Content uploaded by Volker Schuermann
Author content
All content in this area was uploaded by Volker Schuermann on Sep 11, 2024
Content may be subject to copyright.
Chhstina
Huy,
Uwe
Gomolinsky
&
Ansgar
Thiel
1
Tittlbach,
S.,
Bös,
K.,
Woll,
A.,
Jekauc,
D.
6
Dugandzic,
D.
(2005).
Nutzen
von
sportlicher
Aktivität
im
Erwachsenenalter.
Eine
Längsschnittstudie
über
10
Jahre.
Bundesgesund
heitsblatt,
Gesundheitsforschung,
Gesundheitsschutz,
48(8],
891-898.
Tokarski,
W.
(2004).
Sport
of
the
elderly.
International
Journal
of
Fundamental
and
Applied
Kinesiology,
36,
98-103.
Wannamethee,
S.
G.,
Et
Shaper,
A.
G.
(2001).
Physical
activity
in
the
prevention
of
cardiovascu-
lar
disease:
An
epidemiological
perspective,
Sports
Medlcine,
31
(2),
101-114.
WHO
(2002).
World
health
report
2002.
Reducing
risks,
promoting
healthy
Ufe.
Geneva;
World
Health
Organization.
WHO
(2004).
Global
strategy
on
diel
physical
activity
and
health.
Geneva:
World
Health
Organization.
Wiesner,
G.,
Grimm,
J.
&
Bittner,
E.
(1999).
Zum
Herzinfarktgeschehen
in
der
Bundesrepublik
Deutschland:
Prävalenz,
Inzidenz,
Trend,
Ost-West-Vergleich.
Gesundheitswesen
61
Spec.
S72-78.
44
S>^€cJ~fvm
der-
SpdrdwfSSfrt
Spectrum
20
(2008)
Heft
1
Volker
Schürmann
Zur
Normativität
des
Sports
THE
NORMATMJY
OF
SPORTS
Lieber
Hans
[,..]
Weißt
du
denn
Nicht
daß
Nicht
Jeder
immer
nur
das
tun
kann
was
Jeder
für
richtig
hält
(Jurek
Becker:
Bronsteins
Kinder)
Zusammenfassung
Der
Beitrag
argumentiert
für
eine
genuin
moralische
Dimension
des
modernen
Sports.
Dann
und
nur
dann,
wenn
die
moralische
Bewertung
nicht
sekundär
ist
gegenüber
der
Frage,
was
Sport
ist,
gibt
es
gute
Gründe,
Unfairness
als
ein
moralisches
Problem,
und
nicht
nur
als
eine
Frage
der
Regelkonformität,
zu
behandeln.
In
Abgrenzung
gegen
den
methodischen
Individu
alismus
moralphilosophischer
Ansätze
wird
jedoch
die
Traditionslinie
von
Wir-Ethiken
favorisiert.
Die
moralische
Dimension
des
modernen
Sports
wäre
dann
als
ein
Ethos
des
institutionalisierten
Sports,
nicht
aber
primär
als
Moral
der
beteiligten
Individuen
zu
begrei
fen.
Schlagworte:
Fairness
-
Ethos
-
Regeln
Abstract
The
article
argues
for
an
intrinsic
moral
dimension
of
modern
Sports.
Only
if
their
moral
evaluation
is
not
secondary
to
the
question
of
what
Sports
are,
there
are
good
reasons
to
treat
Unfairness
as
a
problem
of
morality
and
not
merely
as
a
matter
of
breaking
the
rules.
How-
ever,
in
contrast
to
the
methodological
individualism
of
Moral
Philosophy
the
traditional
concepts
of
we-ethics
are
usually
preferred.
Therefore
the
moral
dimension
of
modern
sports
can
be
regarded
as
an
ethos
of
institutionalised
sports,
and
not
primarily
as
an
element
based
on
the
morals
of
the
respective
individuals.
Key
words:
fairness
-
ethos
-
rules
1
Einleitung
Im
Folgenden
soll
es
um
die
Frage
gehen,
ob
und
in
welchem
Sinne
sportliches
Tun
von
Haus
aus
einer
moralischen
Bewertung
zugänglich
ist.
Ist
sportliches
Tun
mora
lisch
kritisierbar?
Das
scheint
zunächst
keine
ernsthafte
Frage
sein
zu
können,
denn
dass,
pars
pro
toto,
Doping
.unsportlich
’
oder
eben
.unfair'
sei,
gilt
als
ausgemacht
und
fraglos.
Auf
den
zweiten
Blick
wird
jedoch
hinreichend
oft
fraglich,
ob
tatsäch
lich
eine
moralische
Frage
zurückbleibt,
wenn
alle
medizinischen,
trainingsprakti
schen,
sozialen
und
rechtlichen
Fragen
in
Sachen
Doping
diskutiert
sind.
45
4
*
*
’
KJ?
M
.
Volker
Schürmann
2
Das
Problemfeld
Zur
Veranschaulichung
sei
zunächst
das
Problemfeld
eingekreist.
Dies
geschieht
betont
skizzenhaft
und
gleichsam
metaphorisch,
um
an
gewachsene
Grundüberzeu
gungen
und
Vorverständnisse
anzuknüpfen
und
um
diese
ernst
nehmen
zu
können.
Zunächst
scheint
völlig
unstrittig,
dass
sportliches
Tun
-
prototypisch;
der
olympi
sche
Sport
-
einer
moralischen
Bewertung
zugänglich
ist.
Es
gehört
zum
weitver
breiteten
Selbstverständnis
der
Beteiligten
und
auch
zum
codifizierten
Sportver
ständnis
-
etwa
in
der
Olympischen
Charta
-,
dass
sportliches
Tun
ohne
eine
Ge
bundenheit
an
gewisse
Werte
der
Moral
nicht
zu
haben
ist.
Der
Geist
der
Fairness
ist
der
Geist
des
modernen
Sports
-
so
kann
man
diese
Grundüberzeugung
auf
eine
Formel
bringen.
Und
dann
ist
klar,
dass
sportliches
Tun
der
moralischen
Bewertung
fair/unfair
zugänglich
ist.
Auf
der
anderen
Seite
ist
aber
durchaus
unklar,
in
welcher
Weise
solche
Werte
sportliches
Tun
bestimmen.
Es
scheint
doch
Situationen
zu
geben,
in
denen
dem
sportlichen
Tun
solche
Werte
verloren
zu
gehen
scheinen.
In
der
„großen
Aktion
des
deutschen
Sports;
Fair
geht
vor"
geht
es
um
die
„Wiedergewinnung
der
Fairneß",
Unterstellt
ist
ein
Konflikt
zwischen
erfolgreichem
und
fairem
Sport
(Gabler,
1998,
S.
149
f.),
so
dass
die
Frage
des
sportlichen
Geistes
bzw.
der
prinzipiellen
Haltung
verloren
gehen
könne,
um
einer
rein
pragmatischen
und
der
Erfolgsfrage
unterge
ordneten
Behandlung
der
Fairness-Frage
zu
weichen.
Wäre
das
eine
halbwegs
zutreffende
Diagnose,
dann
könnte
man
also
Spo/t
treiben
auch
ohne
die
Werte
des
Sports
a/s
Werte
zu
praktizieren.
Die
moralische
Bewer
tung
sportlichen
Tuns
wäre
eine
Zugabe,
ein
Luxus
-
mit
der
beinahe
zwangsläufi
gen
Konsequenz,
dass
sich
die
Geister
an
dieser
Frage
scheiden.
Die
einen
werden
darauf
insistieren,
dass
.richtiger'
resp.
.guter'
Sport
die
Werte
des
Sports
auch
als
Werte
praktizieren
muss;
die
anderen
werden
darauf
insistieren,
dass
Sport
das
sei,
was
je
real
als
Sport
praktiziert
wird.
Kurz:
Die
Werte
des
Sports
gelten
dann
(in
beiden
Varianten)
als
Ideal,
das
man
der
Wirklichkeit
des
Sports
gegenüberstellen
kann
-
und dann
gibt
es
die
Verteidiger
des
Ideals
und
die
Verteidiger
der
Wirklichkeit.
Mir
scheint,
dass
dieser
Streit
nur
von
den
Verteidigern
der
Wirklichkeit
gewonnen
werden
kann.
Müsste
die
moralische
Bewertung
erst
noch
vom
Boden
eines
Ideals
aus
an
den
tatsächlich
vollzogenen
Sport
herangetragen
werden,
dann
ist
das
be
reits
aus
moralischen
Gründen
mindestens
problematisch,
denn
es
wäre
eine
von
außen
dreinredende
Besserwisserei,
die
zudem
ohnmächtig
bleibt.
Unser
Alltags
sprachgebrauch
straft
solche
Positionen
durch
das
Attribut
„moralin-sauer".
Mir
scheint,
dass
man
um
diese
Zusammenhänge
wissen
kann,
und
dass
es
keine
Not
gibt,
hinter
solche
Einsichten
(z.ß.
Hegels)
zurückzufallen.
1
1
„Aber
die
Abtrennung
der
Wirklichkeit
von
der
Idee
ist
besonders
bei
dem
Verstände
beliebt,
der
die
Träume
seiner
Abstraktionen
für
etwas
Wahrhaftes
hält
und
auf
das
Sollen,
das
er
vornehmlich
auch
im
politischen
Felde
gerne
vorsohreibt,
eitel
ist,
als
ob
die
Welt
auf
ihn
gewartet
hätte,
um
zu
erfahren,
wie
sie
sein
so//e,
aber
nicht
sei;
wäre
sie,
wie
sie
sein
soll,
wo
bliebe
die
Altklugheit
seines
Sollens?"
(Hegel,
Enz
§
6,
HW
[Suhrkamp]
8)
46
Normativität
des
Sports
In
solchen
Einsichten
wurzelt
beispielsweise,
dass
sich
in
heutigen
sportethischen
Diskussionen
Meinberg
(1991,
S.
33;
vgl.
S.
31),
aber
auch
Bockrath
und
Franke
(2004),
Drexel
(2001),
Gebauer
(1991,
1997)
und
andere
gegen
sogenannte
normati
ve
(vulgo;
moralin-sauer
dreinredende)
Ethiken
wenden,
und
dass
König
jenen
Vertretern
eines
Ideals
notorisch
vorrechnet,
dass
sie
diejenigen
Probleme,
die
sie
vorgeblich
in
Angriff
nehmen
wollen,
mitschaffen
und
aufrechterhalten
(vgl.
etwa
König,
2004).
Unklar
ist
dann
aber,
welche
Konsequenzen
diese
Diagnose
der
Ohnmacht
zussfz//-
cher
moralischer
Bewertungen
hat.
Es
ist
dann
ja
(wieder)
fraglich
geworden,
ob
sportliches
Tun
überhaupt
Fragen
einer
solchen
Bewertung
zugänglich
ist.
Und
jetzt
kann
man
das
vielleicht
viel
besser
schlicht
als
nüchterne
Frage
aufwerfen.
Bleibt
etwas
vom
Doping-Problem
als
moralische
Frage?
Funktioniert
der
Sport
als
Sport
auch
ohne
dass
er
mit
Fragen
solcher
Bewertung
traktiert
wird?
An
dieser
Stelle
des
Gedankengangs
könnte
man
sich
auf
die
Seite
der
Sieger,
also
auf
die
Seite
der
Verteidiger
der
Wirklichkeit,
stellen.
Man
teilt
dann
die
Grundvor
aussetzung,
dass
sich
Fragen
der
moralischen
Bewertung
sportlichen
Tuns
nicht
genuin,
sondern
wenn,
dann
nur
als
zusätzliche
Fragen
stellen.
