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Zusammenfassung
Die Übertragungs−fokussierte Psycho−
therapie (TFP) zur Behandlung von Bor−
derline−St−öungen stellt eine störungs−
spezifische Modifikation der psychoana−
lytischen und tiefenpsychologisch fun−
dierten Psychotherapie dar. Die Methode
schenkt den Objektbeziehungen und der
Übertragung besondere Beachtung und
wird als ambulante Einzelpsychotherapie
im Sitzen mit zwei Wochenstunden für
die Dauer von mindestens einem Jahr
durchgeführt. Mehrdimensionale Diag−
nostik, Therapievertrag, taktische und
strategische Therapieprinzipien und Su−
pervision anhand von Videoaufzeichnun−
gen sind Bestandteile des Verfahrens.
Primäre Therapieziele sind Reduzierung
von Depression, Suizidalität, selbstschä−
digendem Verhalten, Angst sowie eine
bessere Kontrolle über impulsives Ver−
halten und Vermeidung von Therapieab−
brüchen. Langfristige Therapieziele sind
Stärkung der Identität, Integration der
internalisierten Vorstellungen von sich
selbst und wichtigen anderen und von
abgespaltenen Affekten sowie Verbesse−
rung der Empathie−, Reflektions− und Be−
ziehungsfähigkeit und Realitätskontrolle.
Inzwischen wurde die Wirksamkeit der
TFP−Methode empirisch nachgewiesen.
Schlüsselwörter
Borderline−Persönlichkeitsstörung, psy−
chodynamische Psychotherapie, stö−
rungsspezifische Psychotherapie, Über−
tragung, Objektbeziehungen, Persönlich−
keitsorganisation
Einleitung
Die Übertragungs−fokussierte Psychothe−
rapie (engl. Transference−focused Psy−
chotherapy, TFP) wurde als eine psycho−
dynamische Therapie konzipiert, die als
eine störungsspezifische Modifikation
der psychoanalytischen und tiefenpsy−
chologisch fundierten Therapie in der Be−
handlung von Patienten mit Borderline−
Störungen eingesetzt werden kann. Im
Unterschied zu anderen psychodynami−
schen Ansätzen schenkt sie neben einer
konsequenten Strukturierung der Rah−
menbedingungen und der Vereinbarung
eines Therapievertrages der Arbeit an
der Übertragungsbeziehung besondere
Beachtung. Die TFP wurde von Otto F.
Kernberg (Kernberg 1985, Kernberg et
al. 1993) entwickelt und liegt in manua−
lisierter Form auch in deutscher Sprache
vor (Clarkin et al. 2001b).
Theoretisches Konzept
der TFP
Theoretische Grundlage dieses Therapie−
ansatzes ist die psychoanalytische Ob−
jektbeziehungstheorie, die davon aus−
geht, dass bei Patienten mit Persönlich−
keitsstörungen eine ausgeprägte Identi−
tätsstörung im Sinne einer Identitätsdif−
fusion besteht. Die mangelnde Integra−
tion der inneren Vorstellungen vom
Selbst und wichtigen anderen (Selbst−
und Objektrepräsentanzen) bedingt,
dass positive und negative Aspekte des
Selbst und der anderen nicht zu einem
gestalthaften Ganzen integriert werden
können, sondern voneinander getrennt
das innere Erleben und die zwischen−
menschlichen Beziehungen bestimmen.
Was in der Theorie komplex und abs−
trakt klingt, findet in der klinischen Rea−
lität seine allseits bekannte Entspre−
chung: Patienten mit Borderline−Persön−
lichkeitsstörung neigen zum Schwarz−
Weiß−Sehen, idealisieren oder entwerten
andere, wissen oft nicht, wer sie selbst
sind und was sie vom Leben erwarten;
ihre Beziehungen sind meist schwierig,
da sie im Rahmen ihrer interpersonellen
Abwehr eigene widersprüchliche und wi−
derstrebende aggressive Anteile im Ge−
genüber wahrnehmen und bekämpfen,
und sich selbst und andere Personen
durch auto− oder fremdaggressives Ver−
halten schädigen. Identitätsdiffusion und
zum Teil auch Störungen der Affektregu−
lation werden durch unreife Abwehrme−
chanismen aufrechterhalten, wobei der
Spaltung neben Verleugnung, Idealisie−
rung, Entwertung und projektiver Identi−
fizierung eine zentrale Bedeutung zu−
kommt.
