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Phänomenologie, Funktion und Physiologie des Schlafes

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Abstract

Der Schlaf wurde lange Zeit als das „unbekanntes Drittel” des menschlichen Lebens betrachtet. Er wurde als ein rein passiver Prozess angesehen und sowohl von der klinischen als auch wissenschaftlichen Psychologie, ebenso wie von der Medizin, lange Zeit vernachlässigt. In den vergangenen Dekaden ist jedoch der Erkenntnisgewinn der wissenschaftlichen und klinischen Schlafforschung sprunghaft angestiegen. Tatsächlich stellt der Schlaf einen hoch komplexen, dynamischen und nach strengen Regeln ablaufenden physiologischen Prozess mit Auswirkungen auf das Bewusstsein im Wachen dar. Er wird als eigenständiger organismischer Zustand verstanden. Funktional hat er eine wichtige Bedeutung für den Wachzustand. Der Schlaf wird in die NonREM-Stadien N1, N2 und N3 unterschieden. Ihnen werden beispielsweise wichtige Bedeutungen für physiologische Erholungsprozesse, aber auch für die Gedächtnisbildung zugeschrieben. Der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement Sleep) ist wesentlich an der Entwicklung des zentralen Nervensystems beteiligt, hat Einfluss auf das emotionale Befinden während des Wachens und eine wichtige Bedeutung für Lern- und Gedächtnisprozesse. Schlafen und Wachen werden von zahlreichen Neurotransmittern und anderen Botenstoffen im Gehirn gesteuert.
PID "605", 18.5.09, Barbara Maisch
Phänomenologie, Funktion und Physiologie
des Schlafes
Hans-Günter Weeß · Ralf Landwehr
Schlüsselwörter
"
Schlaf
"
Schlafstadien
"
Funktion
"
Physiologie
"
Neurotransmit ter
"
Hormone
Korrespondenzadressen
"
Dr. Hans-Günter Weeß
Interdisziplinäres Schlafzentrum
Pfalzklinikum
Weinstraße 100
76889 Klingenmünster
hans-guenter.weess@pfalzklinikum.
de
"
Dr. Ralf Landwehr
Neurologische Klinik
Westpfalz-Klinikum
Hellmut-Hartert-Straße 1
67655 Kaiserslautern
Standpunkte 1
Phänomenologie des Schlafes
Das Wort Schlaf ist altgermanischen
Ursprungs und eine Nominalbildung zu
schlafen (gotisch sleps und alt- und
mittelhochdeutsch slaf). Auch das
niederländische slaap und englische
sleep gehen auf diesen Ursprung zurück.
Schlafen bedeutet ursprünglich
schlapp werden und ist mit dem Eigen-
schaftswort schlaff verwandt.
Die Geschichte der modernen Schlaffor-
schung beginnt im Jahre 1928 mit der
Entdeckung des Elektroencephalo-
gramms durch den deutschen Psychiater
Hans Berger. Seither ist es möglich, die
elektrische Aktivität des Gehirns zu regis-
trieren und mit bestimmten Bewusst-
seinszuständen, z. B. der Schlaftiefe zu
korrelieren. Heute werden zur routine-
mäßigen Beschreibung des Schlafes die
Rhythmen und Graphoelemente des
Schlaf-EEGs nach den Kriterien der Amer-
ican Academy of Sleep Medicine (2007),
welche die ebenfalls auf Erfahrungswis-
sen beruhenden Richtlinien eines interna-
tionalen Expertengremiums unter dem
Vorsitz von Rechtschaffen und Kales
(1968) abgelöst haben, interpretiert. Da-
rüber hinaus wurden standardisierte Re-
geln für kardiorespiratorische Aspekte
der Polysomnografie (PSG) zur Erkennung
von Schlafstörungen von der AASM vor-
geschlagen.
Nach den Kriterien der AASM (2007) kön-
nen fünf verschiedene Schlafstadien in-
klusive dem Wachzustand unterschieden
werden, deren Charakteristika hinsicht-
lich EEG (Elektroenzephalogramm), EOG
(Elektrookulogramm) und EMG (Elektro-
myogramm) in
"
Tab.1 dargestellt wer-
den. Das Schlafstadium I (N1) beschreibt
den Übergang zwischen Wachen und
Schlafen, eine Art Dösen, das Schlafstadi-
um N2 den stabilen Schlaf und das Stadi-
um N3 den Tiefschlaf. Das Stadium REM
(engl.: Rapid Eye Movement) wird auch
als Traumschlaf, Paradoxer Schlaf oder
Aktiver Schlaf bezeichnet.
Der Anteil der Schlafstadien I (N1) und II
(N2) am Gesamtschlaf eines gesunden,
etwa 30 Jahre alten Schläfers liegt bei ca.
5560%. Der Tief- oder auch Slow-Wave-
Schlaf wird durch das Schlafstadium III
(N3) beschrieben, sein Anteil liegt bei ca.
1525%. Der REM-Schlaf umfasst in der
Regel 2025% der gesamten Schlafmenge.
Der Wachanteil während der Schlafperi-
ode wird in der Regel mit weniger als 5 %
am Gesamtschlaf angegeben. Der Anteil
der Schlafstadien an der Gesamtschlaf-
menge variiert mit dem Alter und dem
Geschlecht. Beim Neugeborenen findet
sich ein REM-Schlaf-Anteil von ca. 50%,
welcher bis zum Erwachsenenalter auf ca.
1525% zurückgeht. Der Slow-Wave-An-
teil nimmt im Gegensatz zu Frauen bei
Männern ab dem 50. Lebensjahr kontinu-
ierlich ab. Möglicherweise ergeben sich
zwischen Rückgang des Tiefschlafs und
Zusammenfassung Der Schlaf wurde lange Zeit als das unbekanntes Drit-
tel des menschlichen Lebens betrachtet. Er wurde als ein rein passiver Prozess
angesehen und sowohl von der klinischen als auch wissenschaftlichen Psycho-
logie, ebenso wie von der Medizin, lange Zeit vernachlässigt. In den vergange-
nen Dekaden ist jedoch der Erkenntnisgewinn der wissenschaftlichen und kli-
nischen Schlafforschung sprunghaft angestiegen. Tatsächlich stellt der Schlaf
einen hoch komplexen, dynamischen und nach strengen Regeln ablaufenden
physiologischen Prozess mit Auswirkungen auf das Bewusstsein im Wachen
dar. Er wird als eigenständiger organismischer Zustand verstanden. Funktional
hat er eine wichtige Bedeutung für den Wachzustand. Der Schlaf wird in die
NonREM-Stadien N1, N2 und N3 unterschieden. Ihnen werden beispielsweise
wichtige Bedeutungen für physiologische Erholungsprozesse, aber auch für die
Gedächtnisbildung zugeschrieben. Der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement
Sleep) ist wesentlich an der Entwicklung des zentralen Nervensystems betei-
ligt, hat Einfluss auf das emotionale Befinden während des Wachens und eine
wichtige Bedeutung für Lern- und Gedächtnisprozesse. Schlafen und Wachen
werden von zahlreichen Neurotransmit tern und anderen Botenstoffen im Ge-
hirn gesteuert.
