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Institut für Volkswirtschaftslehre
Johannes Kepler Universität Linz
www.economics.uni-linz.ac.at Fassung vom 26. August 2002
Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
I n h a l t
1. Eine Standortbestimmung der Thematik ............................................................................................. 1
1.1. Finanzausgleich und Effizienz ...................................................................................................... 1
1.2. Positive und normative Theorie als Entscheidungsunterstützung ................................................ 3
1.3. Grundansprüche an den Finanzausgleich .................................................................................... 4
1.4. Mögliche Unzulänglichkeiten des Finanzausgleichs .................................................................... 5
1.5. Externalitäten, ineffizienter Ausschluss und Freifahren von Gebietskörperschaften ................... 7
1.6. Mögliche Handlungskonsequenzen ............................................................................................ 11
1.7. Voraussetzungen für vertragliche Gemeindeänderungen .......................................................... 12
1.8. Koordinationsversagen zwischen (zu kleinen) Gebietskörperschaften ...................................... 13
1.9. Gemeindegröße und Dezentralisierung ...................................................................................... 15
1.11. Kosten intergouvernmentaler Kooperationen ........................................................................... 17
1.12. Zentralisierung versus Dezentralisierung als unabdingbare Fragestellung .............................. 18
1.13. Ballungskosten als Kosten erhöhter Kollektivgröße ................................................................. 18
1.14. Einheitliche Präferenzen und unterschiedliche Rahmenbedingungen – größere
Gebietskörperschaften ....................................................................................................................... 21
1.15. Minderheitenschutz und Machtdiffusion – kleinere Gebietskörperschaften ............................. 22
1.16. Marktversagen, Staatshandeln und Politikversagen ................................................................ 23
1.17. Kasuistische Entscheidungen in föderalen Fragen .................................................................. 24
1.18. Suboptimale Gemeindegrößen – Gemeindezusammenlegung als "Zweitbestlösung" ............ 25
1.19. Zusammenfassung der Ergebnisse und Folgerungen .............................................................. 27
2. Negative Anreize und notwendige Bedingungen für Kooperation zwischen Gemeinden ................. 31
2.1. Hindernisse der Kooperation ...................................................................................................... 31
2.2. Institutionelle Bedingungen der Kooperation .............................................................................. 33
2.3. Zusammenfassung der Ergebnisse und Folgerungen ................................................................ 38
3. Bisherige Studien für Oberösterreich ................................................................................................ 43
3.1. "Strukturverbesserung der Gemeinden in Oberösterreich" ........................................................ 43
3.2. "Großgemeinden für Oberösterreich" ......................................................................................... 52
3.3. Zusammenfassung der Ergebnisse und Folgerungen ................................................................ 58
4. Der Finanzausgleich in Österreich .................................................................................................... 64
4.1. Spannung in Österreichs öffentlicher Finanzwirtschaft .............................................................. 64
4.2. Charakteristik des Finanzausgleichs in Österreich ..................................................................... 65
4.3. Der aktuelle Finanzausgleich näher betrachtet .......................................................................... 69
4.4. Zusammenfassung der Ergebnisse und Folgerungen ................................................................ 79
Literaturnachweis .................................................................................................................................. 83
Erscheint in: Friedrich Klug (Hg.), Lösung der Stadt-Umland-Problematik in finanziell-organisatorischer
Hinsicht, gezeigt am Beispiel des Ballungsraumes rund um die Landeshauptstadt Linz, in: Schriften-
reihe des Instituts für Kommunalwissenschaften an der Kepler Universität Linz, Linz 2002
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
1
"Funktionsfähige, dh unter anderem auch finanziell
gesunde öffentliche Gemeinwesen sind eine der
wesentlichen Voraussetzungen für eine dynami-
sche und zukunftsorientierte Entwicklung von Wirt-
schaft und Gesellschaft. Einen außerordentlich
wichtigen Beitrag dazu können eine zweckmäßige
Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des öffentli-
chen Finanzwesens, sachangemessene Kosten-
tragungsregelungen für öffentliche Leistungen und
eine funktionale Einnahmenbeschaffung und -ver-
teilung leisten" (Beirat für Wirtschafts- und Sozial-
fragen 1992, S. 7).
1. Eine Standortbestimmung der Thematik
1
1.1. Finanzausgleich und Effizienz
Der zentrale Ausgangspunkt für jegliche Überlegungen zum Finanzausgleich ist die
Aufteilung der Aufgaben zwischen den Gebietskörperschaften. Ihr Ergebnis ist der
passive Finanzausgleich: Das ist die Aufgabenkompetenz-Verteilung inklusive der
Abgabenerhebungskompetenzen. Es handelt sich hierbei um eine realwirtschaftli-
chen Fragestellung. Dazu gibt die normative Theorie der Wirtschaftspolitik Empfeh-
lungen ab, denn der passive Finanzausgleich soll die volkswirtschaftliche Effizienz
maximieren. Mit anderen Worten: Die gesamtwirtschaftlichen Opportunitätskosten
des gewählten Finanzausgleichs sollen miniert werden. Das bedeutet, dass alle an-
deren Aufgaben-Kompetenzabgrenzungen für die Gesellschaft mit höheren realwirt-
schaftlichen Netto-Nachteilen verbunden sind und daher die Opportunitätskosten –
das sind die Kosten der Nicht-Verwirklichung – dieser Lösung die höchsten aus den
insgesamt verfügbaren Lösungen sind.
Erst aus der Aufgaben-Kompetenzverteilung lässt sich dann konsequent auf die Fi-
nanzierungserfordernisse der Gebietskörperschaften rückschließen. Finanzierungs-
fragen sind daher in der Finanzwissenschaft (trotz der leicht irreführenden Bezeich-
nung dieser Disziplin)
2
abgeleitete und insofern sekundäre Entscheidungstatbestän-
de. Sie richten sich ihrerseits auf die effiziente Finanzierung einer vorgegebenen
(wünschenswerter Weise der effizienten) Aufgabenstruktur im Staat.
1
Die Überlegungen dieses einleitenden Übersichtsabschnitts (1.) erfolgen auf den theoretischen
Grundlagen dargestellt bei Peffekoven (1980) und Nowotny (1996). Dafür möge dieser Literaturhin-
weis genügen. Nur darüber hinaus gehende Quellen werden an Ort und Stelle noch explizit angege-
ben.
2
Im Gegensatz zur privaten Finanzwissenschaft (Finanzierungswirtschaft) als einem funktionalen
Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre (bzw. der Unternehmung) meinen wir hier die öffentliche Fi-
nanzwissenschaft als die Wissenschaft von der Aufgabenerfüllung durch den Staat (durch die öffentli-
che Hand, den öffentlichen Sektor, die öffentliche Finanzwirtschaft).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
2
Ganz zentral ist dabei festzustellen, dass beim Finanzausgleich notwendiger Weise
volkswirtschaftliche (gesamtwirtschaftliche/wohlfahrtsökonomische/gesellschaftliche),
also jedenfalls auch überbetriebliche (metaökonomische) Kriterien der ökonomischen
Effizienz heranzuziehen sind, nicht allein verwaltungs-/betriebswirtschaftliche. Somit
verlagert sich die Denk- und Handlungsebene vom einzelnen Haushalt einer be-
stimmten Gebietskörperschaft jeweils auf die nächsthöhere und schließlich auf die
gesamtstaatliche bzw. volkswirtschaftliche Ebene (Bartel 1998). Um ausdrücklich
darauf hinzuweisen, dass sich unsere ökonomischen Effizienzüberlegungen die ge-
samtwirtschaftliche Ebene beziehen, sprechen wir von allokativer Effizienz. Die
volkswirtschaftliche Perspektive beinhaltet zusätzlich zur Allokationseffizienz noch
zwei weitere Zieldimensionen: Stabilität wichtiger makroökonomischer Größen (z.B.
Beschäftigung, Geldwert, Wachstum) und die Verteilung von Wohlfahrt (Einkommen,
Vermögen und sonstigen – auch immateriellen – Lebensbedingungen).
Nicht nur formal wegen der logischen Konsistenz, sondern inhaltlich im Hinblick auf
die volkswirtschaftliche Effizienz muss, wie bereits angesprochen, gelten: Die fakti-
sche Verteilung der staatlichen Einnahmen (aktiver Finanzausgleich) auf die Ge-
bietskörperschaften verschiedener föderalistischer Ebenen (vertikaler aktiver Finanz-
ausgleich) und auf die Gebietskörperschaften ein und der selben föderalistischen
Ebene (horizontaler aktiver Finanzausgleich) hat sich aus dem passiven Finanzaus-
gleich (aus den Aufgaben- und Abgabenkompetenzen) herzuleiten. Wenn die Vertei-
lung der Staatsaufgaben- und -einnahmen-Kompetenzen (der passive Finanzaus-
gleich) vorgegeben oder nur vergleichsweise langsam änderbar, aber in bestimmter
Hinsicht klar suboptimal ist, so kommt dem aktiven Finanzausgleich unwillkürlich die
Aufgabe zu, die so entstehenden Ineffizienzen bestmöglich zu kompensieren.
Der aktive Finanzausgleich kann durch die Verteilung von Ertragsanteilen aus einem
gemeinsamen Abgabenaufkommen der Gebietskörperschaften erfolgen (primärer
Finanzausgleich) sowie durch intergouvernmentale Transfers (Finanzzuweisungen)
zwischen den Gebietskörperschaften (sekundärer und tertiärer Finanzausgleich).
Während die Finanzzuweisungen im Rahmen des sekundären Finanzausgleichs im
Finanzausgleichsgesetz (FAG) geregelt werden, sind jene im Zuge des tertiären Fi-
nanzausgleichs nicht durch das FAG festgelegt (Bröthaler u.a. 2002).
Der primäre Finanzausgleich erfolgt in Österreich großteils durch einen nicht unprob-
lematisch nach der Gemeindegröße abgestuften Bevölkerungsschlüssel. Angesichts
der konkreten Staffelung der Ertragsanteile der Gemeinden nach Bevölkerungsgrö-
ßenklassen der Gemeinden ergibt sich notwendiger Weise eine zweifache Problema-
tik:
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
3
• Die Bevölkerungszahl kann einerseits nicht den Finanzierungsbedarf für kommu-
nale Leistungen in jedem spezifischen Fall abbilden;
• andererseits wird der Unterschiedlichkeit der Finanzkraft (Finanzausstattung) der
jeweiligen Gemeinde auf Grund eigener (im passiven Finanzausgleich normierter)
Einnahmen nicht Rechnung getragen.
Jedenfalls scheint eine Diskussion über die ökonomischen Grundlagen eines solchen
Verteilungsschlüssels und die Möglichkeiten seiner direkten und indirekten Korrektur
– d.h. Korrekturen innerhalb und außerhalb dieses Schlüssels – aus Effizienzgrün-
den (immer noch) zu lohnen.
1.2. Positive und normative Theorie als Entscheidungsunterstützung
Die positive (reine) Theorie der Wirtschaftspolitik will feststellen, wie ein Finanzaus-
gleich zustande kommt und wie sich ein gegebener Finanzausgleich auf die Effizienz
der Aufgabenerfüllung einer bestimmten Gebietskörperschaft und somit auf die
volkswirtschaftliche Effizienz auswirkt.