Die TFP geht davon aus, dass sich die
Pathologie und die Beziehungsschwierig−
keiten von Borderline−Patienten auch in
der therapeutischen Beziehung als unbe−
wusste Wiederholungen von pathologi−
schen, internalisierten Beziehungen aus
der Vergangenheit manifestieren. Im Un−
terschied beispielsweise zur Mentaliza−
tion−based Therapy (MBT; Bateman u. Fo−
nagy 2004) oder der Strukturbezogenen
Psychotherapie (Rudolf 2006) werden
diese Übertragungsprozesse vom Thera−
peuten besonders beachtet, benannt und
im ¹Hier und Jetzt“ der therapeutischen
Beziehung zunächst metaphorisch inter−
pretiert. Im fortlaufenden Interaktions−
prozess werden über ständiges Klären
von unverständlichen Schilderungen
und Konfrontieren mit widersprüchli−
chen verbalen und nonverbalen Äuße−
rungen die Voraussetzungen für das Ver−
Die Übertragungs−fokussierte
Psychotherapie (TFP) der Borderline−
Persönlichkeitsstörung
Peter Buchheim, Stephan Doering
Aus der Praxis
Borderline−Störungen
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stehen von Deutungen geschaffen. Der
Patient kann auf diese Weise nach und
nach verstehen, dass die von ihm auf
den Therapeuten projizierten Anteile im
Grunde der eigenen Innenwelt angehö−
ren. Er kann diese polaren und wider−
sprüchlichen Anteile nach und nach in
ein kohärenteres Bild von sich selbst
und vom Therapeuten integrieren und
auf andere interpersonelle Beziehungen
übertragen.
Rahmenbedingungen
der Behandlung und
Diagnostik
Die ambulante Behandlung wird im Sit−
zen als Einzeltherapie mit einer Frequenz
von zwei Stunden pro Woche über einen
Zeitraum von mindestens einem Jahr,
meist jedoch länger, durchgeführt.
Im Rahmen der probatorischen Sitzun−
gen bildet eine komplexe und detaillierte
Diagnostik die Grundlage für die Indika−
tionsstellung und Therapievereinbarung.
Die phänomenologische Diagnostik der
Persönlichkeitsstörung sollte sich an den
Kriterien nach DSM−IV (Saß et al. 1996)
oder ICD−10 (Dilling et al. 2005) orientie−
ren und ggf. auch Störungen auf der Ach−
se I wegen der häufig auftretenden Ko−
morbidität erfassen. Auch in der Praxis
kann der Einsatz von Teilen aus dem
Strukturierten Klinischen Interview für
DSM−IV (SKID−I und −II; Wittchen et al.
1997, Fydrich et al. 1997) hilfreich sein.
Weiterhin ist eine ausführliche biografi−
sche Anamnese und die Erhebung des
Krankheitsverlaufs und vorausgegange−
ner Therapien eine wichtige Grundlage
für die Therapieplanung.