PID 2/2009 · 10. Jahrgang Schlaf und Traum
verkürzter Lebenserwartung der Männer
im Vergleich zu Frauen Zusammenhänge.
Die einzelnen Schlafstadien verteilen sich
auf charakteristische Art und Weise über
die Schlafperiode (
"
Abb.1).
Innerhalb eines Schlafzyklus, von denen
von einem gesunden Schläfer je nach
Schlafdauer und interindividueller Vari-
anz vier bis sieben pro Nacht durchlaufen
werden, tritt beim Einschlafen zuerst
oberflächlicher Schlaf (N1) und in rascher
Folge stabiler Schlaf (N2) und Tiefschlaf
(N3) auf. Zuletzt kann REM-Schlaf beob-
achtet werden. Letzterer schließt einen
Schlafzyklus ab. Jeder Schlafzyklus hat
eine zeitliche Dauer von ca. 70110 Minu-
ten. Mit der Anzahl der durchlaufenen
Schlafzyklen innerhalb einer Schlafperi-
ode nimmt der Anteil des Tiefschlafes
(N3) kontinuierlich ab und der Anteil des
REM-Schlafes kontinuierlich zu.
Die Dauer einer nächtlichen Schlafperiode
ist intraindividuell sehr stabil, im interin-
dividuellen Vergleich ist sie jedoch sehr
variabel und wird durch vielerlei Faktoren
beeinflusst. In der Regel schlafen junge Er-
wachsene werktags ca. 7,5 Stunden und
am Wochenende ca. 8,5 Stunden. Extreme
Schlafzeiten zwischen 4 und 12 Stunden
sind jedoch durchaus beobachtbar und
nicht von vornherein als pathologisch ein-
zustufen. Entscheidend für die Diagnose-
stellung einer Schlafstörung ist neben der
nächtlichen Schlafqualität auch das Befin-
den am Tage. Bei vielen Schlafstörungen,
vor allem den Ein- und Durchschlafstö-
rungen, kommt dem eingeschränkten
Leistungsvermögen oder psychosozialen
Veränderungen am Tage bei der Diagno-
sestellung eine entscheidende Bedeutung
zu.
Zusammenhänge zwischen Schlafdauer
und Lebenserwartung werden diskutiert.
Eindeutige Aussagen lassen sich aufgrund
methodischer Einschränkungen einzelner
Studien nicht treffen. Es bestehen Hinwei-
se, dass eine durchschnittliche Schlafdau-
er über 9 Stunden und unter 5 Stunden
mit einer etwas verkürzten Lebenser war-
tung in Zusammenhang stehen könnte.
Funktion und Bedeutung des
Schlafes
Die Grundlage für die Entwicklung von
Ruhe- und Akt ivitätszyklen gab die Erdro-
tation mit ihrem für alle Organismen un-
veränderlichen Rhythmus von Tag und
Nacht. Die Blüten von Pflanzen öffnen
und schließen sich in Abhängigkeit zur
Tageszeit. Selbst Einzeller wie die Geißel-
alge Gonyaulax polyedra richten ihre Ak-
tivität nach dem Sonnenstand. Solche Be-
obachtungen an wenig entwickelten Or-
ganismen legen die Vermutung nahe,
dass schon fr üh in der Evolution Anpas-
sungen an die Licht- und Temperaturver-
hältnisse stattgefunden haben, um die
metabolische Aktivität zu regulieren.
Das Wissen um die Bedeut ung des Schla-
fes ist jedem Einzelnen bei Schlafmangel
oder Schlafstörungen direkt erfahrbar.
Eine wissenschaftliche Annäherung an
das Thema stellt sich ungleich schwieriger
dar. Trotz intensiver Schlafforschung, be-
ginnend etwa mit der Beschreibung des
REM-Schlafs 1953, wurden bisher so
wichtige Fragen, wie die nach der Funk-
tion des Schlafes, nur in Ansätzen beant-
wortet.
Non-REM-Schlaf kann als ein anaboli-
scher Zustand verstanden werden, wel-
cher durch physiologische Wachstums-
und Erholungsprozesse der Organsyste-
me, z.B. Immunsystem, Nervensystem,
Muskeln und Knochenbau charakterisiert
ist. Im Folgenden können nur exempla-
risch einige Beispiele genannt werden.
Das Wachstumshormon (Somatotrope
Hormon; STH; s. u.) wird in der ersten
Hälfte der Schlafperiode bei biologischem
Nachtschlaf maximal ausgeschieden. Es
wird in der Hirnanhangdrüse (Hypophy-
se) gebildet einem kleinen Organ an der
Unterseite des Gehirns. Dort werden auch
eine Reihe anderer Hormone produziert,
die Signale an die Schilddrüse oder die
Nebennierenrinde weiterleiten. Dem STH
werden neben der wichtigen Bedeutung
für das Körperwachstum bei K indern,
anabole Wirkungen für Knochen, Muskeln
und Leber zugeschrieben. Außerdem er-
PID "605", 18.5.09, Barbara Maisch
Tab.1 Charakteristika der verschiedenen Schlafstadien nach AASM.
Stadi-
um
EEG EOG EMG Anteile (mittle-
res Lebensalter:
ca. 30 Jahre)
WACH dominierende
Alpha- u. Beta-
Aktivität
Lidschläge, ra-
sche Augenbe-
wegungen
hoher Tonus,
Bewegungsarte-
fakte
<5%
NREM I Theta-Aktivität,
(Vertexzacken)
langsame, z.T.
rollende Augen-
bewegungen
Abnahme des
Muskeltonus
(<S W)
ca. 5 %
NREM II Theta-Aktivität,
K-Komplexe,
Schlafspindeln
keine Augenbe-
wegungen, EEG-
Ar tefakte
Abnahme des
Muskeltonus
(<S I)
ca. 4555 %
NREM III Delta-Aktivität
> 20%, < 50 %
keine Augenbe-
wegungen, EEG-
Ar tefakte
Abnahme des
Muskeltonus
(<S II)
ca. 1525 %
REM Theta- (auch
langsame Alpha-
) Aktivität, ge-
zahnwellen
konjugierte, ra-
sche Augenbe-
wegungen (Ra-
pid Eye Move-
ments)
niedrigster mitt-
lerer Tonus, z. T.
phasische Akti-
vierung (< S IV)
ca. 2025 %
REM
W
1
2
3
Zeitskala
Schlafstadiendiagramm
23.00 00.00 01.00 02.00 03.00 04.00 05.00 06.00
Abb.1 Typisches Schlafprofil eines gesunden jungen Mannes. (Es werden fünf
Schlafzyklen durchlaufen. Deutlich zu sehen ist der höhere Tiefschlafanteil
im ersten Nachtdrittel. Im letzten Nachtdrittel kann eine Zunahme des
REM-Schlaf-Anteils beobachtet werden.)