Und
weil
solche
zusätzliche
Bewertung
a)
nichts
zur
Sache
des
Sports
dazu
tue
und
b)
ohnmächtig
bleibe,
so
handele
es
sich
bei
einem
solchen
Verzicht
auf
moralische
Fragen
nicht
eigentlich
um
eine
Not,
sondern
ganz
im
Gegenteil
um
wohltuende
Entschlackung
von
Ballaststoffen.
Es
ist
dies
der
Ort
zeitgenössischer
rein
funktionaler
Betrachtungen
der
ehemals
moralischen
Fragen
(vgl,
etwa
Pitsch
et
al.,
2006).
Das
läuft
bestenfalls
darauf
hin
aus,
moralischen
Werten
eine
gewisse
Nützlichkeit
zuzubilligen,
was
letztlich
Klug
heitserwägungen
geschuldet
wäre.
Das
wäre
der
Sache
nach
die
Aufgabe
des
ethischen
Projekts,
denn
keine
ernsthafte
Ethik
kann
sich
damit
zufrieden
geben,
dass
moralische
Werte
nur
um
eines
Nutzens
wegen
geschätzt
werden.
3
Programmatik
Eine
andere
Option
wäre,
aus
der
gemeinsam
geteilten
Voraussetzung
jenes
Streits
auszusteigen,
was
im
Folgenden
versucht
werden
soll.
Dann
bleibt
unstrittig,
dass
sich
sportliches
Tun
Fragen
der
ethisch-normativen
Bewertung
stellt,
aber
gesucht
ist
ein
Model)
einer
genuinen
Normativität
sportlichen
Tuns.
2
Im
gesuchten
Ergebnis
wäre
es
gerade
nicht
so,
dass
man
in
einem
logisch
gesehen
ersten
Schritt
sagen
könnte,
was
sportliches
Tun
ist
und
bedeutet,
um
dann
in
einem
logisch
zweiten
Schritt
ein
so
als
sportliches
Tun
Identifiziertes
ethisch-normativ
zu
bewerten.
Viel
mehr
wäre
es
so,
dass
der
Identifikationsakt
eines
gewissen
Tuns
a/s
sportliches
Tun
bereits
ein
Moment
ethisch-normativer
Bewertung
enthält.
3
2
Der
Sache
nach
folgt
das
der
Plessnerschen
Unterscheidung
von
„angewandter
Ethik"
und
„politischer
Anthropologie"
(Plessner,
1931:
vgl.
Richter,
2005).
3
Dieses
Anliegen
deckt
sich
mit
dem
von
Schwier
(1996).
Der
Sache
nach
teilt
Schwier
jedoch
gerade
jene
gemeinsam
geteilte
Voraussetzung,
aus
der
hier
ausgestiegen
werden
47
Volker
Schürmann
Dieser
Versuch
ist
mit
einigen
terminologischen
Festlegungen
verbunden.
Sportethik
meint
hier
eine
Untersuchung,
ob
bzw.
was
an
sportlichem
Tun
normativ
ist.
Da
zunächst
einmal
offen
bleiben
muss,
ob
sportliches
Tun
neben
z.B.
allen
rechtlichen
Bewertungen
einer
im
engeren
Sinne
ethischen
Bewertung
zugänglich
ist,
muss
der
Terminus
Ethik
hier
notwendigerweise
doppeldeutig
sein.
Zunächst
ist
ein
weiter
Begriff
von
Norm
unterstellt,
der
möglich
macht
zu
fragen,
was
am
sportlichen
Tun
einer
sachlich-normativen,
was
einer
rechtlich-normativen
und
was
einer
ethisch
normativen
Bewertung
zugänglich
ist:
Jedes
sportliche
Tun
kann
der
Sache
nach
gut
oder
schlechter
sein
(man
denke
an
.Stockfehler'
oder
taktische
Fehler),
es
kann
regelkonform
oder
regelwidrig
sein
(also
bezogen
auf
einzelne
Regeln
.erlaubt'
oder
.unerlaubt'
und
bezogen
auf
ein
Regelwerk
.gerecht'
oder
.ungerecht')
und
es
kann
-
sei
es
von
Haus
aus,
sei
es
in
äußerer
zusätzlicher
Bewertung
-
im
engeren
Sinne
ethisch-normativ,
also
moralisch
.gut'
oder
.böse'
sein.
Die
Norm
des
Sports
ist
offenkundig,
sportliches
Tun
tugendhaft
zu
vollziehen,
also
in
dem
Bemühen,
es
in
allen
drei
Dimensionen
so
gut
als
möglich
zu
vollziehen:
Man
soll
als
Sportler
oder
Sportlerin
i)
.seinen
Job
gut
machen',
dabei
ii)
die
Regeln
einhalten
und
iii)
würdevoll
spielen,
insbesondere
,
mit
Anstand'
siegen
und
verlieren.
4
Es
geht
im
Folgenden
nicht
um
die
dem
Sport
gewöhnlich
zugeschriebenen
positi
ven
Werte.
Welche
Werte
unter
welchen
Bedingungen
sportlichem
Tun
zugeschrie
ben
werden
können
bzw.
im
sportlichen
Tun
vermittelbar
sind,
ist
eine
empirische,
z.B.
eine
im
engeren
Sinne
pädagogische
Frage.
Zu
diskutieren
ist
hier
vielmehr
eine
kategoriale
Frage.
Wer
sich
(z.B.
pädagogisch)
fragt,
welche
Werte
im
Sportunter
richt
vermittelt
werden
können,
setzt
bereits
das
voraus,
was
hier
eigens
themati
siert
werden
soll:
ob
und
inwiefern
sportliches
Tun
einer
ethischen
Bewertung
zugänglich
ist.
Eine
genuine
Normativität
des
Sports
zu
unterstellen,
behauptet
daher
hier
nicht
eine
genuine
Herrschaft
bestimmter
inhaltlich
festgelegter
positiver
Werte
im
Sport,
die
gar
(etwa
im
Sinne
klassischer
Olympischer
Pädagogik)
im
Sporttreiben
automatisch
aktualisiert
oder
geschult
würden.
In
diesem
Sinne
wehrt
sich
Bockrath
(in
Bockrath
&
Franke,
2004,
insbes.
S,
215
ff.)
völlig
zu
recht
gegen
eine
.genuine
Werthaftigkeit
des
Sports'.
Gerade
dann
bleibt
zu
klären,
was
es
heißen
soll,
dass
Maßstäbe
zur
ethischen
Beurteilung
zwar
aus
den
sportlichen
Handlungen
selbst
erwachsen
(vgl.
ebd.,
S.
216),
gleichwohl
aber
nicht
als
festgelegte
positive
Werte
vorliegen.
Dazu
folge
ich
der
von
Drexei
und
Franke
vorgezeichneten
Spur,
sportliches
Tun
analog
zu
perfor-
mativen
Sprechakten,
also
analog
etwa
zu
Versprechen
oder
Taufen
zu
begreifen
(vgl.
Franke
in
Bockrath
&
Franke,
2004,
mit
Verweis
auf
Drexei
ebd.,
S.
214;
Drexei
2006).
Die
Hoffnung
liegt
darin,
dass
die
Beurteilungsmaßstäbe
dann
nicht
von
soll.
Dort
ist
die
Möglichkeit
der
Moral
„eine
konstitutive
Sinnbedingung
des
Sports"
(ebd.,
S.
195),
nicht
jedoch
die
Moral
selbst.
Entgegen
des
von
Schwier
formulierten
Anliegens
könnte
man
auch
dort
sportliche
Handlungsstrukturen
vollziehen
ohne
dabei
diese
Möglich
keit
auch
zu
realisieren.
4
Vgl.
wunderschön
dazu
Jörn
Luther;
Die
Schlechten
und
die
Gerechten,
in
Freitag
29
v.
21.7.2006,
S.
19.
Dort
auch
die
Beschreibung
des
„Widerparts":
„Christiano
Ronaldo,
kein
schlechter
Spieler,
jedoch
selbstverliebt
und
-
völlig
ohne
Würde."
48
Normativität
des
Sports
außen
herangetragen
werden
müssen,
sondern
dass
sportliches
Tun
im
Vollzug
gleichsam
selbst
seine
Gelingenskriterien
offenbart.
5
Hierin
liegt
der
Hegelsche
Zug
der
folgenden
Überlegungen:
gegen
alle
Varianten
„schlechter
Unendlichkeit",
sprich:
asymptotischer
Annäherungen
an
ein
Ideal,
auf
den
Grundsatz
zu
setzen,
dass
„das
Absolute
ganz
gegenwärtig"
sei.
Wittgensteins
Rede
von
„Sprachspielen"
legt
nahe,
welche
Debatte
hier
orientierend
wirkt,
ln
einem
vergleichbaren
Sinne,
in
dem
Schneider
(2003)
fragt,
ob
das
Spre
chen
einer
Sprache
vermittels
ihrer
konstitutiven
Regeln
genuin
normativ
ist,
soll
im
folgenden
Versuch
gefragt
werden,
ob
das
Spielen
eines
sportlichen
Spiels
bzw.
das
Austragen
eines
(modernen)
sportlichen
Wettkampfs
genuin
normativ
ist.
Zugleich
handelt
es
sich
um
die
Weiterentwicklung
unserer
Überlegungen,
Sportwissenschaft
als
Kulturwissenschaft
zu
konzipieren
(Fikus
&
Schürmann,
2004a;
Schürmann,
2004).
Der
Grundansatz,
sportliches
Tun
vermittels
intrinsischer
Bedeutungen,
nicht
aber
durch
zugeschriebene
Bedeutungen
zu
begreifen,
soll
hier
hinsichtlich
seiner
normativen
Dimension
ausgeführt
werden.
Dazu
geht
es
im
Kern
um
dreierlei;
i)
ist
die
Möglichkeit
einer
genuinen
Normativität
sportlichen
Tuns
aufzuzeigen:
ii)
können
zwei
verschiedene
Strategien
kontrastiert
werden,
eine
solche
Normativität
zu
begründen,
nämlich
eine
im
methodischen
Individualismus
wurzelnde
moralphilosophische
gegen
eine
an
Hegelsche
Einsichten
anknüpfende
Konzeption
einer
gelebten
Sittlichkeit:
und
iii)
muss
der
Vorschlag
verständlicher
werden,
die
Moralität
des
Sports
als
Ethos
des
Sports
zu
konzipieren
und
nicht
als
Moral
der
Sportler.
Das
Folgende
kann
zum
einen
angesehen
werden
als
Versuch
zur
Klärung
einer
sachlichen
Frage.
Zum
anderen
handelt
es
sich
als
Gegenkonzeption
sowohl
gegen
sogenannte
normative
Sportethiken
als
auch
gegen
reine
Funktionalismen
selbst
um
einen
normativen
Sachverhalt:
um
den
Versuch,
„ohne
Zynismus
auszukommen
(Bourdieu,
1998,
S.
143;
vgl.
S.
147).
4
Normdefinitheit
Es
gibt
Sachverhalte,
die
nicht
kritisierbar
sind.
Man
kann
den
Mt.
Everest
nicht
ob
seiner
ungebührlichen
Höhe
kritisieren,
und
man
kann
den
Mond
nicht
dafür
loben
oder
tadeln,
wie
er
sich
um
die
Erde
bewegt.
Dass
man
das
nicht
könne,
ist
ersicht
lich
keine
Aussage
zu
unseren
Kompetenzen,
sondern
eine
Aussage
zur
Logik
jener
Sachverhalte:
Zu
dem,
was
sie
sind
und
bedeuten,
gehört
dazu,
dass
solcherart
Bewertung
von
vornherein
oder
von
Haus
aus
nicht
in
Frage
kommt.
