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Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
Reine Psychologie, Angewandte
Psychologie und die
Institutionalisierung der Psychologie
Horst Gundlach
Institut für Geschichte der Psychologie, Universität Passau
Sonderdruck aus: Zeitschrift für Psychologie, 212 (4), 183–199, © Hogrefe Verlag Göttingen 2004
DOI: 10.1026/0044-3409.212.4.183
Zusammenfassung. Bezweifelt wird die überkommene Darstellung der Angewandten Psychologie als eines Sprösslings der
Reinen, in der Universität forschenden Psychologie. Das Universitätsfach Psychologie verdankt seine Entstehung vielmehr
erst Anwendungsabsichten. Zur Begründung dieser Aussage ist die Unterscheidung zwischen dem Fach (oder der Disziplin)
Psychologie und dem Gebiet Psychologie erforderlich. Das Fach Psychologie entstand im Zusammenhang der Bildungsrefor-
men des beginnenden 19. Jahrhunderts, die der Philosophischen Fakultät die Ausbildung der Gymnasiallehrer übertrugen.
Psychologie sollte Fachwissen für den Lehrerberuf liefern und wurde deshalb als Lehr- wie Prüfungsfach institutionalisiert. Als
zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Angewandten Psychologie gefordert wurde, ging es darum, das Fach Psychologie nach dem
Muster der Lehrerausbildung auch in Ausbildungsgänge anderer Berufe einzubauen. Unvorhergesehen entstand jedoch im 20.
Jahrhundert eine Profession, die sich primär durch die Ausbildung im Fach Psychologie definiert, das Fach umwandelte und
heute die Entstehung Angewandter Psychologen als Zweck des Faches erscheinen lässt. Damit verknüpfte sich die Illusion des
Ursprungs der Angewandten aus einer angeblich Reinen Psychologie.
Schlüsselwörter: Reine Psychologie, Angewandte Psychologie, Psychologie als Universitätsfach, Psychologie als Disziplin,
Prüfungen
Pure psychology, applied psychology, and the institutionalisation of psychology
Abstract. The paper argues against the traditional way of presenting applied psychology as an offspring of pure, university-
based psychology. Rather, the university discipline of psychology came into existence in order to foster applications of
psychology. This proposition rests on the distinction between the discipline of psychology and the domain of psychology.
Whereas the domain psychology is many centuries old, psychology as a discipline was created at German universities in the
context of the educational reforms in the first quarter of the nineteenth century when the philosophical faculties were allotted
the task of training Gymnasium teachers. Psychology was supposed to confer educational knowledge, and therefore psycho-
logy was for the first time institutionalised as a university discipline. When at the beginning of the twentieth century a demand
for the creation of an applied psychology was proclaimed, originally the idea was to insert psychological knowledge into
various professional trainings following the example of the teachers’ training. Unexpectedly, a new profession arose that
defined itself specifically through the expert training in psychology. This profession transformed the discipline psychology
such that today the training of psychologists is perceived as its principal objective. During this transformation arose the
illusion of applied psychology being the offspring of pure, basic research oriented psychology.
Key words: pure psychology, applied psychology, psychology as a university discipline, examinations
Angewandte Psychologie
als Sprössling der Reinen Psychologie
Darstellungen der Geschichte der Psychologie erwecken
vielfach den Eindruck, die Angewandte Psychologie sei
zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem psychologischen
Experimentallaboratorium der Universität als einer Stätte
reiner Forschung entsprungen. Die Humboldtsche Ideal-
universität habe das Biotop abgegeben, in dem reine psy-
chologische Forschung gedieh, bis hinlänglich Wissen
über Gegenstand und Methodik angehäuft war, dass
schließlich außerhalb der Universität nutzbringend ange-
wendet werden konnte.
Belege für diese Auffassung sind leicht zu finden.
Hearnshaw etwa bemerkt: „It was, however, in the field of
education that applied psychology began. Several nine-
teenth century psychologists .... had recognized the po-
tential relevance of their subject to education, but it was
not until towards the end of the century that practical ap-
plications actually began“ (1987, S. 198). Danziger stellt
fest: „The fact is that almost from the beginning of the
twentieth century psychology ceased to be a purely aca-
demic discipline and began to market its products in the
outside world“ (1990, S. 101). Roger Smith beschreibt die
Entstehungssituation des Behaviorismus so: „The setting
is the establishment of academic departments of psychol-
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ogy in North America from the 1880 to the First World
War. These departments turned a German ideal of Wissen-
schaft and a home-grown tradition of ,moral science‘ into
an autonomous psychology discipline legitimated by its
social utility“ (1990, S. 411).
Autoren, die um die Wende zum 20. Jahrhundert publi-
zieren, legen zwar diese landläufige Ansicht vieler Histo-
riographen nahe, etwa Wundt (1909/1910; 1911). Doch sie
fußt auf Verkennung der tatsächlichen Entwicklung der
Psychologie. Denn das Universitätsfach Psychologie wur-
de im ersten Viertel des 19. Jahrhundert eingerichtet und
im Weiteren erhalten oder modifiziert, weil damit Absich-
ten verfolgt wurden, die keineswegs auf reine psychologi-
sche Forschung zielten, sondern eindeutig belegbar auf
Anwendung psychologischen Wissens.
Skepsis gegenüber der überkommenen Schilderung
des Entstehens der Angewandten Psychologie kann
schon daraus erwachsen, dass sie einen ungewöhnlichen
Weg der Genese eines praktischen Berufs entwirft, unge-
wöhnlich jedenfalls für den Beginn des 20. Jahrhunderts.
An zahlreichen Beispielen ist der gegenläufige Weg zu
beobachten. Berufe mit alten und uralten Berufspraxen
strebten nach Aufnahme in die Universitäten, so etwa die
Berufe Architekt, Chirurg, Dolmetscher, Lehrer, Kauf-
mann, Landwirt. Der Weg in eine universitätenverortete
Ausbildung verlief dabei teils direkt in die Universitäten,
teils indirekt in Technische Hochschulen oder Handels-
hochschulen. Diese Institutionen betrieben erfolgreich
ihre Gleichstellung mit oder Umwandlung in Universitä-
ten, so dass beide Wege dasselbe Ziel, die Verortung in
einer Universität, erreichten. Die Zahl der heute auf Uni-
versitäten studierbaren Berufe ist kaum zu überschauen,
doch nur ein kleiner Teil entstand als universitäre Kopfge-
burt, die sich aus der alma mater der außeruniversitären
Wirklichkeit aufzwingt.
Die überkommene Vorstellung der Angewandten Psy-
chologie als eines Erzeugnisses reiner Wissenschaft wird
hier in einen weitergehenden Betrachtungsrahmen ge-
stellt. Sie wird ihre Plausibilität verlieren, denn es wird sich
zeigen, dass Anwendungsabsichten schon hinter der Ent-
stehung des Faches Psychologie lagen. Dazu ist das Bio-
top des Faches, die Universität, näher darzustellen. Zuvor
muss jedoch expliziert werden, was mit dem Terminus
„Fach“ und mit der Unterscheidung zwischen Fach und
Gebiet gemeint ist.
Die Unterscheidung
zwischen Fach und Gebiet
Um die These der Entstehung des Faches Psychologie
aus Anwendungsabsichten zu klären, muss eine in der
Historiographie der Psychologie übersehene Unterschei-
dung getroffen werden, die zwischen dem Fach Psycholo-
gie und dem Gebiet Psychologie. Mit „Fach“ ist im übri-
gen dasselbe wie mit „Disziplin“ gemeint.
Unter „Fach“ oder „Disziplin“ wird eine abgrenzbare
Einheit der Wissenschaften in Universitäten oder anderen
Lehranstalten verstanden, die ihre Binnenmerkmale und
Außengrenzen im Gefüge der Fächer, Nebenfächer und
Hilfsfächer sowie aus ihrer Zuordnung zu übergeordneten
Einheiten, etwa zu Fakultäten, herausbildet, verfestigt
oder verwandelt und primär der Ausbildung für bestimmte
Berufe dient. Dieser Zweck teilt den Fächern ihre jeweili-
gen, häufig multiplen Rollen als Hauptfach, Neben- oder
Hilfsfach zu. Auch Veränderungen eines Faches resultie-
ren in der Regel aus Zwecken der Ausbildung. Ein Fach ist
ein wandelbares Produkt einer Vielzahl gesellschaftlicher
Kräfte und Anforderungen, nicht das Ergebnis wissen-
schaftsinterner Wünsche nach Ordnung und Strukturie-
rung eines Wissenssystems.
Unter „Gebiet“ oder „Areal“ wird dagegen ein Teil der
Wissenschaften verstanden, der entweder durch syste-
matische Betrachtung der Gesamtheit der Wissenschaf-
ten von Merkmalen des spezifischen Gegenstandes her
bestimmt und gegen andere Gebiete abgegrenzt wird oder
aber dadurch entsteht, dass eine Anzahl Gelehrter sich
einem Thema gemeinsam widmet und den Gegenstand ih-
rer Forschung, der möglicherweise theoretisch noch we-
nig definiert ist, als etwas auffasst, das ein bestimmtes
zusammenhängendes Gebiet der Wissenschaften dar-
stellt. Anders gesagt, zur Definition eines Gebiets der Wis-
senschaften kann die Intension oder die Extension eines
Begriffs herangezogen werden. Bei der Konstituierung
eines Gebietes sind andere Kräfte am Werk als bei der
Konstituierung eines Faches, jedenfalls sind es nicht Ab-
sichten der Berufsausbildung.
Zwischen Fach und Gebiet können verschiedene Be-
ziehungen vorliegen. Dafür zwei Beispiele. Das Gebiet
der Sternenkunde wird durch das Fach Astronomie nahe
deckungsgleich behandelt, wobei sich seit dem Ende des
19. Jahrhunderts fachliche Zerlegungstendenzen nach
Astrophysik, Astrochemie etc. zeigen. Das Gebiet einer
Wissenschaft des Lebendigen hingegen findet sich seit
langem zerteilt in den Fächern Biologie, Anatomie, Phy-
siologie und anderen und übergreift damit sogar verschie-
dene Fakultäten. Die Ausdrücke „Lebenswissenschaften“
oder „Biowissenschaften“ sind aus dieser Sachlage ver-
ständlich, wenn sie begriffen werden als Bezeichnung der
Gesamtheit der Fächer, die das Gebiet des Lebendigen be-
handeln. Der Terminus „Biologie“
1
sollte ursprünglich
eben dies Gebiet bezeichnen. So ergibt sich die paradoxe
Lage, dass unter „Biologie“ heute nur ein Fach unter den
vielen verstanden wird, die das Gebiet der Biowissen-
schaften behandeln, „Biologie“ hingegen nach seiner In-
tension nichts anderes als „Biowissenschaften“ besagt.
Offensichtlich hat der Ausdruck „Biologie“, der ursprüng-
lich ein Gebiet der Wissenschaften bezeichnen sollte, sich
zur Bezeichnung eines Faches entwickelt, so dass zur Ver-
meidung einer Verwechslung zwischen Fach und Gebiet
der Bedarf entstand, das Gebiet mit einer neuen Vokabel
1
Zur Entstehung des Ausdruckes „Biologie“ gegen Ende des 18.
Jahrhunderts (vgl. Jahn, 2000, S. 283ff.).
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Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
zu benennen, die wegen der Fächervielfalt im Plural er-
scheint.
Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen
Fach und Gebiet ähnelt einer Unterscheidung, die in den
Berichten Zur Lage der Psychologie der Präsidenten der
Deutschen Gesellschaft für Psychologie seit Carl Fried-
rich Graumanns erstem, 1970 vorgetragenen, Bericht oft
vorgenommen wird. Graumann unterschied zwischen
„Wissenschaft Psychologie“ und „Fach Psychologie“,
worunter er „institutionalisierte wissenschaftliche Psy-
chologie“ verstand (1973, S. 30). Wenn sich diese Bestim-
mung des Faches einschränkt auf die zu Ausbildungszwe-
cken institutionalisierte Psychologie, dann trifft sie das,
was hier unter „Fach“ oder „Disziplin“ verstanden wird.
Der Ausbildungszweck muss dabei nicht der einzige, wohl
aber der vorherrschende Zweck sein.
Es kann festgehalten werden: Anders als für das Ge-
biet ist für das Fach und seine Definition entscheidend die
rechtliche Festlegung seiner Inhalte und Grenzen und sei-
ne Positionierung innerhalb eines Ausbildungsganges.
Der Ausdruck „rechtlich“ ist hier im weitesten Sinne vom
Gewohnheitsrecht bis zum kodifizierten zu verstehen.
Soweit zur Unterscheidung zwischen Gebiet und Fach.
Sie wurde ausführlicher behandelt, weil sie bis anhin in
Darstellungen der Geschichte der Psychologie nicht ver-
wendet wurde. Da Umfang und Inhalt des Gebietes Psy-
chologie und des Faches Psychologie durchaus unter-
schiedlich sein können, gleichwohl derselbe Terminus
„Psychologie“ für beides verwendet wird, verleitet das
Fehlen dieser Unterscheidung zu vagen Fragen und Ant-
worten über Die Psychologie.