Phänomenologie, Funktion und Physiologie des Schlafes2
Schlaf und Traum PID 2/2009 · 10. Jahrgang
höht STH den Blutzuckerspiegel und wirkt
auf die Fettzellen lipolytisch, d.h. fettab-
bauend. Kortisol, ein körpereigenes
(Stress-)Hormon der Nebennierenrinde,
wird in der zweiten Hälfte der Schlafperi-
ode maximal ausgeschüttet.
Auch ein Zusammenhang zwischen zahl-
reichen Komponenten des Immunsys-
tems und Schlaf wird diskutiert, wobei
die Befunde in beide Richtungen weisen,
d.h. es wurden sowohl stimulierende als
auch inhibitorische Einflüsse auf das Im-
munsystem bei Schlafentzugsstudien ge-
zeigt. Bei einem Versuch wurden Ratten
24 Stunden am Schlafen gehindert. Vergli-
chen mit der Kontrollgruppe war der An-
teil an weißen Blutkörperchen um 20 % re-
duziert, was auf eine signifikante Verän-
derung des Immunsystems hindeutet.
Schlaf fördert beispielsweise die Wund-
heilung. Es konnte gezeigt werden, dass
Schlafentzug die Heilung von Brandwun-
den bei Ratten negativ beeinflusst. Ver-
gleicht man verschiedene Tierarten, so ist
die Tiefschlafphase von Neugeborenen
umso länger, je weniger entwickelt das
Baby geboren wird.
Der Wachzustand kann als wiederkehren-
de, vorübergehende hyperaktive kataboli-
sche Phase definiert werden, während de-
rer der Organismus Nahrung aufnimmt
und sich fortpflanzen kann. Während des
REM-Schlafes finden in erster Linie Pro-
zesse statt, die mit dem psychischen Be-
finden und dem intellektuellen Leistungs-
vermögen assoziiert sind.
Die ontogene Theorie besagt, dass die Vor-
gänge während des REM-Schlafes von
Neugeborenen besonders wichtig für die
Entwicklung des jungen Organismus zu
sein scheinen. Neugeborene schlafen oh-
nehin sehr viel, aber während ihres Schla-
fes findet sich, im Vergleich zur gesamten
Lebensspanne, mit 50% der höchste
Traumschlafanteil. So wird dem REM-
Schlaf, insbesondere während der ersten
Lebensmonate, eine wichtige Funktion
für die Ausdifferenzierung des Gehirns,
insbesondere des visuellen Systems, zuge-
schrieben. Befürwor ter dieser Theorie
vermuten, dass die Atonie der Skelett-
muskulatur während des R EM-Schlafes
eine Stimulation des Gehirns ermöglicht,
ohne dass die hierfür notwendigen Bewe-
gungen tatsächlich ausgeführt werden
müssen. Bereits im fötalen Ent wicklungs-
stadium werden während des REM-Schla-
fes Atembewegungen ausgeführt, welche
dem REM-Schlaf eine Bedeutung bei der
Einübung zukünftig notwendiger Verhal-
tensweisen zuschreiben könnte. Einige
Forscher sind der Ansicht, dass seltene
und nicht immer notwendige, aber für
die Erhaltung der Art notwendige Verhal-
tensweisen während des REM-Schlafes
regelhaft gezeigt und trainiert werden, so
beispielsweise die eng an den REM-Schlaf
gekoppelte Erektion des Mannes und er-
höhte Vaginaldurchblutung der Frau.
REM-Mangel von Kleinkindern führt zu
späteren Entwicklungsproblemen. In Stu-
dien, die den Effekt von Schlafmangel an
Kleinkindern untersuchten, finden sich
Belege, dass Schlafmangel zu Verhaltens-
störungen, permanenten Schlafproble-
men, reduzierter Gehirnmasse und einer
ungewöhnlich hohen Nervenzellsterb-
lichkeit führen kann.
Als wissenschaftlich gesichert gilt der Zu-
sammenhang zwischen Schlaf und Lern-
und Gedächtnisprozessen. Jenkins und
Dallenbach konnten 1924 erstmals expe-
rimentell nachweisen, dass Lernaufgaben,
die vor einer Schlafperiode dargeboten
werden, besser behalten werden als Auf-
gaben vor einer Wachperiode derselben
Dauer. Dieser das Lernen begünstigende
Effekt wurde in vielen experimentellen
Untersuchungen belegt, und in der Folge
wurden bestimmten Schlafstadien beson-
dere Rollen für Gedächtnisprozesse zuge-
wiesen.
Dem R EM-Schlaf wird dabei eine wichtige
Bedeutung für das prozedurale Gedächt-
nis zugewiesen. Insbesondere Studien in
der jüngeren Vergangenheit lassen einen
Zusammenhang zwischen Non-REM-
Schlaf und der deklarativen Gedächtnis-
leistung vermuten. Die gewonnenen Er-
kenntnisse sind nicht nur von akademi-
schem Charakter, sondern könnten auch
die von Patienten mit Schlafstörungen
häufig geklagten Gedächtniseinschrän-
kungen wissenschaftlich absichern.
Der Zusammenhang zwischen REM-
Schlaf und emotionalem Erleben findet
vor allem in der Therapie von psychischen
Störungen seine praktische Anwendung.
In der Depression kann sich ein erhöhter
REM-Druck in Form einer verkürzten
REM-Latenz (Zeitspanne nach dem Ein-
schlafen bis zum Auftreten der ersten
REM-Phase), erhöhtem REM-Anteil und
erhöhter REM-Dichte manifestieren.
Schlafentzugsstudien, mit dem Ziel der
REM-Suppression, konnten eindrucksvoll
den stimmungsaufhellenden Effekt nach
einer Nacht (REM-)Schlafentzug demons-
trieren.
Um den Ef fekt des Schlafentzugs über
einige Tage zu erhalten, kann an den
Schlafentzug eine Schlafphasenvorverla-
gerung anschließen. Wachtherapie mit
Schlafphasenvorverlagerung zählt zu den
Standardbehandlungsmethoden in der
stationären Depressionsbehandlung und
wird zusätzlich zur medikamentösen und
psychotherapeutischen Behandlung an-
gewandt. Oft geht eine Wachtherapie
auch mit einer gleichzeitigen Lichtthera-
pie einher, welche zusätzlich den zirka-
dianen Rhythmus beeinflusst. Ein großer
Vorzug des Schlafentzugs als Behand-
lungsmethode bei Depressionen ist das
Fehlen von Nebenwirkungen.
Physiologie des Schlafes
Entgegen fr üherer Annahmen stellt der
Schlaf einen komplexen, hoch aktiven Zu-
stand dar. Er kann infolge der zyklischen
Schlafstadienabfolge, dem Wechsel von
Non-REM- und REM-Schlaf als ein dyna-
mischer Zustand verstanden werden.
