETER (mm) GRAV. TIDES
(in 1/10 µgal)
HOURS
DAYS
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, E.: Mondbezogene Traditionen in der Forstwirtschaft und Phänomene in der Baumbiologie
(reviewed paper)
konstant. Die Arbeiten von G. Piccardi (in D
UBROV
, 1978,
und D
AVIS
, 1995) konnten solche Schwankungen bei kon-
trollierten Kristallisationsvorgängen in langjährigen Labor-
versuchen hervorheben. Schon für G
ÄUMANN
(1930) «liegt
die Ursache der unterschiedlichen Pilzwiderstandsfähigkeit
des Fichten- und Tannenholzes weniger in einem unter-
schiedlichen Gehalt des Holzes an Zellinhaltsstoffen wie
Kohlehydraten, Stickstoff, Phosphorsäure, Kali und Harzen
begründet, als vielmehr in einem unterschiedlichen kollo-
id-chemischen Verhalten der Zellwände selbst, insbesonde-
re der Zellulose und des Xylans, weniger des Lignins (…)».
Für diesen Autor sind solche Prozesse nicht nur auf den
Splint beschränkt, sondern spielen sich auch im Kernbe-
reich ab: «Bei den Hölzern, bei welchen der Wassergehalt
makrochemisch jahraus, jahrein sich gleich bleibt, so beim
Fichtenkern, müsste die Umlagerung des Wassers rein
mizellär erfolgen, vielleicht in dem Sinne, dass die Wasser-
moleküle während der Bildung des Jahrringes intramizel-
lär, während der übrigen Zeit intermizellär gelagert wer-
den.» (Als Mizellen werden die kristallinen Zelluloseketten
der Mikrofibrillen bezeichnet, um welche hygroskopische
parakristalline Zellulose angelagert ist.) Auch B
AVENDAMM
(1974) übernimmt in seinem Kapitel über den Einfluss der
Fällzeit auf die Dauerhaftigkeit des Holzes die Ansicht, dass
jene durch ein unterschiedliches kolloid-chemisches Ver-
halten der Zellulose und der Hemizellulose in den verschie-
denen Jahreszeiten zu erklären ist. Diese Interpretation
fand später Unterstützung durch die Arbeiten von B
URMES
-
TER
(1978), wonach die Fasersättigungsfeuchtigkeit des
(sonst als «abgestorben» geltenden) Eichenkernholzes im
Laufe des Jahres signifikant variiert (mit einem der Maxima
im März).
Zellulose-Wasser-Verhältnis
Die erste Erklärungsvariante ist relativ schwierig zu prüfen
(eventuell mit Hilfe von Markersubstanzen), die zweite deut-
lich einfacher, sofern die Prüfung ausserhalb des Stammkör-
pers erfolgt. Zu diesem Zweck wurden Serien von identischen
Zelluloseplättchen (Weissgrad 93%) an verschiedenen Tagen
und bei vorausberechneter gravimetrischer Situation jeweils
genau eine Stunde in Wasser von ungefähr gleicher Tempera-
tur gelegt (die Luftfeuchtigkeit spielte keine Rolle, weil die
Proben untergingen) und die Wasseraufnahme in Prozenten
des Trockengewichtes bestimmt. Der Versuch dauerte etwa
drei Monate, zwischen November-Neumond 1999 und Febru-
ar-Neumond 2000, an Tagen kurz nach bzw. kurz vor der ent-
sprechenden Phase (Abbildung 5). Die Resultate zeigten auf-
fallende, statistisch signifikante Variationen mit Mittelwer-
ten, die zwischen 136,4% und 151,3% lagen (Streubrei-
te > 10%). Mit dieser Serie konnte zunächst noch keine Korre-
lation, weder zu den synodischen Mondphasen noch zu den
gravimetrischen Gezeiten (Werte des Geodätischen Instituts
der ETH Zürich) oder zu Komponenten des geomagnetischen
Feldes (Werte der Gruppe Geomagnetismus, Universität Neu-
enburg) gefunden werden. Damit öffnet sich aber ein Fra-
genkomplex, der bei der Untersuchung von zeitlich variieren-
den Holzeigenschaften eine wichtige Rolle spielen könnte.