Die Universitäten als Biotop
der Psychologie
Mittelalter bis 1800
und der Ort der Psychologie
Universitäten
2
sind eine der vielen erfolgreichen Erfindun-
gen des Mittelalters. In ihrer Konstituierung als juris-
tische Personen eigenen Rechts waren sie potentiell
unsterblich, ökonomisch autark, einigermaßen geschützt
gegen willkürliche Eingriffe weltlicher und kirchlicher
Mächte. Das unterschied sie von Klosterschulen und
Domschulen, aus denen sie entstanden. Das privilegierte
Kollektiv der Universitas zertifizierte seine Ausbildungs-
abschlüsse für das gesamte abendländische Europa.
Auf diese Weise konstituiert, konnten die Universitä-
ten ihren hauptsächlichen Zweck erfüllen, die allgemein-
verbindliche Ausbildung für die schrift- und textgebunde-
nen Berufe. Die traditionelle Struktur der vier Fakultäten,
die sich über Jahrhunderte erhielt und erst im 20. Jahrhun-
dert an Kenntlichkeit verlor, zeigt diesen Zweck deutlich
genug.
Die erste, die Theologische Fakultät, bildete für be-
stimmte Berufe im Klerus aus, die zweite, die Juristische,
für Berufe des kirchlichen und weltlichen Rechts, die drit-
te, die Medizinische, für den Beruf des Arztes, eines Stan-
des, der bis weit in das achtzehnte Jahrhundert hinein ein
schriftgelehrter war. Die vierte, die Philosophische, diente
in den ersten Jahrhunderten der Universität nicht unmit-
telbar der Berufsausbildung. In ihr lernte man, was als die
brotlosen Künste galt. Da bis in das neunzehnte Jahrhun-
dert kein zentral verwaltetes Schulsystem die Hochschul-
reife eines Schulabsolventen garantierte, bedurfte es einer
inneruniversitären Propädeutik, die Wissensgrundlagen
für die oberen drei Fakultäten legte. Dies geschah in Philo-
sophischen Fakultät.
Der essentielle Unterschied zwischen den drei ausbil-
denden und der propädeutischen Fakultät zeigte sich über
Jahrhunderte in vielerlei Subtilitäten, etwa in der Bezeich-
nung der Studienabschlüsse. Während die ersten drei Fa-
kultäten den Grad eines Doktors verliehen, wurde der Ab-
solvent der Philosophischen Fakultät ein Magister. Der
Grad des Dr. phil. ist eine Schöpfung des neunzehnten
Jahrhunderts.
Welches war der Ort der Psychologie oder dessen, was
später so genannt wurde, innerhalb dieser Struktur der
Gelehrsamkeit? Die Bezeichnung „Psychologie“ entstand
im ausgehenden Mittelalter auf den Universitäten. Ein
Gebiet Psychologie wurde weder in der Antike noch im
Mittelalter konzipiert, und für ein Fach Psychologie gab es
in den traditionell strukturierten Universitäten keinen be-
sonderen Platz. Themen, die in späteren Zeiten dem Gebiet
Psychologie zugerechnet werden, fanden isolierte Be-
handlung in der Philosophischen Fakultät, wenn entspre-
chende antike Texte vorlagen. Dazu gehören Gedächtnis,
Temperament, Physiognomie, Charakter, Traum, optische
Wahrnehmung als Teil der Optik, akustische Wahrneh-
mung als Teil der Musik. Der entscheidende Text für die
Entstehung eines Gebietes Psychologie war eine kleinere
Schrift des Aristoteles, die man de anima nannte. Vorle-
sungen, die dies Werk behandelten, nannte man Vorle-
sungen zur Psychologie.
Im 18. Jahrhundert wurde die Bezeichnung „Psycholo-
gie“ endgültig von Aristoteles gelöst, ein Gebiet Psycho-
logie konzipiert und in systematischem Zusammenhang
konstituiert. Maßgeblich ist dafür Christian Wolff, der
darunter eine Wissenschaft versteht, die das Gegenstück
zu einer weit gefassten Wissenschaft Physik darstellen
soll. Die Philosophie besteht nach der Wolffschen Syste-
matik – sehr vereinfacht – aus der Logik, aus der theoreti-
schen Philosophie oder Metaphysik mit ihren Unterteilen
der Ontologie, Kosmologie, Psychologie und natürlicher
Theologie sowie der praktischen Philosophie.
Wolffs Konzeption der Psychologie gewann zumal im
deutschen Sprachraum breite Anerkennung, selbst wenn
2
Die folgende Skizze zur Geschichte der Universitäten ist so
summarisch gehalten, dass auf detaillierte Verweise auf die einschlä-
gige Literatur verzichtet werden kann. Zur näheren Orientierung
über das Gebiet vgl. das seit 1998 erscheinende Jahrbuch der Uni-
versitätsgeschichte.
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das Wolffsche System abgelehnt wurde. In Wissenschaf-
tensystematiken wird nach Wolff üblicherweise ein Gebiet
Psychologie gegen andere Gebiete abgegrenzt, in der Re-
gel bildet sie ein Teilgebiet der Philosophie, der allerdings
meist die Aufsicht über sämtliche Wissenschaften zuge-
sprochen wird, von der Theologie für gewöhnlich abgese-
hen. Lehre und Behandlung des Stoffes der Psychologie
fand in der Philosophischen Fakultät statt.
Auch wenn so ein Gebiet Psychologie konstituiert
war, ein Fach Psychologie entstand vor dem 19. Jahrhun-
dert nirgendwo. Das heißt, Unterricht und Prüfung in Psy-
chologie wurden nicht zum Bestandteil einer Berufsaus-
bildung gemacht. Dies geschieht erst im 19. Jahrhundert
und wird das Verständnis der Psychologie erheblich tan-
gieren.
Die Umgestaltung der Universitäten
im frühen 19. Jahrhundert und deren Folgen
für die Psychologie
Nach den Niederlagen in den Revolutionskriegen und den
Napoleonischen Feldzügen wurden in deutschen Ländern
Reformen des Staates und der Universitäten unternom-
men, voran in Preußen und in der 1810 eröffneten Univer-
sität Berlin. Dabei wurden die Universitäten in neuem
Maße der staatlichen Macht unterstellt. Grundlage des
staatlichen Einflusses war die sich durchsetzende ökono-
mische Abhängigkeit, und eins der prägnanten Symptome
dieses Verhältnisses die Staatsprüfungen. Nicht mehr die
Universität oder eine Fakultät zertifizierte für das gesamte
Abendland den Abschluss einer Ausbildung in der Juris-
tischen oder der Medizinischen Fakultät – die Verhältnis-
se in der Theologischen Fakultät lagen noch komplizierter,
und auch hier positionierte sich die Staatsmacht unzwei-
deutig – es war jetzt der einzelne Staat, der sich zum Garan-
ten der ihn besonders interessierenden Ausbildungen er-
hob.
Wichtig für die Universitäten und die Psychologie
wurde die Reform des Bildungswesens unterhalb der Ebe-
ne der Universität. Die meist kirchlich beaufsichtigten La-
teinschulen wurden beseitigt, staatliche Gymnasien ein-
gerichtet und einheitlich so strukturiert, dass mit bestan-
denem Abitur Hochschulreife gesichert war. Damit verlor
die Philosophische Fakultät ihre herkömmliche Funktion,
die ehedem inneruniversitäre Propädeutik fand in den
Gymnasien statt. Aber sie erhielt eine neue, nämlich die
Herstellung der Lehrer für die Gymnasien. Damit nun wur-
de sie eine berufsausbildende Fakultät wie ihre drei höhe-
ren Schwestern, und sie erhielt ihre spezifische Staatsprü-
fung.
Für die Psychologie einschneidend bedeutsam wurde
diese Einführung eines Staatsexamens für alle Absolven-
ten der Philosophischen Fakultät, die Lehrer an staatli-
chen Schulen werden wollten.
Die Erzeugung des Gymnasiallehrers
und die Einrichtung des Faches Psychologie
Die mir bekannten Darstellungen der Geschichte der Psy-
chologie befassen sich zwar mit der Entstehung des Ge-
bietes der Psychologie und mit dem Schicksal vieler ihrer
Themen. Doch auf die Entstehung des Faches Psycho-
logie gehen sie nicht ein. Aber gerade Entstehen und
Vorhandensein eines Faches Psychologie war für das
Schicksal der Psychologie in beiderlei Bedeutung wäh-
rend der letzten zwei Jahrhunderte von kaum überschätz-
barem Gewicht. Ohne das Fach Psychologie und die Ab-
sichten, die mit seiner Einrichtung verfolgt wurden, ist die
Geschichte der Psychologie der letzten zwei Jahrhunderte
nicht entschlüsselbar, und eine Darstellung ihrer Ge-
schichte, die den Unterschied zwischen Gebiet und Fach
übersieht, kann entscheidende Strukturen und Prozesse
nicht angemessen begreifen.
Im Zentrum der Produktion der Gymnasiallehrer stand
die Vertiefung in die am Gymnasium zu unterrichtenden
Stoffe. Romanistik, Germanistik, Biologie und andere
später im Jargon gern „Schulwissenschaften“ genannte
Fächer entstanden erst zum Zweck der Gymnasiallehrer-
produktion in den Philosophischen Fakultäten der Uni-
versitäten. Doch war ersichtlich, dass dem Lehrer über das
Fachwissen hinaus ein Quantum Anwendungswissen mit-
gegeben werden musste, damit er im Klassenzimmer be-
stehen konnte. Zu diesem Zweck fand sich eine billige
Lösung. Den Inhabern der Lehrstühle der Denomination
Philosophie wurde aufgetragen, regelmäßig Psychologie
und Pädagogik zu lesen. Gelegentlich wurde die Denomi-
nation dieser Lehrstühle von Philosophie auf kombinierte
Philosophie, Psychologie und Pädagogik erweitert.
Solche Lehrstühle existierten bis weit in das 20. Jahrhun-
dert hinein.
Der Sinn der Vereinigung dieser drei Themen in einem
einzigen Lehrstuhl wird nicht unbedingt in inhaltlichen
Zusammenhängen, sondern maßgeblich in finanziellen
Erwägungen des Ministeriums zu finden sein.
Den Zweck eines philosophischen Unterrichts für
Lehramtskandidaten hat Schopenhauer hinreichend ge-
kennzeichnet, so dass hier ein Zitat ausreicht: „Inzwischen
verlangt die Billigkeit, daß man die Universitätsphiloso-
phie nicht bloß, wie hier geschehn, aus dem Standpunkte
des angeblichen, sondern auch aus dem des wahren und
eigentlichen Zweckes derselben beurtheile. Dieser näm-
lich läuft darauf hinaus, daß die künftigen Referendarien,
Advokaten, Aerzte, Kandidaten und Schulmänner auch
im Innersten ihrer Ueberzeugungen diejenige Richtung
erhalten, welche den Absichten, die der Staat und seine
Regierung mit ihnen haben, angemessen ist“ (1977, S.
165). Er bezieht sich hier auf den Umstand, dass die Staats-
examina, die nach Durchlauf durch die Juristische, die
Medizinische oder die Philosophische Fakultät zu beste-
hen waren, auch Prüfungen in Philosophie vorschrieben.
Der Zweck des Unterrichts in Pädagogik für Lehramts-
kandidaten ist offensichtlich, wenn auch eine Wissen-
schaft Pädagogik erst zu erschaffen war. Ein Fach Pädago-
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Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
gik einzurichten war hingegen eine einfache, auf ministeri-
elle Anordnung schnell getane Übung.
3
Der Zweck des Unterrichts in Psychologie mag schlei-
erhaft sein, wird aber erkennbar, wenn die verbreitete Auf-
fassung berücksichtigt wird, Psychologie sei die wissen-
schaftliche Basis der pädagogischen Kunstlehre, und die-
se selbst ein Feld der Anwendung der Psychologie. Dies
ist ein Topos, der im 19. Jahrhundert, in dem das systema-
tische Nachdenken über Pädagogik Staatsauftrag wurde,
immer wieder auftritt. Einige typische Belegstellen seien
angeführt.
Herbart sagt im Umriss pädagogischer Vorlesungen
aus dem Jahr 1835: „Pädagogik als Wissenschaft hängt ab
von der praktischen Philosophie und Psychologie. Jene
zeigt das Ziel, diese den Weg und die Gefahren“ (1902,
S. 69). Seine Briefe über die Anwendung der Psychologie
auf die Paedagogik aus dem Jahre 1831 erheben die An-
wendung der Psychologie schon in den Titel (Herbart,
1897).
Der Gießener Philosophieprofessor Ernst Bratuscheck
(1837–1883) stellt in einer Abhandlung über Philosophie
als Prüfungsgegenstand der Lehramtskandidaten fest:
„Die Pädagogik erfordert aber für ihren didaktischen Theil
die Kenntniss der elementaren Logik und gründet sich
ausserdem auf die Kenntniss der Hauptthatsachen der
empirischen Psychologie“ (1874, S. 32). Oder: „Das Exa-
men in der Logik, Psychologie und Geschichte der Philo-
sophie ist für die übrigen Berufsarten nicht nothwendig,
weil ihre Berufsprüfung dasselbe nicht involviert, wäh-
rend die Pädagogik jene Disciplinen als nothwendige
Hilfswissenschaften erfordert“ (1874, S. 54).
