1 Einleitung
Die Diskurse um Professionen, Professionalisierung und professionelles
Handeln haben unterschiedliche Zielsetzungen und theoretisch-empirische
Grundlagen. Im Kern geht es dabei aus soziologischer Perspektive um die
Frage, ob und wie gesellschaftlich relevante Problemlagen (vgl. Pfadenhauer/
Sander 2010; Stollberg 2012) gelöst werden (empirischer Zugang)
und gelöst werden könnten (normativer Zugang). In modernen Gesellschaften,
die sich der möglichst rationalen Problemlösung verschrieben
haben, geht es um das Ringen um eine bestmögliche Problemlösung auf der
Grundlage der überzeugendsten Argumente. Die sich um den Zentralbegriff
der Profession rankende Begriffswelt steht dementsprechend sowohl in der
Alltagssprache, wie auch in der wissenschaftlichen Sprache und Theoriebildung
für einen normativen Qualitätsanspruch bzw. eine empirische Qualitätsabsicherung
im Modus beruflicher Arbeit (vgl. Bollinger/Gerlach 2008).
Dabei kann der Qualitätsbegriff von zwei Seiten her bestimmt werden:
einerseits als eine im weitesten Sinne humanistische Qualität der beruflichen
Arbeit – im Falle personenbezogener Dienstleistungen nicht nur für
die Berufsausübenden, sondern auch, und vielleicht auch primär, für die
Klient_innen – und andererseits – unter der Perspektive begrenzter finanzieller
Ressourcen – um eine effiziente Berufsausübung.
Diese sowohl in der Alltagswelt als auch in der wissenschaftlichen Theoriebildung
verankerte Ausgangsposition wird auch in diesem Beitrag axiomatisch
für den Zugang zum Thema gewählt, da damit einerseits sichergestellt
ist, dass Theoriebildung und empirische Untersuchungen für die gesellschaftliche
Praxis anschlussfähig sind und andererseits die Erkenntnisse
und Einsichten aus unterschiedlichen professionstheoretischen Ansätzen
unter einer Perspektive zusammengeführt werden können. Diese Zusammenführung
soll in einem idealtypischen Transtheoretischen Professionalisierungsmodell
(TraP) unter der Prämisse der bestmöglichen Bearbeitungsqualität
gesellschaftlicher Probleme münden.
Der Fokus liegt dabei zunächst auf dem gesellschaftlichen Problem der
Bewältigung von Krankheit und deren Folgen bzw. der Sicherung des gesellschaftlichen
Zentralwerts der Gesundheit, mit anderen Worten: den
Gesundheitsberufen. Die folgenden Analyseschritte – zunächst im Sinne
einer kritischen Aufarbeitung und Synthetisierung der einschlägigen Literatur
– sollen helfen, die Grundlagen des anvisierten TraP zu erarbeiten:
• eine Analyse der Merkmale, die als Professionen bezeichneten Berufen
zugeschrieben werden,
• eine Analyse der Eigenschaften des professionellen Handelns von
Berufsangehörigen im Gesundheitssystem,
• eine Analyse der notwendigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen
professionellen Handelns, damit dieses seine Qualitätspotenziale
entfalten kann,
• eine Analyse der Professionalisierungsprozesse, die zur Konstitution
dieser Rahmenbedingungen geführt haben bzw. führen; ohne
dass diese als per se unidirektional gerichtete und abschließbare
Prozesse verstanden werden.
• eine Analyse der (ggf. weiteren) Professionalisierungsbedürftigkeit
und Professionalisierbarkeit von Berufen, incl. derer, die bereits
als Professionen bezeichnet werden.
• eine exemplarische Analyse der therapeutischen Praxis der Ergotherapie,
Logopädie und Physiotherapie im Hinblick auf die
Merkmale professionellen Handelns, deren Professionalisierungsbedürftigkeit
und Professionalisierbarkeit und auf die entsprechenden
institutionellen Rahmenbedingungen und Professionalisierungsprozesse.
