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183
Personenbezeichnungen und Textqualität
„Aus Gründen der Verständlichkeit ...“:
Der Einfluss generisch maskuliner und
alternativer Personenbezeichnungen
auf die kognitive Verarbeitung
von Texten
Friederike Braun, Susanne Oelkers, Karin Rogalski,
Janine Bosak und Sabine Sczesny
Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 32 (4), 307–314,
Psychologische Rundschau, 58 (3), 183–189 © Hogrefe Verlag Göttingen 2007
DOI: 10.1026/0033-3042.58.3.183
Sonderdruck aus:
Zusammenfassung. Gegen geschlechtergerechte Sprache wird häufig eingewandt, dass sie die Qualität und die kognitive
Verarbeitung von Texten beeinträchtige. Um diese Annahme zu testen, lasen 86 deutschsprachige Teilnehmende drei ver-
schiedene Versionen einer fiktiven Packungsbeilage eines Medikaments, die hinsichtlich der Form der Personenbezeichnung
– generisches Maskulinum, Beidnennung mit Neutralisierung, Binnen-I – variierten. Es wurde erhoben, wie gut sich die
Teilnehmenden an die Inhalte des Textes erinnerten und wie sie den Text im Hinblick auf verschiedene Merkmale der
Textqualität bewerteten, d.h. Verständlichkeit, Güte der Formulierungen und Lesbarkeit. Weibliche Teilnehmende zeigten bei
allen drei Textversionen eine ähnlich gute Erinnerungsleistung und bewerteten die verschiedenen Textversionen als
gleichermaßen verständlich. Die männlichen Teilnehmenden unterschieden sich ebenfalls nicht bedeutsam in der Erinnerungs-
leistung für die drei Textfassungen, bewerteten die generisch maskuline Textfassung jedoch am besten.
Schlüsselwörter: Kognitive Textverarbeitung, geschlechtergerechte Formulierung, generisches Maskulinum
“For reasons of intelligibility ...”. How masculine generics and alternative forms affect the cognitive processing of a text
Abstract. It is frequently argued that gender-fair language impairs processing of textual information. To test this assumption,
86 native speakers of German read three versions of a fictitious package leaflet that varied with regard to the personal nouns
used: a generic masculine version and two gender-fair ones. Subsequently, participants answered questions about the content of
the text and evaluated the text with regard to various criteria of textual quality. Female participants recalled a similar amount
of details when answering questions on the generic masculine text and the gender-fair versions and they rated the intelligibility
of all versions similarly. Male participants also recalled a similar amount of details in all three versions. However, concerning
intelligibility they preferred the masculine generic text over the gender-fair versions.
Key words: cognitive text processing, gender-fair language, masculine generics
„Ein Wort zur Sprache: Wenn in dieser Untersuchung Be-
griffe wie ‚Bauern‘, ‚Tagelöhner‘ oder ‚Emigranten‘ ver-
wendet werden, dann sind damit in aller Regel Menschen
beiderlei Geschlechts gemeint. Aus Gründen der Ver-
ständlichkeit und des möglichst flüssigen und rhythmi-
schen Lesens ist der Text vorwiegend in männlicher Form
gehalten“ (Pfister, 1995, S. 12).
Derartige Anmerkungen, die beispielsweise in Bü-
chern oder Faltblättern nicht selten anzutreffen sind, un-
terstellen, dass geschlechtergerechte Formulierungen zu
einer Beeinträchtigung der Qualität und der kognitiven
Verarbeitung von Texten führen könnten. Mit solchen
Begründungen wird vielfach am herkömmlichen Sprach-
gebrauch festgehalten, obwohl zahlreiche sprachpsycho-
logische Untersuchungen zeigen, dass maskuline Perso-
nenbezeichnungen zu eher männlich geprägten kogniti-
ven Repräsentationen führen und daher Frauen und Män-
ner nicht in gleicher Weise als Kategorie verfügbar sind
(für einen Überblick siehe Irmen & Linner, 2005).
Ob und inwieweit das Lesen durch geschlechterge-
rechte Formulierungen tatsächlich beeinträchtigt wird, ist
in kognitionspsychologischer Forschung bisher kaum
empirisch untersucht worden. Als mögliche Gründe für
die Beeinträchtigung der kognitiven Verarbeitung von
geschlechtergerechten Texten könnte eine höhere Belas-
tung des Arbeitsgedächtnisses (genauer, der phonologi-
schen Schleife; vgl. Baddeley, 2002) durch die oft größere
Länge wie auch eine erschwerte Verarbeitung durch die
geringere Auftretenshäufigkeit (vgl. Kliegl, Grabner, Rolfs
& Engbert, 2004) der alternativen Formen in der Sprache
184
Friederike Braun et al.
angeführt werden (siehe auch Steiger & Irmen in diesem
Band). Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, die Wir-
kung geschlechtergerechter Texte im Vergleich zu traditio-
nell formulierten Texten auf die Erinnerungsleistung und
auf verschiedene Merkmale der Textqualität zu explorie-
ren.