Konsequent auf die positiv-theoretisch erzielten und empirisch gestützten Ergebnisse
haben normative Aussagen (das sind solche mit Empfehlungscharakter) zu erfolgen,
wie dies in einer Sozial-, angewandten und politischen Wissenschaft längst Standard
geworden ist: Es sind dies Aussagen darüber, welche Zielzustände verfolgt und wie
diese am besten erreicht werden sollen. Im gegenständlichen Fall kann es sich um
Empfehlungen für Änderungen des passiven und/oder aktiven, des vertikalen
und/oder horizontalen, sowie des primären, sekundären und/oder tertiären Finanz-
ausgleichs handeln. Ebenso können Änderungen in der Struktur (Ausdehnung
und/oder Anzahl) der Gemeinden empfohlen werden, welche bei gegebenen Finanz-
ausgleichsbestimmungen deren Auswirkungen auf das Finanzausgleichsergebnis
verändern. Ziel normativer Aussagen ist es, wie in all den hier noch anzustellenden
Überlegungen, die volkswirtschaftliche Effizienz zu erhöhen (die Opportunitätskosten
der gegenwärtig suboptimalen Lösung zu verringern).
Bei Feststellung eines Auseinanderklaffens zwischen Soll (normativen Aussagen)
und Ist (positiv-theoretischen und empirischen Feststellungen) und bei gegebenem
Finanzausgleichssystem kann diese Divergenz durch irgendeine Form der Koopera-
tion zwischen Gebietskörperschaften (hier: Gemeinden) gemildert werden: Angefan-
gen bei enger Koordination der Aufgabenerfüllung und einem finanziellen Lastaus-
gleich über Neuabgrenzung bestimmter Gebietskörperschaften bis hin zur Gemein-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
4
dezusammenlegung bzw. Gemeindeteilung reicht das Spektrum der horizontalen
föderalen Kooperation insbesondere zwischen Nachbargemeinden.
In jedweder Form bedeutet interkommunale Kooperation zwecks gemeinsamer Effi-
zienzsteigerung eine faktische Veränderung des horizontalen Finanzausgleichs. Dies
ist insofern von Vorteil, als sich der abgestufte Bevölkerungsschlüssel in Hinsicht auf
die multidimensionale sozio-ökonomische Realität als zu grob erweisen muss und
daher nicht systematisch optimal sein kann (vgl. Unterabschnitt 1.1.). Das im Ver-
gleich zur Bevölkerungszahl überproportionale Anwachsen der Finanzkraft der Ge-
meinden gemäß der Abstufung des Verteilungsschlüssels für gemeinschaftliche Ab-
gaben kann nämlich nur allgemein einwohnergrößenabhängige, nicht aber regional
spezifische Bestimmungsgrößen einer effizienten Finanzverteilung berücksichtigen.
1.3. Grundansprüche an den Finanzausgleich
Ganz allgemein formuliert soll ein Finanzausgleich dann erfolgen, wenn die staatlich
bereitzustellenden Güter (Kollektivgüter, staatliche Leistungen, "social goods") in der
Reichweite ihres Nutzenstroms (ihrer so genannten Nutzeninzidenz für Wirtschafts-
subjekte) räumlich begrenzt sind. Wirkt ein solches Gut örtlich nicht unbegrenzt, hat
man es – im Unterscheid zu globalen (weltweit wirksamen) Gütern – je nach Wir-
kungskreis mit nationalen, regionalen und lokalen Kollektivgütern zu tun.
Nach der räumlichen Nutzeninzidenz eines Kollektivgutes richtet sich, normativ ge-
sehen, die Auswahl des Kollektivs (auch Jurisdiktion genannt: Gemeinde, Bundes-
land, Staat, supranationale Institution) – jenes Kollektivs, welches jeweils das betref-
fende, gemäß seiner räumlichen Eigenschaft passende Kollektivgut bereitstellt,
nachdem es über dessen Qualität, Quantität und Finanzierung entschieden hat. Da-
bei muss es sich nicht bloß um die Entscheidung für die eine oder andere hierarchi-
sche (vertikale) Ebene in einem föderalen Staat handeln. Vielmehr kann sich diese
Wahlentscheidung zweckmäßiger Weise in einem weiteren Analyseschritt auch auf
die horizontale Ebene erstrecken und untersuchen, ob es allokativ effizient (d.h. auf
regionaler, überörtlicher Ebene effizient) ist, dass ein Kollektivgut z.B. von jeder Ge-
meinde selbst, nur für sich selbst und ohne Rücksichtnahme auf die anderen, mehr
oder weniger benachbarten Gemeinde erstellt wird (Musgrave/Musgrave 1997).
3
3
"Given the spatial characteristics of social goods, there is thus an a priori case for multiple jurisdic-
tions. Each jurisdiction should provide services the benefits of which accrue within its boundaries (…).
The spatially limited nature of benefit incidence thus calls for a fiscal structure composed of multiple
service units, each covering a different-sized region within which the supply of a particular service is
determined and financed. Even if some services call for nationwide, others for statewide, and still oth-
ers for metropolitan-area-wide or local units, the argument so far does not call for an ordering of 'high-
er-level' and 'lower-level' governments. Rather, we are faced with coordinate units covering regions of
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
5
Ist diese Allokationsentscheidung getroffen (passiver Finanzausgleich), hat die Fi-
nanzkraft jeder Gemeinde ihrer individuellen Aufgabenstellung angepasst zu werden
(aktiver Finanzausgleich). Die kann wiederum mittels eines mehr oder weniger aus-
geklügelt zusammengesetzten Verteilungsschlüssels der gemeinschaftlichen Abga-
ben (primärer Finanzausgleich) erfolgen oder aber auch – aus Gründen der orts-
bzw. der regionsspezifischen Feinsteuerung – mittels Finanzzuweisungen zwischen
vertikalen Ebenen und auf je einer bestimmten horizontalen Ebene.
4
1.4. Mögliche Unzulänglichkeiten des Finanzausgleichs
Die Unzulänglichkeit eines aktiven horizontalen Finanzausgleichs besteht in einer
Divergenz zwischen Aufgaben- und Finanzkraftverteilung: zwischen den Anforderun-
gen aus der Aufgabenverteilung gemäß dem passiven vertikalen Finanzausgleich
(Gemeindeaufgaben und Abgabenkompetenzen) auf der einen Seite und der Vertei-
lung der Finanzkraft, die sich aus dem aktiven horizontalen Finanzausgleich (Er-
tragszuweisungen und Finanzzuweisungen für die Gemeinden) ergibt, auf der ande-
ren Seite (vgl. Unterabschnitt 4.1. für Österreich).
Die Ursachen für diese fiskalische Unzulänglichkeit können unter zweierlei Aspekten
gesehen werden:
• Die Unzulänglichkeit kann zum einen damit begründet werden, dass beim passi-
ven vertikalen Finanzausgleich eine föderalistische Ebene zu wenig berücksichtigt
und eingezogen worden ist. Dies ist der Fall, wenn etwa Groß- und Kleingemein-
den neben gleichen Aufgaben, die das Argument für die Versammlung großer
und kleiner Gemeinden auf einer gemeinsamen föderalistischen Ebene bilden
(Fröhler 1976), auch typisch ungleiche Aufgaben zu erfüllen haben. Im Hinblick
auf die Aufgabenkompetenz-Zuweisung würde daher eine Trennung in zwei oder
mehrere verschiedene föderale Gemeindeebenen (Großgemeinden etc.) nahe
liegen.
• Zum anderen kann das Problem darin gesehen werden, dass der aktive horizon-
tale Finanzausgleich nicht (bloß) den unterschiedlichen Erfordernissen der ver-
schiedenen Gemeindegrößen nicht entsprechend Rechnung trägt, sondern
(auch) die sonstigen (größenunabhängigen) Gemeindecharakteristika nicht be-
different sizes" (Musgrave/Musgrave 1997, S. 42). Diese Überlegungen leiten zu jenen der folgenden
Unterabschnitte, insbesondere 1.4. bis 1.6., über.
4
Zur Frage nach horizontalen oder vertikalen Finanzzuweisungen zur Veränderung der horizontalen
Verteilungswirkungen eines gegebenen Finanzausgleichs vgl. Müller (1995).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
6
rücksichtigt: Wirtschaftsstandort oder Wohngebiet, Dienstleistungszentrum oder
Erholungsgebiet etc.
Unerheblich unter welchem Gesichtpunkt die Soll-Ist-Divergenz des gegebenen Fi-
nanzausgleichssystems gesehen wird, besteht objektiv gesehen wirtschaftspoliti-
scher Handlungsbedarf.
5
Nicht zuletzt wird diese Suboptimalität tendenziell problematischer, indem in den ver-
gangenen Jahrzehnten die Gemeinden mit einer wachsenden Zahl von Aufgaben
konfrontiert waren und es bis heute sind: etwa im Bereich der immer noch für den
Wirtschafts- und Wohnstandort wichtigen und auch künftig wichtig bleibenden Infra-
strukturentwicklung, der aktueller werdenden Stadtsanierung und Stadtteil-/Wieder-
/Belebung, immer noch der Altlastenentsorgung im Umweltbereich, zunehmend des
umweltschonenden Personennahverkehrs und der Betreuungseinrichtungen für Kin-
der, Kranke und Alte.
6
Andererseits sind die Gemeinden großteils auf Einnahmen
aus intergouvernmentalen Transfers angewiesen. Dabei können "wesentliche Kon-
flikte zwischen vertikalen und horizontalen Verteilungszielen entstehen" (Kuhn 1995).
• Ein solcher Zielkonflikt ist (und dies rundet die obigen beiden Punkte dieses Un-
terabschnitts ab) insofern möglich, als der nach verschiedenen Beweggründen
zusammengesetzte Verteilungsschlüssel für die Finanzkraft im Einnahmenver-
bund-System der Gebietskörperschaften nicht transparent gestaltet und somit
nicht unbedingt logisch konsistent zusammengesetzt ist. Eine konkrete Festle-
gung einer bestimmten Relation (Prioritätsordnung) zwischen den Zielen (a) effi-
ziente Allokation der Ressourcen (primär betreffend den vertikalen Finanzaus-
gleich) und (b) Verteilung der Finanzkraft im Hinblick auf die Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (hauptsächlich in Verbindung mit dem hori-
zontalen Finanzausgleich) kann – zumindest theoretisch bzw. in der Praxis im
Groben – den Zielkonflikt zwischen Allokation und Distribution durch eine ge-
samtwirtschaftlich effiziente (wohlfahrtsmaximale) Zielkombination minimieren
bzw. entschärfen.
7
5
"Ausgangspunkt für einen horizontalen Finanzausgleich sollte eine sinnvolle vertikale und horizontale
Kompetenzverteilung im Bundesstaat sein. Die Schwächen in der österreichischen Kompetenzvertei-
lung spiegeln sich notwendigerweise in der Regelung des horizontalen Finanzausgleichs wider" (Mit-
tendorfer 1994, S. 42).
6
Kuhn (1995) bezieht sich auf die Situation in Deutschland, für Österreich wird diese Auffassung ge-
stützt durch Froschauer (1992).