Auch im 20. Jahrhundert wird diese Auffassung ge-
pflegt. So sagt Hans Vaihinger (1852–1933) in seiner
Schrift über die Philosophie in der Staatsprüfung: „Mit
Recht bezeichnet Herbart Psychologie und Ethik als
Grundwissenschaften der Pädagogik, ...“ (1906, S. 8).
Unterrichtetsein in Psychologie musste zukünftigen
Lehrern auferlegt werden, damit sie eine der Grundlagen
der Pädagogik beherrschten, die ihrerseits als erforderlich
für die Berufsausübung gehalten wurde. Ob der Studie-
rende dieser Auflage nachgekommen ist, will der Staat
feststellen und etabliert zu diesem Zwecke die Psycholo-
gie als Prüfungsfach im Staatsexamen, was in den wich-
tigsten Etappen beleuchtet werden soll.
Psychologie als Prüfungsfach
der Lehramtskandidaten
Zu einem Fach (einer Disziplin) gehört neben der Lehre
auch die Prüfung über den Lehrstoff. Zur Einrichtung der
Ausbildung der Gymnasiallehrer gehörte folglich neben
der Lehre in Psychologie ebenfalls die Einrichtung einer
Prüfung in Psychologie.
Preußen war das tonangebende Land in Dingen der
Bildungsreform. Der erste Schritt zur Regelung der Prü-
fungen für das höhere Schulfach bestand in dem Edict
vom 12. Julius 1810 wegen Prüfung der Candidaten für
das höhere Lehrfach, das der Leiter der Sektion für Kultus
und Unterricht im Ministerium des Innern Wilhelm v. Hum-
boldt, der Theologe und Philosoph Friedrich Daniel Ernst
Schleiermacher und der klassische Philologe Johann Wil-
helm Süvern entworfen hatten (vgl. Neigebaur, 1835,
S. 229–232; Rönne, 1855, S. 22–26). Dies Edikt orientierte
sich an den Prüfungen für die Kandidaten des Predigtam-
tes und ist prüfungsthematisch noch wenig spezifisch,
denn es dominierte das im Laufe des 19. Jahrhunderts
widerstrebend aufgegebene Wunschbild des universal
gebildeten Lehrers.
Die preußische Bildungsreform gewann 1817 Dynamik
durch die Gründung des Ministeriums der geistlichen,
Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten, das Freiherr
vom Stein zum Altenstein übernahm und bis Ende 1838
leitete. Altenstein ließ die Gymnasien des Landes errich-
ten und regelte landesweit verbindlich die Beziehungen
zwischen ihnen und den Universitäten, also den Zufluss
der Studenten auf die Universitäten und den Rückfluss
der Lehrer in die Gymnasien.
Die Psychologie im Circular-Rescript
und anderen Reskripten des 21. August 1824
Näheres zu dem Edikt von 1810 zur allgemeinen Prüfung
der höheren Lehramtskandidaten wurde durch das Circu-
lar-Rescript
4
dieses Ministeriums vom 21. August 1824
ausgeführt. Dort heißt es: „Die Königliche wissenschaft-
liche Prüfungs-Commission wird hierdurch angewiesen,
die Prüfung der Schulamts-Candidaten auch auf die
Kenntnisse derselben in der Philosophie, und namentlich
in der Logik und Metaphysik, in der Psychologie und in
der Geschichte der Philosophie auszudehnen, und das Er-
gebniß der desfallsigen Prüfung nicht nur in dem Zeugnis-
se jedesmal ausdrücklich zu bestimmen, sondern dasselbe
auch in den jährlich an das Ministerium einzureichenden
Tabellen über die geprüften Schulamts-Candidaten unter
einer besondern Rubrik anzumerken“ (Neigebaur, 1835,
S. 235; Rönne, 1855, S. 42, n. 1.; kursiv durch H. G.).
Ein ähnlich lautendes Circular-Rescript erging am
selben 21. August 1824 an sämtliche Königliche Konsis-
torien, die in Preußen zwischen 1815 und 1825 mit Staats-
beamten besetzte allgemeine Kirchenbehörden, Vollzugs-
organe des landesherrlichen Kirchenregiments, die neben
den Provinzialregierungen für Schulangelegenheiten zu-
3
Ein erster, erfolgloser Ansatz zur Institutionalisierung der
Pädagogik geschah auf der Reformuniversität Halle, als dort 1779
Ernst Christian Trapp (1745–1818) einen Lehrstuhl für Philo-
sophie und Pädagogik erhielt. Allerdings war der Zuspruch der
Studenten unerheblich, und das Unternehmen endete in Ärger und
Unfrieden. 1783 musste Trapp die Professur niederlegen und Halle
verlassen.
4
Ein Reskript ist eine Verfügung oder Verordnung einer höhe-
ren Behörde an eine untergeordnete Behörde im Unterschied zu
einer Kommunikation, mit der gleichrangige Behörden sich zu ver-
ständigen suchten.
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ständig waren. Und ein ähnlich lautendes Circular-Re-
script erging am selben 21. August 1824 an sämtliche Kö-
niglichen außerordentliche Regierungs-Bevollmächtigte
an den Universitäten, das heißt an die obersten Behörden
der preußischen Provinzen (Neigebaur, 1835, S. 235).
Mit diesen Reskripten vom 21. August 1824 geschieht
in Preußen etwas Konsequenzenreiches. Es wird ein Prü-
fungsfach Psychologie eingerichtet. Am 21. August 1824
schlägt je nach Metapher die Geburts- oder die Empfäng-
nisstunde des Faches Psychologie. Dieser Tag ist ein
bisher nicht gewürdigter historischer Moment für die Psy-
chologie. Seine weit reichenden, wie immer zu taxierenden
Konsequenzen beschäftigen uns.
Historisch ist dieser Moment nicht zuletzt deshalb,
weil mit der Einrichtung des Prüfungsfaches Psychologie
etwas überaus Beständiges in die Welt gesetzt wurde, das
sich auch außerhalb Preußens geradezu global ausbreite-
te und bis zum heutigen Tag vorzufinden ist. Um dies zu
verdeutlichen, seien Ausbreitung und Beständigkeit der
Psychologieprüfung näher dargelegt.
Ein weiteres Reskript, betreffend die Prüfung über phi-
losophische Gegenstände und datiert den 13. August
1825, führte näheres zu dem Zirkular-Reskript des Jahres
1824 aus und griff Einwände auf, die eine der sechs Prü-
fungskommissionen unterbreitet hatte. Darin heißt es:
1) Die Gesichtspunkte, nach welchen die Bedenklich-
keiten vortragende Königliche wissenschaftliche Prü-
fungs-Commission bisher bei der Prüfung über Philoso-
phie verfahren ist, lassen sich nicht nur ganz füglich mit
der obengedachten Anordnung des Ministerii vereinigen,
sondern es werden auch die einzelnen philosophischen
Disciplinen, über welche nach der Vorschrift des Ministe-
rii hinfort geprüft werden soll, dem Examinator sogleich
einen bestimmten concreten Inhalt an die Hand geben,
und mittelst der aus der Geschichte der Philosophie, der
Logik und Metaphysik und der Psychologie an den Exa-
minanden zu richtenden Fragen auf dem kürzesten Wege
zu erforschen, ob derselbe dasjenige, was er auf der Uni-
versität in philosophischen Vorträgen gehört, sich auch
wahrhaft innerlich angeeignet habe, und ob in seinem
Denken die gehörige Gründlichkeit, Klarheit und Ordnung
herrsche.
2) Wie von einander abweichend auch die Ansichten
der Lehrer der Philosophie auf deutschen Universitäten
über die Behandlung der einzelnen philosophischen Dis-
ciplinen sein mögen, so wird doch über dasjenige, was
zum wesentlichen Inhalte der Logik und Metaphysik, der
Geschichte der Philosophie und der Psychologie gehört,
hoffentlich bei der Königlichen wissenschaftlichen Prü-
fungs-Commission kein erheblicher Zweifel entstehen, ....
5) Wenn endlich die Königliche wissenschaftliche
Prüfungs-Commission den Zweifel aufwirft, ob es überall
wohl möglich sein möchte, ein so umfassendes Studium
der Philosophie von einem jungen Manne zu verlangen,
an welchen noch anderweitig sehr schwer zu erfüllende
Forderungen gemacht werden: so ist zur Beseitigung die-
ses Zweifels zu bemerken, daß die Logik, die Psychologie
und die Geschichte der Philosophie, als diejenigen philo-
sophischen Disciplinen, in welchen zu Folge der Verfü-
gung vom 21. August vergangenen Jahres (also 1824) ge-
prüft werden soll, noch nicht den Begriff der Philosophie
erschöpfen, und daß somit nicht ein alle Theile der Philo-
sophie umfassendes Studium, sondern in der fraglichen
Beziehung nur so viel gefordert ist, als ohne Nachtheil für
die allgemeine wissenschaftliche Bildung der angehenden
Schulmänner nicht entbehrt und von ihnen, wenn sie die
Universitäts-Studien zweckmäßig einrichten, auch ganz
füglich geleistet werden kann .....“ (Neigebaur, 1835, S.
236ff.; kursiv durch H. G.).
Wie zu sehen, wurde am Ideal des allseitig gebildeten
Schulmannes festgehalten. Zwar war das neuhumanisti-
sche Gymnasium durch und durch philologisch geprägt,
doch philologisches Können allein garantierte noch kei-
nen erfolgreichen Schulmann. Zur Auslotung breiterer Bil-
dung wurde demgemäß ein philosophisch-pädagogisches
Examen für nötig gehalten, in dem die Psychologie einen
namentlichen Platz erhielt.
Die Psychologie im Reglement
des 20. April 1831
Weiteres zu dem Edikt von 1810 erließ das Ministerium der
geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten
unter Altenstein mit dem umfänglichen Reglement für die
Prüfungen der Candidaten des höheren Schulamts vom
20. April 1831 (vgl. Neigebaur, 1831. S. 245–262; Rönne,
1855, S. 26–57). Der Kreis der zu prüfenden Kandidaten
wurde über die künftigen Gymnasiallehrer hinaus erwei-
tert, wie § 2 ausführt.
§ 20 des Reglements, Philosophie und Pädagogik
überschrieben, spezifiziert für sämtliche Kandidaten: „Von
jedem Candidaten, auch wenn er nur in den untern Clas-
sen zu unterrichten gedenkt, ist Kenntniß der Logik, der
Psychologie und der Geschichte der Philosophie, und Be-
kanntschaft mit der wissenschaftlichen Pädagogik zu for-
dern“ (Neigebaur, 1831, S. 251; Rönne, 1855, S. 41; kursiv
durch H. G.).
Psychologie, so ist hier festzuhalten, wurde somit 1831
als Prüfungsfach für alle höheren Lehramtskandidaten zur
Erlangung der Lehrbefähigung auf dem Gymnasium er-
neut und darüber hinaus auf anderen, in § 2 benannten
Einrichtungen festgeschrieben.
Für die oberen Klassen der höheren Schulen heißt es:
„Von den Candidaten, welche auf den Unterricht in den
oberen Klassen der Gymnasien und auf die Leitung der für
dieselben angeordneten philosophischen Vorbereitungs-
Studien Anspruch machen wollen, ist, außer einer genau-
en Kenntniß der Unterrichts-Wissenschaft und einer kriti-
schen Würdigung der verschiedenen Lehr- und Erzie-
hungs-Systeme auch noch zu fordern, daß sie den Inhalt
der Logik und Metaphysik und der Psychologie wissen-
schaftlich entwickeln können, und mit einer allgemeinen
Kenntniß der Geschichte der Philosophie und der ver-
189
Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
schiedenen philosophischen Systeme nach ihren charak-
teristischen Eigenthümlichkeiten eine genauere Bekannt-
schaft mit den Gestaltungen verbinden, welche die Philo-
sophie durch und seit Kant erfahren hat“ (Neigebaur,
1835, S. 252; Rönne, 1855, S. 41f.; kursiv durch H. G.).
Der skizzierte Zweck der Prüfung und Benotung im
Fache Psychologie wird in diesen Zitaten deutlich genug.
Psychologie ist kein allgemein vorgeschriebenes Unter-
richtsfach auf dem Gymnasium. Das wird sie zwar gele-
gentlich noch werden, aber selbstverständlich nicht in al-
len Klassenstufen. Lehramtskandidaten werden also nicht
darauf geprüft, ob sie eine Thematik beherrschen, die sie
als Fachlehrer werden lehren sollen. Es geht um etwas
anders. Wenn alle Kandidaten die „Psychologie wissen-
schaftlich entwickeln können“ sollen, dann ist es offen-
sichtlich die „wissenschaftliche Ableitung pädagogischer
Maßregeln“ aus Sätzen der Psychologie, die den Zweck
der Übung darstellt. Eine Anwendung der Psychologie ist
eindeutig bezweckt.
Das Fach Psychologie wurde zum Zwecke der Anwen-
dung psychologischen Wissens ins Leben gerufen. Nicht
die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gewahrte das
Aufkommen der Angewandten Psychologie aus dem rei-
nen Universitätsfach Psychologie. Das Fach selbst hatte
von Anfang an der Anwendung zu dienen.