Geschlechtergerechte Sprache:
Forschungsstand und aktuelle Debatten
Seit den 1970er Jahren wird im deutschsprachigen Raum
um sprachliche Gleichstellung gestritten. Die Diskussion
konzentriert sich auf die folgende linguistische Besonder-
heit: Wenn männliche und weibliche Personen gleicher-
maßen gemeint sind oder das Geschlecht von bezeichne-
ten Personen irrelevant ist, wird im Deutschen traditionell
die maskuline Form verwendet (Duden, 1995 und ältere
Auflagen). Diese sprachliche Konvention wird als gene-
risches Maskulinum (GM) bezeichnet (vgl. Stahlberg,
Braun, Irmen & Sczesny, 2007). An der Verwendung des
GM im allgemeinen Sprachgebrauch wurde vielfach kriti-
siert, dass diese Form die kognitive Repräsentation von
Frauen verhindere. Daher sollte sie durch geschlechterge-
rechte Alternativen wie Neutralisierungen (z.B. Perso-
nen), Beidnennung (z.B. Patienten und Patientinnen)
oder Binnen-I-Formen (z.B. PatientInnen) ersetzt werden
(z.B. Peyer & Wyss, 1998). Seit den 1990er Jahren wurden
Studien zur Auswirkung generisch maskuliner und alter-
nativer Formen auf die mentale Repräsentation sprachlich
vermittelter Personeninformation durchgeführt. Diese em-
pirischen Untersuchungen belegen, dass GM-Formen tat-
sächlich stärker an Männer denken lassen und in geringe-
rem Ausmaß zur kognitiven Einbeziehung von Frauen füh-
ren als alternative Formen (vgl. z.B. Braun, Sczesny &
Stahlberg, 2002; Heise, 2000, 2003; Irmen & Köhncke,
1996; Stahlberg & Sczesny, 2001; für die Ergebnisse in
Rothermund, 1998, gilt dies allerdings nur eingeschränkt).
Dieses Phänomen wird durch verschiedene Prozesse
erklärt und begünstigt: Während auf kognitiver Ebene of-
fenbar eine Verknüpfung zwischen grammatischem und
natürlichem Geschlecht hergestellt wird, können zudem
motivationale Prozesse, die durch die alternativen Sprach-
formen in Gang gesetzt werden, dazu beitragen, dass
männliche Assoziationen überwunden und weibliche Ex-
emplare aktiviert werden (vgl. Stahlberg & Sczesny, 2001).
Ferner beeinflusst das Geschlecht der Wahrnehmenden
die Assoziationen, so dass weibliche Rezipierende häufi-
ger Frauen mit der generischen Form assoziieren als männ-
liche Rezipierende (z.B. Heise, 2000, 2003; Stahlberg,
Sczesny & Braun, 2001).
Nachdem die empirische Forschung übereinstimmend
den Einfluss geschlechtergerechter Formulierung auf die
mental repräsentierte und verfügbare Personeninforma-
tion bestätigt hat, rücken nun Fragen der Anwendung und
Umsetzbarkeit sprachlicher Gleichstellung stärker in den
Vordergrund. Der Fokus verschiebt sich allmählich vom
ob beziehungsweise vom warum zum wie. Die zunehmen-
de Bedeutung anwendungsbezogener Fragen liegt auch
deshalb nahe, weil in Deutschland inzwischen gesetzliche
und institutionelle Regelungen gelten, die sprachliche
Gleichstellung verlangen. So heißt es beispielsweise in § 1
(2) des Bundesgleichstellungsgesetzes: „Rechts- und Ver-
waltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstel-
lung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Aus-
druck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schrift-
verkehr.“ Derartige Regelungen wurden auch auf anderen
politischen Ebenen der Bundesrepublik sowie in anderen
deutschsprachigen Ländern getroffen (z.B. für Schleswig-
Holstein vgl. Amtsblatt Schleswig-Holstein, 1990, S. 324;
Stadt Zürich, 1996). Infolgedessen wird geschlechterge-
rechte Formulierung zunehmend zur sprachlichen Realität.
So sind inzwischen auch in anderen Texten, beispielswei-
se in Formblättern, Broschüren, Wahlprogrammen oder
Packungsbeilagen von Medikamenten, geschlechterge-
rechte Sprachformen zu finden. Exemplarisch ist hier die
Satzung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie zu
nennen, die (in der Fassung vom 24. 9. 2002) geschlechter-
gerecht formuliert ist, sowie die Packungsbeilagen von
Medikamenten der Schweizer Unternehmen Pfizer und
Mundipharma, die ebenfalls geschlechtergerecht gehal-
ten sind.