7
Ein Zielkonflikt zwischen Allokations- und Verteilungsaspekten besteht beispielsweise dann, wenn es
das gesellschaftliche Wohlfahrtsmaximum offenbar verlangt, extrem formuliert nicht alle Bergdörfer mit
den infrastrukturellen Einrichtungen einer Bezirksstadt auszustatten, jedoch der verfassungsmäßige
Grundsatz der Ausgewogenheit der Lebensverhältnisse streng genommen jene Finanzausstattung für
alle Bergdörfer erfordern würde, die genau die selbe Infrastrukturausstattung finanzieren könnte.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
7
Diesbezüglich zeigt Kuhn (1995, Kap. 4) erstmals, dass vor allem bei eher ungleicher
Verteilung der ausgeschütteten (knappen, also verteilungskonfliktträchtigen) Finanz-
masse mit steigender Höhe der selben ein bestimmter Verteilungsschlüssel regressiv
statt progressiv wirken kann. Das bedeutet, dass bei zunehmender Finanzmasse die
horizontale Verteilung ungleicher wird und umgekehrt. Daher plädiert Kuhn (1995)
gegen eine Integration von vertikalem und horizontalem Finanzausgleich in Form
eines einzelnen, eindimensional fixierten Schlüssels, sondern für eine laufende Be-
obachtung der Effekte eines vertikalen Finanzausgleichssystems je nach Finanzauf-
kommen auf die horizontale Verteilung. Dabei geht es ihm insbesondere um den
Vergleich der faktischen Verteilung mit jener horizontalen Verteilung, die sich norma-
tiv aus einem (sorgfältig gewogenen und aggregierten) Index mehrerer Indikatoren
des kommunalen Finanzbedarfs ergibt. Auf einer derartigen analytischen Basis pro-
pagiert Kuhn (1995) die simultane Optimierung des Finanzausgleichs hinsichtlich
beider Aspekte: des allokativen und des distributiven (siehe dazu auch Abschnitt 4.
unten).
Bei einer derartigen Revision und ggf. Reform des Finanzausgleichssystems sind
allerdings die in den folgenden Unterabschnitten ausgeführten (zentral-)örtlichen
Problemfaktoren unbedingt zu berücksichtigen, denn auch sie rechtfertigen die Pa-
rameter eines aggregierten Finanzbedarfsindex à la Kuhn (1995). Gerade solche in-
terkommunalen (und interregionalen) Probleme sind es, welche Überlegungen zur
allokativen Effizienz auch in Entscheidungen über den horizontalen Finanzausgleich
erforderlich machen. Selbiges gilt für Überlegungen über Gemeindezusammenle-
gungen, welche quasi als weniger prätentiöser Ersatz für schwerer realisierbare Fi-
nanzausgleichsreformen fungieren.
1.5. Externalitäten, ineffizienter Ausschluss und Freifahren von Gebietskörper-
schaften
Ein typischer Verursachungsfaktor für die ineffiziente Allokation der Ressourcen zwi-
schen Gebietskörperschaften ist die Existenz von Externalitäten, die in einem Fi-
nanzausgleichssystem zu wenig Beachtung findet. Zu unterscheiden sind dabei posi-
tive externe Effekte (externe Nutzen) bzw. negative externe Effekte (externe Kosten).
Ganz allgemein sind Externalitäten (externe Effekte) – im Zusammenhang unserer
Thematik – Wirkungen, die aus dem Gebiet anderer Gebietskörperschaften direkt auf
die Produktionsmöglichkeiten und -erfordernisse öffentlicher Leistungen und die Kon-
summöglichkeiten in einer bestimmten Gebietskörperschaft einwirken (Dahlby 1996).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
8
Typischer Weise und besonders ausgeprägt sind Externalitäten im Bereich einer
Zentralgemeinde und ihren Umlandgemeinden zu finden.
8
Dabei sind die Nettobelas-
tungen aus den Externalitäten (d.h. die Differenz zwischen den erlittenen und den
ausgelagerten externen Kosten plus die Differenz zwischen den geleisteten und den
erhaltenen externen Nutzen) mit größter Wahrscheinlichkeit auf Seiten der Zentral-
gemeinde gelegen.
9
Unabhängig von einer solchen Nettoverteilung der interkommu-
nalen Externalitäten bestehen die regionalen und somit auch gesellschaftlichen Inef-
fizienzen darin, dass zu wenige Güter mit positiven externen Nutzen produziert und
konsumiert werden und zu wenige Güter, bei deren Produktion und Konsum externe
Kosten entstehen.
Ein Beispiel für positive Externalitäten wäre, dass Infrastruktureinrichtungen (Spitäler,
Naherholungsräume etc.) einer Gemeinde durch die Bevölkerung von Nachbarge-
meinden gratis oder zu nicht Kosten deckenden Gebühren in Anspruch genommen
werden (Rothenberg 1977). So muss mit dem eigenen Abgabenaufkommen und den
Ertragsanteilen der die Leistungen bietenden Gemeinde bei der Finanzierung dieser
Leistungen unwillkürlich das Auslagen gefunden werden, und zwar ohne die Finan-
zierungsbeiträge jener Gemeinden, deren Bevölkerung die externen Nutzen genießt.
Man spricht bildlich vom "Freifahrerverhalten" der profitierenden Gemeinden: Nut-
zung ohne (adäquaten) Finanzierungsbeitrag.
Ein Ausschluss der Mitglieder anderer Gebietskörperschaften von der Nutzung der
jeweils örtlichen staatlichen (kommunalen/regionalen) Leistungen wegen Freifah-
rerverhaltens ist jedoch auf Grund der hohen Transaktionskosten (Durchführungs-
kosten) ökonomisch nicht vertretbar (Rothenberg 1977): Die öffentlichen und auch
die privaten Kosten der Realisierung von Finanzierungsgerechtigkeit durch Aus-
schluss (z.B. durch Bemautung städtischen Verkehrs speziell für Nicht-Einwohner)
sind prohibitiv d.h., wegen ihrer großen Höhe nicht ins Auge zu fassen.
8
"Another vital characteristic of the real-world metropolitan area is that it exists as a counterpart of a
very high degree of economic and social interaction: such interaction is the raison d'etre as well as the
consequence of the spatial concentration known as an urban area. (...) Thus the interactive physical
presence of suburbanites in the central city raises the real cost of providing public services to the city
residents" (Rothenberg 1977, S. 201).
9
"There is strong reason to believe, however, that the externalities imposed by suburbanites on the
city are greater than those imposed by city residents on the suburb. First, the disproportionate concen-
tration of business, governmental, and nonprofit institutional facilities in the city implies much more per
capita suburbanite presence in the city than the reverse. Second, each instance of suburbanite pres-
ence in the city is likely to have a larger cost-enhancing (or quality-depressing) impact than the re-
verse presence of city residents in the suburbs. That results from the fact that the marginal crowding
effect on public services is greater the greater is the average crowding. (...) So the net interjurisdic-
tional externalities imposed on the suburb are likely to be negative, and those imposed on the city
positive" (Rothenberg 1977, S. 201 f.).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
9
Ins Gewicht fällt bei Erwägungen von Ausschluss und Verpreisung örtlicher staatli-
cher Leistungen auch der Umstand, dass aus der Nutzung von Infrastruktureinrich-
tungen bis zum Erreichen der infrastrukturellen Kapazitätsgrenzen vielfach vernach-
lässigbar geringe Grenzkosten aus der Leistungserbringung erwachsen: Die Nutzung
einer Infrastruktureinrichtung durch eine zusätzliche Person verursacht kaum weitere
Kosten (kaum positive Grenzkosten), nämlich zusätzlich zu den ohnedies anfallen-
den Fixkosten. Erst Übernützung bedingt merklich positive Grenzkosten (etwa War-
tezeiten, Qualitätsverluste und Staukosten für Nutzer und Anrainer). Dieser kompli-
zierende Umstand lässt nicht nur die Einhebung von Beiträgen von den nutzenden
Personen eher ineffizient werden. Vielmehr macht er auch die nutzungsgerechte
Kostenbeteiligung auf bilateraler Verhandlungsbasis zwischen den beteiligten Ge-
meinden schwer operationalisierbar, d.h. sowohl schwer mess- und verhandelbar als
auch teuer administrierbar (Rothenberg 1977; zur Verhandelbarkeit der Externalitä-
tenprobleme durch die betroffenen Gemeinden vgl. speziell Abschnitt 2.).
10
Darüber hinaus befinden sich Zentralgemeinden in einem Dilemma: Einerseits müss-
ten sie auf Effizienzgründen eigentlich jene Unternehmen besteuern, welche Arbeits-
kräfte aus anderen Gemeinden beschäftigen, und zwar genau in dem Maß, in dem
die Einpendler der betreffenden Unternehmung die Kosten der kommunalen Dienste,
die sie beanspruchen, erhöhen. Andererseits sind diese Unternehmen zwischen den
Gemeindegebieten mobil, so dass eine zusätzliche Besteuerung eine Absiedelung
und einen Verlust an gemeindeeigenen, wertschöpfungsbasierten Abgaben bewirken
könnte.
11
Folglich ergibt sich aus diesen Überlegungen zu positiven Externalitäten (Nutzen-
Spillovers) folgende normative Konsequenz für den Finanzausgleich: "Ein effizientes
Finanzausgleichsverfahren würde in diesem Falle eine Kompensation für Leistungen,
die ein zentraler Ort in der Regel unentgeltlich für das Umland erbringt, erforderlich
machen" (Kuhn 1995, S. 3).
12
10
Bezüglich der Messprobleme kann zusätzlich noch festgehalten werden: "The net increase in cost
of public services due to net externalities may be less than suggested by the expenditure function and
the differential size of the spillover because there are two potential financial offsets. One is govern-
mental profits on business taxation, the other is the proceeds of special user charges" (Rothenberg
1977, S. 202).
11
"Since the concentration of business in the city is one of the chief causes of the net presence of the
suburbanite there, it would seem reasonable to tax that business at rates that yield revenues in excess
of the business-induced cost increases. Unfortunately, it is extremely difficult to calculate the business-
induced portion of cost increases – i.e., to assign the differing liabilities to the individual businesses on
the basis of their impact on costs (vgl. auch Fußnote 15; Anm. d. Vf.). Perhaps even more constrain-
ing, however, is that businesses are deemed to be both generally desirable in the urban area and
mobile, so that the competitive attractions of alternative areas prevent obviously exploitative tax treat-
ment for fear of losing these valuable mainstays of the urban economy" (Rothenberg 1977, S. 202).
12
Empirische Evidenz für das Freifahren von US-Bundesstaaten bei positiven Externalitäten (in Form
staatlicher Ausgaben für den Schutz gefährdeter Arten) finden List u.a. (2002).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
10
Ein Beispiel für negative Externalitäten wäre hingegen, dass die Produktion in einer
bestimmten Gemeinde dort (von Pendelströmen abgesehen) zu Einkommen führt,
aber die Umweltbedingungen (Wohnqualität, Gesundheit, Erwerbsmöglichkeiten im
Tourismus) in den Nachbargemeinden dadurch in so mancher Hinsicht merklich be-
einträchtigt werden. Dabei leistet die schädigende Gemeinde keine Entschädigung
an die geschädigten Gemeinden bzw. die schädigende Gemeinde unternimmt nichts,
um die Schädigung auf ein Maß zu verringern, das – auf Ebene aller betroffenen
Gemeinden betrachtet – ökonomisch effizient wäre (Freifahrerverhalten der profitie-
renden Gemeinde: Schädigung ohne Finanzierungsbeitrag).
