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Einleitung
Das therapeutische Heilfasten verlangt vom menschlichen Orga-
nismus eine tiefgreifende Umstellung in fast allen seinen Stoff-
wechselvorgaÈngen. Die dabei auftretende negative Stickstoffbilanz
und die damit verbundenen StoffwechselveraÈnderungen sind im-
mer wieder Bestandteil teilweise unberechtigter oder unsachlich
polemischer Kritik am Fasten; dem Heilfasten wird eine «patho-
logische» Wirkung unterstellt.
In den letzten 25 Jahren wurden in unserer Klinik mehr als
5000 Patienten ohne Komplikationen durch Saftfasten (nach Buch-
inger) behandelt (Metabolisches Syndrom) und zahlreiche wissen-
schaftliche Untersuchungen zur Physiologie und Biochemie des
Fastens durchgefuÈ hrt.
Patienten und Methodik
Aus einer Gesamtheit von mehr als 5000 behandelten Patienten wurden an
einer Stichprobe von 704 Patienten (362 MaÈnner und 342 Frauen) verschie-
dene Parameter des Eiweisshaushaltes untersucht (Stickstoffbilanz, Gesamt-
eiweiss, Albumin, Hb, PCV, Harnstoff, Kreatinin, Alanin, Glutamin u. a.).
Eine Untergruppe von 311 Patienten (171 MaÈnner und 140 Frauen) absol-
vierte zusaÈtzlich ein systematisches Ausdauertraining (Tab. 1).
Untersucht wurden daneben auch Parameter des Lipidstoffwechsels und kli-
nische Sicherheitsparameter (Triglyceride, FFA, Glycerol, KetonkoÈ rper,
Blutglukose, Elektrolyte, EKG in Ruhe und unter Belastung, Enzymdiagno-
stik u. a.).
Ausserdem wurden Muskelkraftmessungen an den ExtremitaÈten mit einem
Dynamometer (nach Zadeck) vorgenommen und die koÈrperliche Leistungs-
faÈhigkeit durch definierte Fahrradergometerbelastung (PWC 170) bestimmt.
Ó 1999 S. Karger GmbH, Freiburg
Fax +49 761 452 07 14 Accessible online at:
E-mail kargergmbh@aol.com http://BioMedNet.com/karger
www.karger.com
Dr. J. Steiniger
Klinikum Buch
Klinik fuÈ r Physiotherapie und Naturheilverfahren
D-13122 Berlin (Deutschland)
Forsch KomplementaÈ rmed 1999;6:49±51
Abb. 1. Verlauf von
Kontrollparametern des
Eiweisshaushaltes beim
Saftfasten.
Zur Eiweissfrage beim Fasten
J. Steiniger K. Janietz A. Schneider H.-D. Steglich
Klinikum Buch
Klinik fuÈ r Physiotherapie, Naturheilverfahren, Berlin
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Forsch KomplementaÈrmed 1999;6:49±51
Steiniger/Janietz/Schneider/Steglich
Ergebnisse
Die Parameter des Eiweissstoffwechsels zeigten im Fastenverlauf
uÈ ber 21 Tage nur VeraÈnderungen im Normbereich (Abb. 1). Die
negative Eiweissbilanz verringerte sich nach 21 Tagen Fasten von
anfaÈnglich 58 ± 20 auf 24 ± 10 g/Tag bei MaÈnnern bzw. von 38 ± 13
auf 16 ± 8 g/Tag bei Frauen (Abb. 2).
Der Gesamtverlust von Eiweiss (Stickstoff ×6,25) in 21 Fastenta-
gen betrug 920 ± 340 g bei MaÈnnern und 550 ± 220 g bei Frauen.
Gleichzeitiges koÈrperliches Ausdauertraining erhoÈhte die Eiweiss-
verluste signifikant nur bei MaÈnnern in der ersten Woche um etwa
6 g/Tag bzw. um 100 g in 21 Tagen (Tab. 2).
Trotz negativer Eiweissbilanz fuÈ hrte ein zusaÈtzliches Ausdauertrai-
ning zu Muskelkraftzuwachs und zur Leistungsverbesserung
(Abb. 3, 4).
Diskussion
Aus der Sicht unserer wissenschaftlichen Untersuchungen und aus
der Erfahrung an dieser grossen Zahl von Patienten ist das unter
klinischer oder kurativer Kontrolle durchgefuÈhrte Saftfasten (als
Form des kohlenhydratmodifizierten Fastens) unbedenklich ± trotz
der negativen Stickstoffbilanz und des (physiologischen) Eiweiss-
verlustes.