Diese Analyseschritte stehen für ein länger andauerndes, an der forschungslogischen
Idee des Idealtypus orientiertes Forschungs- bzw. Analyseprogramm.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich aufgrund der wirtschaftlichen,
demografischen und epidemiologischen Entwicklung ein anhaltender
Spar- und Innovationsdruck sowie – auch und gerade im Hinblick
auf die humanistische Qualität der Krankenversorgung – neue Anforderungen
an das Gesundheitssystem und an die in ihm tätigen Berufsgruppen
ergeben (vgl. Borgetto/Siegel 2009; Borgetto 2013). Die veränderten
Versorgungs- und damit einhergehend Qualifikationsbedarfe machen neue
Aufgabenzuschnitte und -verteilungen zwischen den Gesundheitsberufen
für die Qualitäts- und Effizienzentwicklung im Gesundheitswesen erforderlich
(vgl. Borgetto/Kälble 2007; Bollinger/Gerlach/Pfadenhauer 2005; Pundt
2006; 2012; Pundt/Kälble 2015; SVR 2008). Diese Anforderungen verweisen
auf eine Bedeutungszunahme der Gesundheitsfachberufe, aber auch auf
dringend erforderliche fachliche und berufspolitische Weiterentwicklungen
(Adler 2012).
Im Zentrum dieses Beitrags – aber nicht ausschließlich – sollen zunächst
eine kritische Analyse des strukturtheoretischen Professionalisierungsansatzes
von Ulrich Oevermann und eine erste Bestimmung von Eigenschaften
des professionellen Handelns und der Professionalisierung für das TraP
sowie eine darauf basierende vorläufige Analyse des therapeutischen Handelns
und der Professionalisierung der Gesundheitsberufe Ergotherapie,
Logopädie und Physiotherapie stehen. Wenn möglich sollen dabei auch für
die gesellschaftliche Praxis anschlussfähige Schlussfolgerungen für die Qualitätsentwicklung
im deutschen Gesundheitswesen abgeleitet werden.
Nach einer ersten Annährung an die in Professionstheorien verwendeten
Begrifflichkeiten (Abschnitt 2) und die Merkmale von Professionen
(Abschnitt 3) erfolgen strukturtheoretische Betrachtungen des professionellen
Handelns (Abschnitt 4) unter den Gesichtspunkten Autonomie und
Heteronomie (Abschnitt 4.1), Spezifität und Diffusität Abschnitt 4.2) sowie
Wissenschafts- und Fallbezug (Abschnitt 4.3) im professionellen Arbeitsbündnis,
gefolgt von einer am therapeutischen Prozess orientierten Zusammenschau
der genannten Gesichtspunkte (Abschnitt 4.4). Voraussetzungen
professionellen Handelns werden unter der Perspektive der Formierung
eines professionellen wissenschaftlichen, interventionspraktischen
und ethischen Habitus und der machttheoretischen Ideologiekritik an der
unterstellten Gemeinwohlorientierung von Professionen diskutiert (Abschnitt
4.5). Auf dieser Basis werden in einem Zwischenfazit erste Umrisse
des TraP skizziert (Abschnitt 5). Die so erarbeitete Modellstruktur des TraP
wird anschließend im Sinne eines idealtypenanalytischen Vorgehens mit
dem Stand der Professionalisierung der therapeutischen Gesundheitsberufe
konfrontiert (Abschnitt 6), dabei werden insbesondere das therapeutischen
Arbeitsbündnis (Abschnitt 6.1) und der Fall- und Wissenschaftsbezug (Abschnitt
6.2) berücksichtigt. Die Formierung eines wissenschaftlichen Habitus
als eine individuelle Voraussetzung professioneller Therapie wird im
Hinblick auf die institutionell vorauszusetzende Wissensbasis und die akademische
Bildung als habitusformierende Instanz analysiert, ergänzt durch
eine Diskussion der rechtlichen und faktischen Entscheidungs- und Handlungsautonomie
als institutionelle Voraussetzung potenziell stellvertretender
Krisenbewältigung in der Therapie (Abschnitt 6.3). Eine Diskussion
und ein Ausblick beschließen den Beitrag (Abschnitt 7).