Demgegenüber
gibt
es
Sachverhalte,
die
von
Haus
aus
kritisierbar
sind;
und
zu
denen
gehört
alles
menschliche
Tun.
Wenn
wir
sagen
„Wir
können
den
Trainer
X
nicht
wegen
seiner
5
.Aber
man
kann
sagen,
dass
ein
Garten
selbst
seine
Verbesserungen
anregt'
(aus:
Nouvelle
Vague,
Regie
J.-L.
Godard).
-
„Um
zu
verstehen,
was
.wesentlich
normativ'
heißt,
muss
man
verstehen,
wie
es
möglich
ist,
dass
etwas
an
sich
selbst
einem
Gesetz
unterliegt,
von
dem
es
dennoch
abweichen
kann.
Man
muss
den
Begriff
einer
Bestimmung
verstehen,
die
das
Maß
und
das
Wesen
dessen
ist,
was
unter
sie
fällt."
(Rödl,
2003,
S.
104)
49
Volker
Schürmann
Trainingsführung
kritisieren",
dann
setzt
diese
Aussage
voraus,
dass
solche
Trai-
ningsfuhrung
kritisierÄa/"
ist
(und
nicht
von
der
.Naturnotwendigkeit'
einer
Mondbe
wegung)
und
dass
wir
Gründe
angeben
können,
warum
es
an
dieser
konkreten
Trainingsführung
nichts
zu
kritisieren
gibt.
Nur
weil
von
vornherein
in
Frage
kommt,
dass
Trainingsführungen
kritisierbar
sind,
können
wir
überhaupt
nach
Gründen
suchen,
solche
Trainingsführungen
zu
loben
oder
zu
tadeln.
Die
Frage
der
Bewert-
barkeit
ist
eine
(hier
so
genannte)
kategoriale
Frage:
eine
ganz
andere,
nämlich
eine
empirisch-faktische
Frage,
ist
die
Frage
der
konkreten
Bewertung.
Empirisch-
faktische
Fragen
der
Bewertung
steilen
sich
immer
nur
im
Rahmen
einer
je
schon
mitbeantworteten
kategorialen
Frage.
Wer
geneigt
ist,
die
Sonne
ob
ihres
gleißen
den
Lichts
zu
kritisieren,
oder
wer
geneigt
ist,
einem
Donnerschlag
vorzuwerfen,
nicht
besonders
schön
gewesen
zu
sein,
der
hat
lediglich
eine
gegenüber
der
Nor
malität
unseres
westeuropäischen
Alltags
etwas
ver-rückte
kategoriale
Einteilung
der
Welt
vollzogen.
Die
Redeweise
von
der
Kategorialität
will
auf
zweierlei
hinaus.
Zum
einen
verbirgt
sich
dahinter
ein
strikter
Anti-Induktivismus.
Dass
sich
empirische
Fragen
„je
schon"
im
Rahmen
kategorialer
Grundentscheidungen
stellen,
richtet
sich
gegen
indukti-
vistische
(„naturalisierende")
Erklärungen
des
Faktums,
dass
wir
Mondbewegungen
nicht
kritisieren.
Wir
könnten
doch
der
Meinung
sein,
dass
wir
in
langer
(sei
es
phylo-,
sei
es
ontogenetischer)
Entwicklung
gelernt
und
uns
gleichsam
angewöhnt
hätten,
Mondbewegungen
nicht
zu
kritisieren.
Im
Prinzip
komme
alles
Mögliche
dafür
in
Frage,
kritisiert
zu
werden,
aber
wir
hätten
gelernt,
dieses
All
auf
dasjenige
einzuschränken,
was
.vernünftigerweise'
kritisierbar
ist.
Demgegenüber
will
die
Rede
von
Kategorialität
darauf
insistieren,
dass
es
zur
Bedeutung
von
.Mondbewegung'
gehört,
nicht
frei
zu
sein
sowie
zur
Bedeutung
von
.Trainingsführung',
frei
zu
sein
(als
Voraussetzung,
um
von
Zwängen
reden
zu
können).
Die
Rede
von
Kategorialität
ist
somit
eine
Variation
der
Unterscheidung
von
Geltung
und
Genese.
Oder
anders
formuliert:
Die
Rede
von
Kategorialität
bekennt
sich
zu
ihrem
rhetorischen
Moment
und
leugnet
es
nicht:
Dass
wir
a,
b,
c
usw.
kritisieren,
nicht
aber
z,
y,
x
usw.
enthält
eben
ersichtlich
„den
appellativen
Ausdruck
,und
so
weiter'"
(Stekeler-Weithofer,
2006,
S.
12).
Neben
dem
Anti-Induktivismus
geht
es
zum
zweiten
um
kategoriale
Unterscheidun
gen,
nicht
aber
um
ontische.
Kategoriale
Unterscheidungen
gehören
zu
unseren
Redeweisen,
genauer:
zu
unseren
wortsprachlichen
und
nicht-wortsprachlichen
Umgehensweisen
mit
der
Welt
und
mit
den
Dingen
in
der
Welt,
nicht
aber
zur
Welt
selbst.
Kategoriale
Unterscheidungen
leben
in
einer
bestimmten,
je
konkreten
Wir-
Praxis.
Sie
kenntlich
zu
machen,
heißt
zunächst
nur
kenntlich
zu
machen,
dass
wir
solche
kategorialen
Unterscheidungen
treffen
und
dass
unsere
Rede-
und
Um
gangsweisen
so
und
so
sind
-
also
z.B.
auch,
dass
es
zur
Bedeutung
von
Sport
gehört
oder
gehörte,
ihn
hinsichtlich
der
Frage
der
Fairness
zu
bewerten.
Eine
ande
re
Frage
ist
dann
(erst),
warum
wir
so
reden,
wie
wir
reden
bzw.
so
mit
den
Dingen
umgehen,
wie
wir
es
eben
tun,.
Und
dann
(erst)
entspringen
die
verschiedensten
Realismen
und
Anti-Realismen,
denn
dann
kann
man
argumentieren,
dass
jene
kategorialen
Unterscheidungen
so
sind,
wie
sie
sind,
weil
die
Dinge
so
sind,
weil
es
nützlich
ist,
weil
wir
es
so
verabredet
haben,
weil
unser
Verstand
so
ist
etc.
In
die-
50
Normativität
des
Sports
sem
Sinne
ist
die
kategoriale
Frage
eine
ontologische
Frage,
hier:
was
.Sport'
in
einer
jeweiligen
Wir-Praxis
ist
und
bedeutet;
und
diese
ontologische
Frage
ist
so
wohl
unterschieden
von
der
epistemischen
Frage,
ob
und
wie
dieses
Wir
um
diese
Bedeutung
weiß,
als
auch
von
der
(anti-)realistischen
Frage,
ob
und
wie
sich
diese
Bedeutung
auf
einen
ontischen
Sachverhalt
bezieht.
8
Weil
kategoriale
Unterscheidungen
an
ein
Wir
gebunden
sind,
handelt
es
sich
um
eingespielte
Unterscheidungen.
„Wir
reden
so
und
nicht
anders"
bzw.
„Wir
gehen
so
mit
den
Dingen
in
der
Welt
und
mit
der
Welt
um
und
nicht
anders"
ist
der
Grund
solcher
kategorialen
Unterscheidungen,
und
insofern
geht
auch
hier
ein
appellatives
Moment
ein:
„Schau!
So
machen
wir
das
bei
uns!"
Wer
je
konkret
dieses
Wir
ist,
das
wechselt
mit
den
Orten,
Zeiten
und
Konstellationen;
eingespielte
Unterschei
dungen
werden
fraglich,
solches
Wir
ist
fragil
-
abgesehen
davon,
dass
sich
vor
allen
Umgehensweisen
kein
Wir
denken
lässt.
Die
kategoriale
Unterscheidung
zwischen
Kritisierbarkeit/Bewertbarkeit
und
Nicht-
Kritisierbarkeit
kommt
überein
mit
der
kategorialen
Unterscheidung
Kultur/Natur:
Das,
was
,von
Natur
aus'
so
ist
wie
es
ist,
ist
auch
nicht
kritisierbar:
und
das,
was
durch
uns
geschaffen
und
also
von
uns
veränderbar
ist,
ist
kritisierbar.
Für
alles
Kulturelle
resp.
Kritisierbare
nehmen
wir
die
Freiheit
eines
Anders-tun-Könnens
in
Anspruch.
Insofern
dies
seinerseits
eine
kategoriale
Unterscheidung
ist,
ist
damit
nicht
mitbehauptet,
dass
wir
Menschen
im
ontischen
Sinne
frei
sind,
sondern
gesagt
ist
nur:
Falls
und
indem
wir
streiten,
ob
jenes
konkrete
Tun
des
Trainers
X
zu
kritisie
ren
ist
oder
nicht,
dann
nehmen
wir
bereits
in
Anspruch,
dass
dieses
Tun
anders
hätte
vollzogen
werden
können.
Dieser
Streit
wäre
sinnlos,
würden
wir
zugleich
unterstellen,
dass
das
Tun
des
Trainers
eine
pure
Naturbewegung
war.
7
Eben
das
sagt
Definitheit;
dass
es
von
vornherein
oder
von
Haus
aus
nur
bestimmte
Kandida
ten
(diese
und
nicht
jene)
gibt,
die
in
Frage
kommen.
Eine
Bitte
kann
nicht
wahr
oder
falsch
sein,
und
deshalb
ist
es
ein
Kategorienfehler,
sie
daraufhin
zu
befragen.
Umgekehrt
kann
ein
Urteil
nicht
nicht
einen
Wahrheitswert
haben.
Analog
kann
menschliches
Tun
nicht
nicht
tugendhaft
sein.
Dass
Urteile
als
Urteile
wahr(heitsdefinit)
sind,
heißt
ganz
offenkundig
nicht,
dass
alle
Urteile
wahr
sind
(den
Wahrheitswert
.wahr'
haben);
dass
menschliches
Tun
als
menschliches
Tun
tugend
haft
sei,
heißt
offenkundig
nicht,
dass
alles
menschliche
Tun
von
guter
Tugend
ist.
Auch
Untugend
ist
noch
ein
Fall
von
Tugendhaftigkeit,
und
auch
Unmoral
ist
noch
ein
Fall
von
Moral
-
tierisches
Verhalten
ist
eben
nicht
unmoralisch,
sondern
amoralisch.
6
Vgl.
die
Dreiteilung
von
Sachverhalt,
Gegenstand
und
Objekt
in
Blochs
Schichten
der
Kate
gorie
Möglichkeit
{Bloch,
1959,
Kap.
18).
7
Das
wiederum
ist
nicht
identisch
damit,
dass
der
betreffende
Trainer
über
diese
Handlungs
alternativen
verfügt.
Wenn
ein
Kleinkind
hinfällt,
und
dieses
Geschehen
angesichts
einer
Betreuungsperson
als
Schmerz
erlebt,
dann
hätte
es
dies
durchaus
auch
als
spaßiges
Missgeschick
erleben
können.
Das
zu
sagen
bleibt
auch
dann
sachlich
zutreffend,
wenn
völlig
klar
ist,
dass
dieses
Kleinkind
nicht
zwischen
diesen
beiden
.Optionen'
wählen
konn
te.
Den
Sturz
a/s
Schmerz
zu
erleben,
ist
jedenfalls
kein
Schicksal.
Indianer
kennen
bekannt
lich
keinen
Schmerz,
und
das
sind
auch
Menschen,
oder?
51
Volker
Schürmann
Wir
machen
Tiere
nicht
verantwortlich
für
ihr
Tun,
sondern
gegebenenfalls
ihre
Besitzer.