Während sich auf der einen Seite, wie eben erläutert,
Veränderungen in Richtung auf einen geschlechterge-
rechten Sprachgebrauch vollziehen, bleiben auf der ande-
ren Seite Bedenken bestehen, dass solche Formulierun-
gen schwer lesbar seien und dass sie die Verständlichkeit
und die sprachliche Eleganz von Texten beeinträchtigen
würden. In der Tat ist es nicht allzu schwer, Negativbei-
spiele für geschlechtergerechte Formulierungen zu finden,
die diese Bedenken stützen: Beispielsweise lautet ein
Auszug aus § 54, Abs. 3 des Landesbeamtengesetzes von
Schleswig-Holstein (in der Fassung vom 3. August 2005;
GVOBl, 2005, S. 283, zuletzt geändert durch das Gesetz
vom 28.3.2006, GVOBl, 2006, S. 31) folgendermaßen: „Der
Beamtin oder dem Beamten kann zur Vermeidung ihrer
oder seiner Versetzung in den Ruhestand unter Beibehal-
tung ihres oder seines Amtes ohne ihre oder seine Zustim-
mung auch eine geringerwertige Tätigkeit innerhalb ihrer
oder seiner Laufbahngruppe im Bereich desselben Dienst-
herrn übertragen werden, wenn eine anderweitige Ver-
wendung nicht möglich ist und der Beamtin oder dem
Beamten die Wahrnehmung der neuen Aufgabe unter
Berücksichtigung ihrer oder seiner bisherigen Tätigkeit
zuzumuten ist.“
Für eine faire Bewertung der generischen Bezeichnun-
gen sollte aber nicht eine gut formulierte GM-Version mit
einer oder mehreren ungeschickt formulierten geschlech-
tergerechten Versionen kontrastiert werden. Ein solcher
Kontrast beweist noch nicht, dass geschlechtergerechte
Formulierung an sich Texte „ungenießbar“ macht. Unan-
gebracht wäre es zum Beispiel, alle maskulinen Personen-
bezeichnungen eines traditionell formulierten Textes sche-
matisch durch Beidnennungen zu ersetzen und diese Text-
version mit dem Original zu vergleichen. Stattdessen emp-
fiehlt es sich, geschlechtergerechte Texte auf der Basis
von einschlägigen Ratgebern oder Leitfäden zu erstellen
(vgl. z.B. Braun, 2000; Hellinger & Bierbach, 1993; Schwei-
185
Personenbezeichnungen und Textqualität
zerische Bundeskanzlei, 1996) und diese in einem empiri-
schen Test mit der GM-Version in Hinblick auf zentrale
Merkmale der Textqualität (z.B. Verständnis, Lesbarkeit,
Prägnanz) zu vergleichen. Unseres Wissens liegen derzeit
nur zwei empirische Untersuchungen zur wahrgenomme-
nen Textqualität bei unterschiedlichen generischen For-
mulierungen im Deutschen vor (Frank-Cyrus & Dietrich,
1997; Rothmund & Christmann, 2003).
Frank-Cyrus und Dietrich (1997) legten in einer Mei-
nungsumfrage zur Formulierung von Gesetzestexten den
Teilnehmenden jeweils denselben Auszug aus dem Pfle-
geversicherungsgesetz in einer Version mit generischem
Maskulinum, einer Version mit Neutralisierung und einer
Version mit Beidnennung vor. Beispielsweise war in der
Originalfassung von Vertretern der Pflegekassen die
Rede, in einer weiteren von den Pflegekassen und in einer
dritten von Vertretern oder Vertreterinnen der Pflege-
kassen. Die Teilnehmenden beantworteten Fragen zur
Berücksichtigung der Geschlechter in den verschiedenen
Versionen, zur Verständlichkeit des Textes sowie, welche
Version sie sich als Gesetzestext wünschten.
Die Ergebnisse zeigten, dass sich nur 19% der Befrag-
ten die Originalfassung in generisch maskuliner Form als
Gesetzestext wünschten, 42% der Befragten wünschten
die neutralisierte Form und 37% der Befragten die Form
mit Beidnennung. Die generisch maskuline Fassung wur-
de als am verständlichsten und stilistisch besten beurteilt
(je 70% positive Bewertungen für diese Aspekte), aller-
dings bezeichneten auch 62% der Befragten die Beidnen-
nung als gut verständlich und 57% der Befragten die neu-
tralisierte Version. Die GM-Version wurde im Unterschied
zu den alternativen Formen als wenig geschlechtergerecht
empfunden. Ein Einfluss des Geschlechts der Befragten
zeigte sich insofern, als weibliche Befragte häufiger die
Beidnennung, männliche Befragte dagegen häufiger die
Neutralisierung favorisierten. Insgesamt zeigt diese Stu-
die somit eine hohe Akzeptanz geschlechtergerechter For-
mulierungen.