Diese Beispiele zeigen, allgemein gesprochen, dass die so genannte Kollektivgröße
nicht optimal gewählt wurde oder mittlerweile nicht mehr optimal ist.
13
Das bedeutet,
dass bei der Aufgabenverteilung im Rahmen des passiven vertikalen Finanzaus-
gleichs jene Aufgaben, welche die wirtschaftspolitische Lösung der Externalitäten-
probleme (die "Internalisierung der externen Effekte) betreffen, einer in der föderalen
Hierarchie zu niedrigen Ebene zugeordnet worden sind. Denn eine Gebietskör-
perschaft, die aus den wechselseitigen positiven und negativen Externalitäten auf
horizontaler Ebene im Wesentlichen als Nettobevorteilte hervorgeht, hat kaum einen
bis gar keinen Anreiz, Finanzierungsbeiträge an die anderen benachbarten Gebiets-
körperschaften zu leisten und so ihr Freifahrerverhalten zu ändern. Es wird nämlich
von der Gebietskörperschaft (hier: Gemeinde) der Nettonutzen ("fiscal return") pro
Kopf maximiert. Wesentlich dabei ist, dass sie dies natürlich in Bezug auf ihr Ge-
meindegebiet und ihre Einwohner tut, und nicht (wie es der passive vertikale Finanz-
ausgleich vorsehen sollte) für die Einwohner einer Region, die so groß ist, dass die
externen Effekte so gering sind, dass die Gesamteffizienz der Region maximal ist
13
Der für Deutschland erhobene Befund kann – institutionell modifiziert, aber inhaltlich unbeeinträch-
tigt – auch für Österreich im Allgemeinen und Linz im Besonderen Gültigkeit beanspruchen: "Im Zuge
der in den 70er Jahren verstärkt einsetzenden Tendenz zur Abwanderung aus den Kernstädten an die
Peripherie mit all ihren negativen Begleiterscheinungen kam dem Zuweisungssystem die Funktion zu,
einen Ausgleich für die Leistungen zentraler Orte zu schaffen. Diese Wanderungsbewegungen brach-
ten Einwohnerverluste für die großen Städte und daher erhebliche Einkommensteuer- und Zuwei-
sungseinbußen mit sich, denen aber keine nennenswerten Entlastungen auf der Kosten- bzw. Ausga-
benseite gegenüberstanden. Denn die abwandernden Einwohner nutzten nach wie vor etwa die Infra-
strukturleistungen der Kernstädte, ja, sie verursachten teilweise noch zusätzliche Kosten, man denke
nur an den Ausbau der innerstädtischen Verkehrswege als ein Reflex auf die anschwellenden Pend-
lerströme. Hinzu kam, dass es meist Bezieher höherer Einkommen waren, die der Stadt den Rücken
kehrten und soziale Schwache und alte Bürger in den damals meist noch nicht sanierten Innenstädten
zurückließen. Ökonomisch gesprochen haben wir es hier über die geschilderte Stadt-Umland-
Problematik hinaus ganz allgemein mit öffentlichen Gütern zu tun, die von den Einwohnern der umlie-
genden Gemeinden meist kostenlos, zumindest aber gegen nicht kostendeckende Gebühren in An-
spruch genommen werden" (Kuhn 1995, S. 171 f.; zu öffentlichen Gütern siehe auch Unterabschnitt
1.9.). Ebenso trugen die außerhalb der Stadtgrenzen entstehenden Großkaufhäuser zu einer inter-
kommunalen Verlagerung der Wertschöpfung und somit der gemeindlichen Ertragsbasis bei, was die
beschriebene Divergenz noch verstärkte (vgl. auch Punkt 4.2.2. samt Fußnote 38).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
11
und somit auch größer als die Gesamtheit der Effizienz der Einzelgemeinden. Eine
solche Diagnose könnte mehrerlei Handlungskonsequenzen bedeuten.
1.6. Mögliche Handlungskonsequenzen
• Erstens, die die Externalitäten betreffende Aufgabenkompetenz könnte in der je-
weils betreffenden Hinsicht auf die nächsthöhere föderale Ebene verlagert wer-
den (so z.B. von den Gemeinden auf das Bundesland). Denn dadurch fiele das
Freifahrerproblem weg, weil alle diesbezüglichen Entscheidungen von einer ein-
zigen Instanz zu treffen wären: Aus dem (interregionalen) Finanzausgleichsprob-
lem würde ein – vergleichsweise einfach lösbares – (intraregionales) Struktur-
problem.
14
• Zweitens, die Finanzkraft der betroffenen gleichrangigen Gemeinden könnte im
Rahmen des aktiven horizontalen Finanzausgleichs durch im Einzelfall begründe-
te Finanzzuweisungen umverteilt werden. Solcherart würden die bereitgestellten
externen Nutzen der sie produzierenden Gemeinde abgegolten und die verur-
sachten externen Kosten die sie verursachenden Gemeinde angelastet werden.
15
• Drittens ist in Betracht zu ziehen, dass das Finanzausgleichssystem historisch
langsam gewachsen und insofern auch durch den nicht unbedingt zweckmäßig
14
"There are certain government functions where the effect of a government's policy decision is not
confined to its own jurisdiction. Instead, in the presence of high mobility of goods and factors, local
policy decisions might exert external effects on other jurisdictions and the efficient supply of public
services requires coordination among local and state governments. Possibly, but not necessarily, co-
ordination of policies is achieved by the assignment of responsibilities to a central institution. From this
perspective, it seems reasonable to argue that public sector centralization could be an important pre-
condition and a driving force of economic growth" (Behnisch u.a. 2002, Nontechnical Summary).
15
"Intuitiv wird man vermuten, daß (...) der kommunale Finanzausgleich in Richtung einer Internalisie-
rung fiskalischer Externalitäten wirkt" (Janeba/Peters 2000, S. 38). Kuhn (1995) wendet sich aber aus
Effizienzgründen gegen eine Abgeltung interkommunaler Externalitäten im Rahmen des aktiven hori-
zontalen Finanzausgleichs. Die dafür verwendeten Mittel stammen nämlich aus dem allgemeinen
Steueraufkommen und belasten somit unbeteiligte Dritte ungebührlich. Die Finanzierung der Abgel-
tung der positiven bzw. Tragung der negativen Externalitäten müsste nämlich strikt verursachungsge-
recht erfolgen. Dabei müssten die Zahlungen der marginalen Zahlungsbereitschaft der durch die posi-
tiven Externalitäten Begünstigten bzw. durch die marginale Kompensationsforderung (marginale Ak-
zeptanzforderung/"marginal willingness to accept") der durch negative Externalitäten Geschädigten
entsprechen, um ein Wohlfahrtsmaximum erzielen zu können. Ist dies nicht erfüllt, so wird sich an der
Bereitstellung positiver externer Effekte durch die zentralörtliche Gemeinde und an der Verursachung
negativer externer Effekte durch die Einpendler aus den Umlandgemeinden nicht hinreichend viel
ändern, um ein soziales Optimum erreichen zu können. Denn dann dominiert der durch die Umvertei-
lung erzielte Einkommenseffekt den Substitutionseffekt (Lenkungseffekt), weil sich die relativen Preise
nicht ändern. Das Verteilungsziel erhält hierdurch in ineffizienter Weise Vorrang vor dem Allokations-
ziel. Kuhn (1995) präferiert daher die bilateralen Verhandlungen à la Coase zwischen den beteiligten
Gemeinden über effiziente Kompensationszahlungen. Er steht damit im Dissens zu Dahlby (1996),
Mansoorian/Myers (1996) und Sato (2000), welche effizienzkonforme (d.h. nicht aus den Gemein-
schaftsabgaben stammende) intergouvernmentale Transfers vorziehen. Für Argumente gegen bilate-
rale Verhandlungslösungen ("Coase-Lösungen") siehe die Unterabschnitte 1.7. und 1.16. sowie den
Abschnitt 2.).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
12
entwickelten Status quo mit der normativen Kraft des Faktischen behaftet und
solcherart suboptimal verfestigt ist; oft ist der Entstehungsprozess selbst ein – in
der Ökonomie kaum beachteter – Bestimmungsgrund für den resultierenden Fö-
deralismus (vgl. Punkt 3.1.1.). Obendrein begründen sich Skepsis gegenüber und
Ablehnung von Veränderungen häufig in der Unsicherheit der Betroffenen über
die künftigen Auswirkungen der gegenwärtig zu beschließenden Änderungen so-
wie in der mangelnden bis fehlenden Bereitschaft, zu Gunsten anderer Gebiets-
körperschaften auf Nettovorteile zu verzichten. Daraus lässt sich die Empfehlung
einer Änderung bestimmter Gemeinden (Grenzen, Anzahl) ableiten.
16
1.7. Voraussetzungen für vertragliche Gemeindeänderungen
• Zum einen können die Reformbemühungen zweckmäßiger und effektiver sein,
wenn auf ein und der selben föderalen Ebene Neuabgrenzungen der Gemeinde-
gebiete (Grenzen, Anzahl) vorgenommen werden. Dies mag gelten, zumal die
Zahl der verhandlungsführenden Parteien geringer ist als bei einer allgemeinen
Finanzausgleichsreform und die verschiedenen Externalitäten übersichtlicher und
daher leichter zu handhaben sind.
• Zum anderen wäre zu gewährleisten, dass bei etwaigen Gemeindeänderungen
keine der Vertragsparteien einen Nutzenverlust (Wohlfahrtsverlust) erleidet (Prin-
zip der Pareto-Effizienz). Pareto-Effizienz bedeutet, dass durch eine wirtschafts-
politische Maßnahme zumindest eine Wirtschaftseinheit (Individuum, Gebietskör-
perschaft etc.) besser gestellt wird, ohne dass dadurch aber eine andere schlech-
ter gestellt wird.
Doch gerade bei der Internalisierung von externen Effekten dürften Netto-Nut-
zengewinne und -verluste zwischen den Verhandlungsparteien auftreten. Doch sol-
che Umverteilungseffekte verhindern wohl das Zustandekommen der angestrebten
Maßnahmen. Deshalb wäre bei derartigen Reformanliegen auf das Kompensations-
prinzip von Hicks/Kaldor abzustellen: Die Reform steigert auf Grund dessen eindeutig
die Gesamtwohlfahrt; obendrein ist die Reform dann konsensfähig, wenn die Nutzen-
steigerung der einen Vertragspartei größer ist als die Nutzenverringerung der ande-
ren, so dass die dabei verlierende Partei (hier: Gemeinde) faktisch voll kompensiert
werden kann oder zumindest potenziell kompensiert werden könnte. Die entspre-
chende Kompensation wäre im Praxisfall einer Gemeindezusammenlegung oder
16
Musgrave und Musgrave (1997, S. 42) stellen den selben Gedankengang an, nur formulieren sie
ihn etwas anders: "The theory of multiunit finance must provide an answer to the question of what
constitutes the optimum number of fiscal communities and the number of people within each commu-
nity."