Das
ist
bei
uns
gängige
Praxis,
und
solcherart
Üblichkeiten
sind
begrün
dungslogisch
primär
gegenüber
den
feststellbaren
Merkmalen
von
Menschen
oder
Tieren.
Wenn
wir
konkrete
Freiheit
durch
Zwang
außer
Kraft
gesetzt
sehen,
dann
unterstellen
wir
kategorial
bereits
Freiheit.
Unterstellte
Handlungsalternativen
sind
dann
eben
durch
angebbare
zwingende
Gründe
nicht
realisierbar,
während
wir
den
Mond
keineswegs
einem
Zwang
auf
seinem
Weg
um
die
Erde
folgen
lassen.
8
Fest
zustellen,
dass
unsere
Üblichkeiten
so
sind,
wie
sie
sind,
ist
hinreichend
oft
banal;
dass
der
Verweis
auf
solche
Üblichkeiten
begründungslogisch
primär
sei,
ist
eine
streitbare
These.
5
Normdefinitheit
sportlichen
Tuns
ln
der
Sportwissenschaft
herrscht
nun
sehr
weitgehende
Einigkeit
darin,
dass
sport
liches
Tun
nicht
von
der
Art
eines
rein
natürlichen,
körperlichen,
physischen
Bewe
gungsvollzuges
ist.
Das
ist
eine
Art
Korollar
des
Einverständnisses,
dass
sportliches
Tun
ein
Spezifikum
des
Menschen
ist
und
insofern
sportliches
Tun
als
menschliches
Tun
mit
der
Unterstellung
der
Freiheit
einhergeht.
Die
Biomechanik
sbsf/'a/h/'e/T
dann
gegebenenfalls
von
dieser
Menschlichkeit
sportlicher
Bewegungsvollzüge,
aber
auch
sie
behauptet
nicht
(mehr),
dass
sportliches
Tun
eine
mechanische
Bewegung
ist.
Dieses
geteilte
Selbstverständnis
ist
vielerorts
dokumentiert;
Gerhardts
Lämmer
(1993a,
S.
1)
haben
es
auf
die
kongeniale
Formel
gebracht,
die
nicht
nur
den
ge
meinten
Sachverhalt
zum
Ausdruck
bringt,
sondern
zugleich
das
Wir
dieser
kategori-
alen
Unterscheidung
konstituiert,
nämlich
die
Sport-Versteher;
„Wer
im
Sport
nur
einen
Vollzug
körperlicher
Bewegungen
sieht,
der
wird
nie
verstehen,
worum
es
in
Spiel
und
Wettkampf
eigentlich
geht."
Konsequenterweise
ist
Sportwissenschaft
dann
als
Human-
resp.
Kulturwissenschaft
zu
begreifen,
und
in
diesem
Sinne
haben
wir
(Fikus
&
Schürmann,
2004a;
Schür
mann,
2004)
jenes
geteilte
Selbstverständnis
zu
einer
zeichentheoretischen
Interpre
tation
sportlicher
Bewegungsvollzüge
extrapoliert.
Wenn
sportliche
Bewegungsvoll
züge
mehr
sind
als
bloß
körperliche,
dann
könne
man
sagen,
dass
sie
im
Medium
einer
je
bestimmten
Bewegungskultur
in
einem
konkreten
Bewegungsvollzug
etwas
bedeuten
-
analog
dazu,
dass
Zeichen
Zeichenkörper
sind,
die
im
Medium
eines
je
bestimmten
Zeichensystems
in
einem
konkreten
Zeichengebrauch
etwas
bedeuten.
Das
heißt
dann
insbesondere,
dass
es
sich
um
kulturelle
Sachverhalte
handelt:
dass
sportliches
Tun
Menschenwerk
ist:
dass
.dieser
körperliche
Bewegungsvollzug
dort'
immer
auch
etwas
anderes
hätte
bedeuten
können,
im
Medium
seiner
Bewegungs
kultur
in
einem
konkreten
Vollzug
aber
dieses,
und
nicht
jenes
bedeutet.
Und
das
heißt
dann
zugleich
auch,
dass
sportliche
Bewegungsvollzüge
der
Bewer
tung
zugänglich
sind.
Insofern
es
körperliche
Bewegungen
sind,
die
etwas
bedeu
ten,
ist
es
nicht
von
vornherein
sinnlos,
sich
um
Gründe
nach
der
(Un-)Ange-
Zu
„Entscheidungsfreiheit"
im
konkreten
Sinne
vgl.
etwa
Heinemann
(2006,
S.
130
f.);
die
dortigen
sportsoziologischen
Überlegungen
widerstreiten
selbstverständlich
nicht
der
hier
diskutierten
kategorialen
Fassung
von
Freiheit,
sondern
sind
ihnen
komplementär.
52
Normativität
des
Sports
messenheit
und
Güte
solcher
Bewegungsvollzüge
umzusehen.
Man
kann
gleichsam
nach
dem
Passen
von
Bewegungskörper
und
Bewegungsbedeutung
fragen
-
so,
wie
man
einen
Sprachgebrauch
„beim
Wort
nehmen"
kann.
9
Typischerweise
zeigt
sich
solche
Bewertbarkeit
von
Zeichen
dort,
wo
wir
jemandem,
der
eine
Zeichenbe
deutung
noch
nicht
kennt,
diese
Bedeutung
verständlich
machen
wollen.
Dann
führen
wir
typische
Fälle,
Prototypen,
vor,
die
als
einzelne
Fälle
mit
und
in
ihren
Differenzen
zugleich
das
Maß
der
.sinnvollerweise
zulässigen
Abweichungen
’
vor
geben.
10
Nun
ist
damit
freilich
noch
gar
nichts
über
moralische
Bewertungen
gesagt.
Wenn
man
einen
Sprachgebrauch
beim
Wort
nimmt,
dann
kann
man
ihn
wohl
gegebenen
falls
„arm"
nennen
im
Vergleich
zu
einem
„reicheren",
der
die
Möglichkeiten
der
Sprache
besser
nutzt.
Klarerweise
aber
ist
dies
keine
Polarisierung
gut/böse;
ein
armer
Wortschatz
mag
ein
intellektuelles,
emanzipatorisches,
ästhetisches
oder
auch
gar
kein
Problem
sein,
aber
sicher
kein
moralisches.
Analog
kann
man
die
Güte
und
(Un-)Angemessenheit
von
Spielzügen
im
Rahmen
der
durch
das
Spiel
gegebe
nen
Spielmöglichkeiten
bewerten,
aber
die
Frage
der
Tugend
sportlichen
Tuns
ist
im
wohlverstandenen
Sinn
des
griechischen
arete
noch
nicht
sofort
eine
moralische
Frage.
Schlechter
Sport
ist
nicht
zwingend
auch
böser
Sport,
und
moralisch
guter
(„anständiger")
Sport
ist
nicht
schon
automatisch
guter
Sport
im
Sinne
umfassender
sportlicher
Tugend.
Moralisch
sauberes
Federballspielen
ist
nicht
schon
gutes
Badminton.
Eher
im
Gegenteil
ist
die
Möglichkeit
ethisch-normativer
Bewertung
unklar:
Was
soll
es
denn
heißen,
dass
ein
Spielzug
böse
war?
Schon
die
oben
so
selbstverständlich
behauptete
Normativität
von
Zeichen,
die
qua
Bedeutung
gegeben
sei,
wird
noch
einmal
wieder
fraglich.
Sowohl
das
Beispiel
des
Sprachgebrauchs
als
auch
das
der
Spielzüge
verweist
zunächst
einmal
nur
darauf,
dass
man
je
auch
anders
hätte
sprechen
resp.
spielen
können.
Der
Schritt
von
der
unterstellten
Freiheit
-
dass
jedes
Zeichen
auch
anderes
hätte
bedeuten
können
-
zur
Frage
der
Güte
des
Zei
chens
ist
kein
analytischer.
Um
von
der
unterstellten
Freiheit,
dass
dieses
Zeichen
auch
anderes
hätte
bedeuten
können,
zu
einer
Bewertung
zu
kommen,
muss
man
ein
Kriterium
einfüttern.
Und
das
ist
nicht
die
pure
Alterität,
denn
zur
Bewertung
muss
man
eine
der
Alternativen
auszeichnen.
Genau
hier
liegt
dann
auch
der
Reiz
und
Stachel
des
Funktionalismus,
der
als
der
Versuch
genommen
werden
kann,
solange
wie
sachlich
möglich
im
Vokabular
des
Andersseins
von
Varianten,
und
(noch)
nicht
vorschnell
im
Vokabular
des
Besserseins,
zu
reden.
Erst
wenn
wir
möglichst
lange
auf
Bewertungen
verzichten
-
sprich:
Fehlschlüsse
vom
Sein
aufs
9
Natürlich
nicht
für
rein
einzelne
Zeichen
(denn
die
bedeuten
ja
nur
im
Gebrauch
und
in
Relationen
zu
anderen
Zeichen),
sondern
für
dieses
Zeichen
im
Hinblick
auf jene.
10
Eine
genauere
Begründung
der
Wertdefinitheit
von
Bedeutungen
bzw.
Zeichen
verlangt
natürlich
sehr
viel
mehr
Aufwand
als
er
hier
geleistet
werden
kann.
Der
Sachverhalt
selbst
scheint
mir
einigermaßen
fraglos
zu
sein:
eine
genauere
Abwägung
dessen,
was
das
genau
meinen
kann
und
was
es
auch
nicht
meinen
kann,
und
die
mir
von
der
Grundanlage
her
überzeugend
zu
sein
scheint,
findet
sich
bei
Gramm
(2004).
53
Volker
Schürmann
Sollen
vermeiden
wissen
wir
auch,
wann
und
wo
wir
Bewertungen
wirklich
benö
tigen
bzw.
haben
wollen
-
so
könnte
man,
wohlwollend,
das
Credo
des
Funktiona
lismus
verstehen.
Dieses
Credo
impft
gleichsam
gegen
„Erbaulichkeit"
(Hegel),
wenn
man
all
diejenigen
Argumentationen
erbaulich
nennt,
die
bereits
dort
Bewer
tungen
einspringen
lassen,
wo
auch
ein
nüchternes
Konstatieren
von
Befunden
hinreicht
(vgl.
auch
Röttgers,
2004,
insbes.
S.
121
f.).
Einen
Sprachgebrauch
kann
man
nur
dann
„beim
Wort
nehmen",
wenn
man
zu
nächst
in
kalter
Beschreibung
Alternativen
gesichtet
hat.
Insofern
konnten
oder
gar:
mussten
wir
in
der
von
uns
vorgelegten
Zeichentheorie
sportlicher
Bewegungen
(s.o.)
lange
über
die
Bedeutungshaftigkeit
sportlicher
Bewegungsvolizüge
reden,
ohne
schon
deren
ethische
Normativität
zu
thematisieren.
Von
moralischen
Bewer
tungen
sportlichen
Tuns
war
dort
gar
nicht
die
Rede;
wir
haben
gleichsam
betont
daran
vorbeigeredet.
Aber
jedes
.beim
Wort
nehmen'
ist
eine
Maß-Nahme,
und
kein
bloß
unterscheidendes
Sichten.
Und
daran
geht
jetzt
kein
Weg
mehr
vorbei.
6
Zwischenbilanz
und
Orientierung
Die
Frage
der
genuinen
Normativität
sportlichen
Tuns
hat
zwei
unterscheidbare
Momente.
Zum
einen
geht
es
um
eine
genuine
Normativität
des
Sports:
Erwachsen
aus
sportlichem
Tun
als
solchem
spezifische
normative
Verpflichtungen?
Oder
ist
sportliches
Tun
lediglich
normdefinit
im
allgemeinen
Sinne
wie
jedes
andere
menschliche
Tun
auch?