Die psychodynamische Diagnostik wird
als Strukturdiagnose mit dem sog. Struk−
turellen Interview (Kernberg 1981, 1985)
durchgeführt. Dabei handelt es sich um
eine klinische Interviewmethode, die
eine Mittelstellung einnimmt zwischen
einem psychiatrischen und einem psy−
chodynamischen Erstinterview (Buch−
heim et al. 1987, 2006), die dem Thera−
peuten erlaubt, sich im Hier und Jetzt der
Interaktion ein Bild von dem strukturel−
len Funktionsniveau der Persönlichkeit
des Patienten zu machen. Der Intervie−
wer fokussiert zunächst auf die Sympto−
me, Verhaltensweisen, Konflikte und Ein−
schränkungen, aber auch auf die Fähig−
keiten in den verschiedenen Lebensberei−
chen. Im weiteren Verlauf fordert der In−
terviewer den Patienten zu einer Selbst−
charakterisierung und Beschreibung der
wichtigen Bezugspersonen auf. Auf diese
Weise können die internalisierten Selbst−
und Objektbeziehungen, das Ausmaß der
Identitätsdiffusion bzw. der Fähigkeit zur
Identitätsintegration und die typischen
Abwehrmechanismen erschlossen wer−
den. Überwiegend für wissenschaftliche
Zwecke wurde das Strukturierte Interview
zur Persönlichkeitsorganisation (STIPO;
Clarkin et al. 2003) aus dem strukturellen
Interview entwickelt, das eine operatio−
nalisierte Differenzierung des Niveaus
der Persönlichkeitsorganisation des Pa−
tienten ermöglicht.
Insbesondere dient die diagnostische
Phase der Therapie dazu, mögliche Ge−
fährdungen der Behandlung zu erkennen
und diese in den Therapievertrag aufzu−
nehmen, um der Behandlung einen si−
cheren Rahmen zu geben. Besonderes
Augenmerk wird auf potenzielle Bedro−
hungen der Behandlung gerichtet (siehe
Box 1).
Therapievertrag und
Therapieplanung
Wenn alle genannten diagnostischen
Schritte abgeschlossen sind, wird mit
dem Patienten ein mündlicher Therapie−
vertrag vereinbart. Im Allgemeinen Teil
wird eine Übereinkunft über Rollen, Auf−
gaben und Verantwortung von Therapeut
und Patient, im spezifischen Teil über die
potenziellen Gefährdungen der Therapie
bei der Borderline−Störung in Bezug auf
parasuizidales und therapieschädigendes
Verhalten getroffen.
Fallbeispiel zu Aspekten des Strukturellen
Interviews und des Therapievertrags
»
Im Verlauf der probatorischen Sitzungen
berichtete die 27−jährige Borderline−Pa−
tientin, dass sie bereits eine frühere ambu−
lante Psychotherapie abgebrochen hatte.
In der vorausgegangenen Psychothera−
pie war es zu immer dramatischeren Su−
iziddrohungen gekommen, worauf der The−
rapeut mit Extra− und Krisensitzungen
reagierte, die Stunden ausdehnte und der
Patientin seine private Telefonnummer
gab, um im Notfall erreichbar zu sein. Da
die Patientin den Therapeuten regelmäßig
nach 22 Uhr anrief, sah er sich nach eini−
gen Wochen in seinem Privatleben derart
gestört, dass er der Patientin schließlich
die abendlichen Anrufe untersagte. Diese
reagierte darauf wütend und verzweifelt,
beschimpfte ihn, dass er sie ebenso wie
alle anderen Therapeuten im Stich lasse
und sie in ihrer größten Not von sich stoße.
Sie brach die Therapie ab, ohne auf das
Angebot eines klärenden Gesprächs einzu−
gehen.