Die sonstige, insbesondere die praktische pädagogi-
sche Ausbildung der Kandidaten dieser Zeit war übrigens
eher kümmerlich. „Die weit überwiegende Mehrheit der
jungen Lehrkräfte wurde unvermittelt von der fachwissen-
schaftlichen Ausbildung an den Universitäten in die
Schulpraxis eingeführt, notdürftig angeleitet im seit 1826
eingeführten Probejahr“ (Titze, 1991, S. 348). Wer es war,
der die heute noch wirksame, gleichwohl eher erheiternde
Vorstellung in die Welt gesetzt hatte, Vorlesungen über
Psychologie könnten dem werdenden Schulmanne vul-
gärpsychologische Auffassungen austreiben, sie durch
wissenschaftlich fundierte Einsichten ersetzen und
schließlich im pädagogischen Schützengraben hilfreich
sein, ist hier nicht zu klären.
Die Psychologie
in folgenden Prüfungsordnungen
Die deutschen Staaten ordneten in der ersten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts ihr Unterrichtswesen nach
preußischem Vorbild, wobei sich zweifellos einzelstaat-
liche Abweichungen ergaben. Gymnasialausbildung mit
Reifeprüfung als Zugangsberechtigung zur Universität
und Gymnasiallehrerausbildung in der Philosophischen
Fakultät mit Staatsprüfung als Zugangsberechtigung zum
Lehramt an Gymnasien bildeten dabei aber überall auf-
einander abgestimmte Teile eines Systems.
Bayern und Sachsen reformierten ihre Bildungsein-
richtungen früh, Baden begann 1836 damit, und Öster-
reich folgte nach 1848 ganz ausdrücklich dem preußischem
Vorbild. Auch Ungarn einschließlich Siebenbürgens mit
seinen deutschen Bildungseinrichtungen schloss sich an.
Die Psychologie wurde damit in Mitteleuropa flächen-
deckend Prüfungsfach der Kandidaten für das höhere
Lehramt.
Das preußische Prüfungs-Reglement von 1866 wieder-
holte das Bekannte: „Von jedem Schulamtscandidaten ist
Kenntniss der wichtigsten logischen Gesetze und der
Hauptthatsachen aus der empirischen Psychologie zu for-
dern“ (Zitiert nach Bratuscheck, 1874, S. 28; vgl. Perger,
1959, S. 78f.). Die preußische Prüfungsordnung für das
höhere Lehramt von 1887 nennt wiederum ausdrücklich
die empirische Psychologie (Perger, 1959, S. 97). Die bis
zum Ende des Ersten Weltkrieges gültige preußische Prü-
fungsordnung für das höhere Lehramt von 1898 nennt „die
Hauptlehren der Logik und Psychologie“ (Perger, 1959,
S. 97).
Die Ordnung der wissenschaftlichen Prüfung für das
Lehramt an höheren Schulen in Preußen vom 28. Juli 1917
verlangt im § 9 Abs. 2: „Der Kandidat soll sich mit den
Grundfragen der Psychologie und der Ethik, insbesondere
mit denen, die sich auf das Seelenleben der Jugend bezie-
hen und die für den künftigen Erzieher und Lehrer wichtig
sind, sowie mit den Grundfragen der Logik und der Er-
kenntnislehre vertraut gemacht haben“ (Güldner, 1926,
S. 13; auch Becher, 1927, S. 328; kursiv durch H. G.).
Die Prüfungsordnung
5
für das Lehramt an den höhe-
ren Lehranstalten Bayerns vom 4. September 1912 verlangt
für die Philologen „Bekanntschaft mit den wichtigsten
Tatsachen der empirischen Psychologie“ (Melber, 1914,
S. 20, S. 25, S. 29; Becher, 1927, S. 328; Perger, 1959, S. 215)
und für die anderen Bekanntschaft mit den „Tatsachen der
Psychologie“ (Melber, 1914, S. 33, S. 38, S. 41, S. 45).
Vaihinger fasst zusammen: „So sehr die preußischen
Prüfungsordnungen im Laufe des 19. Jahrhunderts in man-
chen anderen Punkten voneinander abweichen, so sind
sie doch in der Forderung der philosophischen Allgemein-
bildung im wesentlichen konstant geblieben“ (1906, S. 5).
Und viele andere Prüfungsordnungen, so die „Kgl. Säch-
sische, die Elsaß-Lothringische, die Badische u. a. ...“ sind
ihr „analog“ (1906, S. 5). Als integraler Teil dieser philoso-
phischen Allgemeinbildung gilt die Psychologie, wenn sie
auch neben der Allgemeinbildung für einen spezifischen
Anwendungszweck gedacht war.
Nur erwähnt, doch nicht weiter behandelt sei, dass
keineswegs nur die höheren Lehrämtler die Prüfung der
Psychologie erfolgreich durchqueren mussten. Dies Er-
fordernis wurde quasi als absinkendes Kulturgut im Laufe
der Jahrzehnte etappenweise auch den niederen Lehrämt-
ler aufgebürdet.
Wie weit und wann Prüfungsordnungen anderer euro-
päischer und amerikanischer Länder die Psychologie auf-
nahmen, wäre ein reizvolles Forschungsthema. Hier lässt
sich davon absehen, denn die erste Verfachlichung der
5
Marbe (1911) hat den Entwurf dieser Prüfungsordnung kom-
mentiert.
190
Horst Gundlach
Psychologie fand an den deutschen Universitäten statt.
Die hier daraus entstandene Form der Psychologie wurde
globaler Exportartikel. Die Konsequenzen für die weitere
Geschichte der Psychologie als Fach und als Gebiet müs-
sen von dieser ersten Verfachlichung her ausgeleuchtet
werden.
Psychologie als gymnasiales Schulfach
Die 1824 angeordnete Verfachlichung der Psychologie
fand auch auf einem zweiten Feld statt, dem des Unter-
richts in Philosophischer Propädeutik auf den Gymnasien.
Mit den Universitätsreformen zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts verlor, wie dargestellt, die Philosophische
Fakultät ihre Funktion als propädeutische Lehrstätte für
die drei höheren Fakultäten. Das hieß für diese Fakultäten,
dass ihre Studenten ohne nennenswerte philosophische
Vorbildung zum Studium antreten konnten.
Zwar unterrichtete manche Lateinschule in den Ober-
klassen eine Philosophische Propädeutik. Aber die preu-
ßische Unterrichtsverfassung von 1816 schloss philoso-
phischen Unterricht im Gymnasium aus. Sie trat zwar nie
formell in Kraft, wurde aber den Provinzialbehörden zur
Kenntnis gebracht und wirkte sich somit auf die Reform
der Gymnasien aus (Jeismann, 1987, S. 155). Merkwürdi-
gerweise waren es weniger Professoren der drei oberen
Fakultäten, die Klage über die fehlende philosophische
Vorbildung führten, sondern Professoren der Philosophie,
denen die Studienanfänger mangelhaft auf philosophi-
sche Vorlesungen vorbereitet erschienen. Besonders Her-
bart und Hegel ließen sich in dieser Angelegenheit
vernehmen (Vgl. Rosenkranz, 1840, S. 7).
Herbart setzte 1821 ein Schreiben Ueber den Unter-
richt in der Philosophie auf Gymnasien auf und empfiehlt
„Ein Vierteljahr lang vier Stunden wöchentlich Logik auf
secunda, und ein Halbjahr lang vier Stunden Psychologie
(nach Locke) auf prima; ...“ (1891, S. 275).
Hegel setzte 1822 ebenfalls ein Gutachten Über den
Unterricht in der Philosophie auf Gymnasien auf, das an
das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizi-
nalangelegenheiten gerichtet ist, und erklärte, somit „...
würde ich unter den in den fraglichen Vorbereitungsunter-
richt aufzunehmenden Kenntnissen 1. die so genannte
empirische Psychologie anführen. ... 2. Als Hauptgegen-
stand aber würden sich die Anfangsgründe der Logik an-
sehen lassen“ (Hegel, 1970, S. 36).
Auf dieses Anraten hin empfahl das preußische Mi-
nisterialreskript vom 14. April 1825 (Neigebaur, 1831, S.
121–123; Rönne, 1855, S. 205–207), philosophische Vorbe-
reitungsstudien in den beiden obersten Gymnasialklassen
einzuführen. Dieses Reskript war an das Königliche Con-
sistorium zu Magdeburg gerichtet. Es wurde am 26. Mai
1825 sämtlichen Konsistorien in Abschrift zugeleitet. Ein
knappes Jahr nach dem Circular-Rescript des 21. August
1824, das den Universitäten die Prüfung in Philosophie
und zumal das Fach Psychologie bescherte, wurde somit
die Philosophische Propädeutik wiederbelebt, zu der sich,
wie das Ministerialreskript darlegt, „vorzüglich die An-
fangsgründe der Logik und der so genannten empirischen
Psychologie eignen“ (Neigebaur, 1835, S. 122; Rönne,
1855, S. 206). Das Reskript des Jahres 1824 zwängte die
Lehrämtler in die philosophischen Lehrveranstaltungen
und Prüfungen. Dort fielen vermutlich nicht wenige durch
Mangel an Talent und Geschick unangenehm auf. Das
den Schulunterricht betreffende Reskript des Jahres 1825
könnte den Versuch darstellen, hier weniger unbefriedi-
gende Zustände zu erzielen. Denn die Verfügung des Mai
1825 erläutert: „Seit längerer Zeit haben mehrere geachtete
Schulmänner dem Ministrio den Wunsch zu erkennen
gegeben, daß philosophische Vorbereitungs-Stunden
wieder in den Kreis des Gymnasial-Unterrichts aufgenom-
men werden möchten, damit die abgehenden Gymnasias-
ten nicht ganz ohne Vorbegriffe und Vorübungen dieser
Art die Hörsäle der Universität betreten dürften“ (Neige-
baur, 1835, S. 121).
Dem folgt die Empfehlung, es „würden sich vorzüglich
die Anfangsgründe der Logik und der so genannten empi-
rischen Psychologie eignen“ (Neigebaur, 1835, S. 122;
Rönne, 1855, S. 206). Dem schließt sich ein Aufspreizen
des Inhaltsfächers der empirischen Psychologie an: „Die
der zuletzt gedachten Doctrin angehörigen Vorstellungen
von den Empfindungen der äußern Sinne, Einbildungs-
kraft, Gedächtniß und von den weiteren Seelenvermögen
können den fraglichen Unterricht beginnen, und um so
mehr als Einleitung in die logischen Uebungen benutzt
werden, als diesen nothwendig ein Erwähnung von den
Geistes-Fähigkeiten, die von dem eigentlichen Denken
verschieden sind, vorausgeschickt werden muß. An den
Unterricht von den äußeren Sinnen, den Bildern und Vor-
stellungen, von der Verbindung (so genannter Associa-
tion) derselben, dann weiter von der Natur der Sprachen,
vornehmlich aber von dem Unterschiede zwischen Vor-
stellungen, Gedanken und Begriffen, würden die Lehrer in
den Gymnasien viel Bildendes und Anziehendes für die
Schüler anknüpfen, und zugleich, wenn sie auch den An-
theil, den das Denken am Anschauen u.s.f. hat, gehörig
bemerklich machten, den Schülern eine directe Einleitung
in das Logische geben können“ etc. etc. (Neigebaur, 1835,
S. 122).
Das Reglement für die Prüfung der zu den Universitä-
ten übergehenden Schüler vom 4. Juni 1834 hält unter
§ 23, Abs. 10, fest: „Die Prüfung in der philosophischen
Propädeutik hat zu ermitteln, ob die Examinanden es in
den Anfangsgründen der so genannten empirischen Psy-
chologie und der gewöhnlichen Logik, namentlich in den
Lehren von dem Begriff, dem Urtheile und dem Schlusse,
von der Definition, Eintheilung und dem Beweise zu einem
klaren und deutlichen Bewußtsein gebracht haben“ (Nei-
gebaur, 1835, S. 217).
Die Reskripte des Jahres 1825, die die Einführung der
philosophischen Propädeutik empfahlen, folgten in ihrer
Formulierung dem Gutachten Hegels nahezu wörtlich, so
auch in der Formel der „so genannten empirische Psycho-
logie“.
Weder Herbarts noch Hegels Empfehlungen sind
übrigens außerordentlich originell. Schon im 18. Jahrhun-
191
Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
dert wurde an einigen Gelehrtenschulen Preußens Psy-
chologie unterrichtet
6
. In ersten Entwürfen einer einheit-
lichen Regelung des Abiturs in Preußen wird bereits das
Schulfach Psychologie vorausgesetzt. So etwa im Entwurf
eines neuen Regulativs für die Prüfungen der Abiturien-
ten auf den gelehrten Schulen und die der Novitien
auf den Landes-Universitäten vom 15. Oktober 1805
(Schwartz, 1910, S. 169) oder im 1806 vorgelegten Abge-
kürzten und modificirten Reglement (Schwartz, 1910,
S. 207).
Diese Entwürfe wurden nicht umgesetzt. Die Niederla-
ge bei Jena und Auerstädt im Oktober 1806 wirbelte Preu-
ßen durcheinander. Bildungsreformen werden nach dem
Tilsiter Frieden 1807 völlig neu konzipiert. Psychologie
wird doch nicht verbindlicher Schulstoff und entgeht der
Möglichkeit, Schulwissenschaft und dadurch Universi-
tätsfach zu werden. Wie oben gezeigt, verschwindet die
Philosophische Propädeutik, bis Herbart und Hegel eine
Lanze für sie brechen.