Die Studie von Rothmund und Christmann (2003) kon-
zentrierte sich auf die Frage, ob geschlechtergerechte For-
mulierungen – wie häufig vermutet wird – dazu führen,
dass Texte subjektiv schwerer verständlich und schlech-
ter lesbar sind. Teilnehmende lasen einen Text über Ther-
malbäder in Budapest. Dieser Text lag in einer konsequent
maskulin gehaltenen Form vor, in einer Mischung aus
Paarformen und GM, in einer Mischung aus Paarformen
und Verwendung des Wortes Person und in einer masku-
linen Version mit einer Fußnote, die auf die Einbeziehung
von Frauen hinwies. Die Teilnehmenden beurteilten
jeweils eine Textversion im Hinblick auf die Lesbarkeit und
andere Aspekte der Textqualität (z.B. sprachliche Ästhe-
tik). Die Ergebnisse zeigten, dass die verschiedenen For-
mulierungen weder einen Einfluss auf die Bewertung der
Lesbarkeit noch der anderen Aspekte der Textqualität hat-
ten. Demnach bewirkten die getesteten Alternativen zum
GM keine Verschlechterung der Textverständlichkeit. Ein
signifikanter Effekt ergab sich lediglich für die sprachliche
Ästhetik, weil die Version Paarform + Person in diesem
Aspekt als schlechter beurteilt wurde als die GM-Version.
Das Geschlecht der Befragten und ihre Einstellung zu ge-
schlechtergerechten Formulierungen hatten keinen Ein-
fluss auf die Bewertungen.
Insgesamt deuten diese ersten Befunde darauf hin,
dass sowohl die wahrgenommene Verständlichkeit als
auch die stilistische Qualität eines Textes abnehmen kann,
wenn bestimmte Formen geschlechtergerechter Formulie-
rung verwendet werden (Frank-Cyrus & Dietrich, 1997),
dass dies aber nicht grundsätzlich und nicht bei allen un-
tersuchten Varianten geschieht (Rothmund & Christ-
mann, 2003).
Fragestellung und Hypothesen
Die vorliegende Studie greift einige Fragen auf, die in den
bisherigen Untersuchungen noch nicht beantwortet wur-
den. So wurde in den beschriebenen Studien lediglich die
subjektive Wahrnehmung der Teilnehmenden erfasst (z.B.
die Bewertung der Lesbarkeit des Textes), aber keine ob-
jektiven Kriterien für die Textqualität, wie beispielsweise
die Erinnerungsleistung für Informationen im Text. Auch
ist anzumerken, dass die bei Rothmund und Christmann
(1997) verwendeten Formulierungsalternativen (z.B. Kom-
bination aus Beidnennung und GM) nicht als „gleichstel-
lungsadäquat“ gelten können, da sie den einschlägigen
Empfehlungen nicht entsprechen und die Kombination
von Paarformen mit nur einer bestimmten Neutralform
(Person) unüblich ist. Es stellt sich also weiterhin die Fra-
ge, ob im Vergleich zu traditionellen Formulierungen
gleichstellungsadäquate Formulierungen, wie beispiels-
weise die Beidnennung in Kombination mit verschiede-
nen Neutralisierungen oder auch das Binnen-I, tatsäch-
lich die Textverarbeitung beeinträchtigen.
Um die kognitive Verfügbarkeit der durch einen Text
vermittelten Informationen zu prüfen, wurde in der vorlie-
genden Studie nicht nur die subjektive Bewertung ver-
schiedener Merkmale der Textqualität erhoben, sondern
auch die Informationsaufnahme und -reproduzierbarkeit
objektiv überprüft, indem die Erinnerungsleistung für ein-
zelne Textinformationen erfasst wurde. Der vorgegebene
Text selbst variierte nur in der Form der Personenbezeich-
nung: In einer Bedingung wurde die traditionelle Form
Generisches Maskulinum realisiert, in einer weiteren Fas-
sung eine geschlechtergerechte Formulierung mit Beid-
nennung und Neutralisierung
1
und in einer dritten Fas-
sung eine geschlechtergerechte mit Binnen-I. Basierend
auf den oben beschriebenen kognitionspsychologischen
Überlegungen zu möglichen Beeinträchtigungen bei der
Verarbeitung von geschlechtergerechten Texten und den
Befunden von Frank-Cyrus und Dietrich (1997) zur Text-
verständlichkeit lauten unsere Hypothesen folgender-
maßen:
1
Eine durchgehend neutralisierte Textfassung wurde nicht rea-
lisiert, weil neutrale Personenbezeichnungen für viele Bereiche feh-
len oder konstruiert wirken (z.B. die Behandelten, das ärztliche
Personal). mmm mm
186
Friederike Braun et al.
Hypothese 1: Der Inhalt geschlechtergerechter Text-
fassungen wird schlechter erinnert als der Inhalt der GM-
Fassung.
Hypothese 2: Geschlechtergerechte Textfassungen
werden hinsichtlich verschiedener Aspekte ihrer Textqua-
lität, wie Verständlichkeit, Formulierungsgüte und Lesbar-
keit, schlechter beurteilt als die GM-Fassung.