Zum
anderen
geht
es
um
eine
genuine
Moralität
des
Sports:
Wieso
und
inwiefern
stellt
sich
in
Bezug
auf
sportliches
Tun
die
Frage
moralischer,
und
nicht
bloß
sachli
cher
und
rechtlicher
(bzw.
regelkonformer)
Beurteilung?
Wollen
und
müssen
wir
tatsächlich
formulieren
„Du
sollst
nicht
dopen"?
Warum
sollte
ein
„Du
darfst
nicht
dopen"
nicht
ausreichen?
Ein
wesentliches
Gelingenskriterium
der
dazu
nötigen
Überlegungen
liegt
darin,
den
guten
Sinn
der
Rede
von
einem
„intrinsischen
Beurtei
lungsmaßstab"
aufzuweisen.
Nimmt
man
genügend
große
Körner
Salz,
kann
man
das
hier
verfolgte
Projekt
als
Variante
einer
Tugendethik
im
Kontrast
zu
einem
moralphilosophischen
Ansatz
ansprechen.
Tegtmeyer,
der
diesen
Kontrast
in
schönster
Klarheit
herausgearbeitet
hat,
kann
zwei
Punkte
festhalten,
in
denen
sich
Vertreter
einer
Tugendethik
„über
alle
Differenzen
hinweg"
einig
sind:
„das
Unbehagen
an
einer
prinzipienbasierten,
apriorisch-normativen,
präskriptiven
Moraltheorie
in
der
Tradition
Kants,
Benthams
und
Mills
und
das
Plädoyer
für
die
Einbettung
einer
im
engeren
Sinn
normativen
Ethik
in
eine
umfassendere
Darstellung
menschlichen
Lebens"
(Tegtmeyer,
2006,
S.
140).
Die
Durchführung
ist
gebunden
an
einen
Perspektivenwechsel:
Die
Kritik
richtet
sich
gegen
die
„moralische
Selbstgewissheit
einer
Ethik
der
ersten
Person".
Demgegenüber
ist
die
Beschreibung
eines
bestimmten
menschlichen
Tuns
als
tugendhaft
„nur
drittpersonal
möglich",
denn
„als
Akteur
kann
ich
mir
nicht
selbst
Tugenden
oder
tugendhaftes
Handeln
attestieren"
(ebd.).
Einer
Moralphilosophie
steht
dann
eine
Wir-Ethik
in
der
Tradition
Hegels
gegenüber.
54
Normativität
des
Sports
Dieser
Perspektivenwechsel
generiert
zunächst
schlicht
eine
andere
Beschreibung
der
ethisch-normativen
Dimension
menschlichen
Tuns,
was
nicht
selbstverständlich
zu
sein
scheint.
„Die
Perspektivendifferenz
von
Pflicht-
und
Tugendrede
wird
von
Kritikern
der
Tugendethik
hartnäckig
verkannt,
die
stattdessen
glauben,
es
ginge
der
Tugendethik
darum,
den
Begriff
der
Tugend
an
die
Stelle
des
Begriffs
der
Pflicht
zu
setzen."
(Tegtmeyer,
2006,
Anm.
51,
S.
140
f.)
11
Allerdings
gehen
mit
der
hier
verfolgten
Variante
einer
Ethik
gelebter
Sittlichkeit
auch
grundlegende
sachliche
Unterschiede
zur
Moralphilosophie
einher,
die
die
beiden
Ansätze
unverträglich
machen.
Selbstredend
benötigt
auch
eine
Wir-Ethik
ein
Kon
zept
individueller
Moralität,
aber
dieses
Konzept
kann
aus
Gründen
der
verträglichen
Konzeptualisierung
nicht
das
der
Moralphilosophie
sein.
12
Eine
Tugendethik
wird
hier
von
Haltung
sprechen,
also
von
einer
zum
Ausdruck
gebrachten,
mithin
öffentlichen
individuellen
Moral.
Die
Sollbruchstelle
zwischen
beiden
Ansätzen
ist
der
Umgang
mit
der
Faktizität
der
Pluralität
von
Moralen.
Eine
Moralphilosophie
geht
in
der
Regel
mit
einem
Universa
lismus
einher.
Dort
haben
Abweichler
nicht
einfach
eine
andere
materiale
Moral
oder
ein
anderes
Verfahren
der
Moralität,
sondern
eine
falsche,
da
sie
der
als
univer
salistisch
gedachten
Moral
noch
nicht
oder
nicht
mehr
folgen.
Wer
einen
Universa
lismus
verfolgt,
der
unterstellt,
dass
eine
Vielheit
von
Moralen
ein
defizitärer
Zustand
ist.
Und
das
wiederum
heißt,
dass
der
faktisch
bestehende
Wertepluralismus
unse
rer
Gesellschaft
als
etwas
Defizitäres,
und
nicht
als
Errungenschaft,
angesehen
wird.
Und
das
ist
deshalb
fatal
und
moralisch
fragwürdig,
weil
in
der
Idee
eines
Universa
lismus
die
Idee
schläft,
dass
eine
der
beteiligten
Moralen
sich
für
die
einzig
seligma
chende
hält
und
sich
vermutlich
dann
auch
(irgendwann)
so
aufspielen
wird.
7
Der
Ansatz
-
im
Kontrast
Volker
Gerhardt
hat
besonders
nachdrücklich
und
sehr
überzeugend
a)
die
genuine
Normativität
des
Sports
herausgestellt
und
b)
dies
als
ein
moralphilosophisches
Konzept
verstanden.
Seine
Kölner
Antrittsvorlesung
(Gerhardt,
1991)
kann
daher
exemplarisch
als
Kontrastfolie
dienen.
Die
gemeinsam
geteilte
Position
lautet
im
Kern:
Es
ist
möglich,
eine
Logik
des
Sports
zu
formulieren,
die
den
modernen
Sport
im
Wesentlichen
als
ein
Wettkampf
spiel
begreift,
und
die
eine
genuine
Normativität
des
Sports
insofern
herausstellt,
als
es
eine
(zu
erbringende)
Leistung
der
Beteiligten
ist,
das
Wettkampfspiel
als
Wett
kampfspiel
aufrechtzuerhalten.
Diese
Logik
grenzt
das
Geschehen
in
zwei
Richtun
gen
ab:
Es
ist
erstens
nicht
so,
dass
die
Beteiligten
lediglich
wettkämpfen
müssen,
11
Im
Bereich
der
Sportethik
vgl.
z.B,
Pawlenka
(2004a),
die
diesen
Perspektivenwechsel
nicht
mitvollzieht;
sie
unterstellt,
wir
hätten
über
das
Selbige
geredet,
um
dann
.konsequenter
weise'
Fehler
der
Argumentation
vorzurechnen.
12
Die
Vermutung
und
Suche
geht
in
die
Richtung,
dass
.Würde
’
an
die
Stelle
der
moralphilo
sophisch
konzipierten
.Moral'
tritt
und
.Takt'
an
die
Stelle
von
.Gewissen'
(vgl.
Schürmann,
2006).
55
Volker
Schürmann
und
dadurch
bereits
eo
ipso
der
Wettkampf
als
Wettkampf
gewährleistet
ist
-
man
kann
das
Spiel
zerstören,
und
also
müssen
und
sollen
die
Beteiligten
aktiv
etwas
tun,
es
nicht
zu
zerstören.
Und
es
ist
gemäß
dieser
Logik
zweitens
nicht
so,
dass
man
Sport
treiben
kann
und
dann
auch
noch,
als
Zugabe,
dazu
aufgerufen
ist,
etwas
zur
Aufrechterhaltung
des
Wettkampfs
zu
tun.
Wenn
die
Beteiligten
nichts
tun,
um
den
Wettkampf
als
Wettkampf
zu
gewährleisten,
dann
wettkämpfen
sie
nicht.
Es
ist
mir
wichtig
zu
betonen,
daß
auch
noch
die
Tabuisierung
der
Feindschaft
und
die
da
mit
verbundene
Anerkennung
des
anderen
als
einer
unter
dem
gleichen
Gesetz
angetrete
nen
Person
aus
der
Logik
des
Spiels
als
Wettkampf
hergeleitet
werden
kann.
Nur
so
näm
lich
sehen
wir,
wie
weit
wir
in
unseren
moralischen
Forderungen
kommen,
wenn
wir
uns
nur
auf
das
stützen,
was
dem
Sport
eigentümlich
ist.
Die
Funktionen
des
Spiels
und
des
Wettkampfs
implizieren
einen
Kanon
moralischer
Prinzipien,
mit
denen
der
Sport
selbst
steht
und
fällt.
Wo
echter
Sport
ist,
müssen
auch
diese
Prinzipien
sein,
und
wo
sie
nicht
sind,
kann
es
auch
keinen
Sport
geben.
.Sportmanship'
ist
für
sich
selbst
schon
eine
mora
lische
Kategorie,
(Gerhardt,
1991,
S.
141)
Nun
kann
man
diese
Norm,
den
Wettkampf
als
Wettkampf
aufrechtzuerhalten,
relativ
leicht
operationalisieren.
Es
geht
cum
grano
salis
darum,
dass
sich
die
Betei
ligten
an
die
Regularitäten
halten.
Das
zu
sagen,
verlangt
zweifellos
Unterscheidun
gen
(sachliche/rechtliche
Normen,
geschriebene/ungeschriebene
Regeln
etc.);
aber
es
bedarf,
so
die
gemeinsame
Grundüberzeugung,
keiner
prinzipiellen
Erweiterung
dieser
Anweisung
im
Hinblick
auf
ein
zu
gewährleistendes
Wettkampfgeschehen.
Dass
sich
die
Beteiligten
an
die
Regularitäten
halten,
ist
es,
den
Wettkampf
als
Wettkampf
aufrechtzuerhalten
-
so
die These.
Gleichwohl
fällt
Fairness
nicht
einfach
mit
Regelkonformität
zusammen.
Wir
alle
kennen
Situationen,
in
denen
unsere
moralischen
Intuitionen
gebieten,
gegen
eine
Regel
zu
verstoßen.
Wer
alle
Fragen
der
Moralität
auf
Fragen
eines
funktionalen
erlaubt/unerlaubt
reduziert,
der
kann
nicht
mehr
fragen,
wann
wir
uns
an
Regeln
halten
sollten
und
wann
nicht,
denn
es
gibt
dann
keinen
Ort,
von
dem
aus
die
herr
schende
Regularität
bedingt
sein
könnte.
Aus
funktionalistischen
Ansätzen
folgt,
sich
sklavisch
an
die
vorgegebenen
Regeln
halten
zu
müssen.
Sofern
wir
uns
nicht
als
Sklaven
von
Regeln
verstehen,
gibt
es
also
moralisch
gute
Gründe,
zwischen
Recht
und
Moral
zu
unterscheiden
und
Moral
nicht
auf
Recht
bzw.
Regelkonformität
zu
reduzieren.
Dass
Fairness
nicht
einfach
Regelkonformität
ist,
gründet
logisch
in
der
wichtigen
Unterscheidung
zwischen
der
Beachtung
der
einzelnen
Regeln
und
der
Beachtung
des
Regelwerks.
Es
genügt
nicht,
daß
der
Spieler
den
Ablauf
nur
von
innen
betrachtet
und
sich
regelkonform
verhält.
[...]:
wenn
er
wahrhaft
Sportler
und
Wettkämpfer
sein
will,
hat
er
nicht
nur
auf
die
Einhaltung
dieser
oder
jener
Regel
zu
achten,
sondern
ihm
muß
am
Reglement
als
ganzem
und
damit
am
Wettkampf
als
Spiel
gelegen
sein.