Zu Beginn der nachfolgenden Therapie
fiel dem Therapeuten schon im strukturel−
len Interview ein Übertragungsmuster auf,
in dem er die Forderungen der Patientin
als Erpressungen erlebte, denen er sich
hilflos ausgeliefert fühlte. Als nach einer
sehr emotionalen Schilderung der Patien−
tin das Ende der Sitzung erreicht war, sag−
te die Patientin unter Tränen und mit vor−
wurfsvoller Stimme: ¹Was, Sie wollen mich
jetzt nach Hause schicken, nachdem ich Ih−
nen meine intimsten Probleme preisgege−
ben habe und mich die Vergangenheit der−
maßen eingeholt hat?! Ich kann jetzt auf
keinen Fall gehen.“ Bei der anschließenden
Vertragsvereinbarung mit der Patientin
wurden die Informationen aus der Vorbe−
handlung sowie der ersten diagnostischen
Sitzung berücksichtigt:
Therapeut: Bevor wir mit der Behand−
lung beginnen, möchte ich über eine mög−
liche Gefährdung unserer Therapie spre−
chen. Ihre letzte Therapie ist daran ge−
scheitert, dass Sie diese abgebrochen ha−
ben, als sie sich von Ihrem Therapeuten
im Stich gelassen fühlten. Auch bei uns
Box 1 Beispiele für Gefährdun−
gen der Behandlung
(modifiziert nach: Clarkin
et al. 2001b)
l
Suizidale oder massiv selbstschädi−
gende Verhaltensweisen
l
Aggressives und gefährdendes Ver−
halten gegenüber anderen
l
Zurückhalten von Informationen,
fehlende Mitarbeit oder Zeitver−
schwendung
l
Substanzmissbrauch, berauscht oder
betrunken in den Sitzungen erschei−
nen
l
Unkontrolliertes Essverhalten
l
Exzessive Telefonanrufe oder Einmi−
schung in das Leben des Therapeuten
l
Eine chronisch passive Lebensweise,
die jeden therapeutischen Versuch
einer Veränderung aufgrund des se−
kundären Krankheitsgewinns verhin−
dert
Aus der Praxis
Borderline−Störungen
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hat es am Ende der letzten Sitzung eine
ähnliche Situation gegeben, in der Sie Ihre
Erwartungen nicht erfüllt sahen und sie
sich sehr enttäuscht von mir fühlten. Es
könnte sein, dass sich hier in der Psycho−
therapie ähnliche Situationen wiederholen
und Sie auch wieder enttäuscht die Thera−
pie abbrechen. Daher möchte ich mit Ihnen
vorab besprechen und regeln, wie wir mit
einer solchen Situation umgehen. Während
der Therapie, über deren Ziele wir ja schon
gesprochen haben, sehen wir uns zweimal
pro Woche für 50 Minuten. Eine Verlänge−
rung der Stunden oder zusätzliche Stunden
sind im Rahmen dieser Behandlung nicht
vorgesehen. Es ist daher erforderlich, dass
Sie zwischen den Sitzungen selbst die Ver−
antwortung für Ihr Leben und die Kontrol−
le über suizidale Impulse bis zu unserer
nächsten Sitzung übernehmen, um dann
hier mit mir darüber zu sprechen. Sollte
Ihnen das nicht möglich sein, ist es Ihre
Aufgabe, sich an die psychiatrische Notauf−
nahme zu wenden.
Patientin: Was, Sie wollen mir also nicht
helfen, wenn ich in Lebensgefahr bin! Sie
wollen einfach zusehen, wie ich sterbe?
Therapeut: Wenn Sie mich anrufen und
mir sagen, dass Sie sich jetzt umbringen
wollen, würde ich den Notarzt verständi−
gen, der Sie dann in die Notaufnahme ein−
weisen könnte. Sollte sich diese Situation
wiederholen, wäre es nicht sinnvoll, die
hier geplante Psychotherapie ambulant
fortzusetzen. Ich müsste mich dann bemü−
hen, Ihnen bei einem anderen Therapeuten
oder in einer Klinik einen Therapieplatz zu
vermitteln.
Patientin: Sie sind ja ein Sadist! Sie wol−
len die Therapie abbrechen, wenn ich we−
gen meiner Krankheit meine Suizidimpulse
nicht mehr kontrollieren kann? Also bei
Ihnen könnte ich nie Therapie machen!
Therapeut: Die Behandlung, die ich Ih−
nen anbiete, kann nur gelingen, wenn die
besprochenen Vereinbarungen eingehalten
werden und auch Sie Verantwortung für
die Fortsetzung der Therapie übernehmen.
Ich schlage vor, dass Sie sich alles noch
einmal durch den Kopf gehen lassen, und
wir in der nächsten Stunde darüber spre−
chen.