Auf Grund von Befunden anderer Untersuchungen zu
generischen Formulierungen (z.B. Frank-Cyrus & Diet-
rich, 1997; Stahlberg et al., 2001) wurde das Geschlecht der
Teilnehmenden als potenzielle Moderatorvariable miter-
hoben.
Methode
Stichprobe
An der Untersuchung nahmen 86 Personen teil, davon 42
Männer. Das Alter der befragten Personen variierte zwi-
schen 17 und 62 Jahren (M = 32.7 Jahre, SD = 11.63). Der
Bildungshintergrund war breit gefächert. Es nahmen Stu-
dierende wie auch Personen aus dem außeruniversitären
Bereich teil. Die Versuchsteilnehmenden wurden in Hin-
blick auf ihr Alter und ihren Bildungshintergrund per Zu-
fall den sechs Zellen des Designs zugeteilt, die aus den
Kombinationen des Geschlechts mit der Textfassung re-
sultierten. Ferner wurden pro Textversion gleich viele
Frauen und Männer befragt.
Unabhängige Variablen
In der vorliegenden Studie wurde der Einfluss geschlech-
tergerechter Sprache auf die Erinnerungsleistung und auf
die Bewertung verschiedener Merkmale der Textqualität
anhand von Packungsbeilagen für Medikamente unter-
sucht. Diese Textsorte wurde ausgewählt, da 1. die Formu-
lierungen in solchen Texten für einen möglichst großen
Kreis von Rezipierenden geeignet sein müssen und 2. für
diese Textsorte die Formulierungsqualität eine entschei-
dende Rolle spielt, weil die gegebenen und erinnerten In-
formationen relevant für die Gesundheit der Lesenden
sind, gegebenenfalls sogar lebenswichtig werden können.
Für die Untersuchung wurde in Anlehnung an authenti-
sche Beispiele eine fiktive Packungsbeilage konstruiert.
Die verschiedenen Versionen der Packungsbeilage waren
hinsichtlich des Inhalts wie auch des Layouts standardi-
siert. Somit variierte die Packungsbeilage nur in der Form
der Personenbezeichnungen.
Drei verschiedene Versionen des Textes repräsentier-
ten die erste unabhängige Variable Textfassung: 1. eine
traditionell formulierte GM-Version (z.B. Diabetiker, Pa-
tienten), 2. eine geschlechtergerechte Version, die den
Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache ent-
spricht und Beidnennung mit Neutralisierungen kombi-
niert (z.B. Diabetikerinnen und Diabetiker, Personen
etc.), und 3. eine Version mit Binnen-I (z.B. DiabetikerIn-
nen, PatientInnen). Beispielsweise lautete die Packungs-
beilage des Medikaments in der Version Beidnennung mit
Neutralisierung folgendermaßen:
„Mit SANOXOL
©
wurde Ihnen ein hoch wirksames
Medikament zur Behandlung von entzündlichen Atem-
wegserkrankungen verschrieben. Bitte lesen Sie diese Ge-
brauchsinformation aufmerksam. Sie enthält wichtige Hin-
weise zur Anwendung von SANOXOL
©
. Bei Fragen holen
Sie bitte ärztlichen Rat ein oder erkundigen Sie sich in Ihrer
Apotheke. Dosierungsanleitung: Wenn nicht anders ver-
ordnet, nehmen Erwachsene dreimal täglich eine Tablette
SANOXOL
©
unzerkaut mit etwas Flüssigkeit. Insbeson-
dere Patientinnen und Patienten mit empfindlichem Ma-
gen wird empfohlen, SANOXOL
©
direkt nach den Mahl-
zeiten einzunehmen. Warnhinweise: Diabetikerinnen, Dia-
betiker und Personen mit Bluthochdruck sollten vor der
Behandlung mit SANOXOL
©
ärztlichen Rat einholen. In
der Schwangerschaft darf SANOXOL
©
nicht angewendet
werden, um zu vermeiden, dass es zu vorzeitigen Wehen
kommt. Nebenwirkungen: Bei den folgenden Nebenwir-
kungen ist zu berücksichtigen, dass sie dosisabhängig
und individuell unterschiedlich sind: Schleimhautreizun-
gen, Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Herzrasen. Per-
sonen, bei denen die genannten Symptome auftreten, soll-
ten sich an ihre Ärztin oder ihren Arzt wenden, damit diese
über die weitere Anwendung und Dosierung von SANO-
XOL
©
entscheiden. Bei akuter oder sich rasch verschlim-
mernder Atemnot muss unverzüglich ärztliche Hilfe in
Anspruch genommen werden.“
Ferner wurde das Geschlecht der Teilnehmenden am
Ende des Fragebogens erfasst. Somit resultierte ein 3
(Textfassung) × 2 (Geschlecht der Teilnehmenden) fakto-
rielles between-subjects Design.