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
13
Eingemeindung im Voraus festzulegen, um ein positives Verhandlungsergebnis ef-
fektiv zu erreichen.
• Insbesondere ist aus wohlfahrtspolitischen wie gleichzeitig aus verhandlungstakti-
schen Erwägungen bei geplanten Gemeindezusammenlegungen auch dem Be-
dürfnis nach einer ausreichenden sozialen Identifikation der BürgerInnen mit ihrer
lokalen Gebietskörperschaft ausreichend Rechnung zu tragen. Immerhin wird
diese soziale Identifikation besonders durch eine historisch gewachsene, stark
gegliederte und somit kleingemeindliche (oder kleingemeindeartige) Struktur mit-
gewährleistet. Erreicht werden kann die lokale Identifikation auch ohne eine – aus
ökonomischen Gesichtspunkten ineffiziente – Kleingemeindenlandschaft, nämlich
durch Beziehungsmarketing zwischen den bestehenden Gemeinden zur Vorberei-
tung einer Gemeindegrenzenänderung und durch die Wahrung der lokalen Cha-
rakteristika und "labels" nach einer Erhöhung der Gemeindegröße (Gemeinde-
vergrößerung durch Grenzverlegung oder auch Gemeindezusammenlegung) aus
ökonomischen Effizienzgründen (vgl. Punkt 3.1.2.).
Die Hicks/Kaldor-Lösung bedeutet aus ökonomischer Sicht im gegenständlichen Fall,
dass etwa eine Gemeindezusammenlegung nur dann erfolgen soll, wenn dadurch
nicht allein ein Umverteilungseffekt verbunden ist, sondern daraus auch eine allge-
meine Wohlfahrtsverbesserung – also eine Wohlfahrtssteigerung für alle der (ehe-
mals getrennten) Gemeinden zusammen – entsteht (die potenzielle Kompensation ist
erfüllt). Diese gemeinsame Besserstellung kann praktisch wohl erreicht werden,
wenn keine der Vertragspartnerinnen dadurch schlechter gestellt wird (die faktische
Kompensation wird verwirklicht).
1.8. Koordinationsversagen zwischen (zu kleinen) Gebietskörperschaften
• Neben der Perspektive der externen Effekte ist auch darauf hinzuweisen, dass
die Kosten des Föderalismus auch in einer Überversorgung mit kollektiven Gütern
bestehen können: Potenzielle Skalenerträge werden nicht realisiert.
Das bedeutet, dass regionale Einheiten ihr Angebot an jenen Kollektivgütern, die
ähnlich oder gleich auch in den Nachbareinheiten hergestellt werden, autonom er-
stellen. Diese Ressourcen verschwendende Produktion erfolgt, obwohl die gemein-
same Nutzung durch die Bewohner der benachbarten oder in leicht erreichbarer Nä-
he liegenden Einheiten möglich und unter verhältnismäßigem Aufwand auch zumut-
bar wäre (Pommerehne 1987, Kap. 3.). So entgeht der Gemeinschaft dieser Ge-
bietskörperschaften und ihren Bewohnern der Kostenvorteil zunehmender Skalener-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
14
träge (Economies of Scale): Die Kostensenkungspotenziale größerer Produktions-
mengen und erhöhter Kapazitätsauslastung oder erweiterter Produktionskapazitäten
innerhalb eines zentralen Betriebes (Losgrößen- oder Betriebsgrößenvorteile) oder in
mehreren dezentralen Betrieben einer einzigen Organisation (Unternehmensgrößen-
vorteile durch Multi-Plant Economics) für alle regionalen Nutzereinheiten werden
durch die regional autonome Produktion nicht genützt.
Diese unnötigen Autonomiekosten bedeuten Kostenineffizienz und reduzieren die
Wohlfahrt durch überhöhte Budgets (was einer reduzierten wirtschaftspolitischen Ef-
fizienz der Budgets entspricht). Gerade der Wettbewerb zwischen benachbarten oder
nahe beisammen liegenden Gemeinden – betreffe es prestigeträchtige Infrastruktur-
einrichtungen oder Wirtschaftsstandortbegünstigungen zwecks Produktionsansiede-
lungen (Buiter et al. 1993) – kann, ebenso wie die Existenz von Externalitäten, zu
ineffizienter Versorgung mit kommunalen Leistungen führen.
• Darüber hinaus können kleine Gemeinden relativ leicht einen Mangel an infra-
strukturellen Planungseinrichtungen aufweisen. Daraus erwachsen tendenziell
Planungsmängel, die ihrerseits Folgekosten nach sich ziehen.
Jedenfalls liegt diesen Ineffizienzen jedweder Art ein Koordinationsversagen zugrun-
de.
Mangelnde oder fehlende Koordination (vgl. Unterabschnitt 2.1.) ergibt sich entweder
zwischen jenen Gebietskörperschaften auf einer horizontalen Ebene, die innerhalb
einer in bestimmten Hinsichten zusammengehörigen Region liegen. Solche verbin-
denden Charakteristika können sehr verschieden sein: Externalitäten, Ähnlichkeiten
von Präferenzen der Einwohner für kollektive Güter, Ähnlichkeit der kollektiven Auf-
gabenstellung, sozio-ökonomische Gravitationsfelder, realisierbare Skalenerträge,
Mindesterfordernisse an Verwaltungsinfrastruktur). Obwohl oder gerade weil Nach-
bargemeinden recht unterschiedlich sein können (v.a. Zentralgemeinden und ihre
Umlandgemeinden), sind die ökonomischen Schicksale der Gemeinden einer Region
oft fest miteinander verbunden, selbst wenn sich dies nicht in einer entsprechenden
interkommunalen Kooperation niederschlägt.
Das Koordinationsversagen kann auch auf einer übergeordneten föderalen Ebene
bestehen, welche die unzulängliche Koordination auf nachgeordneter Ebene oder die
dortigen Divergenzen zwischen Aufgaben- und Finanzkraftverteilung trotz ihrer Kom-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
15
petenz nicht durch eine hoheitliche Regelung ausräumt.
17
Der offenbaren Notwen-
digkeit zunehmender Politikkoordination sowohl auf jeweils einer als auch zwischen
verschiedenen föderalen Ebenen steht aber in jüngerer Zeit eine Tendenz zum "Au-
tonomismus" entgegen (Nowotny 1996, S. 152).
1.9. Gemeindegröße und Dezentralisierung
Die bisherigen Überlegungen legen nahe, dass wegen Koordinationsschwierigkeiten
die anvisierte Zielsetzung einer Effizienzsteigerung (der wünschbare Synergieeffekt)
nicht unbedingt durch Kooperationsverträge zwischen den bestehenden Gemeinden
zu erreichen ist. So ist zu erwägen, welche Potenziale der Effizienz- und Wohlfahrts-
steigerung durch Änderungen der Gemeindegrößen (Grenzen und/oder Anzahl) zu
realisieren wären. Dabei kann die vergrößerte Organisation eine entscheidende Rolle
spielen. Ein größeres zu produzierendes Leistungsvolumen kann auf Grund der Grö-
ßenvorteile der Produktion (Economies of Scale) zu geringeren Kosten pro erbrach-
ter Leistungseinheit hergestellt bzw. bereitgestellt werden.
Den Produktionsgrößenvorteilen sind aber auch mögliche Nachteile der Produktions-
größe gegenüber zu stellen. Der Gemeindegröße sind in flächenmäßiger Hinsicht
insofern (zugegebenermaßen recht unscharfe) Grenzen gesetzt, als die staatlichen
Leistungen – wenn es sich nicht um reine öffentliche Güter (Rechtssicherheit u.dgl.)
handelt, die überall im selben Maß zur Verfügung stehen – regionale Kollektivgüter
sind: Güter, die vom Staat prinzipiell allen seinen Bürgern angeboten werden, aber
deren Nutzungsmöglichkeiten für die Bürgern sehr unterschiedlich sind, weil es mehr
oder weniger große räumliche Distanzen zwischen dem Ort der Leistungserbringung
und dem Wohn- oder Arbeitsort der Destinatare dieser Leistungen bestehen. Es ent-
stehen daher – je nach geografischer Lage – sehr unterschiedlich hohe private Kom-
plementärkosten für die Nutzung der regionalen Kollektivgüter (in erster Linie Reise-
kosten; vgl. Pommerehne 1987, Kap. 3.).
Allerdings fällt dieses Argument nicht entscheidend ins Gewicht, denkt man an die
Möglichkeit der Dezentralisation in der Erbringung dieser Leistungen in größeren
Gemeinden. Allerdings sind dabei gegebenenfalls auch sprungfixe Kosten mit zu be-
rücksichtigen (z.B. zusätzliche Kapitalkosten für die Errichtung einer weiteren Infra-
17
Für Deutschland erhalten Behnisch u.a. (2002, Nontechnical Summary) in ihren theoretischen und
langfristigen empirischen Untersuchungen ein positives Verhältnis von (Ausgaben-)Zentralisierung auf
der Bundesebene und (Produktivitäts-)Wachstum: "The negative impact found for the state level ex-
penditures might be interpreted as an indication that the role of the state level in the German system of
fiscal federalism is inefficient." Auch im theoretischen Modell von Caminal (2000) ergibt sich bei Exis-
tenz interregionaler Externalitäten eine die Effizienz steigernde Wirkung infolge einer Zentralisierung
der fiskalpolitischen Entscheidungen.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
16
struktureinrichtung im Zuge einer Dezentralisierungsmaßnahme), die eine Dezentra-
lisierung weniger effizient machen können. Wir kommen auf diese Argumente wieder
zurück (Unterabschnitt 1.12.).
1.10. Optimierung der Kollektivgröße
In beiden Fällen – Dezentralisierung und Veränderung der Gemeindeanzahl und/
oder -grenzen – ist eine Analyse des Bedarfs analog zu physikalischen Gravitations-
zentren und ihren Anziehungsbereichen (Einzugsbereichen für kollektive – hier:
kommunale – Leistungen) nahe liegend. Selbst bei einheitlicher Präferenzstruktur
über das ganze Land ergibt sich nämlich, je nach Zusammensetzung der lokalen
staatlichen Leistungspalette und deren "technischen" Eigenschaften (Regionalitäts-
grad des Kollektivguts), eine optimale Kollektivgröße (z.B. Gemeindegröße). Dies
beruht nicht nur auf der Existenz von Skalenerträgen (mit der Produktionsmenge ab-
nehmende Durchschnittskosten), sondern auch von Koordinationskosten und Bal-
lungskosten (mit der Produktionsmenge zunehmende Kosten).
Bei einer sukzessiven Steigerung der Kollektivgröße (von der Minimalgröße ange-
fangen) gibt es eben zunächst abnehmende und danach zunehmende Verläufe der
zusätzlichen Kosten (Grenzkosten) und somit der Durchschnittskosten. Dies begrün-
det eben die Existenz eines Optimums (eines Kostenminimums). Entweder eine Op-
timalgröße der auf Höhe des Kostenminimums oder ein Optimalgrößenbereich (mit
konstant bleibenden minimalen Kosten) ist für das Kollektiv (die Gemeinde, das Bun-
desland, den Staatenbund) identifizierbar. Dieses Optimum gilt es zu realisieren oder
zumindest tendenziell anzunähern (Musgrave/Musgrave 1997). Derartige Überlegun-
gen stammen auf der mikroökonomischen Theorie der (mindest-)optimalen Be-
triebsgröße.