Die Philosophische Propädeutik wurde in Preußen im
Reglement für die Prüfung der zu den Universitäten über-
gehenden Schüler des Allensteinschen Ministerium vom
4. Juni 1834 festgeschrieben. Allerdings wurde dies Reg-
lement nicht in allen Gymnasien des Staates durchgeführt.
Die Ministerialverfügung über den Normalplan der preu-
ßischen Gymnasien vom 7. Januar 1856 besagte, die Philo-
sophische Propädeutik solle kein eigenes Unterrichtsfach
sein, ihre Inhalte jedoch sollten in den weiteren Unterricht,
etwa den Deutschunterricht, eingeflochten werden (vgl.
Kern, 1867, S. 36). Auch dies wurde örtlich mehr oder auch
nur weniger getreulich durchgeführt.
Die Philosophische Propädeutik blieb ein auf Lehrer-
kongressen und in Denkschriften gern und kontrovers
behandelter Stoff, nicht nur in Preußen. 1881 bescherte ihr
einen weiteren Niedergang. Wie der Pädagoge Lehmann
(1855–1927) festhält: „Nachdem die Bonitzschen Lehrplä-
ne von 1881, ..., den philosophischen Unterricht aus dem
Lehrplan der höheren Schule gestrichen hatten, bin ich
lange Jahre hindurch neben Friedrich Paulsen der einzige
oder doch nahezu der einzige preußische Schulmann ge-
wesen, der für die Wiederherstellung des philosophi-
schen Unterrichts dauernd und entschieden eintrat, ...“
(1926, S. 130).
Der genannte Philologe Hermann Bonitz (1814–1888)
war 1875 Referent des preußischen Gymnasialwesens ge-
worden. Erstaunlicherweise hatte er zuvor in Wien dafür
gesorgt, dass, wie oben bemerkt, nach 1848 das öster-
reichische Gymnasium von kirchlicher, zumal jesuitischer
Dominanz befreit und nach preußischem Modell erneuert
wurde, und dabei die Philosophische Propädeutik ein-
schließlich der Psychologie allgemeinverbindlich durch-
gesetzt.
Lehmann hatte die aktuelle Situation in Österreich und
die vergleichbare in Württemberg studiert und war über-
zeugt, dass ein Reimport der Philosophischen Propädeu-
tik nach Norden sinnvoll war. Sein Wirken blieb nicht er-
folglos. Mit den preußischen Lehrplänen vom 6. Januar
1892 wurde es den Schulen freigestellt, sie anzubieten (Per-
ger, 1959, S. 103f.). Vaihinger schildert die um 1900 immer
noch wenig vereinheitlichte, faktische Situation (1906, S.
130ff.), deren Einzelheiten übersprungen werden können.
Die Philosophische Propädeutik blieb bis nach dem Ersten
Weltkrieg anzutreffen, in manchen Ländern des Deut-
schen Reiches und in Österreich durchaus verbindlich
vorgeschrieben.
Allgemein lässt sich konstatieren: Die aus den beiden
Fächern Logik und empirische Psychologie bestehende
so genannte Philosophische Propädeutik erlebte an den
Gymnasien der verschiedenen Staaten des Deutschen
Bundes und des späteren Deutschen Reiches ein wech-
selvolles, in vielerlei Abhandlungen und Denkschriften
behandeltes Schicksal. In Bayern gab es keine Philosophi-
sche Propädeutik, in Österreich wurde sie in den Jahren
nach der Revolution 1848 eingeführt und bleibt siebzig
Jahre Unterrichtsstoff, in Baden, Sachsen, Württemberg
durchläuft sie verschiedene Karrieren. Die Entwicklung
bis zurzeit der Entstehung des Norddeutschen Bundes
und der Anfänge des Deutschen Kaiserreiches schildert
ausführlich Kern (1867; 1885).
Die Propädeutik erschien in vielerlei Gestalt zwischen
den Ausprägungen als allgemein vorgeschriebenem Lehr-
fach, als fakultativer Unterricht oder als Stoff, der in den
Deutschunterricht integriert werden sollte. Ihr war ein lan-
ges Leben im Schulwesen beschert. Sie hielt sich bis in
das 20. Jahrhundert auf den Lehrplänen.
Über die Praxis dieses Schulunterrichts in Psychologie
ist nicht viel ermittelt. Eine einschlägige Beobachtung
stammt von Wundt. Er beklagt das niedrige Niveau des
schulischen Psychologieunterrichts und berichtet zur Ver-
deutlichung von einer Prüfung in diesem Stoff, bei der er
selbst anwesend war (1877, S. 497).
Festzuhalten ist, dass sich bald die Frage nach einer
Prüfung der Lehramtskandidaten auf Eignung zum Unter-
richt in diesen Stoffen ergab (Perger, 1959, S. 106). Damit
entstanden zusätzliche Prüfungen im Fach Psychologie,
die wiederum ihre Rückwirkung auf das Lehrangebot der
Universitäten hatten.
Einige Lehramtsstudenten werden sich vertieft dem
Universitätsstudium der Psychologie gewidmet haben, um
nicht nur die allen abverlangte allgemeine Prüfung in Psy-
chologie zu bestehen, sondern um als Fachlehrer für Phi-
losophische Propädeutik die Psychologie unterrichten zu
dürfen. Vaihinger lässt sich zu dieser Prüfung näher aus
(1906, S. 120ff.).
Um zu gewichten, welche Rolle die Ausbildung der
Lehrer für die Lehrbefähigung in Psychologie in der Ver-
fachlichung der Psychologie gespielt hat, sind zwei Tatsa-
chen zu berücksichtigen. Der allgemeine Prüfungsstoff
Psychologie für höhere Lehramtskandidaten wurde früher
an den Universitäten etabliert als der Stoff namens Psy-
6
Nachweise für Schulunterricht in Psychologie im 18. Jahr-
hundert und zu Beginn des 19. finden sich bei Schwartz, 1911, S.
143, S. 494ff.; 1912, S. 50, S. 205, S. 315f..
192
Horst Gundlach
chologie oder empirische Psychologie an den Gymnasien
oder gar der zugehörige besondere Lehramts-Prüfungs-
stoff Psychologie für die Lehrberechtigung. Zweitens, der
allgemeine Prüfungsstoff Psychologie für höhere Lehr-
amtskandidaten wurde allgemeinverbindlich vorgeschrie-
ben und blieb es auch kontinuierlich. Der Prüfungsstoff
Psychologie für die Lehrberechtigung war selten allge-
meinverbindlich vorgeschrieben und ging sogar zu be-
stimmten Zeiten abhanden.
Der Faktor allgemeiner Prüfungsstoff Psychologie für
höhere Lehramtskandidaten hebt sich also durch Ancien-
nität und Kontinuität ab. Dem Faktor Gymnasialstoff Psy-
chologie ist folglich nur eine sekundäre Rolle in der Ver-
fachlichung der Psychologie zuzuschreiben. Denkbar
wäre, dass der Faktor Prüfungsstoff für höhere Lehramts-
kandidaten es mit sich brachte, dass man die zugehörige
Infrastruktur in Lehre und Prüfungswesen sekundär für
den Faktor Gymnasialstoff verwertete. Der erste Faktor ist
offensichtlich der entscheidende für die Verfachlichung
der Psychologie an der Universität. Der zweite Faktor wird
eine verstärkende Rolle gespielt haben.
Auswirkungen der Verfachlichung
der Psychologie
Die Institutionalisierung eines allgemeinverbindlichen
Prüfungsfaches Psychologie in einer Prüfungsordnung
für den Universitätsstudiengang Lehramtskandidat bleibt
nicht ohne Wirkung auf die Psychologie. Sie ist gleichbe-
deutend mit der Institutionalisierung eines Faches Psy-
chologie.
Ein Fach, das examiniert wird, muss regelmäßig gele-
sen werden, zumal wenn es zu einem Studiengang gehört,
den eine beträchtliche Anzahl der Studenten verfolgt. Vor-
lesungen und Prüfungen in einem Fach erschaffen Fach-
leute, die den Stoff lehren und prüfen und Zensuren ver-
teilen. Ein Fach schafft Macht, zumindest Definitions-
macht. Fachleute errichten Grenzen und Barrieren zwi-
schen ihresgleichen und den anderen, am Gebiet interes-
sierten, die durch die Fachleute selbst oder auch nur durch
deren Existenz zu Laien verwandelt werden. Prüfende
Fachleute verbannen andere als die eigenen Auffassun-
gen gern in die niederen Bezirke der Laien.
Der Prüfungszwang wird eine Standardisierung der
Stoffe und der Grenzen des Geprüften nach sich ziehen.
Denn es muss für die Beteiligten deutlich werden, welche
Gegenstände zum Fach gehören und welche nicht dazu
gehören.
Die Definitionsmacht der neu geschaffenen Fachleute
kann dazu führen, dass die Grenzen, die dem Fach Psycho-
logie gezogen werden, andere sind als jene, die bisher für
das Gebiet Psychologie anerkannt oder wenigstens nicht
angefochten waren. Dies gilt für Grenzen der Binnenglie-
derung des Faches wie insbesondere für die Außengren-
zen.
Der Terminus „Psychologie“, der zunächst ein Gebiet
wissenschaftlicher Forschung bezeichnete, wird nun mehr
und mehr dazu verwendet, ein Fach zu benennen. Die
Grenzen des Faches müssen mit denen des Gebietes nicht
deckungsgleich sein. Missverständnisse über die Exten-
sion und die Intension des Begriffs werden sich einschlei-
chen.
Im Fall des Faches Psychologie kompliziert sich die
Lage dadurch, dass keine eigenen Lehrstühle eingerichtet
werden. Das Fach Psychologie wird vielmehr den Ordina-
rien der Philosophie und solchen Dozenten, die es werden
wollen, überantwortet. Damit erreicht das Fach Psycholo-
gie nicht den Rang eines Hauptfaches, sondern nur den
minderen Rang eines Neben- und Hilfsfaches. Es unter-
scheidet sich dadurch von anderen neuen Fächern wie
Biologie oder Romanistik, die mit Lehrstühlen ausgestat-
tet werden und neben der Rolle des Neben- und Hilfs-
faches auch die des Hauptfaches einnehmen.
Die neu aufkommenden Fachleute des Faches Psycho-
logie sind somit nur nebenfächlich Fachleute, was die
Abgrenzungstendenzen gegenüber den Laien sicher nicht
mildert, doch die Identifikation mit dem Fach gewiss he-
rabsetzt. Da nun die Fachleute für Psychologie auch und
in stärkerem Maße Fachleute für Philosophie sind, werden
sich Tendenzen beobachten lassen, das Fach Psycholo-
gie so zurechtzuschneiden, dass es als integraler Teil des
Faches Philosophie auftreten kann. Die Grenzen des Fa-
ches nach solchen Definitionen werden eher noch weni-
ger mit den Grenzen des Gebietes zusammenfallen.
7
Beschäftigung mit einem Gebiet der Wissenschaften
kann wissenschaftlichem Forschungsdrang entspringen.
Die Institutionalisierung des Faches Psychologie bringt
etwas Neues. Philosophieprofessoren müssen jetzt qua
Amtspflicht über Psychologie lesen. Beschäftigung
mit der Psychologie muss also nicht mehr Zeichen eines
spezifischen Forschungsinteresses sein, die Amtspflicht
kann ihren motivationalen Anteil beisteuern. Ein drittes
Moment wird ebenfalls durch die Institutionalisierung des
Faches eingeführt. Regelmäßige Kolleggelder, Prüfungs-
remunerationen und Lehrbuchhonorare können zur Be-
schäftigung mit Psychologie verlocken.
Dem Standardisierungsdruck durch den Prüfungs-
zwang kann in diesem dritten Moment eine gegenläufige
Tendenz erwachsen. Die Lehre der Psychologie verschafft
Kolleggelder, die Prüfung Examensgelder, und beide
schaffen einen Markt für Lehrbücher, die den Inhalt der
Vorlesungen wiedergeben und deren Verkauf gleichfalls
eine Quelle zusätzlicher Einkünfte ist. Um diese Einkünfte
zu maximieren, empfiehlt es sich, neben standardisierten
7
Hermann Kern formuliert: „Aber folgt denn daraus, daß die
empirische Psychologie factisch in den Händen der Philosophen
ist, oder daraus, daß in den philosophischen Compendien die ganze
Psychologie, die empirische und die speculative, als philosophische
Disciplin bezeichnet wird, mit aller Sicherheit, daß der empirischen
Psychologie auf solche Weise ihre richtige Stellung im Ganzen der
Wissenschaften angewiesen ist?“ (1867, S. 23; S. a. 1885, S. 57).
Offensichtlich liegt hier ein Musterbild einer rhetorischen Frage
vor.
193
Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
Grundstoffen auch eigene Auffassungen diesen Vorle-
sungen und Werken beizumischen, damit der Kandidat
auch getreulich seine Dukaten oder Kronen für Vorlesung
und Lehrbuch des Examinators auslegt und nicht etwa die
vielleicht flüssiger schreibende Konkurrenz unterhält.