Abhängige Variablen
Erinnerungsleistung. Nachdem die Teilnehmenden die
Packungsbeilage gelesen hatten, wurde im Sinne eines
objektiven Kriteriums mittels vier Fragen ermittelt, wie gut
sie den Textinhalt tatsächlich aufgenommen und behalten
hatten. Bei der Beantwortung der Fragen wurde sicherge-
stellt, dass die Teilnehmenden nicht im Text zurückblätter-
ten. Zu jeder der vier Fragen lagen drei Antwortoptionen
(eine richtige und zwei falsche) vor. Beispielsweise ent-
hielt der Fragebogen die Frage „Welche Erkrankungen
werden mit SANOXOL
©
behandelt?“. Die Teilnehmenden
kreuzten die aus ihrer Sicht richtige Antwort an (Durchfall,
Schlafstörungen oder Atemwegserkrankungen). Die ab-
hängige Variable bestand somit in der Anzahl korrekt erin-
nerter Inhalte; es konnten maximal vier korrekte Antwor-
ten gegeben werden.
Bewertung der Textqualität. Um die subjektive Be-
wertung der Textqualität zu erfassen, wurden die Teilneh-
menden gebeten, die Packungsbeilage hinsichtlich ihrer
Verständlichkeit, der Güte der Formulierungen und der
Lesbarkeit auf einer 5-stufigen Ratingskala (von 1 sehr
schlecht verständlich bis 5 sehr gut verständlich, von 1
187
Personenbezeichnungen und Textqualität
sehr schlecht formuliert bis 5 sehr gut formuliert, von 1
gar nicht flüssig zu lesen bis 5 sehr flüssig zu lesen) zu
beurteilen.
Durchführung
Unter dem Vorwand einer Studie zur Verständlichkeit von
Produktinformationen wurden die Teilnehmenden gebe-
ten, die Packungsbeilage eines Medikaments zu lesen und
anschließend einen Fragebogen auszufüllen. Nachdem die
Teilnehmenden den Text gelesen hatten, bearbeiteten sie
die folgenden Aufgaben ohne die Möglichkeit des erneu-
ten Lesens. Die Teilnehmenden beantworteten zunächst
Fragen zum Inhalt des Textes und bewerteten diesen an-
schließend hinsichtlich verschiedener Merkmale der Text-
qualität. Nachdem die Teilnehmenden den ausgefüllten
Fragebogen zurückgegeben hatten, wurde ihnen für ihre
Teilnahme gedankt und sie wurden über den Zweck des
Experiments aufgeklärt.
Ergebnisse
Erinnerungsleistung
Mit einer 3 (Textfassung) × 2 (Geschlecht der Teilnehmen-
den) faktoriellen Varianzanalyse wurde zunächst der Ein-
fluss auf die Anzahl korrekt erinnerter Inhalte untersucht
(vgl. Tabelle 1 für die Mittelwerte und Standardabwei-
chungen)
2
. Diese Analyse ergab einen signifikanten
Haupteffekt des Faktors Geschlecht der Teilnehmenden,
F(1, 80) = 4.57, p = .036, K
2
= .054. Weibliche Teilnehmende
(M = 3.89) erinnerten mehr Inhalte korrekt als männliche
Teilnehmende (M = 3.60). Ferner zeigte die Analyse eine
signifikante Interaktion für die Textfassung und das Ge-
schlecht der Teilnehmenden, F(2, 80) = 3.67, p = .03, K
2
=
.084. Separate Analysen für die Geschlechter zeigten
einen signifikanten Haupteffekt des Faktors Textfassung
für männliche Teilnehmende, F(2, 80) = 3.75, p = .028, K
2
=
.086, jedoch nicht für weibliche Teilnehmende, F(2, 80) =
0.83, p = .44. Absolut betrachtet erinnerten männliche Teil-
nehmende mehr Inhalte korrekt, wenn ihnen ein Text mit
Beidnennung (M = 3.93) als ein Text mit Binnen-I vorlag
(M = 3.57), und sie zeigten die schlechteste Erinnerungs-
leistung für den GM-Text (M = 3.29); entsprechende post-
hoc Vergleiche waren jedoch nicht signifikant (Scheffe-
Tests, ps > .14).
Bewertung der Textqualität
Die drei Einschätzungen zur Textqualität korrelierten sig-
nifikant miteinander, rs (86) > .55, ps < .001. Um die ver-
schiedenen Aspekte der Textqualität in differenzierter
Weise zu untersuchen, wurde eine 3 (Textfassung) × 2
(Geschlecht der Teilnehmenden) faktorielle multivariate
Varianzanalyse (MANOVA) mit den abhängigen Variab-
len Textverständnis, Qualität der Formulierungen und Les-
barkeit berechnet (vgl. Tabelle 2 für die Mittelwerte und
Standardabweichungen). Diese Analyse ergab eine mar-
ginal signifikante multivariate Interaktion der Faktoren
Textfassung und Geschlecht der Teilnehmenden, F(6,
156) = 1.98, p = .071, K
2
= .071.