In der nächsten Stunde greift die Patien−
tin das Thema von sich aus wieder auf:
Patientin: Also letzte Woche habe ich
mich ja wahnsinnig über Sie geärgert.
Und ich finde es auch jetzt noch ziemlich
beschissen, dass Sie mich im Ernstfall im
Stich lassen würden. Aber dann ist mir
auch gekommen, dass ich Sie irgendwie
mag und doch bei Ihnen die Therapie ma−
chen möchte. Wenn es also gar nicht an−
ders geht, dann eben unter diesen Bedin−
gungen. Aber ich kann Ihnen nicht verspre−
chen, dass ich das schaffe.
Therapeut: Das verlange ich auch gar
nicht. Es ist nur wichtig, dass Sie die Ver−
antwortung für Ihr Leben außerhalb der
Sitzungen selbst übernehmen, denn ich
kann das in einer ambulanten Behandlung
nicht leisten. Mir ist sehr wichtig, dass die
Therapie nicht so endet wie Ihre letzte.
Auch wird es vermutlich Situationen ge−
ben, in denen Sie von mir mehr Unterstüt−
zung erwarten werden, als ich Ihnen geben
kann. Sie sollten dann nicht aufgeben, son−
dern uns noch in drei Sitzungen die Chance
geben, darüber ausführlich zu reden, um
zu verstehen, was in Ihnen vorgeht.
Patientin: Na, das ist dann auch schon
egal. Also gut, probieren wir’s. Können wir
jetzt anfangen?
Therapeut: Noch bin ich von Ihrem Ein−
verständnis nicht ganz überzeugt. ± Sind
Sie zwischen unseren Sitzungen im Krisen−
fall wirklich bereit, sich auch selbst z.B. um
eine Notaufnahme zu kümmern und nicht
einfach die Therapie abzubrechen?
Patientin: Ja ja, ich hab Sie schon ver−
standen. Ich mache mit ± wie gesagt, ich
kann nichts versprechen¼ Aber irgendwie
hab ich trotzdem das Gefühl, Sie verstehen
mich und meine Schwierigkeiten. Deshalb
will ich’s probieren.
«
Der Therapievertrag bietet Rahmenbe−
dingungen und setzt Grenzen zum
Schutz der Behandlung vor unkontrollier−
ten Affekten und typischer Borderline−
Pathologie. Er bietet auch einen sicheren
Ort, an dem sich die Dynamik des Patien−
ten entfalten kann und eine Bühne, auf
der im späteren Verlauf der Therapie Ab−
weichungen vom Vertrag verstanden und
interpretiert werden können.
Interventionstechniken
und Behandlungsprinzi−
pien
Die Interventionstechniken der Klärung,
Konfrontation und Deutung sind das
Handwerkszeug für das Umsetzen der
therapeutischen Prinzipien. Der Thera−
peut klärt stets die vagen oder verwirren−
den Informationen und konfrontiert den
Patienten taktvoll und behutsam mit sei−
nen für die Borderline−Pathologie typi−
schen Widersprüchen. Durch Benennen
und Interpretieren der in der Übertra−
gung aktivierten Objektbeziehungen
wird schrittweise eine Integration der
polaren inneren Vorstellungen des Pa−
tienten von sich selbst und anderen und
eine Verbesserung der strukturellen Fä−
higkeiten erreicht.
Die langfristigen auf eine strukturelle
Veränderung ausgerichteten Therapiezie−
le sind durch folgende therapeutische
Prinzipien definiert:
l
Herausarbeiten der dominanten Ob−
jektbeziehungsmuster, wie sie sich in
der Übertragungsbeziehung zwischen
Therapeut und Patient darstellen.
l
Analyse des Rollenwechsels, z.B. zwi−
schen ¹Opfer− und Täterrolle“.
l
Fördern der Reflexionsfähigkeit zur
Integration positiver und negativer
Sichtweisen von sich selbst und wich−
tigen Bezugspersonen.
l
Verbesserung der Fähigkeit, Empathie
für sich selbst und andere zu empfin−
den.