Eine weitere absehbare Folge der Verfachlichung der
Psychologie unter dem Schirm der Philosophie ist, dass
sie wahrscheinlich eine Buchwissenschaft oder gar nur
eine Lehrbuchwissenschaft bleibt.
Schließlich darf noch festgehalten werden, dass das
Fach Psychologie zwar zum Zwecke der Anwendung in
pädagogischen Zusammenhängen eingerichtet wurde,
dass es aber auch als selbstverständlich galt, dass eine
Überprüfung der Anwendungspraxis oder auch nur der
Anwendbarkeit nicht für erforderlich gehalten wurde.
Auch das gestattete einen erheblichen persönlichen Spiel-
raum in der Gestaltung der jeweiligen psychologischen
Auffassungen eines Universitätslehrers, der dem genann-
ten dritten Moment entgegenkommt.
Das Geschick der Psychologie im
verbleibenden 19. Jahrhundert
Die Psychologie nahm im 19. Jahrhundert etwa den Lauf,
wie er sich aus den geschilderten, in den ersten Jahrzehn-
ten des Jahrhunderts errichteten Strukturen nach den dar-
gelegten allgemeinen Erwägungen erwarten lässt. Aber es
gab außer den recht stabilen Strukturen auch einige Ereig-
nisse, die überraschen und längerfristig für Veränderun-
gen sorgten. Im Folgenden können diese Abläufe nur in
groben Zügen dargestellt werden da eine eingehendere
Darstellung, die zu wünschen bleibt, den hier vorgegebe-
nen Umfang sprengte.
Die Psychologie als Fach verblieb zunächst eine Buch-
wissenschaft. Sie wurde häufig in Gesamtdarstellungen
präsentiert, wie eben ein Fach in einer Übersicht darge-
stellt wird. Die geduldige Bearbeitung und Lösung einzel-
ner Fragen und Probleme ist in der Literatur nur selten
zu finden. Die Empirie, auf die man sich zumal in der „so
genannten empirischen Psychologie“ beruft, überschrei-
tet selten den Rahmen der eigenen, zufälligen Erfahrung.
Eine Auffächerung in Unterdisziplinen wie Kinderpsy-
chologie, Tierpsychologie, Völkerpsychologie ist nur in
Ansätzen wahrzunehmen. Eine Spezialisierung der Nach-
wuchskräfte auf das Fach Psychologie war keine beson-
nene Laufbahnoption. Die anzustrebenden Lehrstühle er-
forderten eine Profilierung in anderen Branchen der Philo-
sophie. Gleichwohl ließ sich im Fach Psychologie allemal
eine solide Teiloption des wissenschaftlichen Nachwuch-
ses der Philosophie sehen.
Die Darstellungen der Psychologie im 19. Jahrhundert
weisen jeweils einen individuellen, persönlichen Stempel
auf. Treffend sagt der Mediziner und Verleger Heinrich
August Pierer (1794–1850) über die Psychologie der ers-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Vorzügliche Bearbeiter
der Psychologie in der neuen Zeit, nach mehr od. weniger
eigenthüml. Ansichten, sind u.a. Tiedemann, Hoffbauer,
Weiß, Herbart, Eschenmayer, Beneke, Salat, Fries, Hein-
roth“ (Pierer, 1844, S. 100, Fettdruck getilgt). Die „eigent-
hümlichen Ansichten“ im Sinne der kennzeichnenden
Ansichten sind das nicht überraschende Merkmal einer
Zeit, die sich ein Prüfungsfach Psychologie zulegt und
eine keineswegs spärliche Fachliteratur erzeugt.
Die in den Darstellungen der Geschichte der Psycho-
logie beschriebenen Fortschritte des Gebietes der Psy-
chologie in den ersten zwei Dritteln des neunzehnten
Jahrhundert fanden samt und sonders außerhalb dieses
Faches statt, sei es in der Physik, wo etwa der Physikpro-
fessor Gustav Theodor Fechner zu nennen wäre, oder in
der Physiologie. Hier gehören zu den bekannten For-
schern Ernst Heinrich Weber, Johannes Müller, Hermann
Helmholtz und manche andere. Diese Experimentatoren,
auf die sich später die Psychologie immer wieder berufen
wird, verwendeten in ihren Arbeiten kaum das Wort „Psy-
chologie“, das ja jetzt zumindest innerhalb der Universitä-
ten ein Fach bezeichnet, dem sie selbst nicht angehören.
8
Die Verfachlichung oder Disziplinierung der Psycho-
logie fand ganz im Rahmen des größeren Faches der Phi-
losophie statt, und hielt sich weitgehend innerhalb der
Grenzen, die der durch Schopenhauer gekennzeichnete
eigentliche Zweck des Philosophieunterichts setzte.
Es mag mit der Verfachlichung auch eine Verflachung
einhergegangen sein, und es ist vorstellbar, dass diesem
Fach seitens der Studenten kaum mehr Aufmerksamkeit
geschenkt wurde als dem etwas jüngeren Fach der Päda-
gogik. Über dieses Fach berichtet der Pädagoge Rudolf
Lehmann autobiographisch, er und seine Altersgenossen
in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts „... hätten
wahrscheinlich noch nicht einmal dem Namen nach ge-
wusst, dass es so etwas wie Pädagogik gibt, wenn sie
nicht als Prüfungsfach eine freilich nicht allzu ernstliche
Bedrohung des Staatsexamens dargestellt hätte, der
immerhin auf dem äußerlichsten Wege zu begegnen war.“
(1926, S. 126). Das Fach Psychologie erwähnt er in diesem
Zusammenhang leider nicht.
Eine nachhaltige und nicht von Reformern vorgeplan-
te Veränderung der deutschen Universitäten brachte die
8
E. G. Boring formuliert die Sachlage nicht unzutreffend, doch
etwas hilflos: „There was in the ‘60’s some psychological experi-
menting going on, mostly in the hands of physiologists. The philo-
sophers, however, owned psychology; ...“ (1929, S. 362). Dass die
Philosophen die Psychologie besessen hätten, ist bestenfalls eine
metaphorische Fassung des Oberflächeneindrucks. Boring ist ein
Beispiel unter beliebig vielen, die zeigen, dass die Erforschung der
Geschichte der Psychologie bisher den Prozess der Verfachlichung
übersehen hat. Die Inhaber der Lehrstühle für Philosophie oder
auch für Philosophie, Psychologie und Pädagogik vertraten das
Fach Psychologie in Lehre und Prüfung im Rahmen einer bestimm-
ten Berufsausbildung und konnten daraus eine Position der Macht
ableiten, die als Besitz erscheinen konnte. Das Gebiet Psychologie
hingegen stand vielen Forschern offen, und viele Physiologen be-
fassten sich damals mit Fragen aus diesem Gebiet, und zwar auf eine
zukunftsweisende Art, die den Fachvertretern selbst fremd und un-
bekannt war.
194
Horst Gundlach
Erfindung der universitären Forschungsinstitute mit sich.
Sie betraf eher durch Zufall auch die Psychologie. Die
Zündung zu dieser Veränderung erfolgte unter Justus
Liebig (1803–1873) in der abseits gelegenen Provinzuni-
versität Gießen, wo er das erste Musterlaboratorium grün-
dete und Gießen damit zu einem Zentrum naturwissen-
schaftlicher Forschung machte. Die neue Institution des
der Forschung gewidmeten Universitätsinstituts ein-
schließlich des Laboratoriums als eines Teils des Instituts
und damit die universitär verankerte Erforschung des Bu-
ches der Natur traten dank kräftiger staatlicher Förderung
einen Siegeszug in den medizinischen und philoso-
phischen Fakultäten an, dort naturgemäß in den so
genannten naturwissenschaftlichen Fächern. Die Institu-
te brachten die nicht-textuelle Grundlagenforschung in die
deutschen Universitäten. Diese neue Einrichtung wurde
später weltweit kopiert und erscheint heute als selbstver-
ständlicher Bestandteil der Universitäten, nicht mehr als
eine zeitgebundene, umwälzende Erfindung.
Auf die Universitäten hatte die Einrichtung der Insti-
tute für immer mehr Wissenschaften verschiedentliche
Auswirkungen. Die Institute mit ihrem unersättlichen Fi-
nanzbedarf wurden direkt durch die Ministerien finanziert,
es erhöhte entsprechend sich also weiterhin der staatliche
Einfluss, und es sank das Ausmaß gemeinsamer Interes-
sen in den noch partiell autonomen Fakultäten. Es wurde
für die Institute und Laboratorien allmählich der besoldete
Universitätsassistent eingeführt, der sich de facto zu einer
vom Institutsdirektor abhängigen Qualifikationsposition
entwickelte, die mit der Habilitation endete. Schließlich
legte die Institution Institut die Lunte an die Philosophi-
sche Fakultät, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausgebil-
det hatte. Zwar versuchten die Buchwissenschaften, über
analoge Einrichtungen, meist Seminarien genannt, auch
Zugang zu den Fleischtöpfen der Ministerien zu gewin-
nen, doch waren und sind die Finanzbedarfe der naturwis-
senschaftlichen Institute und der philologisch-histori-
schen Seminarien so unterschiedlich, dass die resultieren-
de Interessendivergenz und Entfremdung nicht anders
behandelbar erschien als durch Aufspaltung der über-
kommenen Philosophischen Fakultät in eine Philologisch-
Historische, die sich meist weiterhin einfach Philosophi-
sche nennt, und eine Mathematisch-Naturwissenschaft-
liche, die manchmal einfach Naturwissenschaftliche ge-
nannt wird.
Das Fach Psychologie, der Philosophie zugeordnet,
wurde in der Tradition der Universitäten lange als Buch-
wissenschaft betrieben. Dies änderte sich durch eine ein-
zigartige Konstellation und zufällige Ereignisse, die das
Fach und die neue Art der Forschung in Universitätsinsti-
tuten unvermutet, ungeplant und zufällig assoziierten. Die
Veränderung des Faches Psychologie durch Aufkommen
spezifischer Forschungsinstitute verläuft also eher chao-
tisch und damit völlig anders als die planvolle Entstehung
des Faches selbst, die durch politischen Willen und lan-
desweit verbindliches ministerielles Reskript gekenn-
zeichnet ist.
Der Mediziner und habilitierte Physiologe Wilhelm
Wundt (1832–1920), der lange Jahre in einem Physiologi-
schen Institut arbeitete, wartete vergeblich auf den Ruf
auf einen Lehrstuhl für Physiologie. Er akzeptierte
schließlich 1874 einen Ruf in die niedere Philosophische
Fakultät auf einen Lehrstuhl für Philosophie in Zürich und
ein Jahr später auf einen ebensolchen der Universität Leip-
zig.
9
Der Leipziger Lehrstuhl sollte ursprünglich mit dem
hochberühmten Kuno Fischer (1824-1907) besetzt werden.
Der allerdings lehnte die Annahme des Rufes aus dem
kontingenten Grund ab, dass er gerade das Amt des
Dekans der Philosophischen Fakultät in Heidelberg inne-
hatte und es für seine Pflicht hielt, es ordnungsgemäß bis
zum Ende des Semesters auszufüllen. Die Leipziger Philo-
sophische Fakultät, die noch nicht in zwei Teile zerlegt
worden war, zerstritt sich über die Besetzung des Lehr-
stuhls und einigte sich darauf, ihn zu zerteilen und statt
einer Koryphäe zwei billige, unprofilierte Philosophen zu
berufen, einen für die Interessen der historisch-philologi-
schen, einen zweiten für die der mathematisch-natur-
wissenschaftlichen Fächer. Die Wahl fiel auf die wenig
bekannten Hochschullehrer Max Heinze (1835–1909) re-
spektive Wundt. Eine weitere Kontingenz war, dass der
einzige prononcierte Fürsprecher Wundts in der Fakultät,
der Astronom Johann Carl Friedrich Zöllner, zwar umfäng-
liche psychophysische Untersuchungen zur Photometrie
publiziert hatte, sich allerdings von Wundt wegen dessen
psychologischer Publikationen Unterstützung bei seinen
Steckenpferden, dem Spiritismus, dem Hypnotismus und
der von ihm so genannten transzendentalen Physik erwar-
tete. Der Zufall hatte es gefügt, dass ihm noch nicht zu
Ohren gekommen war, wie grundsätzlich Wundt den Spiri-
tismus, der später von Max Dessoir Parapsychologie
getauft wurde, ablehnte und wie wenig er von der Hypno-
se als Mittel der psychologischen Forschung hielt. Die
unumgängliche Enttäuschung traf Zöllner erst, nachdem
Wundt bereits den Lehrstuhl in Leipzig übernommen
hatte.
Die Ungeteiltheit der Fakultät tat ein übriges. Wundt
konnte noch erreichen, dass ihm das Ministerium wie an-
deren (Natur-)Wissenschaften gestattete, in dieser inte-
gralen Fakultät ein Institut mit einem Forschungslaborato-
rium einzurichten. In einer bereits geteilten Fakultät hätte
ein Institut oder ein Laboratorium in der philosophischen
Restfakultät, der selbstverständlich der Lehrstuhl für Phi-
losophie zugefallen wäre, kaum Chance auf Entstehung
gehabt, denn dort gründete man Seminarien ohne Labor-
ausstattung. Diese Zufälligkeiten führten zur lokalen Ver-
bindung des Faches Psychologie mit den in den physiolo-
gischen Laboratorien entwickelten Forschungsmethoden,
ein Ereignis, das für ein der Philosophie beigeordnetes
Fach nicht absehbar war. Wundt hatte nun zwar kein
Physiologisches, aber doch ein Psychologisches Institut
und damit eine Einrichtung, die zuvor nirgendwo existiert
hatte.