Während des Schlafes unterliegen in Ab-
hängigkeit zum Schlafzustand multiple
physiologische Systeme und Parameter
einem dynamischen Wandel. Der gegen-
wärtige wissenschaftliche Erkenntnis-
stand ist geprägt von der deskriptiven
Beschreibung dieser physiologischen Sys-
teme, kausale Zusammenhänge werden
z.T. nur in Ansätzen verstanden.
Auf behavioraler Ebene ist Schlaf ein ge-
genüber dem Wachen, aber auch dem
Winterschlaf und quantitativen Bewusst-
seinsstörungen (bis hin zum Koma) ab-
grenzbarer Zustand mit charakteristi-
scher Körperlage, reduzierter motorischer
Aktivität und verminderter Reagibilität
sensomotorischer Systeme gegenüber in-
ternen und externen Stimuli. Die neuro-
nale Aktivität ist hingegen nicht generell
reduziert, im REM-Schlaf sogar sehr hoch.
Bezüglich des Bewusstseinszustandes ist
es wahrscheinlich sinnvoll, NREM-Schlaf
und REM-Schlaf als jeweils separate und
auch auf physiologischer Ebene deutlich
differente Zustände abzugrenzen. Somit
können Wachen, NREM-Schlaf und REM-
Schlaf als eigenständige physiologische
Zustände mit jeweils charakteristischen
Eigenschaften klassifiziert werden.
Im Folgenden werden die physiologischen
schlafbezogenen Veränderungen im Neu-
rotransmitter-Stoffwechsel, die hormo-
nelle Zyklik und die Temperaturregula-
tion näher beleuchtet.
Neurotransmittersysteme
Der Wachzustand wird aktiv aufrechter-
halten durch vorwiegend glutamaterge,
daneben auch cholinerge Neurone des as-
PID "605", 18.5.09, Barbara Maisch
Standpunkte 3
PID 2/2009 · 10. Jahrgang Schlaf und Traum
zendierenden retikulären aktivierenden
Systems (ARAS) im Hirnstamm. Sie errei-
chen den posterioren Hypothalamus, das
Orbitofrontalhirn, und über weitere exzi-
tatorische Bahnen die Kerne des unspezi-
fischen thalamokortikalen Projektions-
systems. Weitere aktivierende Projektio-
nen zum Kortex sind noradrenerg, choli-
nerg, hypokretinerg, histaminerg und
peptiderg. Elektrophysiologisches Korre-
lat der diffusen tonischen und phasischen
Aktivierung ist die niedrigamplitudige,
hochfrequente Aktivität im EEG.
Schlaf wird induziert durch eine aktive
GABAerge Herunterregulation des toni-
schen Aktivitätsniveaus des ARAS wäh-
rend des Wachens. Hierf ür nimmt das Ak-
tivitätsniveau parasympathischer Zentren
im Bereich des anterioren Hypothalamus,
der Area praeopt ica und der Nuclei
tractus solitarii zu, ebenso das von seroto-
nergen Neuronen der Raphe-Kerne. REM-
Schlaf wird induziert durch eine Aktivie-
rung der cholinergen Transmission und
eine reziproke Hemmung der serotoner-
gen Transmission (s.u.).
Etwa zwei Drittel der kortikalen Neurone
sind glutamaterg. Glutamat ist der wich-
tigste exzitatorische Transmitter mit einer
essenziellen Funktion für die gesamte kor-
tikale Aktivität im Wachzustand.
GABA ist der wichtigste und am weitesten
verbreitete inhibitorische Transmitter im
ZNS. Es bindet an GABA
A
- und GABA
B
-Re-
zeptoren, von denen die GABA
A
-Rezepto-
ren die entscheidenden sedierenden bzw.
schlaffördernden sowie anxiolytischen
und muskelrelaxierenden Effekte vermit-
teln. Pharmakologisch wichtig ist der Re-
zeptor als Bindungsstelle von Benzodiaze-
pinen, Benzodiazepin-Rezeptor-Agonis-
ten, Barbituraten und Alkohol. Benzodia-
zepine und vor allem Benzodiazepin-Re-
zeptor-Agonisten werden nicht nur als
Tranquilizer bei psychischen Störungen
eingesetzt, sondern finden ebenso einen
weiten Einsatzbereich als Schlafmittel.
Noradrenalin hat eine zentrale Funktion
in der Regulation des Arousalstatus oder
Wachheitsniveaus. Die Aktivierung no-
radrenerger Kerngebiete in Locus coeru-
leus, ventrolateraler Medulla oblongata
und Area praeoptica induziert eine deutli-
che tonische und phasische Erhöhung des
Vigilanzniveaus über ausgedehnte Projek-
tionen zum Frontalhirn und dem gesam-
ten Neokortex. Komplex ist der Einfluss
auf den REM-Schlaf mit Modulation der
cholinergen Aktivität: Die Stimulation
zentraler α
1
-Rezeptoren scheint eine
REM-Inhibition zu bewirken, während
durch die Aktivierung von β-Rezeptoren
REM-Schlaf induziert wird.
Während die dopaminergen Systeme
einen wichtigen Beitrag zur Aufrechter-
haltung des Arousal-Niveaus und der kor-
tikalen und behavioralen Aktivität am
Tage liefern, sind sie wahrscheinlich an
der Schlafregulation nur in geringem Aus-
maß beteiligt.
Wichtigstes serotonerges Kerngebiet im
ZNS sind die Raphe-Kerne von Mittelhirn,
Pons und Medulla. Die rostralen Anteile
haben ausgedehnte aszendierende Pro-
jektionen zu Thalamus, Hypothalamus
und (insbesondere frontalen) Kortex, die
caudalen Anteile deszendierende Projek-
tionen zum Rückenmark. Während Sero-
tonin tagsüber aktivierende und mehr
noch st immungsaufhellende Wirkungen
zeigt, ist es nachts entscheidend für die
Entstehung des Schlafes insgesamt und
besonders die Tiefschlafregulation. Die
Serumkonzentration von Serotonin im
Schlaf korreliert direkt mit dem prozen-
tualen Ausmaß des Tiefschlafs.
Im zentralen Nervensystem sind histami-
nerge Neurone im posterioren Hypothala-
mus in hoher Konzentration nachweisbar.
Sie besitzen sowohl aufsteigende als auch
absteigende Projektionen und sind an der
Regulation des Wachheitsniveaus, an der
zirkadianen Rhythmik des Nucleus supra-
chiasmaticus und vielen weiteren, z.B. ko-
gnitiven Prozessen, beteiligt.