Bei der Optimierung der Kollektivgröße spielen auch Informationen aus dem Bereich
der Multi-Plant Economics eine Rolle. Sie weisen (neben den steigenden sprungfixen
Kosten, die in wachsenden, stärker zu dezentralisierenden Kollektiven eher für die
Kleinheit des Kollektivs sprechen: Unterabschnitt 1.9.) auf den Aspekt der Koordina-
tions- und Steuerungskosten zwischen zahlreicheren kleineren Kollektiven hin (Bartel
1990). Wie im nächsten Unterabschnitt näher ausgeführt wird, können Koordination
und Steuerung der Produktion bei loseren Formen der Kooperation zwischen Ge-
bietskörperschaften relativ teuer sein und auf Vorteile von Einheit bzw. Größe hin-
weisen.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
17
1.11. Kosten intergouvernmentaler Kooperationen
Die intergouvernmentalen Kooperation ("funktioneller Föderalismus") etwa durch
Nachbargemeinden (interkommunale Kooperation) ist – als Alternative zur extremen
Variante Gemeindezusammenlegung – analog zur Theorie der Klubs erklärbar (vgl.
Unterabschnitt 2.1.), nämlich einer aus Effizienzgründen vorgenommenen gemein-
sam Organisation des Privatkonsums (in Klubs) bzw. des Staatskonsums (in Zweck-
verbänden quasi wie Klubs). Aus dem Streben nach wohlfahrtsmehrender Effizienz-
steigerung können sich daher horizontale und/oder vertikale Kooperationsgemein-
schaften bilden (nämlich im Hinblick auf die vertikalen bzw. horizontale Gliederung
der Gebietskörperschaften
18
).
Mit der Feststellung, dass Anreize für effizienzsteigernde Kooperation grundsätzlich
existieren, ist allerdings noch nicht gesagt, dass die dabei jeweils mehr oder weniger
virulente Freifahrerproblematik generell gelöst wäre. Dieser Vorbehalt bleibt vor al-
lem bestehen, zumal mit der Internalisierung von Externalitäten auch interregionale
und somit auch interlegislative und interpersonelle Umverteilungswirkungen verbun-
den sind. Nettonutzenverlierer willigen nicht freiwillig in umverteilende Verträge ein.
Bei einer mehr oder minder losen Kooperationslösung zwischen Gebietskörperschaf-
ten gilt:
• Die Existenz von Koordinationskosten der vertraglich vereinbarten und abge-
stimmten kommunalen Leistungserbringung oder -bereitstellung (Koordination
von Produktion bzw. Beschaffung) zweier oder mehrerer Gemeinden ist ein (Kos-
tensenkungs-)Argument für die Zusammenlegung von Gemeinden.
• Ähnliches wie für solch eine eher lockere Kooperationslösung gilt selbst noch für
engere Kooperationsformen: zum einen ein Joint Venture (das ist die teilweise
Übertragung von Funktionen an eine der beiden Gebietskörperschaften oder an
eine dritte, gemeinsam betriebene Organisation als Zweckverband), zum ande-
ren ein gemeinsamen Contracting Out (Outsorcing), nämlich die Übertragung ei-
ner öffentlichen Funktion an eine unabhängige Unternehmung. In diesem letzte-
ren Fall sind die Monitoring-Kosten (das sind Kosten für Auftragsüberwachung,
für Qualitäts-, Kosten- und Preiskontrollen etc.) offenbar höher als im ersteren,
weil die Leistungsproduktion organisatorisch deutlicher ausgelagert ist.
18
Zu Formen der interkommunalen Zusammenarbeit vgl. Fröhler (1976, S. 41 ff.).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
18
1.12. Zentralisierung versus Dezentralisierung als unabdingbare Fragestellung
Neben der Frage des Finanzausgleichs stellt sich stets gleichzeitig auch die Frage
nach der Zentralisierung oder Dezentralisierung der Leistungserbringung bzw. Leis-
tungsbereitstellung (vgl. Unterabschnitt 1.9.), natürlich ebenfalls am (Sammel-)Krite-
rium der allokativen Effizienz beurteilt. Dezentralisierung bedeutet regionale Streuung
einer innerhalb der Region einheitlich geregelten Aufgabenerfüllung und ist somit
vom vertikalen Finanzausgleich als einer Kompetenzverteilung hinsichtlich Aufgaben-
und Abgabenhoheit zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften sowie von der
Teilung eines Kollektivs klar zu unterscheiden.
Bei der Erwägung einer Erhöhung der Kollektivgröße (in Form eines neuen passiven
Finanzausgleichs bzw. einer Gemeindezusammenlegung) als der aus funktioneller
(aufgabenbezogener) Sicht weiter reichenden Frage als jener der bloß technisch-
organisatorischen Gestaltbarkeit sind jedoch – bei anzustrebenden Einbeziehung
möglichst aller substanziellen Effizienzfaktoren – die Möglichkeiten und Auswirkun-
gen der Zentralisierung oder Dezentralisierung zu berücksichtigen, die sich durch die
Kollektivgrößen-Erhöhung ergeben würden. Die Entscheidung über die Organisation
(zentral versus dezentral) ist daher untrennbar mit der Entscheidung über die Kollek-
tivgröße verbunden. Kurzum: Die Größenentscheidung steckt (nach oben hin) den
Möglichkeitsraum für die technisch-organisatorischen Ausgestaltungsoptionen sowie
für deren Effekte auf die Effizienz innerhalb der zu wählenden Kollektivgröße ab.
1.13. Ballungskosten als Kosten erhöhter Kollektivgröße
Neben den Kostensenkungen einer Erhöhung der Kollektivgröße sind auf der ande-
ren Seite auch die eventuellen Kostensteigerungen der selben zu berücksichtigen.
Steigende Gemeindegrößen können überproportional steigende Kosten für die kom-
munale Lösung jener Probleme mit sich bringen, die infolge der erhöhten Ballung
entstehen: zunehmende Ballungskosten – hauptsächlich in Zusammenhang mit Ver-
kehr, Umwelt, Lebensraumgestaltung, Sicherheit und Bildung.
19
Allerdings, so der Einwand, dürfte bei Freizügigkeit von Personen und Unternehmen
vor und nach einer Gemeindezusammenlegung (immerhin sind Gemeindegrenzen
keine Grenzen wie etwa die Schengen-Außengrenze) a priori mit keiner wesentlichen
19
"One of the major economic problems of our times is the crisis of the larger cities. Together with
their suburban periphery the cities are attracting ever greater segments of our population. Yet at least
the core of the metropolis is plagued by a variety of ills including spreading blight as entire neighbor-
hoods deteriorate, increasing pollution of its atmosphere, worsening traffic, critical educational prob-
lems, and, above all, mounting fiscal pressures" (Baumol 1997, S. 365).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
19
Steigerung von Ballungskosten zu rechnen sein, zumal die Erhöhung der Kollektiv-
größe zum einen kaum zusätzlich Zuwanderung und Einpendeln hervorrufen dürfte
und zum anderen die Option einer dezentralisierten Umsetzung der Aufgabenerfül-
lung (bei zentralisierter Entscheidungskompetenz) offen lässt. Das erstere Argument,
nämlich die nicht oder kaum zu erwartende Mobilitäts- und Ballungszunahme nach
einer Vergrößerung einer Eingemeindung von Umlandgemeinden, hat nicht zuletzt
auch mit den Präferenzen der Menschen innerhalb eines zu vergrößernden Gemein-
degebiets zu tun (Unterabschnitt 1.14), und diese sind nach der Eingemeindung wohl
kaum anders als zuvor.
Zusätzlich – d.h. abgesehen von jenen Ballungskosten, die durch die negativen Ef-
fekte von Bevölkerungs- und Verkehrsdichte entstehen (Schäden durch Staus, Kri-
minalität, Lärm, Abgase u.dgl. mit ihren negativen Kumulations- und Synergieeffek-
ten) – ergibt sich insbesondere in zentralörtlichen Gemeinden eine andere Art von
Ballungskosten i.w.S., und zwar durch die räumliche Konzentration von Dienstleis-
tungen (individuellen wie kollektiven), welche systematisch eine dynamischere Kos-
tenentwicklung und somit auch Entwicklung von Abgaben (Steuern, Gebühren), Fi-
nanzzuweisungen und/oder Netto-Schuldenaufnahmen bewirken. Die Theorie des
tertiären Kostenverhaltens von William Baumol ("Baumol'sche Kostenkrankheit") geht
davon aus, dass ein Teil der Dienstleistungswirtschaft – nämlich jener so genannte
"nonprogressive sector", der relativ ungebunden von technischen Gerätschaften sich
hauptsächlich auf den beratenden und helfenden Umgang mit Menschen (soziale
und Beratungsdienste) erstreckt – wesentlich weniger Möglichkeiten zu technisch-
organisatorischen Verbesserungen (d.h. Produktivitätssteigerungen und somit Kos-
tensenkungen) bietet als der stärker auf Sachkapitaleinsatz (z.B. Computers) beru-
hende Teil der Dienstleistungsindustrie sowie vor allem die Sachgütererzeugung
(Baumol 1997).
20
In Verbindung mit der Externalitäten-Problematik (der Problematik der ungeregelten
und zu wenig entgoltenen Nutzung der zentralörtlich konzentrierten staatlichen
Dienstleistungen durch Bewohner der Umlandgemeinden) ist die Konzentration kol-
lektiver Dienstleistungen in Zentralgemeinden ein Argument für eine höhere budgetä-
re Dotierung dieser Gemeinden durch einen adäquat bemessenen Ertragsanteils-
schlüssel und/oder horizontale und/oder vertikale Finanzzuweisungen im Rahmen
20
"(...) inherent in the technological structure of each of these activities are forces working almost un-
avoidably for progressive and cumulative increases in the real costs incurred in supplying them. As a
consequence, efforts to offset these cost increases, while they may succeed temporarily, in the long
run are mere palliatives which can have no significant effect on the underlying trends" (Baumol 1997,
S. 357).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
20
des Finanzausgleichs.
21
Bei einer Lösung des Externalitätenproblems durch Einge-
meindungen würden die erhöhten Dienstleistungskosten nutzungsgerechter verteilt.
Ohne den einen oder den anderen Lösungsansatz sieht William Baumol (1997) einen
sich langfristig selbst verstärkenden Problemkreis: Aus immer weniger lebenswerten
Zentralstädten flieht die Bevölkerung mit ihren Wohnsitzen (aber auch Arbeitsplät-
zen) in die Umlandgemeinden, wodurch die Finanzkraft der Zentralstädte sinkt und
so die zentralstädtischen Probleme weiter verschärft werden. Denn die Übersiede-
lung in die Umlandgemeinden (das "Freifahren" der Umlandgemeinden) vergrößert
die bereits substanziellen Netto-Externalitäten zu Lasten der Zentralstädte noch wei-
ter.