Wenn
der
Wettkampf
nicht
in
direkten
Kampf
oder
in
eine
Konkurrenz
mit
unlauteren
Mitteln
ausarten
soll,
muß
unbedingt
der
Spielcharakter
der
Gesamtsituation
gewahrt
werden.
(Gerhardt,
1991,
S.
140)
Der
ethisch-normative
Sachverhalt
entspringt
also
(erst)
dann
und
insofern
sich
die
Beteiligten
an
das
Regelwerk,
und
nicht
bloß
an
alle
einzelnen
Regularien
halten.
Das
zeigt
sich
auch
darin,
dass
nicht
jeder
Regelverstoß
gleich
den
Wettkampf
als
56
Normativität
des
Sports
Wettkampf
gefährdet.
Was
immer
im
einzelnen
Wettkampf
diesen
Unterschied
ausmacht:
Klar
ist,
dass
es
einen
Unterschied
gibt
zwischen
Regelverstößen,
die
zum
Spiel
dazugehören
und
nicht
ernsthaft
eine
moralische
Frage
aufwerfen
-
ein
Foul
allein
provoziert
noch
keinen
Spielabbruch
-,
und
gleichsam
.bösartigen'
Regel
verletzungen
(vgl.
Gerhardt,
1991,
S.
135
f.).
Ethisch-normative
Fragen
stellen
sich
dann
zum
einen
hinsichtlich
des
Umgangs
mit
solch
.bösartigen'
Regelverletzungen,
und
zum
anderen
hinsichtlich
der
Bestimmung
der
Grenze
zwischen
beiden
Fällen.
Für
den
(alltäglichen)
Fall
eines
sportlichen
Wettkampfs,
dass
sich
beide
Fragen
gar
nicht
steilen,
schläft
die
ethisch-normative
Frage
sozusagen:
Der
Unterschied
zwi
schen
bloßer
Regelkonformität
und
Moralität
ist
in
solchen
Fällen
gleichgültig.
Jetzt
erst
kommt
die
Spezifik
des
moralphilosophischen
Ansatzes
ins
Spiel.
Den
Wettkampf
als
Wettkampf
zu
bewahren
heißt
nunmehr,
dass
die
Beteiligten
sich
an
das
Regelwerk
resp.
an
den
Geist
der
Regeln
halten.
Doch
wo
und
wie
entspringt
inwiefern
eine
Verpflichtung,
sich
an
diesen
Geist
zu
halten?
Auf
diese
Frage
gibt
der
moralphilosophische
Ansatz
eine
spezifische
Antwort,
denn
er
bindet
die
Wahrung
des
Geists
der
Regeln
an
den
„guten
Willen"
der
einzelnen
Sportler
und
Sportlerin
nen:
„dass
sich
der
einzelne
Spieler
tatsächlich
auch
von
sich
aus
an
die
Regel
halten
kann"
(ebd.,
S.
135;
vgl.
S.
128
f.).
Eine
Moralphilosophie
des
Sports
ist
somit
grundgelegt
durch
einen
methodischen
Individualismus:
Die
Gewährleistung
des
Wettkampfs
als
Wettkampf
gilt
dort
als
das
Ergebnis
der
Willens-
resp.
Gewissens
entscheidungen
der
vielen
Einzelnen.
13
Typischer-
und
notwendigerweise
stellt
sich
im
moralphilosophischen
Ansatz
die
Frage,
warum
die
Einzelnen
überhaupt
mora
lisch
sein
sollen
(vgl.
Bayertz,
2004).
Der
Schachzug
des
methodischen
Individualismus
hat
(mindestens)
zwei
ungeheure
Stärken:
Er
richtet
sich
an
die
Individuen
und
er
betont
die
Freiheit
det
Individuen.
Es
ist
dort
von
vornherein
ausgeschlossen,
dass
sich
Individuen
unter
Verweis
auf
die
ach
so
schicksalsmächtigen
Bedingungen
aus
ihrer
Verantwortung
stehlen
können
(vgl.
Gerhardt
&
Lämmer,
1993a),
Was
umgekehrt
natürlich
auch
heißt,
dass
Indivi
duen
die
Macht
von
Veränderungen
ihrer
Lage
zugesprochen
bekommen.
Diese
Stärken
würde
ich
nicht
gerne
preisgeben.
Der
Gesamtbefund
ist
im
Hinblick
auf
die
Ausgangsfrage
jedoch
zwiespältig.
Ger
hardts
Ansatz
geht
wesentlich
davon
aus,
dass
die
ethisch-normative
Frage
genuin
mit
dem
Sport
verknüpft
ist:
Das
Ethos
des
Sports
ist
der
Geist
der
Regeln
und
man
kann
einen
sportlichen
Wettkampf
nicht
als
sportlichen
Wettkampf
austragen
ohne
zugleich
diesen
Geist
der
Regeln
zu
wahren.
Gleichwohl
liegt
bei
einem
moralphilo
13
Wichtig
ist
hier
die
Betonung
des
methodischen
Individualismus;
die
Betonung
von
Wil
lensentscheidungen
ist
der
Spezifik
einer
kantischen
Pflichtenethik
geschuldet.
Ein
Utilita
rismus
würde
gerade
nicht
auf
den
„guten
Willen",
sondern
auf
die
Konsequenzen
des
Handelns
setzen,
und
es
gibt
Kontexte,
in
denen
solche
Unterschiede
alles
entscheidend
sind.
Hier
jedoch
sind
die
Gemeinsamkeiten
alles
entscheidend.
Auch
ein
Utilitarismus
be
greift
das
ethische
Problem
als
ein
moralphilosophisches
in
dem
oben
aufgezeigten
Sinn.
In
beiden
Varianten
wird
der
Geist
der
Regeln
als
das
Ergebnis
des
Tuns
der
vielen
Einzelnen
gedacht.
57
Volker
Schürmann
sophischen
Ansatz
dieses
Ethos
nicht
schon
in
dem
Vollzug
des
Wettkampfs
als
solchem,
sondern
der
Geist
[pneuma,
Odem)
der
Regeln
muss
diesem
Vollzug
gleichsam
durch
die
vielen
Einzelnen
noch
eigens
eingehaucht
werden,
ln
diesem
Sinne
ist
dort
das
Befolgen
der
Regeln
nicht
aus
sich
heraus
ein
ethisch-normativer
Sachverhalt,
sondern
es
wird
zu
einem
solchen
durch
das
Tun
der
vielen
Einzelnen.
Und
in
diesem
Sinne
braucht
es
noch
eigens
ein
zusätzliches
Argument,
sich
über
haupt
an
die
Regeln
zu
halten
resp.
den
Geist
des
Sports
allererst
herzustellen.
In
diesem
Sinne
ist
die
eigene
Einsicht
bzw.
das
eigene
Interesse
ein
Punkt
außerhalb
des
Vollzuges
des
Geistes
der
Regeln,
an
dem
sich
entscheidet,
ob
dieser
Geist
besteht
oder
aber
nicht.
Demgegenüber
bleibt
denkbar,
den
genuinen
Charakter
des
Sportsgeistes
noch
ein
Stück
weiter
zu
treiben.
Wenn
der
Geist
des
Sportes
nicht
wird,
sondern
je
schon
lebt,
wenn
und
falls
man
Sport
treibt,
dann
„geht
es
stets
um
konkrete
Handlungsalternativen,
nicht
um
den
erstmaligen
Entschluß,
überhaupt
an
(irdischen,
nicht-höllischen)
Lebensformen
teilzunehmen"
(Schneider,
1994,
S.
38).
Ethische
Grundsätze
setzen
dann
gelebte
„Umgangsformen"
je
schon
voraus,
die
sie
artikulieren
und
„erinnernd
auf
eine
Formel
bringen"
(ebd.,
S.
30:
vgl.
S.
43).
8
Der
Gegenentwurf
Der
moralphilosophische
Ansatz
ist
im
Kern
eine
Version
der
kantischen
Unterschei
dung
von
Legalität
und
Moralität.
In
dieser
Hinsicht
steht
er
mit
Kant
in
der
Nachfol
ge
Luthers,
der
auch
bereits
argwöhnte,
dass
so
mancher
zwar
seinen
Zorn
und
seinen
Mutwillen
bezwingt,
aber
„nur
aus
Angst
vor
Strafe
und
Schande,
nicht
aus
innerer
Einsicht
und
Liebe
zu
den
Geboten
Gottes"
(Kittsteiner,
1991,
S.
293).
Was
hier
auf
dem
Spiel
steht,
ist
die
Autonomie
des
Gewissens
(ebd.,
S.
156),
und
„als
Faustregel
kann
gelten;
wo
immer
die
Hölle
stark
gemacht
wird,
gilt
das
Gewissen
der
Gläubigen
als
schwach"
(ebd.,
S.
155).
Genau
das
war
das
Szenario:
In
all
den
Debatten,
die
auf
Sachzwänge
verweisen,
unter
denen
Sportler
handeln,
wird
ihnen
ihre
eigene
freie
Entscheidung
abgesprochen.
Demgegenüber
stärkt
Gerhardt
die
Rolle
des
Gewissens
und
bestreitet
den
drohenden
und
belobigenden
Instanzen,
unter
denen
sich
sportliches
Handeln
vollzieht,
ihren
moralitätskonstitutiven
Beitrag.
Insofern
ist
der
moralphilosophische
Ansatz
folgerichtig.
Das
Phänomen
ist
gänzlich
unstrittig,
ja
geradezu
trivial:
Es
gibt
Sportler,
die
sich
nicht
an
die
Regeln
halten,
und
es
mag
auch
solche
geben,
die
sich
aus
sachfremden
Motiven
an
die
Regeln
halten.
Falls
man
darin
mehr
und
anderes
sieht
als
bloße
Verstöße
gegen
das
Erlaubte
bzw.
mehr
und
anderes
einklagt
als
eine
gesunde
Pragmatik
-
sprich;
falls
man
darin
ein
moralisches
Problem
sieht
-,
bietet
der
Rückgriff
auf
kantisch
gedachte
Moralität
zweifellos
eine
Lösung;
Der
ethisch-normative
Sachverhalt
ist
dann
nicht
die
Regel
befolgung
als
solche,
sondern
„die
Triebfeder"
(Kant)
solcher
Regelbefolgung
oder
Regelnichtbefolgung.
„Man
kann
eine
moralische
Handlung
geradezu
dadurch
definieren,
dass
in
ihr
eine
Norm
zum
Motiv
[...]
wird."
(Gerhardt,
1991,
S.
129)
Nun
hat
dieser
Ansatz
typische
Folgeprobleme
insofern
er
in
einem
weiten
Sinne
zu
den
Intentionalismen
zählt.
Vordergründig
zeigt
sich
dieses
Problem
zunächst
als
eine
Art
utopischen
Denkens;
Es
spricht
empirisch-faktisch
doch
einiges
dafür,
dass
solch
innere
Stimmen
zu
schwach
sind,
um
gutes
Tun
zu
gewährleisten.
Es
könnte
58
Normativität
des
Sports
doch
sein,
dass
die
Beschwörer
der
Lob-
und
Strafanstalten
„das
realistischere
Menschenbild"
haben,
während
diejenigen,
die
die
innere
Mission
beschwören,
„nur
das
Ideal
eines
verinnerlichten,
sich
selbst
lohnenden
und
strafenden
Gewissens
verkünden,
das
gleichwohl
niemals
Realität
wird"
(Kittsteiner,
1991,
S.
156).
Hinter
diesem
Verdacht
steht
das
systematische
Problem,
dass
der
Verweis
auf
eine
innere
Instanz
das
Problem
nur
verschiebt
und
gleichsam
verdoppelt
(vgl.