Azetylcholin wird aus den terminalen En-
digungen thalamischer und kortikaler
Neurone in hohen Konzentrationen frei-
gesetzt. Seine wichtigste Funktion ist die
zyklische Induktion der REM-Phasen
durch vorwiegend muskarinerge Rezep-
toren. Mit der Aktivierung von REM-
Schlaf geht eine Inhibition des Tiefschlafs
einher. Cholinerges und serotonerges
(teilweise auch noradrenerges) System
wirken in der Regulation der Schlafzyklik
reziprok. Dementsprechend haben Phar-
maka mit cholinergem oder anticholiner-
gem Profil meist ausgeprägte Effekte auf
die Parameter REM-Latenz, -Anteil und
Dichte.
Die Peptidhormone Hypokretin 1 und 2
(Orexin A und B) werden aus einem Vor-
läuferprotein ausschließlich in maximal
100000 Neuronen des dorsalen, lateralen
und posterioren Hypothalamus sowie des
Nucleus perifornicalis gebildet. Sie proji-
zieren diffus in nahezu alle Bereiche des
Kortex und in subkortikale Kerngebiete
(vor allem Thalamus, Teile des limbischen
Systems und Nucleus subthalamicus), so-
wie in die dorsale Medulla. Hypokretiner-
ge Neurone scheinen vorwiegend exzita-
torisch auf die Wachheit fördernde Syste-
me zu wirken. Ihre Aktivität nimmt im Ta-
gesverlauf kontinuierlich zu mit einem
Maximum am Abend. Neben der toni-
schen Komponente zur Wachstimulation
scheint Hypokretin die Funktion eines
Flip-Flop-Schalters mit Stabilisierung
des jeweils aktuellen Vigilanzgrades zu
haben. Außerdem besitzen die Hypokreti-
ne neben der Wach-Schlaf-Regulation erst
teilweise geklärte Einflüsse auf den Ener-
giehaushalt, die zentrale Schmerzverar-
beitung und die Modulation von Affekten
und Aufmerksamkeit. Neuere Befunde
zeigen einen Mangel an Hypokretin im Li-
quor cerebrospinalis bei Patienten mit
Narkolepsie mit Kataplexie. Diese Befunde
sind geeignet die hohe Ausprägung an Ta-
gesschläfrigkeit mit zum Teil imperativem
Einschlafen in sozial unerwünschten Si-
tuationen bei diesen Patienten zu erklä-
ren.
Dem vorwiegend inhibitorisch wirkenden
Neuromodulator Adensosin wird eine
wichtige Funktion in der Wach-Schlaf-
Regulation zugeschrieben. Es hemmt ex-
zitatorische Neurone (z. B. noradrenerg,
cholinerg) ebenso wie inhibitorische (z. B.
GABAerg). Es reduziert den zellulären Me-
tabolismus und damit den Energieumsatz
der Neurone.
Temperaturregulation
Die Körperkerntemperatur zeigt eine aus-
geprägte Tagesrhythmik mit einem Maxi-
mum am Abend vor dem Einschlafen und
einem Absinken während der Nacht bis
zum Minimum am frühen Morgen. Die
Amplitude dieser Temperaturkurve kann
bis zu 1°C erreichen. Das Einschlafen
wird durch das vorangehende Tempera-
turmaximum begünstigt. Die Schläfrig-
keit wird hingegen maximal während des
Temperaturminimums (Nadir) in den frü-
hen Morgenstunden. Zwischen NREM-
bzw. REM-Schlaf und Körperkerntempe-
ratur besteht keine enge Beziehung, aber
die Kontrolle der Körpertemperatur zeigt
im NREM-Schlaf einen erniedrigten Set-
Point. Im REM-Schlaf verhält sich der Kör-
per dagegen quasi wechselwarm, denn
die zentrale Regulation der Körperkern-
temperatur setzt in diesem Stadium aus.
Daher werden Mechanismen der Tempe-
raturregulation wie Kältezittern und
Schwitzen von diesem Prozess abgekop-
pelt. Schlafent zugsexperimente doku-
mentieren eine Unabhängigkeit von
Schlaf-Wach-Rhythmus und Temperatur-
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Phänomenologie, Funktion und Physiologie des Schlafes4
Schlaf und Traum PID 2/2009 · 10. Jahrgang
rhythmus als jeweils eigenständige zirka-
diane Rhythmen.
Hormonelle Sekretion
Der endogene Schrittmacher des Nucleus
suprachiasmaticus im Hypothalamus
(SCN) generiert und synchronisiert zirka-
diane Rhythmen zahlreicher physiologi-
scher Prozesse. Die Rhythmen werden auf
zahlreichen Ebenen moduliert und modi-
fiziert. Sie sind letztlich Produkt einer
komplexen Interaktion des Outputs des
zirkadianen Schrittmachers, neuroendo-
kriner Rückkopplungsschleifen (feed
back), periodisch wechselnder Verhal-
tensmuster einschließlich der Schlaf-
Wach-Rhythmik, Einflüssen von Licht, so-
zialen Zeitgebern, Geschlecht und Alter.
Nach neueren Erkenntnissen sind nahezu
alle Zellen des Körpers in der Lage, ihre
Aktivität in einem zirkadianen Rhythmus
zu variieren. Die Impulse des zentralen
Rhythmusgebers im SCN sind dieser basa-
len zellulären Rhythmik übergeordnet.
Nahezu alle Hormone zeigen zirkadiane
Schwankungen der Serumkonzentratio-
nen infolge einer oszillierenden Sekretion.
Einige Hormone werden relativ unabhän-
gig vom Wach-Schlaf-Rhythmus ausge-
schüttet oder modulieren ihrerseits die
Bereitschaft einzuschlafen oder zu erwa-
chen (z. B. Melatonin, Kortisol). Die Sekre-
tion anderer Hormone wie Renin oder
STH wird dagegen stark vom Wach-
Schlaf-Rhythmus beeinflusst.
Melatonin wurde in den letzten Jahren als
das Schlafhormon bezeichnet. Dieses
biogene Amin ist vermutlich das wichtigs-
te Sekretionsprodukt der Corpus pineale.
Die Melatoninsynthese und -ausschüt-
tung wird durch Licht inhibiert und im
Dunkeln stimuliert. Melatonin zeigt eine
ausgeprägte zirkadiane Rhythmik mit
einem Ma ximum während der Nacht und
einem Minimum während des Tages, aber
wohl unabhängig von Geschlecht, Mens-
truationszyklus und Schlaf. Befunde von
Tier versuchen weisen auf eine schlafindu-
zierende Wirkung hin. Es wird postuliert,
dass Melatonin die zirkadiane Steuerung
für den Wachzustand, die im Nucleus su-
prachiasmaticus liegt, hemmt und da-
durch den Schlaf fördert und die Körper-
kerntemperatur mindert. Melatonin mo-
duliert die zirkadianen Rhythmen und
kann Phasenverschiebungen induzieren.
Dieser Effekt hängt vom Zeitpunkt der
Applikation ab: Exogene Zufuhr am frü-
hen Abend führt zu einer Vorverlagerung,
am frühen Morgen dagegen zu einer
Rückverlagerung der Phase. Am stärksten
ist dieser Effekt kurz vor dem Maximum
der endogenen Sekretion am Abend aus-
geprägt.