22
21
"The financial troubles are perhaps central to the entire issue because without adequate funds one
cannot hope to mount an effective attack on the other difficulties. More than one reform mayor has
taken office determined to undertake a radical program to deal with the city's difficulties and found
himself baffled and stymied by the monstrous deficit which he discovered to be hanging over him, a
deficit whose source appeared to have no reasonable explanation. There seems in these cases to be
no way to account for (...) the fact that a municipal budget far above that which was roughly adequate
a decade earlier threatens to disrupt seriously the city's most vital services today. Where the political
process is involved it is easy to blame the growing costs on inefficiency and corruption but when they
take office, reform administrations seem consistently puzzled by their inability to wring out the funds
they require through the elimination of these abuses" (Baumol 1997, S. 365 f.).
"The picture that has been painted is bleak. It suggests strongly that self-help offers no way out for
cities. All of this would then appear to offer stronger theoretical support for the (…) proposal that the
federal government can provide the resources necessary to prevent the serious crisis that threatens
our larger urban communities and whose effects on the quality of life in our society may become one
of the nation's most serious economic problems" (Baumol 1997, S. 369).
In der Frage der Entscheidung zwischen zweckgebundenen Finanzzuweisungen des Bundes an die
Städte oder eines erhöhten Ertragsanteils der Städte an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben
empfiehlt Netzer (1997) Letzteres, und zwar um hintan zu halten, dass die Städte ihre eigenen Aus-
gaben für die mit den zweckgebundenen Zuweisungen unterstützten Zwecke verringern. Allerdings
kritisiert er, dass "the complex distribution formulas assured that even the least active and most afflu-
ent local authority received nontrivial amounts of money" (Netzer 1997, S. 518 f.).
Bezüglich eines intergouvernmentalen Verdrängungseffektes zeigte eine Studie von Yinger und Ladd
(1997) in den USA der frühen 80er-Jahre, dass Finanzzuweisungen des Bundes an die Zentralstädte
die Finanzzuweisungen der einzelnen Bundesstaaten an ihre Zentralstädte nicht verdrängen.
22
Eine Studie des Österreichischen Instituts für Raumplanung (ÖIR) ergab bereits vor zehn Jahren, es
"weisen die Gemeinden in den Großstadt-Umgebungsregionen eine durchschnittliche bis eher günsti-
ge Finanzausstattung auf. Die Entwicklung der tertiären Finanzkraft (die Ausstattung mit Mitteln aus
Finanzzuweisungen; Anm. d. Vf.) verläuft auch sehr dynamisch: hier werden die höchsten relativen
Einnahmenzuwächse erzielt. Zu dieser beträchtlichen Einnahmendynamik tragen in erster Linie die
eigenen Einnahmen bei, was auf die große Bedeutung der Suburbanisierungstendenz im betrieblichen
Bereich hinweist (in den achtziger Jahren lagen die Zuwachsraten bei den Arbeitsplätzen in den Um-
landgemeinden teilweise über jenen der Einwohner). (...) Die Benachteiligung, die den meist rasch
wachsenden Gemeinden durch die zehnjährigen Volkszählungsabstände bei der Berechnung der
Ertragsanteile entsteht, ist auf Grund der allgemein günstigen Entwicklung zumindest aus regionaler
Sicht von vergleichsweise geringer Bedeutung" (ÖIR 1992, S. 179).
Gemäß einer Studie von Schönbäck u.a. (1992, S. 180) erkennt man das ÖIR-Ergebnis deutlich in der
Quote der gesamten Ertragsanteile der Gemeinden an den ausschließlichen Gemeindeabgaben wie-
der: Die Gemeinden der Großstadt-Umgebungsregionen wiesen mit nur 116 % die zweitniedrigste
Quote nach den reichen Nicht-Problemgebieten mit wirtschaftlich dominierendem Fremdenverkehr (74
%) auf; das Maximum verzeichneten die entwicklungsschwachen Problemgebiete mit 169 %".
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
21
Überdies kann die zentralörtliche Funktion auch darin gesehen werden, dass Verwal-
tungsagenden, die viele andere Gemeinden betreffen, in wenigen Gemeinden kon-
zentriert wahrgenommen werden. Übrigens ist dies ein Externalitätenproblem, wel-
ches den Baumol'schen Teufelskreis ebenfalls verstärkt. So heißt es in der Studie
des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen (1992, S. 17 f.), es "sollten Gemeinden
mit zentralörtlichen Einrichtungen (z.B. Landeshaupt- und Bezirkshauptstadt, Gericht-
, Universitäts- und Krankenhausstandort mit Abstufung) für zentralörtliche Einrichtun-
gen eine Abgeltung erhalten. (...) Die Gewährung von Bedarfszuweisungen durch die
Länder sollte an Hand offengelegter Kriterien erfolgen".
1.14. Einheitliche Präferenzen und unterschiedliche Rahmenbedingungen –
größere Gebietskörperschaften
Wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf ist dann gegeben, wenn man davon ausge-
hen kann, dass – wie im Fall von Nachbargemeinden realistischer Weise unterstellt
werden kann – die Präferenzen der Menschen einheitlich, aber die Voraussetzungen
der Produktion der einheitlichen Kollektivgüter für sie unterschiedlich sind. Regionale
Einheitlichkeit heißt, dass etwa die Menschen der (kleineren) Umlandgemeinden in
so mancher Hinsicht die gleichen oder sehr ähnliche staatliche Leistungen nachfra-
gen wie jene aus der zentralen Gemeinde, die als Großgemeinde diese Leistungen
zur Verfügung stellt. Das gilt wohl auch analog umgekehrt (Städter haben sehr ähnli-
chen Erholungsbedarf wie Umlandbewohner); jedenfalls kommt es, wie in Anschnitt
1.5. ausgeführt, auf den Nettostrom an Externalitäten an (ganz abgesehen davon,
dass aus Gründen allokativer Effizienz die positiven und negativen Externalitäten
einander nicht aufwiegen, sondern bloß die Umverteilung mildern). Gerade der Um-
stand ziemlich homogener Präferenzen ist es, der das Freifahrerverhalten entstehen
lässt und das Hindernis für die Internalisierung der Externalitäten verstärkt: Begehrte
Leistungen der Nachbargemeinde werden konsumiert, ohne entsprechende Finan-
zierungsbeiträge an diese zu leisten.
Im Unterschied zu diesem individuell rationalen, aber gesellschaftlich ineffizienten
Freifahren von Gebietskörperschaften sollte der Föderalismusgrad eigentlich dem
Heterogenitätsgrad der regional verteilten Präferenzen entsprechen ("goldene Re-
gel": Wer über den kollektiven Konsum mitentscheidet, soll auch über dessen Finan-
zierung mitentscheiden, statt frei zu fahren).
Ebenso kann man auf der Basis dieses Präferenzen-Ansatzes aber auch die kollektiv
ebenfalls ineffiziente Überversorgung mit staatlichen Leistungen in Nachbargemein-
den erklären (individuell rational und erklärbar ist die Überversorgung dann, wenn
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
22
Neid bzw. Prestige in Bezug auf lokale Kollektivgüter zum Nutzen der Individuen bei-
tragen).
Orientiert man sich an dem (wegen des Chancengleichheitsgrundsatzes verfas-
sungsmäßig geregelten) wirtschaftspolitischen Grundsatz der Vereinheitlichung der
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (und erwägt man unter der Prämisse einheitli-
chen Präferenzen, z.B. was Gesundheits- und Kulturleistungen betrifft), ist die Ver-
sorgung des Umlands mit den kommunalen Leistungen der zentralen Großgemeinde
(und umgekehrt) ein sich daraus ergebender Zielzustand. Darüber hinaus soll die
Leistungsbereitstellung auch effizient erfolgen, und dies erfordert, wie aus den bishe-
rigen Überlegungen sämtlich hervorgeht, eine kasuistische Entscheidung hinsichtlich
Gemeindezusammenlegung, Gemeindearrondierung oder Gemeindekooperation
(bzw. eines in Form von Finanzzuweisungen realisierten Finanzkraftausgleichs).
1.15. Minderheitenschutz und Machtdiffusion – kleinere Gebietskörperschaften
• Im Gegensatz zum vorigen Unterabschnitt beruht eine der Argumentationen, die
Versorgung mit staatlichen Leistungen in einer bestimmten Region durch mehrere
Gebietskörperschaften ein und der selben horizontalen Ebene (Länder bzw. Ge-
meinden) erfüllen zu lassen, auf der Intention des Minderheitenschutzes: Unter-
schiedlichkeit in den Präferenzen vorausgesetzt, wird die Minderheit ihre Präfe-
renzen für staatliche (z.B. kommunale) Leistungen im öffentlichen Entschei-
dungsprozess gegen die Präferenzen der Mehrheit nicht durchsetzen können.
Daher die Folgerung, entsprechend zahlreiche und kleine (gleichrangige) Ge-
bietskörperschaften einzurichten.
• Eine weitere Argumentation in diese Richtung stellt auf die Machtkontrolle durch
Kompetenzdiffusion auch auf der Ebene des horizontalen Finanzausgleichs ab:
So würde etwa eine außergewöhnlich große Gemeinde (welche z.B. die Gebiete
Linz, Wels und Steyr samt deren jeweilige Umlandgebiete in einer einzigen Ge-
meinde umfasst) besonders große (informelle) Verhandlungsmacht im Städte-
und Gemeindebund oder im Verhältnis zum Bundesland besitzen und ihre starke
Position zum Nachteil der anderen Gemeinden ausnützen können.
Die beiden hier soeben angeführten politischen Macht- und Repräsentanzprobleme
können zu allokativen Verzerrungen im Budget und in der lokalen oder regionalen
staatlichen Leistungspalette und deren Wirkungen führen (unverhältnismäßig verteil-
ter Einsatz öffentlicher Ressourcen, Outputs und Outcomes). Die eventuelle Existenz
solcher Probleme erfordert es, diese Aspekte gegen jene der externen Nutzen und
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
23
Kosten sowie der steigenden Skalenerträge (über Gemeindegrenzen hinaus) abzu-
wägen.
1.16. Marktversagen, Staatshandeln und Politikversagen
Die Umstände externer Effekte, Ballungskosten i.w.S. und steigender Skalenerträge
weisen auf einen suboptimalen Finanzausgleich (passiver vertikaler oder aktiver ho-
rizontaler Art) hin. Diese Faktoren beeinträchtigen die allokative Effizienz im Bereich
der von ihnen in nennenswertem Ausmaß betroffenen Gebietskörperschaften der
selben föderalen Ebene. Ein derartiger Sachverhalt kann nicht anders denn als Poli-
tikversagen (Staatsversagen) klassifiziert werden.
Die Existenz von Externalitäten und so genannten natürlichen Monopolen (sinkende
Durchschnittskosten bis zur Marktaufnahmekapazität, hier: für regionale Kollektivgü-
ter) stellen nämlich konstitutive Gründe für Marktversagen dar und verlangen selbst
in einer überwiegend liberalen Wirtschaftsordnung nach staatlicher Problemlösung:
Die betroffenen Privaten bzw. im gegenständlichen Fall und übertragenen Sinn die
nachgeordneten Gebietskörperschaften bringen umso schwerer eine effiziente Ver-
handlungslösung ("Coase-Lösung"; vgl. Nowotny 1996, Unterabschnitt 3.5.) zustan-
de, je mehr verschiedene Externalitäten und Beteiligte existieren. Obendrein ist auch
die tertiäre Kostenkrankheit der Städte (Ballungskosten i.w.S.) eine Form von Markt-
versagen, wird sie doch von Baumol (1997) selbst als für die Städte unlösbar und als
Interventionsanlass für die Bundesebene angesehen (vgl. Fußnote 21).