Bioelektrisches Potential
Abschliessend und in Anlehnung an die Arbeiten von B
URR
(1945, 1947) und an den 7-Tages-Rhythmus bei der Wasser-
aufnahme durch Bohnen sei auf eine Komponente eines For-
schungsprojektes der Professur Holzwissenschaften über das
Monitoring der Vitalität bei der Fichte hingewiesen (G
EHRIG
,
1999). Es ist bekannt, dass der stehende Baum ein autonomes
«bioelektrisches Potential» zwischen Stammfuss und Kronen-
spitze aufbaut, welches einerseits mit dem Vitalitätszustand
des Baumes, andererseits im Laufe der Zeit (Jahres-, Monats-,
Tages- und noch kürzere Zyklen) variiert. Bei Feldaufnahmen
an Gebirgsfichten (Alvaneu, Kt. Graubünden) erschien – un-
abhängig von der Temperatur und vom Niederschlag – beim
gemessenen bioelektrischem Potential auf Kambialebene ein
zircaseptaner Rhythmus, der sich relativ gut in den synodi-
schen Monat einordnen lässt (Abbildung 6). Dieses Ergebnis
wird im Rahmen des Gesamtprojektes eine Vertiefung und
eine Differenzierung erfahren. In die gleiche Richtung gingen
erste Aufnahmen von bioelektrischen Potentialen bei Fichten
auf Splintholztiefe. Dieser Aspekt könnte auch bei der be-
sprochenen Holz-Wasser-Relation eine wichtige Rolle spielen.
5. Fazit
Diese Ausführungen liefern verschiedene Ansatzpunkte für
eine weiterführende, praxisorientierte baum- und holzbezo-
gene Rhythmusforschung. Die präsentierten Forschungsresul-
tate weisen auf verschiedene mögliche Vorteile bei einer Um-
setzung hin:
• Eine chronobiologische Baumschulpraxis kommt den
zukünftigen Bedürfnissen (Aufforstungen zum CO
2
-Aus-
gleich in Tropenregionen) bezüglich Wirtschaftlichkeit und
Qualität entgegen.
• Weil die Dauerhaftigkeit des gefällten Holzes offensichtlich
nicht mondphasenneutral ist, liegt diesbezüglich ein ökolo-
gisch interessantes Entwicklungspotential vor (im Zusam-
menhang mit der Problematik der Holzschutzmittel).
• Es scheint plausibel, dass sogar wochenzeitliche und tages-
zeitliche Kriterien zu spezifischen Holzeigenschaften füh-
ren könnten.
Deutlich wird jedenfalls, dass die Phänomene viel kompli-
zierter sind als oft dargestellt und dass sie über vereinfachen-
de traditionelle Regeln weit hinausgehen. Ohne diese seltsa-
men Überlieferungen aus vergangenen Kulturen wären wir
aber vielleicht gar nicht zu diesen ersten, anfänglichen Ein-
sichten gekommen.
Zusammenfassung
Seit mehr als zwei Jahrtausenden bestehen in der Forstwirt-
schaft Praktiken und Regeln hinsichtlich des «richtigen» Fäll-
zeitpunktes von Waldbäumen im Zusammenhang mit Mond-
zyklen. Nach einer Übersicht von Regeltypen werden ausge-
wählte Beispiele aus verschiedenen Verwendungsbereichen
skizziert, wonach besondere Holzeigenschaften erhalten wer-
den sollen. Anschliessend werden mondphasenbezogene wis-
senschaftliche Untersuchungen dargestellt, welche sich einer-
seits mit dem Keimverhalten, dem bioelektrischen Potential
und dem Insektenbefall der Bäume befassen, andererseits mit
der Dauerhaftigkeit des Holzes und seiner Beziehung zum
Wasser.
Résumé
Traditions forestières liées aux cycles lunaires
et phénomènes correspondants dans la biologie
des arbres
Il existe depuis plus de deux millénaires des pratiques fores-
tières et des règles concernant l’abattage des arbres en fonc-
tion des cycles lunaires. Après une description générale des
types de règles, l’article esquisse quelques exemples concrets
d’utilisations particulières, où le respect de ces règles est censé
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, E.: Mondbezogene Traditionen in der Forstwirtschaft und Phänomene in der Baumbiologie
(reviewed paper)
garantir certaines propriétés du bois. La seconde partie pré-
sente des travaux scientifiques liés au facteur «phases de la
lune». Ces travaux concernent par exemple la germination, le
potentiel bio-électrique et la sensibilité des arbres aux
attaques d’insectes; ils sont d’autre part relatifs à la durabilité
du bois et à sa relation à l’eau (qui trouve son expression dans
des variations réversibles du diamètre des fûts).
Summary
Moon-Related Traditions in Forestry and
Corresponding Phenomena in Tree Biology
Forestry practices and rules with regard to ‹the appropriate
time› for tree felling in correlation with the moon cycles have
been existing for more than two thousand years. On the basis
of an overall view of regulation types, selected examples from
various fields of use are described suggesting to thus attain
advantageous wood properties. Moon-phase related scientific
investigations are then presented, focusing on germination
behaviour, bio-electric potential and insect infestation of trees
as well as on the durability of the wood and its correlation to
water.
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Verfasser:
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