9
Die Berufung Wundts nach Leipzig ist mehrfach dargestellt
worden, siehe Bringmann und Ungerer (1980), Hiebsch (1977),
Métraux (1980), Thiermann (1980). Die allgemeinen Strukturen,
besonders die entscheidende Gegebenheit eines Prüfungsfaches Psy-
chologie, sind bei diesen Ereignisdarstellungen kaum berücksichtigt.
195
Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
Es darf die Frage gestellt werden, ob psychologische
Laboratorien und Institute auch an einer anderen Stelle in
der Universitätsstruktur hätten entstehen können. Ein
nicht gänzlich unwahrscheinlicher Platz wäre die Medizi-
nische Fakultät gewesen. Denn das fachliche Organi-
sationsprinzip dieser Fakultät liegt in der Opposition
der Pathologie zur Normalität. Psychiatrie lässt sich als
pathologische Psychologie auffassen, doch innerhalb der
Medizinischen Fakultät wurde keine Einrichtung zur Erfor-
schung ihres normalen Gegenstücks eingerichtet. Nach-
dem einmal Psychologische Institute in den Philoso-
phischen Fakultäten eingerichtet waren, ließen sich an-
scheinend keine entsprechenden Einrichtungen in der
Medizinischen Fakultät errichten. Eine Übernahme beste-
hender Institute wäre ein Aufstieg in eine übergeordnete
Fakultät und damit etwas nahezu Unerreichbares gewe-
sen. Besonders stand einer solchen Übernahme im Wege,
dass die Psychologie an die Lehrerausbildung gebunden
war, mit der die Medizinische Fakultät nichts zu schaffen
hatte. Dennoch gab es immerhin Ansätze zu einer zweiten
Verfachlichung der Psychologie in der Medizinischen Fa-
kultät, wie sich an den Psychologischen Laboratorien
zeigt, die Mediziner wie Emil Kraepelin (1856–1926), Paul
Flechsig (1847–1929), Wladimir Bechterew (1857–1927),
Robert Sommer (1864–1838), Theodor Ziehen (1862–1950)
und andere innerhalb der Psychiatrie einrichteten. Sie führ-
ten jedoch nicht direkt zu einem weiteren Fach Psycholo-
gie in dieser Fakultät. Das existierende Fach Psychologie
verblieb komplett in der brotlosen Fakultät, was sich hin-
derlich auf das weitere Wachstum auswirkte.
Das Psychologische Institut mit Experimentallabor,
das Wundt in der Leipziger Zufallssituation kreiert hatte,
wurde zu einem weltweit kopierten Muster. Gegen Ende
des 19. Jahrhunderts lassen sich weltweit etwa drei Dut-
zend Einrichtungen dieser Art aufzählen, darunter eine
große Zahl in den USA. Der Hinweis auf ihren Nutzen für
die Lehrerausbildung ist übrigens in den Begründungen
ihrer Wünschbarkeit typischerweise zu finden.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte sich in
vielen Berufen der Wunsch nach Verwissenschaftlichung.
Praktisch verwirklichte sich dies Ziel durch Einzug der ent-
sprechenden Ausbildung in Universitäten, Technischen
Hochschulen oder Handelshochschulen. Die Gründe sind
vielfältig. Man verspricht sich Ameliorisation der Praxis
durch wissenschaftlich begründetes Vorgehen, Hebung
des Ansehens durch Hochschulabschlüsse und Titel,
korrespondierenden Anstieg der Bezüge.
Auch die Berufe der Lehrer stimmten in den Kampfruf
nach Verwissenschaftlichung ein. Zur Situation des Gym-
nasiallehrers ist festzuhalten, dass der Wunsch nach bes-
serer Besoldung sich in die Formel der Gleichstellung mit
der Besoldung der Richter fügte. Die Parole der Verwis-
senschaftlichung des Lehrerberufs war ein Hebel, diesem
Ziel näher zu kommen. Der wissenschaftlich anspruchs-
volle Laborbetrieb psychologischer Institute wurde bald
als etwas wahrgenommen, das dazu dienlich sein konnte,
und zwar erheblich besser als die überkommene Buchpsy-
chologie.
Die experimentelle Psychologie fand daher großes In-
teresse bei den Studenten. Sie gewährte eine Beschäfti-
gung mit einer Materie, die als Teil der vorgeschriebenen
Philosophie durchging, sich aber nicht in Begriffsklaube-
rei verlor und in ihrer Methodik besonders den Studenten
der naturwissenschaftlichen Fächer sehr entgegenkam.
Die Mehrzahl der Studenten, die in diesem neuartigen Ins-
titut forschten, waren auf dem Weg zum Beruf des Leh-
rers, dem der Schmuck des hier erwerbbaren Dr. phil. erst
die richtige Würde verlieh. Ein kleinerer Teil waren Stu-
denten der Medizin, die sich über das Brotstudium hinaus
in den Wissenschaften umtun wollten und mit dem dop-
pelten Titel des Dr. med. et Dr. phil. Bildung bekundeten.
Die neue, im Labor arbeitende Psychologie, die sich
aus Wundts Forschungsstätte ausbreitete, verdrängte auf
lange Frist die ältere, überkommene Psychologie. Geraume
Zeit jedoch existierten beide nebeneinander, denn die
Fachvertreter und -prüfer der Psychologie bequemten sich
nur ausnahmsweise, mit den neuen Forschungsmethoden
sich vertraut zu machen. Eduard Sprangers Ausrufung ei-
ner „geisteswissenschaftlichen Psychologie“ wirkt wie
der Versuch, die ältere Psychologie durch neue Kleidung
zu beleben. Der markanteste Zwischenfall, der das kon-
fliktreiche Nebeneinander der älteren und der neueren
Psychologie illuminiert, geschah 1913. Auf Initiative der
Wortführer des Neukantianismus ließen sich Fachphilo-
sophen zu einer kollektiven Aktion hinreißen. Über hun-
dert der Philosophie verbundene Gelehrte unterschreiben
eine Erklärung
10
, die in allen philosophischen Fachjour-
nalen publiziert und den Ministerien zugeleitet wurde.
Man forderte die Rückgabe der philosophischen Lehr-
stühle, die mit Vertretern der experimentellen Psychologie
besetzt waren, sowie großmütig eigene Lehrstühle für die
experimentelle, also die im Labor betriebene Psychologie,
deren Techniken nur eine Minderheit des philosophi-
schen Lehrpersonals gelernt hatte. Die Fadenscheinigkeit
der Erklärung zeigte sich in der Wortwahl. Die Neukantia-
ner wollten nicht etwa die empirische Psychologie vertrei-
ben, sondern die experimentelle. Eine experimentelle von
einer sonstigen Psychologie zu trennen, ist offensichtlich
ungereimt. Nur zu deutlich scheint auf, dass die Teilneh-
mer an der Aktion sich weiterhin die Kolleg- und Prüfungs-
gelder sichern wollten, die sich auch mit nicht-experimen-
tellen Psychologielehrangeboten erzielen lassen.
Die Lage der Psychologie um 1900
und der Ruf nach einer
Angewandten Psychologie
Die schwierige Lage des Faches Psychologie um 1900,
besonders in Deutschland, wurde anderenorts dargestellt
(Gundlach, 2004). Kurz lässt sich sagen, dass eine Stagna-
tion festzustellen ist, denn im Rahmen der Philosophi-
10
Vgl. Erklärung (1913), Hillebrand (1913), Marbe (1913),
Wundt (1913), Ash (1980).
196
Horst Gundlach
schen Fakultät und im Umkreis der Lehrstühle für Philoso-
phie gab es nur wenig Möglichkeiten, die Finanzierung
oder gar Expansion experimenteller Forschung zu ermög-
lichen; dass der Zweck des Faches darin lag, Fachfremden
ein Quantum Fachwissen zu vermitteln, also an einer
Berufsausbildung mitzuwirken; dass die Grundlagenfor-
schung nur wenig in der Praxis verwendbares Fachwissen
produzierte; dass das Fach von Ordinarien vertreten wird,
die Wichtigkeit und Wünschbarkeit psychologischer For-
schung sehr unterschiedlich bewerten, auch wenn sie
Psychologie in Lehre und Examen zu vertreten haben;
dass aus den neuen Möglichkeiten, im Psychologischen
Labor wissenschaftliche Arbeiten anzufertigen oder gar
dort zu einem Assistenten zu werden, sich Nachwuchs
entwickelte, der auf psychologische Forschung in einem
Maße spezialisiert ist, dass seine Berufung auf einen Lehr-
stuhl für Philosophie vielen Philosophieprofessoren nicht
vertretbar erscheint.
Es wurden nach 1900 verschiedene Auswege aus die-
ser für die Betroffenen schmerzlichen Verklemmung des
Faches vorgeschlagen. Drei Typen seien hier genannt.
Ernst Meumann setzte auf die Karte der Verpflichtung
gegenüber der Lehrerausbildung, nannte seine bei Wundt
gelernte Wissenschaft „Experimentelle Pädagogik“ (1907),
auch wenn sie sich von experimenteller Psychologie nicht
nennenswert unterschied, gründete unter diesem Schlag-
wort eine neue Zeitschrift (1905) sowie in Leipzig (1911)
und Hamburg (1911) neue Laboratorien und hoffte, mit
konzentrierter Zuarbeit zur Lehrerausbildung die Zukunft
zu finden.
Oswald Külpe, ehedem Wundts Assistent, doch sel-
ber ohne medizinische Ausbildung, schlug die Übersied-
lung der Psychologie in die finanzkräftigere Medizinische
Fakultät vor (1912).
Hugo Münsterberg, gleichfalls ein Wundt-Schüler,
versuchte den Wirkungskreis der Psychologie auszudeh-
nen, indem er sie als Hilfswissenschaft sämtlicher Fakultä-
ten und andere Berufsausbildungen propagierte. Für die
Juristische Fakultät forderte er forensische Psychologie
(1908), für die Medizinische medizinische Psychologie
(1909), für die Philosophische eine Schulpsychologie
(1910), und für die Fächer der Technischen Hochschulen
die Psychotechnik (1912; 1914).
Münsterbergs Stimme war vielleicht die vernehmlichs-
te derer, die nach Anwendungen der Psychologie riefen,
aber keineswegs die einzige. Um die Laborpsychologie
herum war eine neue Generation Psychologen entstanden,
der die alte Fachpsychologie für Lehrer unzumutbar ver-
altet schien, die sich einen hohen Grad der Spezialisie-
rung in experimenteller Forschung zugelegt hatte, die aber
deshalb das Publizieren in den anderen Sparten der Phi-
losophie hatte vernachlässigen müssen und somit inner-
halb der Strukturen der Universitäten kaum unterkommen
konnte. Aus dieser Generation erscholl nach 1900 der Ruf
nach Anwendungen der Psychologie, der gern als Beginn
der Angewandten Psychologie aufgefasst wird.
Als markante Ereignisse dafür zählen die erste syste-
matische Darstellung der Differentiellen Psychologie
(Stern, 1900) durch William Stern, seine Gründung der
Beiträge zur Psychologie der Aussage (1903), untertitelt
Mit besonderer Berücksichtigung von Problemen der
Rechtspflege, Pädagogik, Psychiatrie und Geschichts-
forschung, sein darin enthaltender programmatischer
Aussatz über Angewandte Psychologie (1903). Er ließ die-
se Zeitschrift 1907 aufgehen in die mit Otto Lipmann ge-
gründete Zeitschrift für angewandte Psychologie und
psychologische Sammelforschung. Beide errichteten 1906
ein privates Institut für angewandte Psychologie und
psychologische Sammelforschung, das erste Institut
überhaupt, das sich der Angewandten Psychologie ver-
schrieb.
Bei all diesen Schritten in Richtung einer Angewand-
ten Psychologie ist zu bemerken: Weder Stern noch
Münsterberg noch andere Psychologen ihrer Generation
forderten die Ausbildung eines Spezialisten, der sich in
seiner beruflichen Praxis über das Fach Psychologie defi-
niert. Sie erklärten nur, Psychologie habe Fachwissen für
Fachfremde zu offerieren und könne deren jeweilige beruf-
liche Praxis zu verbessern. Die Psychologie wurde so als
universale Hilfswissenschaft für alle Fakultäten angebo-
ten. Kurz, die Situation des Faches Psychologie an den
Hochschulen des 19. Jahrhunderts wurde auf sämtliche
Fakultäten generalisiert. Auch Wissenschafter, die nicht
in psychologischen Laboratorien ausgebildet waren, äu-
ßerten sich in diese Zielrichtung. So erwägt Vaihinger, um
nur ein Beispiel zu nennen, ob der Staat „... nicht von Juris-
ten wenigstens gründlichere Bekanntschaft mit der Psy-
chologie und Logik verlangen sollte, ...“ (1906, S. 13).