Da von Borderline−Patienten üblicher−
weise nur einzelne Anteile des Selbst
oder der Objekte früher verinnerlichter
Beziehungserfahrungen übertragen wer−
den, geht es darum, dem Patienten zu er−
möglichen, den auf den Therapeuten
übertragenen Anteil als einen Teil der ei−
genen Innenwelt zu erkennen und in Ver−
bindung mit anderen Anteilen zu brin−
gen. Die Gegenübertragung hilft dem
TFP−Therapeuten dabei, die Innenwelt
seines Patienten zu verstehen. Gerade in
der Anfangsphase der Therapie ist es oft
notwendig, durch ständiges Klären von
unverständlichen verbalen und nonver−
balen Äußerungen das aktuelle innere Er−
leben des Patienten verstehbar zu ma−
chen.
»
Therapeut: Ich bin mir nicht ganz sicher,
was jetzt in Ihnen vorgeht. Einerseits habe
ich den Eindruck, dass Sie soeben ent−
täuscht von mir waren, als ich auf Ihre
Frage nicht sofort reagiert habe, anderer−
seits wirkten Sie auch etwas erleichtert,
dass ich nicht näher darauf eingegangen
bin. Könnte es sein, dass Sie selbst noch
unklar darüber sind?
«
Sobald eine gewisse Klarheit über das in−
nere Erleben des Patienten besteht und
die Übertragungsprozesse verständlicher
sind, konfrontiert der TFP−Therapeut sei−
nen Patienten mit widersprüchlichen
Borderline−Störungen
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Die Übertragungs−fokussierte Psychotherapie (TFP) der Borderline−Persönlichkeitsstörung
Selbstanteilen, um dadurch den Weg für
Interpretationen und die nachfolgende
Integration der Selbst− und Objektwahr−
nehmung zu bahnen.
»
Therapeut: Ist das nicht merkwürdig: Sie
erwarten, dass ich mich viel mehr um sie
kümmere, Ihnen Tipps gebe, die Stunden
verlängere und Ihnen Extrastunden gebe.
Da ich das nicht tue, sind Sie auf der einen
Seite enttäuscht und wütend auf mich und
auf der anderen Seite sagen Sie, dass Sie
fast erleichtert sind, wenn ich mich nicht
um Sie kümmere. Wie passt das zusam−
men?
«
In weiteren Schritten wird zunächst
durchaus hypothetisch durch Deutungen
ein Verstehenszusammenhang zwischen
den (scheinbar) widersprüchlichen An−
teilen des Patienten hergestellt, mit dem
Ziel, den Patienten in die Lage zu verset−
zen, beide Anteile wahrzunehmen und
als zu sich gehörig zu erkennen.
»
Therapeut: Ich habe eine Hypothese, wie
Ihre Wut und Ihre Erleichterung vielleicht
doch zusammenpassen könnten. Wäre es
möglich, dass ein Teil in Ihnen den sehr
starken Wunsch hat, von mir gehalten, an−
genommen und versorgt zu werden, wäh−
rend ein anderer Teil in Ihnen genau davor
große Angst hat. Vielleicht bezieht sich die−
se Angst darauf, dass Sie von mir abhängig
werden könnten und ich Sie dann am Ende
doch im Stich lasse.
«
In den frühen Therapiephasen der TFP
werden ± wie im letzten Beispiel ± die
Deutungen auf die Übertragungsbezie−
hung im Hier und Jetzt eingesetzt. Erst
in der fortgeschrittenen Therapiephase,
wenn der Patient mehr strukturelle Fä−
higkeiten erworben hat, können auch ge−
netische Deutungen hilfreich sein, die ei−
nen Zusammenhang zu frühen Bezie−
hungserfahrungen herstellen.