Schneider,
2003,
S.
81-84);
Wenn
ich
mich
an
die
Regeln
halten
soll,
weil
mein
Gewissen
es
so
will
und
entscheidet,
warum
soll
ich
mich
dann
an
meine
Gewissensentscheidung
gebunden
fühlen?
Ist
es
nicht
geradezu
alltäglich,
mit
schlechtem
Gewissen
herum
zulaufen?
Daher
entspringt
der
Versuch
der
Gegenkonzeption
einer
Ethik
gelebter
Sittlichkeit.
Hier
geht
es
nicht
darum,
das
innere
Gewissen,
sprich:
die
Moral
der
Einzelnen,
zu
bemühen,
sondern
den
Blick
auf
die
Üblichkeiten
zu
lenken,
die
es
unter
den
Augen
des
Publikums
und
der
Schiedsrichter,
und
zunehmend
auch
unter
den
Argusaugen
der
Oberschiedsrichter
bis
hin
zu
den
Kameras,
einzuhalten
gilt,
und
die
sich
nur
sehr
zäh
verändern.
Zugespitzt;
Der
Schiedsrichter
hat
ein
Spiel
zu
leiten,
und
nicht
die
individuellen
Triebfedern
der
Regelverstöße
zu
untersuchen.
Der
Schiedsrichter
ist
kein
Gewissens-TÜV.
Diese
eingespielten
Üblichkeiten
sind
nun
nicht
die
Hölle.
Es
geht
gerade
nicht
mehr
um
die
Frage,
ob
sich
die
Einzelnen
aus
freier
Gewissensentscheidung
oder
nur
unter
Androhung
von
Sanktionen
an
die
Regeln
halten,
sondern
.Regelbefolgung'
ist
ein
öffentlicher
Sachverhalt,
der
ein
Wir,
und
nicht
ein
Ich,
anspricht.
In
einem
ge
wissen,
und
schwer
vor
Missverständnissen
zu
schützenden,
Sinne
steht
es
einem
Mit-Spielenden
nicht
frei,
sich
an
die
Regeln
zu
halten.
Überall
dort,
wo
Regeln
für
ein
Spiel
konstitutiv
sind,
kann
man
nicht
zugleich
das
Spiel
spielen
und
die
Regeln
brechen.
Sich
außerhalb
der
Regeln
zu
stellen,
ist
es
-
gerade
das
heißt
Konstitutivi-
tät
-,
aus
dem
Spiel
auszusteigen.
Das
eben
ist
eine
der
Pointen
Searles
(1971,
S.
56).
Wenn
man
überhaupt
von
so
etwas
wie
konstitutiven
Regeln
ausgeht,
dann
ist
es
keine
Frage
mehr,
wie
ein
Versprechen
eine
Verpflichtung
zur
Folge
hat.
Man
gibt
kein
Versprechen,
wenn
man
nicht
zugleich
eine
Verpflichtung
eingeht.
Und
analog:
Man
spielt
kein
Spiel,
wenn
man
sich
außerhalb
der
Regeln
stellt.
Wer
ein
Versprechen
gibt,
geht
damit/rag/os
eine
Verpflichtung
ein.
Searle
wollte
die
Frage
nach
einem
zusätzlichen
Grund
gerade
ausschließen.
Das
bedeutet
offenkun
dig
nicht
nur
nicht,
dass
es
nunmehr
keine
Brüche
von
Versprechen
geben
kann,
sondern
umgekehrt
kann
man
überhaupt
nur
dann
und
insofern
ein
Versprechen
brechen,
als
die
einzuhaltende
Verpflichtung
zum
Versprechen
selbst
gehört.
Wäre
die
mit
einem
Versprechen
üblicherweise
verbundene
Verpflichtung
ein
zusätzlicher,
und
insofern
kein
fragloser
Akt,
könnte
man
kein
Versprechen
brechen,
sondern
man
hätte
es
sich
einfach
anders
überlegt.
Wer
sich
auf
einen
sportlichen
Wettkampf
einlässt,
hat
sich
damit
fraglos
auf
die
Geltung
des
Regelwerks
und
der
praktizierten
Üblichkeiten
eingelassen
-
und
nur
deshalb
kann
man
überhaupt
sinnvoll
Verstöße
gegen
den
Sportsgeist
diagnostizieren.
Wer
sich
auf
einen
sportlichen
Wettkampf
einlässt,
trägt
fraglos
Verantwortung
für
das
Austragen
eines
sportlichen
Wett
kampfs
als
Wettkampf.
Es
sind
somit
zwei
Dimensionen
zu
unterscheiden:
Falls
und
indem
jemand
sich
auf
einen
Wettkampf
einlässt,
hat
sich
dieser
Jemand
handelnd,
59
Volker
Schürmann
und
nicht
bloß
erkennend
oder
sprechend,
„je
schon"
auf
eingespielte
Üblichkeiten
eingelassen,
die
dieses
Spiel
.Wettkampf'
konstituieren,
woraus
sich
gewisse
Ver
pflichtungen
ergeben.
Die
andere
Dimension
betrifft
dann
die
Frage,
ob
und
unter
welchen
Bedingungen
so
jemand
in
seinem
oder
ihrem
konkreten
Tun
diese
einge
gangenen
Verpflichtungen
erfüllt
oder
aber
nicht
erfüllt
oder
gar
auf
eine
solche
Erfüllung
seinerseits
verpflichtet
werden
kann.
Noch
einmal:
Selbstredend
kann
man
Versprechen
brechen,
aber
man
kann
das
nur
dann,
wenn
es
„je
schon
eingespielt"
darum
geht,
ein
Versprechen
zu
brechen.
14
Wer
diese
Verantwortung
nicht
übernimmt,
stellt
sich
außerhalb
des
Wettkampfs.
Sich
außerhalb
zu
stellen,
ist
etwas
anderes,
als
an
dem
Bemühen
zu
sc/7e/tem,
den
Wettkampf
als
Wettkampf
zu
wahren.
Jemanden
verpflichten
zu
wollen,
das
Spiel
nicht
zu
verderben,
wäre
ähnlich
ungereimt,
wie
jemanden
verpflichten
zu
wollen,
einen
Elfmeter
nicht
zu
vergeben.
Aber
wenn
jemand
antritt
und
von
vornherein
nichts
für
den
Wettkampf
als
Wettkampf
tut,
dann
stellt
sich
so
jemand
außerhalb.
Mit
Trittbrettfahrern
ist
das
Spiel
beendet,
da
hilft
auch
kein
herrschaftsfreier
Dialog
mehr.
Ein
hohes
Maß
an
Würde
praktizieren
und
gewährleisten
wohl
solche
Ge
meinschaften,
die
mit
der
Unterscheidung
von
Spielverderbern
und
Trittbrettfahrern
ohne
unnötige
Verfestigungen
umgehen,
das
heißt
so,
dass
auch
Trittbrettfahrer
ohne
Gesichtsverlust
wieder
Mitspieler
werden
können.
Das
Wiedereintrittsgeld
ist
freilich
Reue.
.Gegen
die
Regeln
zu
verstoßen'
ist
definitiv
doppeldeutig.
Es
meint
zum
einen
aregulatives
Tun,
also
sich
außerhalb
des
Regelwerks
zu
stellen;
und
es
meint
zum
anderen
einen
Verstoß
gegen
(diese
oder
jene)
Regel
oder
Regularität.
Das
sachli
che
Problem
dabei
liegt
darin,
dass
man
sich
nur
dadurch
außerhalb
des
Regelwerks
stellen
kann,
dass
man
gegen
bestimmte
Regeln
oder
Regularitäten
verstößt
-
wobei
nicht
jeder
Regelverstoß
bereits
ein
Sich-außerhalb-des-Regelwerks-Stellen
ist.
Es
handelt
sich
also
nicht
um
zwei
verschiedene
Sorten
von
Tun,
sondern
an
gewissen,
wahrlich
nicht
an
allen,
Regelverstößen
kann
man
zwei
verschiedene
und
nicht
aufeinander
reduzierbare
Dimensionen
unterscheiden.
Insofern
hängt
es
von
den
eingespielten
Üblichkeiten
ab,
was
noch
als
bloßer
Regelverstoß
durchgeht
und
was
eine
Grenzverletzung
des
Wettkampfs
als
Wettkampf
ist.
Was
ist
noch
„gesun
de
Härte",
und
was
macht
„das
Spiel
kaputt"?
9
Bilanz
und
Ausblick
Auch
im
Rahmen
einer
Ethik
gelebter
Sittlichkeit
können
also
Regularitäten
nicht
das
letzte
Wort
haben:
Fairness
als
ethisch-normatives
Problem
ist
mehr
als
bloße
Regelkonformität.
Aber
hier
gründet
Regelkonformität
nicht
in
Moralität,
sondern
in
gelebter
Sittlichkeit
-
und
das
heißt:
Sportliche
Regelkonformität
ist
eingebunden
in
einen
je
historisch
und
kulturell
bestimmten
Sportsgeist,
mithin
in
je
praktizierte
Üblichkeiten
(die
entsprechend
zu
lernen
sind
und
in
die
jede
und
jeder
Einzelne
eingeführt/eingespielt
werden
muss).
Geschriebene
oder
ungeschriebene
Regeln
14
Ich
knüpfe
hier
an
eine
Unterscheidung
von
De
Wächter
(1983)
an,
die
ich
jedoch
in
einer
Drehung
reformuliere,
um
einen
Dualismus
von
Semantik
und
Tun
zu
unterlaufen.
60
Normativität
des
Sports
sind
geronnene
resp.
festgeschriebene
Üblichkeiten,
und
leben
auch
weiterhin
im
Medium
üblicher
Regularitäten
und
regulärer
Üblichkeiten.
Kurz
gesagt:
Spielregeln
gibt
es
nur
dort,
wo
sie
etwas
regeln
(vgl.
Voikamer,
1984,
S.
199).
Der
Geist
der
Regeln
lässt
sich
nicht
selbst
in
Regeln
gießen
(vgl.
Gebauer,
1991).
Was
für
das
Sprechen
einer
Sprache
gilt,
gilt
daher
auch
für
das
Spielen
eines
Spiels,
insbesondere
für
das
Austragen
eines
sportlichen
Wettkampfs:
Es
lässt
sich
nicht
überzeugend
im
Rahmen
einer
„Kompetenztheorie"
(Krämer,
1998)
als
bloßes
Umsetzen
von
Regeln
in
Tun
begründen.
Das
Wachsen
einer
bestimmten
sportli
chen
Wettkampfkultur
(prototypisch:
einer
bestimmten
Sportart)
ist
dann
,die
allmäh
liche
Verfertigung
von
Regularitäten
beim
Spielen'
(für
die
Sportwissenschaft
vgl.
Drexel,
2004;
Gebauer,
1983;
in
sportdidaktischer
Konkretion
Loibl,
2001).
Für
die
Grenze
zwischen
alltäglichen
und
.bösartigen'
Regelverletzungen
gilt
daher
generell,
dass
sie
niemals
nur
rein
sachlich
bestimmt
ist,
sondern
immer
ein
historisch
und
kulturelles
Moment
von
Kontingenz
aufweist.
Sprichwörtlich
ist
die
Härte
im
englischen
Fußball
eine
andere
als
außerhalb
der
Insel;
und
auch
hierzulande
ist
es
zu
verschiedenen
Zeiten
und
Orten
durchaus
unterschiedlich,
was
als
Bedrohung
des
Geistes
der
Fairness
angesehen
wird.
Diese
Kontingenz
hat
auch
eine
ethische
Seite,
denn
der
je
konkrete
Sportsgeist
wird
nunmehr
im
Tun
gleichsam
ausgehan
delt.