Die unglückliche Lage des Faches Psychologie als ei-
nes den Lehrstühlen der Philosophie zugeordneten Hilfs-
faches in der Lehrerausbildung änderte sich allerdings
trotz diesen Vorschlägen für eine neue Angewandte Psy-
chologie nicht.
Festzuhalten ist, dass um die Jahrhundertwende zwar
die Grundlagen für die spätere Angewandte Psychologie
gelegt wurden, dass es aber unzutreffend ist zu behaup-
ten, die Angewandte Psychologie überhaupt sei hier ent-
standen. Tatsächlich wurde nur gefordert, dem Neben-
Fach Psychologie, das aus den Zusammenhängen der
Anwendung in der Schule entstanden war, in seiner durch
Wundt veränderten Erscheinungsform weitere Anwen-
dungszusammenhänge als Neben-Fach in Ausbildungs-
gängen anderer Fakultäten zu erschließen.
Es geht also bei aller Betonung höherer Werte durch
die Verfechter einer erweiterten Angewandten Psycholo-
gie nicht zuletzt auch um hochschulpolitischen Gelände-
gewinn für ein Neben-Fach, das in einer scheußlichen
Zwickmühle hockte. Der einzige Weg zu einer Verbesse-
rung der Leistungsfähigkeit des Faches wäre zwar eine
vertiefte Spezialisierung gewesen, aber gerade solche Spe-
zialisierung führte den akademischen Nachwuchs in den
Morast der universitären Nichtberufbarkeit.
197
Reine Psychologie, Angewandte Psychologie
Der Impuls zur Verwandlung
des Faches Psychologie im
20. Jahrhundert
Impulse zur Verwandlung der Lage kamen wieder aus einer
unvorhergesehenen Richtung. Das Mittel, das sich als
zentral für die Entwicklung der Beziehung zwischen der
Psychologie und praktischer Tätigkeit erweisen wird, ist
die Auslese mit psychologischen Tests. Ansätze für die-
ses Instrument entstanden in der Psychiatrie. Im Bereich
des Schulwesens wurde es weiterentwickelt, Binets Intel-
ligenztest ist das folgenreichste Beispiel. Zu Beginn des
20. Jahrhunderts wurde versucht, Schulabgänger mit Eig-
nungstests berufsberatend zu helfen. Diese Tests enthiel-
ten eine Komponente, die dem Binetschen Verfahren fehl-
te. Sie bedienten sich der Methoden, die im Labor zum
Zwecke der reinen Forschung entwickelt wurden,
insbesondere der Reaktionszeitmessung. Der entschei-
dende Impuls zu einer Veränderung des Faches Psycholo-
gie entstand allerdings aus Anwendungen im Kriege.
Im Ersten Weltkrieg wurden Selektionsmethoden ent-
wickelt und in großem Maßstab angewendet. Dazu zog
man zwei Arten Psychologiebewanderter heran. Einerseits
Mediziner, die auch Psychologie studiert hatten. Sie führ-
ten die Eignungsuntersuchungen in der Heeresfliegerei
durch und wurden bei der Rehabilitation Kriegsbeschä-
digter und der Behandlung Nervenleidender eingesetzt.
Andererseits Absolventen der Philosophischen Fakultät,
die mit einer psychologischen Arbeit promoviert hatten.
Sie führten die Eignungsuntersuchungen trotz fehlen-
der medizinischer Ausbildung bei Kraftfahrern durch, so
Walther Moede und Curt Piorkowski, die beide im Leip-
ziger Institut Meumanns unter Max Brahn gearbeitet
hatten. Einzelheiten finden sich bei Gundlach (1995; 1996).
Nach dem Ersten Weltkrieg blieb die Hauptlinie der
Anwendung der Psychologie die des Beitrags zu anderen
Berufsausbildungen, insbesondere des Lehrers, wie er bis
heute geleistet wird. Eine zweite Linie forderte, das Fach
Psychologie müsse Grundlage eines eigenen Berufes wer-
den. Sie war vor dem Weltkrieg durch Aloys Fischer (1913)
vertreten, danach besonders deutlich durch Karl Marbe
(1921; 1922) und Fritz Giese, der in der Reihe der Dünn-
hauptschen Studien- und Berufsführer einen Studien-
gang mit einer Diplom-Prüfung als Abschluss sowie ein
zugehöriges Psychologisches Praktikum (Giese, 1922,
1923) entwarf. Dies blieb jedoch die Minderheitenmei-
nung.
Erst durch den ausgedehnten Einsatz psychologi-
scher Spezialisten in der Wehrmacht und die Reichs-
diplomprüfungsordnung von 1941 (Kroh, 1941, 1943;
anon., 1942) wurde dieser von Marbe und Giese vorge-
zeichnete Weg begangen, wie Geuter (1984) dargestellt
hat. Die Prüfungsordnung von 1941 verändert das durch
eine andere Prüfungsordnung 1824 institutionalisierte
Fach Psychologie gründlich. Sie führt zu Lehrstühlen, die
nicht mehr durch Philosophie, Psychologie und Pädago-
gik, sondern allein durch das zum Hauptfach avancierte
Fach Psychologie und seine Unterfächer definiert werden.
Die aufkommende Angewandte Psychologie verfolgte
zwei Linien. Einmal die alte der Hilfswissenschaft für ande-
re Berufe, sodann die neue des Berufs des Psychologen.
Sie tat dies auf zwei Wegen, in den alten Berufen und
Fakultäten sowie in den neuen Bereichen einer immer stär-
ker technikbestimmten Welt. Der vermutlich entscheiden-
de Impuls für die Angewandte Psychologie entstand aus
diesen neuen Bereichen, etwa der Verkehrspsychologie,
der Ingenieurpsychologie, der Arbeitspsychologie, und
besonders der Militärpsychologie.
Dahinter ist eine Entwicklung anzunehmen, die sich
außerhalb der Psychologie abspielte. Die technischen Ge-
rätschaften der Kultur der Industriestaaten wurden
zusehends komplexer, aufwendiger und teurer. Mit dem
20. Jahrhundert erreichte diese Komplexität ein Ausmaß,
das auf die Bediener der Gerätschaften zurückschlägt. Da
der Sachschaden, den ein einzelner Untauglicher mit einer
Lokomotive oder einem Automobil oder an einer Produk-
tionsanlage anrichten kann, gewaltige Größenordnungen
erreicht, wird es ratsam, sich über die Qualifikation derjeni-
gen, die zu ihrer Bedienung zugelassen und ausgebildet
werden sollten, bereits vor Ausbildung und Umgang mit
der Maschine zu vergewissern. Das verlangt neue Selekti-
onsmethoden. Das überkommene Vorgehen, das sich auf
Urteile der Pfarrer oder Ärzte oder Lehrer stützte, genügte
nicht mehr.
So traten Leute auf, die erklärten, sie verfügten über
das Wissen, solche neuen Methoden zu entwickeln und
einzusetzen. Sie definierten sich über das Fach Psycholo-
gie und als Psychologen, denn die Grundlage ihres Han-
delns hatten sie in psychologischen Experimentallabors
erlernt. Sie erzählten auch, die Angewandte Psychologie
sei zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem psychologischen
Experimentallaboratorium der Universität als Stätte der
reinen Forschung entsprungen und strebe nun nach
Nutzanwendung für die Gesellschaft. Dabei hatten sie
allerdings vergessen, dass die Entstehung und Fortdauer
des Faches Psychologie sich bereits aus einem Anwen-
dungskontext ergeben hatte.
Dieser Anwendungskontext besteht noch heute. Psy-
chologie ist weiterhin Bestandteil der Lehrerausbildung.
Und manche andere Fakultät versieht ihre Absolventen
heute mit einem Quentchen Psychologie als einer Hilfs-
wissenschaft. Man denke an die Pastoralpsychologie, an
Psychologie für Juristen, an medizinische Psychologie etc.
Dieser ursprüngliche Anwendungsbezug des Faches
Psychologie ist also der einer Dienstbarkeit für einen Be-
ruf, der sich nicht über das Fach Psychologie definiert.
Daneben hat sich allerdings die unerwartete Entwick-
lung des Faches Psychologie zu einem eigenständigen
Berufsausbildungsfach zugetragen, deren Mitglieder sich
über das Fach Psychologie definieren. Dies hat das Fach
erheblich verwandelt, nicht zuletzt durch einen paradoxen
Rückzug aus vielen Teilen des Gebietes der Psychologie,
deren Dienlichkeit für die Berufsausbildung der Psycholo-
gen nicht oder nur zu spät erkannt wurde. So deckt das
Fach Psychologie heute nur Segmente des Gebietes Psy-
chologie ab. Der keineswegs winzige Rest wird außerhalb
des Faches behandelt.
198
Horst Gundlach
Festzuhalten ist jedenfalls, dass das Fach Psychologie
nicht als eine Abbildung des Gebietes Psychologie in die
Landschaft der universitären Fakultäten entstanden ist,
sondern aus Anwendungswünschen heraus entstand
und aus Anwendungswünschen heraus weiterbesteht,
gleichviel ob diese einer Profession gelten, die sich über
das Fach definiert, oder ob die Psychologie anderen Pro-
fessionen Hilfsdienste leisten soll.
Weiterführende Bemerkungen
Neben dem Ziel, die genetischen Beziehungen zwischen
Angewandter und Reiner Psychologie aufzuzeigen, wur-
de im Vorstehenden ein zweites verfolgt. Es sollte die Be-
hauptung plausibel gemacht werden, dass Aussagen über
die Geschichte der Psychologie in den letzten zwei Jahr-
hunderten solange nicht sinnvoll sein können, wie sie
nicht deutlich erklären, ob sie sich auf das Fach Psycholo-
gie oder aber auf das Gebiet Psychologie beziehen. Es
sollte außerdem die Vermutung als nicht unbegründet
erscheinen, dass es lohnen könnte, die Geschichte der
Psychologie in zweierlei Bedeutungen sub specie dieser
Differenz neu in Augenschein zu nehmen. Dabei ist das
Prüfungsfach Psychologie im Staatsexamen der Lehramts-
studenten wegen seiner langfristigen Existenz eine Struk-
turgegebenheit der Philosophischen Fakultäten, zu der
viele Ereignisse der Geschichte der Psychologie in ange-
messene Relation gesetzt werden müssen. Psychologie
wurde gern präsentiert als „a German ideal of Wissen-
schaft“, aber dieses Ideal erhob sich auf der Basis des
1824 institutionalisierten Faches Psychologie, das dem
Ideal Grenzen vorgab, die erst mit der Einführung des
Diplom-Studienganges revidiert wurden.
Die Geschichte der Beziehungen zwischen Psycholo-
gie, Physiologie, Psychiatrie, Soziologie, Philosophie etc.,
so sei weiter behauptet, ließen sich mit der Differenz zwi-
schen Gebieten und Fächern einer schärferen Fassung
zuführen. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei die Legende
von der Emanzipation der Psychologie von der Philoso-
phie erwähnt. Die Diplomprüfungsordnung von 1941 hat
zweifellos zur Emanzipation des Faches Psychologie vom
Fach Philosophie geführt. Das Fach Psychologie hatte
dabei schon mehr als ein Jahrhundert der definitorischen
Zupassung auf die Rolle des Unterfaches des Faches
Philosophie hinter sich. Das Fach Philosophie seinerseits
hatte einen zumindest ebenso langen Prozess des Zu-
schnitts für bestimmte, oben erwähnte Zwecke erfahren.
Was die Vermutung nahe legt, dass diese Fächer um eini-
ges anders zugeschnitten waren als gleichnamige Gebiete.
Die Verfachlichungsprozesse besagen wenig über die Be-
ziehung zwischen einem Gebiet Psychologie und einem
Gebiet Philosophie. Ob es jemals zu einer Befreiung des
Gebietes Psychologie von dem Gebiet Philosophie gekom-
men ist, ist offensichtlich eine gänzlich anders geartete
Frage als die nach den Fächerverhältnissen. Während die
Untersuchung der fachlichen Beziehungen die universitä-
ren Strukturen und deren Entstehung, Beharrung und
Wandlungen zur Grundlage haben muss, erscheinen die-
se Strukturen für die andere Frage gänzlich unerheblich,
falls denn so zu fragen überhaupt sinnvoll ist. Das belieb-
te Bild von der Emanzipation der Psychologie von der
Philosophie ist folglich eher zur Produktion unklarer Vor-
stellungen geeignet als zur Erzeugung der gehörigen
Gründlichkeit, Klarheit und Ordnung im Denken über die
Zusammenhänge in diesem einen Beispiel. Weitere Bei-
spiele, die den Nutzen der dargelegten Differenz aufzei-
gen, sind reichlich zu finden.
Literatur
anon. (1942). Die neuen Reichsbestimmungen über den Gang
und Abschluß des fachpsychologischen Studiums. Zeit-
schrift für pädagogische Psychologie und Jugendkunde, 43,
29–30.
Ash, M. G. (1980). Academic politics in the history of science:
Experimental psychology in Germany, 1879–1914. Central
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Boring, E. G. (1929). A history of experimental psychology. New
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Prof. Dr. Horst Gundlach
Institut für Geschichte der Psychologie
Universität Passau
94032 Passau
E-Mail: gundlach@uni-passau.de