»
Therapeut: Ich vermute, dass Sie deswe−
gen so große Angst vor der Abhängigkeit
von mir haben müssen, weil Sie früher
mit Ihrer Mutter erlebt haben, wie ver−
hängnisvoll eine solche Abhängigkeit sein
kann. Damals waren Sie ja noch klein und
wirklich völlig abhängig. Und immer, wenn
Sie sich bemüht haben, dass Ihre Mutter
Ihnen Aufmerksamkeit schenkt und Sie an−
nimmt, wurden Sie bitter enttäuscht.
«
Ziele in den einzelnen
Therapiephasen
Primäre Ziele in der frühen Therapiephase
sind die Reduzierung der borderline−spe−
zifischen Symptomatik, des selbstde−
struktiven Verhaltens, d.h. eine zuneh−
mende Kontrolle über impulsives Verhal−
ten und Agieren und die Verminderung
von drohenden Therapieabbrüchen.
Die mittlere Phase der Therapie beginnt,
wenn das anfängliche selbstschädigende
und die Therapie gefährdende Agieren
seltener wird und sich mehr Möglichkei−
ten bieten, die dominierenden Übertra−
gungsbeziehungen in der therapeuti−
schen Dyade systematisch zu analysie−
ren. Ziel der fortgeschrittenen Therapie−
phase ist es, durch intensiver eingesetzte
Deutungen im ¹Hier und Jetzt“ eine wei−
tere Stabilisierung der Affekte und ihrer
situationsadäquateren Regulierung in
zwischenmenschlichen Beziehungen so−
wie eine erhöhte Reflexions− und Integra−
tionsfähigkeit und Konfliktverarbeitung
zu erreichen.
Ein angemessener Zeitpunkt für eine
Beendigung der Therapie ist in der Regel
nach ein bis drei Jahren zweistündiger
Therapie, wenn es zu einer befriedigen−
den Auflösung der Symptomatik, der ge−
störten Affektregulation und der dys−
funktionalen Beziehungsmuster sowie
zu einer erkennbaren Zunahme struktu−
reller Fähigkeiten gekommen ist.
Weiterbildung und
Supervision
Das TFP−Institut München bietet eine
einjährige Weiterbildung an zehn Wo−
chenenden an, im Rahmen derer eine in−
tensive Supervision eigener Behandlun−
gen mithilfe von Videoaufzeichnungen
der Therapiesitzungen stattfindet. Ärztli−
che und psychologische Psychotherapeu−
ten, die gewisse Vorerfahrungen mit psy−
chodynamischen Behandlungen mitbrin−
gen, können die TFP erlernen, dabei ist
eine abgeschlossene tiefenpsychologisch
fundierte bzw. psychoanalytische Weiter−
bildung keine Voraussetzung.
Wirksamkeitsnachweise
Clarkin et al. (2001a) konnten in einer
unkontrollierten Studie signifikante Ver−
besserungen nach zwölfmonatiger TFP
nachweisen. Darüber hinaus verglichen
Clarkin et al. (2004, 2007) in einer ran−
domisierten und kontrollierten Studie
TFP mit der Dialektisch−behavioralen
Therapie (DBT) nach Linehan und Sup−
portiver Psychotherapie nach Rockland
(SPT). Alle drei Therapieformen zeigten
Verbesserungen in vielen Bereichen (De−
pression, Angst, allgemeines Funktionie−
ren, soziale Anpassung), TFP und DBT be−
wirkten eine signifikante Verbesserung
der Suizidalität, TFP und SPT waren mit
Verbesserungen in den Bereichen von
Wut und Impulsivität verbunden, und
nur TFP verbesserte Reizbarkeit sowie
verbale und direkte Angriffe (Clarkin et
al. 2007). Weiterhin wurden nur unter
Fazit
Die übertragungsfokussierte Psychothe−
rapie der Borderline−Persönlichkeitsstö−
rung stützt sich auf ein psychoanalyti−
sches Verständnis der Persönlichkeitsstö−
rung und das objektbeziehungstheoreti−
sche Konzept der Borderline−Persönlich−
keitsorganisation. Die Therapieplanung
erfolgt auf der Basis der Symptomatik, der
Persönlichkeitsstruktur, der Konfliktdyna−
mik und der internalisierten Objektbezie−
hungen. Das taktische Vorgehen in den
Sitzungen und die langfristigen strategi−
schen Ziele sind für die verschiedenen
Therapiephasen genau definiert. Im Ver−
lauf der Therapie werden die überwiegend
mit negativen Affekten besetzten Objekt−
beziehungen und Interaktionen fokus−
siert, die durch den Übertragungsprozess
in der therapeutischen Beziehung akti−
viert werden. Die Anwendung dieser auf
die Übertragungsbeziehung zwischen Pa−
tient und Therapeut fokussierten Psycho−
therapie erfordert ein Training und eine
regelmäßige Supervision. Therapeuten
mit psychodynamischen Grunderfahrun−
gen können die Methode erlernen und als
eine störungsorientierte Modifikation der
psychoanalytischen bzw. tiefenpsycholo−
gisch fundierten Psychotherapie zur Be−
handlung von Borderline−Patienten ein−
setzen.