Das
wiederum
beansprucht
oder
strapaziert
die
Hoffnung,
dass
es
gelingen
möge,
sowie
Vertrauen
in
die
Beteiligten
und
manches
mehr.
Um
es
an
dem
Ausgangsbeispiel
festzumachen:
Es
war
lange
Zeit
eine
verbreitete
Üblichkeit
von
Sportorganisationen
und
Medien,
das
Doping-Problem
zu
individuali
sieren.
Plakatiert
wurde
das
Bild
von
den
einzelnen
schwarzen
Schafen.
Diese
Sicht
wird
zunehmend
unglaubwürdig;
sie
ist
darüber
hinaus
unklug,
da
sie
dazu
beiträgt,
diejenigen
Probleme
zu
reproduzieren,
gegen
die
sie
antritt
(vgl.
Bette
2001).
Aus
der
Sicht
einer
Wir-Ethik
geht
sie
zudem
am
moralischen
Problem
vorbei,
da
der
real
gelebte
Sportsgeist
mehr
als
die
Summe
aller
Gewissensentscheidungen
ist.
Die
beteiligten
Institutionen
gestalten
vielmehr
jenes
Feld,
in
dem
individuelle
Gewis
sensentscheidungen
allererst
getroffen
werden.
Das
ist
im
Sport
nicht
anders
als
anderswo.
Es
ist
bereits
moralisch
fragwürdig,
für
die
Entwürdigungen
in
Abu
Ghraib
ausschließlich
die
konkret
misshandelnden
Soldaten
verantwortlich
zu
machen.
Der
Mythos
der
Moralphilosophie
liegt
in
der
Unterstellung,
Freiheit
des
Handelns
sei
nur
als
Intentionalität,
als
Umsetzung
individueller
Entscheidungen
in
Handeln
zu
haben.
Der
sportliche
Wettkampf
ist
das
bei
uns
wohl
akzeptierteste
Beispiel
dafür,
dass
es
ein
freies
Sich-bestimmen-Zassen
gibt.
Sich
an
Üblichkeiten
zu
halten,
oder
Üblichkeiten
partiell
zu
unterlaufen,
gilt
im
Sport
jedenfalls
nicht
als
ein
Rückfall
in
tierisches
Verhalten,
sondern
als
zivilisierte
Kunst
des
Spielens.
Üblich
wäre
jetzt,
Schiller
zu
zitieren
-
dass
der
Mensch
nur
da
ganz
Mensch
sei
usw.
-,
aber
manche
Üblichkeiten
sind
halt
geisttötend.
61
Volker
Schürmann
Literatur
Bayertz,
K.
(2004),
Warum
überhaupt
moralisch
sein?
München;
Beck.
Bette,
K.-H.
(2001).
Kollektive
Personalisierung:
strukturelle
Defizite
im
Dopingdiskurs,
ln
H.
Digel
(Hrsg.),
Spitzensport.
Chancen
und
Probleme
(S.
26-42),
Schorndorf:
Hofmann.
Bloch,
E.
(1959).
Das
Prinzip
Hoffnung
(Gesamtausgabe,
Bd.
5).
Frankfurt
a.M.:
Suhrkamp,
Bockrath,
F.
&
Franke,
E.
(2004).
Gibt
es
eine
Werthaftigkeit
des
Sports?
ln
R.
Mokrosch
&
E.
Franke
(Hrsg.),
Wertethik
und
Werterziehung
(S.
197-230).
Göttingen;
V&R
Unipress.
Bourdieu,
P.
(1998).
Praktische
Vernunft.
ZurTheorie
des
Handelns.
Frankfurt
a.M.;
Suhrkamp.
Gramm,
W.-J.
(2004),
ln
welchem
Sinne
sind
Rationalität
und
Bedeutung
normativ?
Deutsche
Zeitschrift
für
Philosophie,
52
(5),
111-130.
De
Wächter,
F.
(1983).
Spielregeln
und
ethische
Problematik,
in
H.
Lenk
(Hrsg.),
Aktuelle
Probleme
der
Sportphilosophie
(S.
278-294).
Schorndorf:
Hofmann.
Drexel,
G.
(2001).
Zur
Trainerethik
-
oder:
warum
man
sich
in
der
Sportwissenschaft
nicht
an
universalistischen
Ethiken
orientieren
sollte.
Kritik
utilitaristischer
und
Plädoyer
für
post
modernistische
und
kommunitaristische
Ethik-Ansätze.
In
H.
Digel
(Hrsg.),
Spitzensport.
Chancen
und
Probleme
(S.
123-157).
Schorndorf:
Hofmann.
Drexel,
G.
(2004).
Zu
Philosophie,
Sprachspiel
und
Regelfolgen
beim
späten
Wittgenstein.
Klärungsversuche
im
Hinblick
auf
den
Sport.
In
Pawlenka
2004,
75-89.
Drexel,
G.
(2006).
Die
Moral
im
Wettkampfsport.
.Sportiver
Egoismus'
in
einem
agonal-
performativen
Kulturspiel,
ln
J.
Dietrich
&
U.
Müller-Koch
(Hrsg.),
Ethik
und
Ästhetik
der
6ewa/f(S.
341-368).
Paderborn:
Mentis.
Fikus,
M.
&
Schürmann,
V.
(Hrsg.).
(2004).
Die
Sprache
der
Bewegung.
Sportwissenschaft
als
Kulturwissenschaft.
Bielefeld:
transcript.
Fikus,
M.
&
Schürmann,
V.
(2004a).
Die
Sprache
der
Bewegung.
In
Fikus
&
Schürmann
2004,
29-68.
Gabler,
H.
(1998).
'Fairneß/Fair
play'.
In
O.
Grupe
&
D.
Mieth
(Hrsg.),
Lexikon
der
Ethik
im
Sport
(S.
149-158;
2.
Auf!.).
Schorndorf:
Hoffmann.
Gebauer,
G.
(1983).
Wie
regeln
Spielregeln
das
Spiel?
In
Gebauer
2002,
89-95.
Gebauer,
G.
(1991).
Das
Fortschrittsprinzip
im
Sport
und
Probleme
einer
Sportethik.
In
Ge
bauer
2002,
227-236.
Gebauer,
G.
(1997).
Welche
Legitimationsquelle
im
Kampf
gegen
das
Doping?
In
Gebauer
2002,
237-242.
Gebauer,
G,
(2002).
Sport
in
der
Gesellschaft
des
Spektakels.
Sankt
Augustin:
Academia.
Gerhardt,
V.
(1991).
Die
Moral
des
Sports.
Sportwissenschaft,
21,
125-145.
Gerhardt,
V.
&
Lämmer,
M.
(Hrsg.).
(1993).
Fairneß
und
Fair
Ptay.
Eine
Ringvorlesung
an
der
Deutschen
Sporthochschule
Köln
(2.
Aufl.
1995).
Sankt
Augustin:
Academia.
Gerhardt,
V.
&
Lämmer,
M.
(1993a).
Fairneß
und
Fair
Play.
Einleitung.
In
Gerhardt
&
Lämmer
1993,
1-4,
Heinemann,
K.
(2006)
Verantwortungsethik
in
Sportorganisationen.
Sportwissenschaft,
36,
127-150.
Kittsteiner,
H.D.
(1991).
Die
Entstehung
des
modernen
Gewissens.
Frankfurt
a.M.;
Suhrkamp
1995.
König,
E.
(2004).
Ethik
und
die
Zweckrationalität
des
technologischen
Sports.
In
Pawlenka
2004,
199-212.
62
Normativität
des
Sports
Krämer,
S.
(1998).
Sprache
-
Stimme
-
Schrift.
Sieben
Thesen
über
Performativität
als
Mediali-
tät.
Paragrana,
7,
33-57.
Loibl,
J.
(2001).
Basketball-genetisches
Lehren
und
Lernen.
Schorndorf:
Hofmann.
Meinberg,
E.
(1991).
Die
Moral
im
Sport.
Bausteine
einer
neuen
Sportethik.
Aachen:
Meyer
&
Meyer.
Pawlenka,
C.
(Hrsg.).
(2004).
Sportethik.
Regeln
-
Fairneß
-
Doping.
Paderborn;
Mentis.
Pawlenka,
C.
(2004a).
Wozu
Sportethik?
Replik
zu
Volker
Schürmann.
Leipziger
Sportwissen
schaftliche
Beiträge,
45
(2),
135-142.
Pitsch,
W.
et
al.
(2006).
Zur
Legitimation
von
Normen
im
Sport
am
Beispiel
des
Mehrkampfs
in
der
Leichtathletik
-
Rechtsphilosophische
und
rechtssoziologische
Positionen.
Leipziger
Sportwissenschaftiiche
Beträge,
47
(2),
80-92.
Plessner,
H.
(1931).
Macht
und
menschliche
Natur.
Ein
Versuch
zur
Anthropologie
der
ge
schichtlichen
l/l/e/fans/chf
(Gesammelte
Schriften,
Bd,
V,
S.
135-234).
Frankfurt
a.M.:
Suhr
kamp
1981.
Richter,
N.A.
(2005),
Grenzen
der
Ordnung.
Bausteine
einer
Philosophie
des
politischen
Handelns
nach
Plessner
und
Foucault.
Frankfurt
a.M.,
New
York:
Campus.
Rödl,
S.
(2003).
Norm
und
Natur.
Deutsche
Zeitschrift
für
Philosophie,
51.
99-114.
Röttgers,
K.
(2004).
Wirtschaftsphilosophie
-
Die
erweiterte
Perspektive.
Zeitschrift
für
Wirt
schafts-
und
Unternehmensethik,
5
(2),
114-133.
Schneider,
H.J.
(1994).
Einleitung:
Ethisches
Argumentieren.
In
H.
Hastedt
&
E.
Martens
(Hrsg.),
Ethik.
Ein
Grundkurs
(S.
13-47).
Reinbek;
Rowohlt.
Schneider,
H.J.
(2003).
Konstitutive
Regeln
und
Normativität.
Deutsche
Zeitschrift
für
Philoso
phie,
51.
81-97.
Schürmann,
V.
(2004).
Grenzen
der
Sprache,
ln
Fikus
&
Schürmann
2004,
91-104.
Schürmann,
V.
(2006).
Vermittelte
Unmittelbarkeit.
Plessners
taktvolles
Spiel
mit
der
mensch
lichen
Würde,
K.
Röttgers
&
M.
Schmitz-Emans
(Hrsg.),
Mitte.
Philosophische,
medienthe
oretische
und
ästhetische
Konzepte
(S,
34-46).
Essen:
Blaue
Eule.
Schwier,
J.
(1996).
Wie
kommt
die
Moral
ins
Spiel?
Fairneß,
Gerechtigkeit
und
Glück
im
•
Wettkampfspiel.
In
J.
Court
(Hrsg.),
Sport
im
Brennpunkt
-
philosophische
Analysen
(S.
195-213).
Sankt
Augustin:
Academia.
Searle,
J.R.
(1971).
Sprechakte.
Ein
sprachphilosophischer
Essay.
Frankfurt
a.M.:
Suhrkamp
1983.
Stekeler-Weithofer,
P.
(2006).
Philosophiegeschichte.
Berlin,
New
York:
de
Gruyter.
Tegtmeyer,
H.
(2006).
Gegen
den
Formalismus.
Konvergenzen
zwischen
Ethik
und
Ästhetik
in
der
Analytischen
PhWosopdie.
Allgemeine
Zeitschrift
für
Philosophie,
31
(2),
131-152.
Volkamer,
M.
(1984).
Zur
Definition
des
Begriffs
.Sport'.
Sportwissenschaft,
14,
195-203.
63