Die Sekretion von Kortisol folgt einer aus-
geprägten zirkadianen Rhythmik mit Ma-
ximum am frühen Morgen und Minimum
gegen Mitternacht mit einem rapiden An-
stieg in der zweiten Nachthälfte. Diese
strenge Regulation der Kortisolrhythmik
durch den zirkadianen Schrittmacher be-
dingt seine Eignung als Marker für die zir-
kadiane Phase. Im Widerspruch zu der
scheinbaren Unabhängigkeit der Kortisol-
sekretion von der aktuellen Schlafphase
wurden mittlerweile einige Hinweise für
eine gewisse Modulation der zeitabhängi-
gen Kortisolsekretion durch den Schlaf
identifiziert. So konnte in mehreren Stu-
dien gezeigt werden, dass das Erwachen
aus dem Schlaf konsistent eine pulsatile
Kortisolsekretion stimuliert. Bemerkens-
werterweise bewirkt bereits eine antizi-
pierte Verschiebung des Weckzeitpunkts
eine entsprechende Phasenverschiebung
des Maximums der Kortisolsekretion, wo-
durch die zeitliche Synchronisation des
Maximums mit dem darauffolgenden Er-
wachen stabilisiert wird. Weiterhin wur-
de nach Schlafentzug ein erhöhter Korti-
solspiegel am folgenden Abend bei gesun-
den jungen Männern gemessen.
Auch wenn der Beginn des Nachtschlafes
einen physiologischen Stimulus für die
Ausschütt ung von Somatotropin (STH)
darstellt, existieren Hinweise auf einen
zirkadianen Rhythmus der STH-Sekretion.
Auch in Abwesenheit von Schlaf lässt sich
am späteren Abend und in den frühen
Nachtstunden ein deutlicher Gipfel der
peripheren STH-Konzentration messen.
Umgekehrt konnte nach nächtlichem Er-
wachen ein ausgeprägter Abfall von STH
dokumentiert werden. Diese Hinweise
auf eine Reduktion der nächtlichen STH-
Sekretion infolge einer Fragmentier ung
des Schlafs haben eine erhebliche Bedeu-
tung für die Pathophysiologie von Erkran-
kungen wie Insomnie, schlafbezogene At-
mungsstörungen und andere den Schlaf
fragmentierende Störungen. Bei Patienten
mit OSA wurde eine signifikante Reduk-
tion der nächtlichen STH- (und Prolaktin-
)Konzentrationen mit anschließender
Normalisierung unter einer nächtlichen
Beatmungstherapie nachgewiesen. Be-
sonders gravierend ist der Befund einer
reduzierten Wachstumsrate bei Kindern
mit OSA, die sich aber nach chirurgischer
Behandlung wieder normalisierte.
Die periphere Konzentration von Thyreo-
tropin (TSH) bleibt während des Tages
niedrig und steigt am Abend an bis zu ih-
rem Maximum zum Zeitpunkt des Ein-
schlafens. Während des Schlafs, insbeson-
dere in der zweiten Nachthälfte, fällt der
TSH-Spiegel wieder deutlich ab bis auf
das niedrige Tagesniveau kurz nach dem
Erwachen. Der Schlaf hat auf die TSH-Se-
kretion eine ausgeprägt hemmende Wir-
kung, die mit dem Ausmaß des Tiefschlaf-
anteils korreliert. Dementsprechend
konnten während eines Schlafentzugsex-
periments um mehr als 200% gegenüber
den normalen nächtlichen Konzentratio-
nen erhöhte TSH-Spiegel gemessen wer-
den. Eine schlafunabhängige, endogene
circadiane Rhythmik von TSH scheint
zwar zu existieren, wird aber von den
schlafabhängigen Effekten deutlich über-
lagert.
Die periphere Prolaktin-Konzentration
zeigt ebenfalls einen deutlichen Anstieg
mit dem Einschlafen bis zu einem Maxi-
mum in der Nachtmitte. Erwachen wäh-
rend der Nacht oder am Morgen hat einen
ausgeprägten inhibitorischen Effekt auf
die Prolaktinsekretion. Während diese
Wirkungen deutlich schlafabhängig sind,
spiegelt sich die zirkadiane Komponente
der Prolaktinausschüt tung in bereits
leicht ansteigenden Spiegeln während
des Nachmittags.
Zahlreiche weitere endogene Signalmole-
küle, insbesondere Zytokine, sind an der
Wach-Schlaf-Regulation beteiligt. Infolge
ihrer subtilen und teilweise komplex
interagierenden Wirkungsweise sind vie-
le Wirkungen erst ansatzweise bekannt.
Teilweise sind sie pathophysiologisch von
spezieller Bedeutung, z.B. im Rahmen des
veränderten Vigilanzniveaus bei akuten
Infektionen. Interleukine können zumin-
dest im Tierexperiment Schlaf induzieren,
weiterhin auch Prostaglandin D
2
und
Oleamid.
Während des Nachtschlafs wird das appe-
titzügelnde Hormon Leptin freigesetzt, im
Wachzustand das appetitanregende Hor-
mon Ghrelin. Wird dieses Gleichgewicht
durch zu wenig Nachtschlaf verschoben,
kann das appetit zügelnde Leptin nicht
seine Wirkung entfalten, was zu einer Ap-
petitsteigerung in der Nacht führen und
damit Gewichtszunahmen von Schlafge-
störten mit erklären kann. Durch die ap-
petitzügelnde Wirkung des Leptins ist
der Körper in der Lage, ohne Schwierig-
keiten über Nacht bis zu zwölf Stunden
ohne Nahrungsaufnahme auszukommen.
Nach einer schlafarmen Nacht haben
manche Menschen Heißhungerattacken
oder den Drang, viel öfter als gewohnt ir-
gendetwas essen zu müssen.
PID "605", 18.5.09, Barbara Maisch
Standpunkte 5
PID 2/2009 · 10. Jahrgang Schlaf und Traum
Mit der Identifikation zahlreicher weite-
rer Substanzeffekte auf dieser Ebene ist
zu rechnen.
Literatur
1 American Academy of Sleep Medicine, Hrsg.
Das AASM-Manual zum Scoring von Schlaf
und assoziierten Ereignissen: Regeln, Tech-
nologie und technische Spezifikationen.