Der menschliche Organismus hat im Laufe seiner langen evolutio-
naÈren Entwicklung gut eingespielte physiologische und biochemi-
sche Anpassungssysteme ausgepraÈgt (z. B. Eiweiss- und Energie-
spareffekt, KetonkoÈrperverwertung durch das Gehirn und die
Muskeln u. a.). Dadurch konnte (und kann) der Mensch laÈngere
Hungerperioden ohne Schaden uÈ berstehen [2].
Selbst ein Muskelkraftzuwachs und eine deutliche Verbesserung
der koÈ rperlichen LeistungsfaÈhigkeit ist ± bei gleichzeitigem Aus-
dauertraining ± unter Fastenbedingungen moÈglich [1].
Tab. 1. Ausdauertraining [nach 1]
(6mal pro Woche)
Langzeitdauertraining geringer IntensitaÈt (30±40% VO
2
max) als Fahrrad-
tour:
1. Woche: 25 km/Tag, 2. Woche: 45 km/Tag, ab 3. Woche: 60 km/Tag;
Fahrgeschwindigkeit ca. 15 km/h
Kreistraining (30 min pro Tag) zur KraÈftigung abgeschwaÈchter Muskulatur,
besonders im Bereich von Rumpf, SchulterguÈ rtel und Armen.
Abb. 2. Verlauf des Eiweissverlustes [g/Tag] beim Saftfasten.
Tab. 2. Gesamt-Eiweissverluste in 21 Tagen Saftfasten mit oder ohne Aus-
dauertraining (Mittelwerte ± Standardabweichungen)
Mit Training Ohne Training Gesamt
n
Eiweissverlust, g
n
Eiweissverlust, g
n
Eiweissverlust, g
MaÈnner 171 960 ± 360 191 860 ± 280 362
920 ± 340
Frauen 140 560 ± 180 202 540 ± 270 342 550 ± 220
Gesamt
311 770 ± 360 393 700 ± 320 704 740 ± 340
Abb. 3. Muskelkraftzuwachs der oberen und unteren ExtremitaÈten durch
Ausdauertraining bei 21 Tagen Saftfasten.
Abb. 4. Verbesserung der LeistungsfaÈhigkeit durch Ausdauertraining in
21 Tagen Saftfasten. PWC 170 = «pulse working capacity 170»: Belastung
(Watt) bei Herzfrequenz 170/min [aus 1].
Forsch KomplementaÈrmed 1999;6:49±51
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Ûber die Herkunft des abgebauten Proteins herrscht immer noch
keine vollstaÈndige naturwissenschaftliche Klarheit.
Sicherlich kommt ± bei mangelnder Bewegung beim Fasten ± ein
Teil des Eiweisses aus der Muskulatur. Auf der anderen Seite deu-
ten Muskelkraft- und Leistungszunahme bei koÈ rperlichem Trai-
ning unter Fastenbedingungen darauf hin, dass auch andere Pro-
teinquellen wie z. B. Verdauungs- oder anabol wirkende Enzyme
abgebaut werden («Protein-Pool» [3], «erlaÈssliches Fermentei-
weiss» [4], «pathologische Eiweisse» [5] u. a.).
Genauere Untersuchungen (z. B. mit Isotopenmarkierungen spe-
zieller Proteine) stehen jedoch noch aus.
Wichtig ist, dass sportliche BetaÈtigung im Fastenprozess (auch Fa-
stenwanderungen) nicht nur die Fettverbrennung steigert, sondern
auch die Muskulatur und die Funktionsproteine vor dem Abbau
schuÈ tzen und den Eiweissabbau moÈglicherweise auf «erlaÈssliche»
Quellen beschraÈnken kann.
Zur Eiweissfrage beim Fasten
Literatur
1 Janietz K, Steiniger J, Bergmann S, Klingbeil M,
Schneider A: Leistung und Kraft bei Ausdauer-
training und hypokalorischer DiaÈt. PosterpraÈsen-
tation, X. Weltkongress fuÈr physikalische
Medizin, Dresden 1992.
2 Cahill GF: Starvation in Man. N Engl J Med
1970;282:668.
3 Whipple TN, Miller LL, Robscheit-Robbins:
Raiding of body tissue protein to form plasma
protein and hemoglobin. J Exp Med 1947;85:277.
4 Virtanen AI, Winkler U: Effect of decrease in
protein content of cells on the proteolytic en-
zyme system. Acta Chem Scand 1949;3:272.
5 Wendt L, Wendt T: Die Eiweiûspeicherkrankhei-
ten. Haug, Heidelberg 1984.