Univariate Varianzanalysen ergaben entsprechend
eine signifikante Interaktion für eine der drei abhängigen
Variablen, nämlich das Textverständnis, F(2, 80) = 4.15,
p = .019, K
2
= .094. Separate Analysen für beide Geschlech-
ter zeigten wiederum einen signifikanten Haupteffekt des
Faktors Textfassung für männliche Teilnehmende, F(2,
80) = 4.50, p = .014, K
2
= .10, jedoch nicht für weibliche
Teilnehmende, F(2, 80) = 1.11, p = .33. Männliche Teilneh-
mende bewerteten die Verständlichkeit des GM-Textes
besser (M = 3.43) als die Verständlichkeit der beiden ge-
schlechtergerechten Texte zusammengenommen (M =
2.68; einseitiger a priori-Kontrast, p = .003). Die Texte mit
Binnen-I und Beidnennung wurden von den männlichen
Teilnehmenden als ähnlich verständlich bewertet (M =
2.57 vs. M = 2.79; einseitiger a priori-Kontrast, p = .23).
Diskussion
Aus Gründen der Verständlichkeit mögen sich Auto-
rinnen und Autoren dafür entscheiden, einen Text im gene-
Tabelle 1. Erinnerungsleistung: Mittelwerte und Standardabweichungen für die Anzahl korrekt erinnerter Inhalte in Ab-
hängigkeit von der Textfassung und dem Geschlecht der Teilnehmenden
Geschlecht der Textfassung
Teilnehmenden
GM Beidnennung Binnen-I
Frauen 3.93 (0.26) 3.71 (0.47) 4.00 (0.00)
Männer 3.29 (1.14) 3.93 (0.27) 3.57 (0.85)
Gesamt 3.62 (0.86) 3.82 (0.39) 3.79 (0.62)
Anmerkung: Es konnten maximal vier richtige Antworten erzielt werden.
2
Um einen potenziellen Einfluss des Alters der Teilnehmenden
auf die Erinnerungsleistung und auf die Bewertung des Textes auszu-
schließen, wurde eine Kovarianzanalyse bzw. eine multivariate Ko-
varianzanalyse mit den unabhängigen Variablen Textversion
und Geschlecht der Teilnehmenden und der Kovariate Alter gerech-
net. Der Einfluss des Alters erwies sich in beiden Analysen als nicht
signifikant, ps > .67.
188
Friederike Braun et al.
rischen Maskulinum zu formulieren. Auch kognitionspsy-
chologische Überlegungen legen die Annahme nahe, dass
die teilweise größere Komplexität geschlechtergerechter
Formulierungen und ihre geringere Vertrautheit die Verar-
beitung von Texten beeinträchtigen könnte. Ziel der vor-
liegenden Studie war es daher, den Einfluss verschiedener
Personenbezeichnungsformen auf die kognitive Verarbei-
tung von Texten zu untersuchen. Positiv hervorzuheben
ist hierbei, dass in der vorliegenden Studie nicht nur – wie
in bisherigen Studien – die subjektive Bewertung ver-
schiedener Merkmale der Textqualität erfasst wurde, son-
dern auch die Erinnerungsleistung für Informationen im
Text als objektives Kriterium der erfolgreichen Informa-
tionsverarbeitung. Im Gegensatz zu den obigen Einwän-
den gegen geschlechtergerechte Formulierungen belegen
die Ergebnisse jedoch insgesamt, dass geschlechterge-
rechte Texte ähnlich erfolgreich verarbeitet werden kön-
nen wie Texte mit generisch maskulinen Bezeichnungen.
Wie in einigen der bisherigen Studien zum Einfluss
verschiedener Personenbezeichnungen (vgl. z.B. Frank-
Cyrus & Dietrich, 1997) erwies sich das Geschlecht der
Teilnehmenden als Moderatorvariable. Weibliche Teil-
nehmende zeigten bei allen drei Textversionen eine ähn-
lich gute Erinnerungsleistung und bewerteten die ver-
schiedenen Textversionen als gleichermaßen verständ-
lich. Die männlichen Teilnehmenden unterschieden sich
ebenfalls nicht bedeutsam in der Erinnerungsleistung für
die drei Textfassungen, bewerteten die generisch maskuli-
ne Textfassung jedoch als verständlicher als die ge-
schlechtergerechten Textfassungen. Diese Diskrepanz
zwischen den Befunden zur objektiv überprüfbaren und
subjektiv empfundenen Textverständlichkeit bei den
männlichen Teilnehmenden könnte durch eine größere
Vertrautheit mit dem generischen Maskulinum bedingt
sein. Allerdings erklärt dies nicht den gefundenen Ge-
schlechtsunterschied, demzufolge weibliche Teilnehmen-
de mehr Inhalte korrekt erinnerten als männliche Teilneh-
mende. Möglicherweise ist der Inhalt der Packungsbeila-
ge eines Medikaments für männliche und weibliche Teil-
nehmende unterschiedlich relevant, was sich in der grund-
sätzlich besseren Erinnerungsleistung von Frauen im Ver-
gleich zu Männern andeutet. Beispielsweise belegt die
Forschung zu gesundheitsrelevantem Verhalten, dass
Frauen mehr präventive Verhaltensweisen zeigen als Män-
ner und dass sie Angebote zur Gesundheitsberatung und
Krankheitsprävention stärker nutzen (vgl. Sieverding,
2005). Ferner „verlangt“ die weibliche Geschlechtsrolle,
dass Frauen auf das Wohlergehen und die Gesundheit
ihrer Familie achten und sich bei Krankheit um Familienan-
gehörige kümmern (Waldron, 1988). Dies könnte dazu bei-
tragen, dass Frauen nicht nur gesundheitsrelevanten In-
formationen in Packungsbeilagen eine größere Bedeutung
beimessen als Männer, sondern auch mit Packungsbeila-
gen und anderen Gesundheitsmaterialien (z.B. Gesund-
heitsbroschüren, Gesundheitsmagazinen) vertrauter sind.