Heidelberg: Steinkopff-Verlag, 2008
2 Kryger MH, Roth T, Dement WC. Principles
and Practice of Sleep Medicine. 4. Aufl. Phi-
ladelphia: Elsevier Saunders, 2005
3 Kushida CA, Littner MR, Morgenthaler TM et
al. Practice parameters for the indications
for polysomnography and related proce-
dures: An update for 2005. Sleep 2005; 28:
499519
4 Schulz H. Kompendium Schlafmedizin.
Landsberg: Ecomed Verlag, 2008
5 Stuck B, Maurer J, Schredel M et al. Praxis der
Schlafmedizin. New York, Heidelberg, Ber-
lin: Springer-Verlag, im Druck (2009)
6 Steinberg R, Weeß HG, Landwehr R. Schlaf-
medizin Grundlagen und Praxis. Bremen:
UniMed Verlag, 2009
Weitere Grafiken zur Polysomnografie der
Schlafstadien finden Sie in der Online-Aus-
gabe.
PID "605", 18.5.09, Barbara Maisch
Fazit
Der Schlaf repräsentiert einen eigenstän-
digen, aktiven physiologischen Zustand
des menschlichen Organismus. Ihm wird
ein bedeutsamer körperlicher und psy-
chischer Erholungseffekt zugeschrieben.
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen
kann der Schlaf in verschiedene Stadien
unterteilt werden. Diesen werden zum
Teil spezifische Funktionen zugeschrie-
ben. Im Rahmen von Störungen des phy-
siologischen Schlafprofils können vor al-
lem Störungen von kognitiven Funktionen
und emotionalen Prozessen beobachtet
werden. Schlafstörungen und ihre negati-
ven Auswirkungen auf das Verhalten und
Erleben am Tage gilt es bei der Beurtei-
lung der Symptome psychischer Störun-
gen zu berücksichtigen.
Hans-Günter Weeß
Dr. Dipl.-Psych., Psycholo-
gischer Psychotherapeut,
Somnologe und Leiter der
Schlafmedizinischen Abtei-
lung des Pfalzklinikums
Klingenmünster seit 1991.
Seit 1992 Lehrbeauftragter
an der Universität Koblenz-
Landau, seit 2008 Mitglied
des Vorstandes der Deut-
schen Gesellschaft für Schlafforschung und
Schlafmedizin (DGSM), weiterhin Sprecher der
Arbeitsgruppe Vigilanz, Leiter der Akkreditie-
rungskommission Süd-West, Mitglied der Prü-
ferkommission zum Qualifikationsnachweis
Somnologie, Leiter der Prüfungskommission
Qualifikationsnachweis Somnologie für Natur-
wissenschaftler und Psychologen der DGSM.
Wissenschaftliche und klinische Schwerpunkte:
Diagnostik und Therapie der Tagesschläfrigkeit,
schlafmedizinische Methoden, Diagnostik und
Therapie der Insomnie, des Restless-Legs-Syn-
drom und der Narkolepsie, Aus- und Weiterbil-
dung in der Schlafmedizin, gutacht erliche Fra-
gestellungen.
Ralf Landwehr
geb. 1966, Dr. med., Fach-
arzt für Neurologie und
Psychiatrie, Somnologe;
19871994 Studium der
Humanmedizin an der Ru-
precht-Karls-Universität
Heidelberg, 19952001
Psychiatrische Assistenz-
zeit und Ausbildung zum
Somnologen bei Prof. Dr.
R. Steinberg im Pfalzklinikum für Psychiatrie und
Neurologie Klingenmünster; Dissertation über
das Thema Veränderung elektrophysiologi-
scher Parameter bei frühbehandelter Phenylke-
tonurie bei PD Dr. C. Benninger in der Neuro-
pädiatrischen Klinik Heidelberg, 20022005
Neurologische Assistenzzeit bei Prof. Dr. J. Treib
im Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern, 2005
2006 Weiterbildung zum Epileptologen als
Oberarzt bei Dr. H. Baier in der Abteilung für
Epileptologie im Zentrum für Psychiatrie Die
Weissenau in Ravensburg, seit 2006 Oberarzt
der Neurologischen Klinik im Westpfalz-Klini-
kum Kaiserslautern.
Phänomenologie, Funktion und Physiologie des Schlafes6
Schlaf und Traum PID 2/2009 · 10. Jahrgang
Article
Full-text available
Background: A growing body of evidence for digital interventions to improve sleep shows promising effects. The interventions investigated so far have been primarily web-based; however, app-based interventions may reach a wider audience and be more suitable for daily use. Objective: This study aims to evaluate the intervention effects, adherence, and acceptance of an unguided app-based intervention for individuals who wish to improve their sleep. Methods: In a randomized controlled trial, we evaluated the effects of an app-based short intervention (Refresh) to improve sleep compared with a waitlist condition. Refresh is an 8-week unguided intervention covering the principles of cognitive behavioral therapy for insomnia (CBT-I) and including a sleep diary. The primary outcome was sleep quality (insomnia symptoms) as self-assessed by the Regensburg Insomnia Scale (RIS). The secondary outcomes were depression (9-item Patient Health Questionnaire [PHQ-9] score) and perceived insomnia-related impairment. Results: We included 371 participants, of which 245 reported poor sleep at baseline. About 1 in 3 participants who were allocated to the intervention group never accessed the intervention. Active participants completed on average 4 out of 8 chapters. Retention rates were 67.4% (n=250) at postassessment and 57.7% (n=214) at the 6-month follow-up. At postintervention, insomnia symptoms in the intervention group had improved more than those in the waitlist group, with a small effect (d=0.26) in the whole sample and a medium effect (d=0.45) in the subgroup with poor sleep. Effects in the intervention group were maintained at follow-up. Perceived insomnia-related impairment also improved from pre- to postassessment. No significant intervention effect on depression was detected. Working alliance and acceptance were moderate to good. Conclusions: An app-based, unguided intervention is a feasible and effective option to scale-up CBT-I-based treatment, but intervention uptake and adherence need to be carefully addressed. Trial registration: ISRCTN Registry ISRCTN53553517; https://www.isrctn.com/ISRCTN53553517.
Article
Dass Schlaf enorme Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen hat, ist wohl unbestritten. Ist der Schlaf gestört, leidet auch die Gesundheit. Intensivpatienten sind besonders auf die positiven Auswirkungen des Schlafs angewiesen – werden aber durch Lärm aus unterschiedlichen Quellen oft gestört. Und auch das Personal leidet unter dem Geräuschpegel auf der Intensivstation.