Borderline−Störungen
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Aus der Praxis
TFP signifikante positive Veränderungen
im Bereich des Reflective Functioning
und des Bindungsstils von einer unsiche−
ren zur sicheren Bindung erreicht (Levy
et al. 2006). Derzeit findet eine multi−
zentrische randomisierte kontrollierte
Studie zum Vergleich von TFP mit Treat−
ment as Usual (TAU) in München und in
Wien statt.
Zu den Autoren
Peter Buchheim
Univ.−Prof. Dr. med.,
Facharzt für Psychoso−
matische Medizin und
Psychotherapie, Ner−
venarzt, Psychoanaly−
tiker (DGPT). Studium
der Medizin in Würz−
burg, München und
Münster. Bis 1995
wiss. Assistent und
Oberarzt, Leiter der Poliklinik und Tagklinik
der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
der LMU München, ab 1995 Univ.−Professur
für Psychosomatik und Psychotherapie an
der Klinik für Psychosomatik und Psycho−
therapie der TU München am Klinikum
rechts der Isar. Seit 1997 Leiter der AG Per−
sönlichkeitsstörungen, seit 2001 an der Kli−
nik für Psychiatrie und Psychotherapie der
TUM, seit 2001 Leitung des TFP−Instituts
München (http://www.tfp−institut−
muenchen.de).
Forschungsschwerpunkte: Diagnostik,
Behandlung, Therapiestudien bei Persön−
lichkeitsstörungen.
Stephan Doering
geb. 1966, Univ.−Prof.
Dr. med., Facharzt für
Psychosomatische
Medizin und Psycho−
therapie, Facharzt für
Psychiatrie und Psy−
chotherapie, Psycho−
analytiker. Studium in
Göttingen, Berlin und
Jerusalem. 1995 bis
2004 Assistenzarzt
und Oberarzt an der Univ.−Klinik für Medizi−
nische Psychologie und Psychotherapie
Innsbruck, seit 2004 Professor für Psycho−
somatik in der Zahnheilkunde an der West−
fälischen Wilhelms−Universität Münster.
Forschungsschwerpunkte: Diagnostik und
Behandlung von Persönlichkeitsstörungen,
Psychosomatik in der Zahnheilkunde.
Korrespondenzadresse:
Univ.−Prof. Dr. med. Peter Buchheim
Arbeitsgruppe Persönlichkeitsstörungen,
Klinik für Psychiatrie u. Psychotherapie
der Technischen Universität München,
Klinikum rechts der Isar
Ismaninger Straße 22
81675 München
E−mail: P.Buchheim@lrz.tu−muenchen.de
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Borderline−Störungen
PiD 4 −2007
´
8. Jahrgang
327
Die Übertragungs−fokussierte Psychotherapie (TFP) der Borderline−Persönlichkeitsstörung