Künftige Forschung könnte diesem Befund Rechnung tra-
gen, indem sie die wahrgenommene Relevanz des Themas
durch die Befragten miterhebt oder diese sogar systema-
tisch für die Befragtengruppe (z.B. Männer vs. Frauen,
ältere Menschen vs. jüngere Menschen) variiert.
Generell zeigt die gefundene Diskrepanz zwischen
subjektiv empfundener Verständlichkeit und der korrek-
Tabelle 2. Bewertung der Textqualität: Mittelwerte und Standardabweichungen für Textverständnis, Güte der Formulie-
rungen und Lesbarkeit in Abhängigkeit von der Textfassung und dem Geschlecht der Teilnehmenden
Geschlecht der Textfassung
Teilnehmenden
GM Beidnennung Binnen-I
Textverständnis
Frauen 3.00 (0.85) 2.93 (0.92) 3.33 (0.62)
Männer 3.43 (0.51) 2.79 (0.80) 2.57 (0.94)
Gesamt 3.21 (0.73) 2.86 (0.85) 2.97 (0.87)
Güte der Formulierungen
Frauen 2.80 (0.94) 2.64 (0.93) 2.87 (0.74)
Männer 3.07 (0.62) 2.71 (0.73) 2.86 (0.77)
Gesamt 2.93 (0.80) 2.68 (0.82) 2.86 (0.74)
Lesbarkeit
Frauen 2.73 (1.10) 2.57 (1.16) 3.13 (0.64)
Männer 2.93 (0.92) 2.86 (0.86) 2.64 (1.01)
Gesamt 2.83 (1.00) 2.71 (1.01) 2.90 (0.86)
Anmerkung: Die Beurteilungen erfolgten auf 5-stufigen Ratingskalen. Höhere Werte zeigen eine bessere Bewertung der Textqualität, der Güte
der Formulierungen bzw. der Lesbarkeit an.
189
Personenbezeichnungen und Textqualität
ten Erinnerung von Textinhalten auf, dass künftige Unter-
suchungen sich nicht allein auf subjektive Urteile von
Versuchsteilnehmenden stützen sollten. Stattdessen ist zu
empfehlen, subjektive Ratings durch objektive Maße wie
beispielsweise die Erinnerungsleistung oder die gemesse-
ne Zeit zum Lesen eines Textes (vgl. auch Rothmund &
Christmann, 2003) zu ergänzen.
Insbesondere in Hinblick auf die Generalisierbarkeit
der Befunde sollte künftige Forschung sich nicht nur
bemühen, die bisherigen Ergebnisse zum Einfluss ge-
schlechtergerechter Texte zu replizieren, sondern auch
weitere Textsorten (z.B. Steuerformular, Roman) zu unter-
suchen, die unterschiedliche Funktionen zu erfüllen ha-
ben und anders rezipiert werden können. Ferner sollten
heterogene Stichproben befragt werden, da Befunde aus
überwiegend akademischen Gruppen wie beispielsweise
Stichproben von Studierenden nicht ohne weiteres auf
andere Bevölkerungsgruppen übertragbar sind.
Zusammengefasst deutet die vorliegende Studie da-
rauf hin, dass entgegen der Kritik an den potenziellen Kon-
sequenzen sprachlicher Gleichbehandlung die kognitive
Verarbeitung von geschlechtergerechten Texten ähnlich
erfolgreich verläuft wie die Verarbeitung von generisch
maskulinen Texten. Nach den vorliegenden Befunden
scheint es also nicht erforderlich zu sein, aus Gründen der
Verständlichkeit Texte im generischen Maskulinum zu for-
mulieren.
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Dr. Friederike Braun
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Seminar für Allgemeine Sprachwissenschaft
Olshausenstraße 40
24098 Kiel
E-Mail: baun@email.uni-kiel.de