Thesis
Die steigende Prävalenz von Schlafstörungen in der westlichen Gesellschaft erfordert neue Messmethoden zur Erfassung von Schlafdauer und Schlafstadien. Diese Arbeit präsentiert das Verhalten von verschiedenen Parametern der Elektrodermalen Aktivität (EDA) in den Schlafstadien sowie einen Algorithmus zur Schlafdetektion mittels EDA. Für diese Arbeit wurden polysomnographische Daten aus der SleepCoach Studie von je einer Messnacht von 43 gesunden Probanden und 48 Patienten mit Schlafstörungen analysiert. Aus den Rohdaten des edaMove-Sensors wurden folgende EDA-Parameter definiert: EDASEF als tonische Komponente der EDA und EDAcounts bzw. EDAmeans als phasische Komponenten der EDA. Der Algorithmus zur Schlafdetektion orientierte sich an Vorgaben von Hwang et al. (2015). In der Varianzanalyse zeigte EDASEF signifikante Mittelwertunterschiede zwischen Wachstadium und den Schlafstadien N1, N2, SWS und REM. Ebenso zeigten sich signifikante Mittelwertunterschiede bei EDAmeans. Innerhalb der Schlafphasen waren bei EDASEF und EDAmeans keine Differenzen zu beobachten. Die Analyse von EDAcounts ergab signifikante Differenzen zwischen den Schlafstadien, z. B. zwischen SWS und REM (Median 1,03 versus 0,15). Hier ließen sich jedoch SWS und Wachstadium nicht eindeutig voneinander abgrenzen. Insgesamt konnte in der Patientengruppe für die EDASEF und EDAcounts eine höhere Varianz festgestellt werden. Für die Schlafdetektion konnte durch Optimierung von Schwellenwerten eine mittlere Sensitivität von 97 %, eine mittlere Spezifität von 75 % und eine mittlere Genauigkeit von 84 % erreicht werden. Die EDA kann also als robuster Parameter betrachtet werden kann, der auch bei Patienten mit Schlafstörungen keinen bedeutenden Schwankungen unterliegt. Das Messverfahren könnte, auch in Kombination mit weiteren ambulanten Parametern, zur Verbesserung der Sensitivität und Spezifität der ambulanten Schlafmessung führen. Außerdem könnte die EDA in Zukunft dazu beitragen Schlafstadien voneinander zu differenzieren.
Chapter
Gesundheitsförderung und Prävention haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten als wichtige Strategien der Gesundheitsversorgung etabliert und wurden so auch zentrale Gegenstände der öffentlichen Gesundheitsvorsorge und der Kassenversorgung.
Article
Full-text available
Die vorliegende Forschungsarbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob Einschlafpositionen einen Einfluss auf Ängstlichkeit/Angst oder Depressionen haben. Im Zuge dessen wurden die Ängstlichkeit/Angst sowie die Depressionswerte der Studienteilnehmer mittels zweier Fragebogen mit Messwiederholung nach Beendigung des Experiments geprüft. Ausschlusskriterien für die Teilnahme an der Studie waren Erkrankungen, die mit starker Einschränkung der Schlafqualität einhergehen (z.B. COPD, Schlafapnoe, Reflux). Insgesamt 38 Probanden verschiedenen Alters sollten an acht aufeinanderfolgenden Tagen (mit Unterbrechung von zwei Wochenendtagen) in einer zugewiesenen Schlafposition (randomisiert eingeteilt in Rückenlage, Bauchlage, Seitenlage, Embryonallage, sowie eine Kontrollgruppe) versuchen einzuschlafen. Die Depressionswerte der Probanden wurden mit dem Beck-Depressions-Inventar (BDI) erhoben. Die Ängstlichkeit der Studienteilnehmer wurde mit dem State-Trait Anxiety Inventory- German (Stai-G) erfasst. Die Erhebung beider Fragebogen geschah jeweils vor und nach dem Experiment als Prä-Post-Design. Die Auswertung erfolgte durch eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung. Die statistische Auswertung ergab, dass keine der Einschlafpositionen einen signifikanten Einfluss auf die psychische Befindlichkeit (bestehend aus Angst/Ängstlichkeit und Depressions-Werten) einer Person hat. Jedoch sind gewisse Tendenzen bei bestimmten Einschlafpositionen zu erkennen, die bei weiterer Untersuchung signifikante Ergebnisse erzielen könnten.
Article
Full-text available
These practice parameters are an update of the previously-published recommendations regarding the indications for polysomnography and related procedures in the diagnosis of sleep disorders. Diagnostic categories include the following: sleep related breathing disorders, other respiratory disorders, narcolepsy, parasomnias, sleep related seizure disorders, restless legs syndrome, periodic limb movement sleep disorder, depression with insomnia, and circadian rhythm sleep disorders. Polysomnography is routinely indicated for the diagnosis of sleep related breathing disorders; for continuous positive airway pressure (CPAP) titration in patients with sleep related breathing disorders; for the assessment of treatment results in some cases; with a multiple sleep latency test in the evaluation of suspected narcolepsy; in evaluating sleep related behaviors that are violent or otherwise potentially injurious to the patient or others; and in certain atypical or unusual parasomnias. Polysomnography may be indicated in patients with neuromuscular disorders and sleep related symptoms; to assist in the diagnosis of paroxysmal arousals or other sleep disruptions thought to be seizure related; in a presumed parasomnia or sleep related seizure disorder that does not respond to conventional therapy; or when there is a strong clinical suspicion of periodic limb movement sleep disorder. Polysomnography is not routinely indicated to diagnose chronic lung disease; in cases of typical, uncomplicated, and noninjurious parasomnias when the diagnosis is clearly delineated; for patients with seizures who have no specific complaints consistent with a sleep disorder; to diagnose or treat restless legs syndrome; for the diagnosis of circadian rhythm sleep disorders; or to establish a diagnosis of depression.
Book
This authoritative guide to sleep medicine is also available as an e-dition, book (ISBN: 1416003207) plus updated online reference! The new edition of this definitive resource has been completely revised and updated to provide all of the latest scientific and clinical advances. Drs. Kryger, Roth, and Dementand over 170 international expertsdiscuss the most recent data, management guidelines, and treatments for a full range of sleep problems. Representing a wide variety of specialties, including pulmonary, neurology, psychiatry, cardiology, internal medicine, otolaryngology, and primary care, this whos who of experts delivers the most compelling, readable, and scientifically accurate source of sleep medicine available today. Includes user-friendly synopses of important background information before all basic science chapters. Provides expert coverage of narcolepsy * movement disorders * breathing disorders * gastrointestinal problems * neurological conditions * psychiatric disturbances * substance abuse * and more. Discusses hot topics such as the genetic mechanisms of circadian rhythms * the relationship between obesity, hormones, and sleep apnea * sleep apnea and arterial hypertension * and more. Includes a new section on Cardiovascular Disorders that examines the links between sleep breathing disorders and cardiovascular abnormalities, as well as the use of sleep related therapies for congestive heart failure. Provides a new section on Womens Health and Sleep Disorders that includes information on the effects of hormonal changes during pregnancy and menopause on sleep. Features the fresh perspectives of 4 new section editors. Employs a more consistent chapter organization for better readability and easier navigation.
  • B Stuck
  • J Maurer
  • M Schredel
Stuck B, Maurer J, Schredel M et al. Praxis der Schlafmedizin. New York, Heidelberg, Berlin: Springer-Verlag, im Druck (2009)
Schlafmedizin -Grundlagen und Praxis
  • R Steinberg
  • H G Weeß
  • R Landwehr
Steinberg R, Weeß HG, Landwehr R. Schlafmedizin -Grundlagen und Praxis. Bremen: UniMed Verlag, 2009