Folglich ist die Nicht-Internalisierung von Externalitäten ein Fall von Politikversagen
(Staatsversagen) jener föderalen Ebenen, die als übergeordneten Gebietskörper-
schaften eigentlich die allokative Effizienz und somit die regionale Gesamtwohlfahrt
als Ziele verfolgen sollten. Begründet liegt dieses Politikversagen letztlich auch in der
nicht vollkommen vermeidlichen Unschärfe einer generellen Finanzausgleichsrege-
lung im Hinblick die im Einzelfall sehr unterschiedlichen Situationen (größere und
kleinere sowie auch sonst recht verschiedene Gemeinden in allen erdenklichen
Konstellationen). So handelt es sich stets um die Suche nach so genannten Zweit-
best-Lösungen. Allerdings stellt die Aufgabe der Suche nach den jeweiligen Zweit-
best-Lösungen jedenfalls ein vermeidbares Politikversagen dar – gerade unter sich
wandelnden Rahmenbedingungen (vgl. auch die Unterabschnitte 1.5. und 4.3.).
Jedenfalls nennt die normative Literatur ziemlich einhellig drei Aufgabendimensio-
nen, welche mit einem Finanzausgleich (so gut es eben geht) erfüllt werden sollen
(z.B. Kuhn 1995, S. 72 f.):
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
24
• Die fiskalische Funktion zur Aufbringung der erforderlichen Finanzmasse, wobei
auch Überlegungen zur personellen Verteilung einfließen,
23
• die redistributive Funktion zum Ausgleich zwischen den Gemeinden mit unter-
schiedlichem Finanzaufkommen (meist bzw. überwiegend normiert mit der Bevöl-
kerungszahl), wobei die Umverteilung daran dimensioniert wird, in welchen Ge-
meindetypen welche staatlichen Leistungen im Hinblick auf Vorstellungen über
die personelle Verteilung bereitgestellt werden sollen,
• und darüber hinaus explizit – und mit Referenz auf die Unzulänglichkeit der Nor-
mierung der Finanzkraftgleichheit mit der Bevölkerungszahl – die raumordnungs-
politische Funktion als Unterstützung zentraler Orte zum Ausgleich für die wahr-
genommenen zentralörtlichen Aufgaben (Internalisierung fiskalischer Externalitä-
ten: Dahlby 1996), wobei hier Aspekte der ökonomischen und allokativen Effizi-
enz Berücksichtigung finden.
24
1.17. Kasuistische Entscheidungen in föderalen Fragen
Jedenfalls ist eine Entscheidung zur Änderung des Finanzausgleichs oder der Ge-
meindeanzahl und/oder -grenzen aus der Sicht der Wirtschaftswissenschaft keine
kategorisch zu treffende Entscheidung – selbst wenn historische Gegebenheiten,
objektive Informationsprobleme, emotionale Befindlichkeiten (mentale Reservation,
beeinträchtigtes Verhandlungsklima), politisch-strategische Kalküle u.dgl. die Ent-
scheidungssituation als verfahren erscheinen lassen und der Anreiz groß ist, die La-
ge als fatalistisch hinzunehmen. Denn weder eine historisch-zufällig determinierte
Situation noch eine kategorisch entschiedene Lösung (Föderalismus oder Zentralis-
mus um jeden Preis) führt systematisch zu einer akzeptablen, geschweige denn ei-
ner optimalen gesellschaftlichen Lösung.
23
So nennt Gramlich (1977) als eine Begründung für den Finanzausgleich (und zwar meint er einen
Abgabenverbund mit bestimmten Ertragsanteilen, aber intergouvernmentale Finanzzuweisungen sind
ebenso zu rechtfertigen) die nur begrenzte Möglichkeit nachgeordneter Gebietskörperschaften, Steu-
ern mit progressiv gestaffeltem Tarif zu erheben.
24
"Each jurisdiction should provide services the benefits of which accrue within its boundaries, and it
should use only such resources of finance as will internalize the costs": So normieren Musgrave und
Musgrave (1997, S. 42) den optimalen passiven Finanzausgleich unter allokativen Effizienzgesichts-
punkten speziell aus der Sicht externer Effekte, d.h. unter suboptimalen Bedingungen (Markt- und
Politikversagen).
Gramlich (1977) präzisiert aus typisch US-amerikanischer Perspektive, wo die staatlich erzeugte oder
zumindest geförderte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet als Ziel an sich im Ver-
gleich zu EU-Europa einen geringen Stellenwert einnimmt, sondern vielmehr in ihrer Effizienzdimensi-
on gesehen wird: Finanzzuweisungen im Rahmen eines Finanzausgleichs begründen sich mit jener
Überlegung zur Allokationseffizienz, dass nämlich eine bestimmte öffentliche Leistung (möglichst)
einheitlich zu den niedrigsten Produktionskosten (und somit Steuerpreisen oder Gebührensätzen)
bereitgestellt werden sollen. Insofern gibt es interessanter Weise zwischen Effizienz- und Verteilungs-
ziel keinen Konflikt.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
25
Derartige Entscheidungen sind vielmehr gerade deshalb stets kasuistisch zu treffen,
weil sie hinsichtlich ihrer unleugbaren Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wohl-
fahrt von den verschiedensten Faktoren im jeweiligen historischen Einzelfall be-
stimmt werden: Sozial- und wirtschaftsgeografische, strukturell-ökonomische, institu-
tionell-fiskalische und derartige Wirkungszusammenhänge und Restriktionen mehr
bestimmen (auf der Grundlage der Präferenzen der Menschen für private Güter und
staatliche Leistungen) nicht nur die zwar kaum realisierbare Optimallösung, sondern
auch die anzustrebende Zweitbest-Lösung (d.h., was angesichts der die Information
und Machtverhältnisse betreffenden Einschränkungen überhaupt oder unter ökono-
misch vertretbarem Aufwand als Lösung realisierbar ist).
1.18. Suboptimale Gemeindegrößen – Gemeindezusammenlegung als "Zweit-
bestlösung"
Auf Grund der steten Änderungen in den komplexen Rahmenbedingungen für die
Kommunalpolitik und den damit verbundenen hohen Verhandlungs- und Einigungs-
kosten dürfte eine Änderung der Gemeindeanzahl als eine gemäß dem Hicks/Kaldor-
Prinzip der (potenziellen) Kompensation erzielbare "Einmallösung" in so manchem
Fall die effektivste Methode zur Lösung des Problems einer suboptimalen Kollektiv-
größe darstellen. Dafür dürfte der Anlass ziemlich egal sein, nämlich ob es sich im
Einzelfall um einen besonders unzweckmäßig wirkenden vertikalen passiven handelt
oder um einen horizontalen aktiven Finanzausgleich, der vielleicht erst zwischenzeit-
lich durch technische und soziale Änderungen überholt wurde, aber kaum entspre-
chend änderbar ist.
Insbesondere angesichts der Bewertungsschwierigkeiten externer Effekte und quali-
tativer Elemente der Wohlfahrt, was beides bei öffentlichen Leistungen einen nicht
unbeachtlichen Stellenwert einnimmt, sind Ergebnisse von Nutzen/Kosten-Analysen,
die eventuellen Änderungen der Kollektivgröße zu Grunde gelegt werden sollen, un-
vermeidlicher Weise stark annahmenbedingt und in diesem Sinn willkürlich. Verstärkt
wird diese Problematik typischerweise durch die geschilderte Mehrdimensionalität
der Entscheidungssituation.
Erfolgsfördernde Faktoren, die angesichts dessen zu einer Wohlfahrtsverbesserung
beitragen können, sind
• die Vorbringung der grundlegenden Argumente über die Vor- und Nachteile der
erwogenen Maßnahme (welche die geplante Änderung zweckmäßig erscheinen
lassen mag),
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
26
• deren relativ "harte" (monetär einigermaßen scharf quantifizierbare) Effekte und –
angesichts der erwähnten Probleme – nicht zuletzt
• ein offener, konstruktiver Diskussions- und Verhandlungsprozess.
Letzterer kann durch die Zugrundelegung des Hicks/Kaldor-Prinzips und dadurch mit
der Aussicht auf eine Gesamtverbesserung ohne partielle Schlechterstellung bzw.
mit einer überkompensierenden Aufteilung des Wohlfahrtsgewinns zwischen den po-
tenziellen Vertragspartnern in Gang gebracht und gehalten werden, und zwar ohne
ein Ergebnis bereits zu präjudizieren. Selbst wenn die Optimallösung wohl kaum je-
mals gefunden werden kann, soll mit Hilfe bestimmter allseits akzeptierbarer
Grundsätze – vor allem über die Fairness des Verhandlungs- und Entscheidungspro-
zesses – eine "Zweitbestlösung" systematisch angestrebt werden. Denn der bisheri-
ge Verteilungsschlüssel und das System der Finanzzuweisungen sowie die wenig
effektiven Reformverhandlungen lassen auf absehbare Zeit keine effiziente Finanz-
ausgleichsreform erwarten (vgl. Abschnitt 4.).
Die für Deutschland getroffene Feststellung von Kuhn (1995, S. 3 f.) kann im Grunde
auch für Österreich reklamiert werden: "Die mit den regelgebundenen Zuweisungen
im Finanzausgleich (...) verfolgte Idee, einen Verteilungsmechanismus zu konzipie-
ren, der alle wünschenswerten Eigenschaften in einer einfachen Formel vereinigt,
musste ganz entgegen der eigentlichen Intention zu einem höchst komplexen Kon-
strukt führen. Wie schon erwähnt, sind erhebliche Zweifel darüber angebracht, ob
jenes die Finanzausgleichziele erfüllen kann, ja, es ist noch nicht einmal gesagt, ob
überhaupt ein Verfahren existiert, das sämtliche hierzu erforderlichen Eigenschaften
besitzt. Daß dieses System zudem noch sehr intransparent ausgefallen ist, wird in
der einschlägigen Literatur auf Interdependenzen zurückgeführt (Wechselwirkungen
zwischen Verteilungseffekten und Niveauänderungen, und zwar durch ineffiziente
Mechanismen des Finanzzuweisungssystems und strategisches Verhalten; Anm. d.
Vf.), die zwischen den relevanten Variablen und Parametern existieren und die An-
wendung numerischer Iterationsverfahren unumgänglich machen sollen. Deshalb
wurde es bislang in der Literatur auch für unmöglich gehalten, zur Analyse des herr-
schenden Verfahrens formal-analytische Methoden einzusetzen."
Ein von Kuhn (1995, Kap. 2.) zwecks Widerlegung der zitierten Auffassung entwickel-
tes formal-theoretisches Verfahren, das zur Ermittlung eines Verteilungsschlüssels
für den Finanzausgleich dient, ist zwar hilfreich für den Nachweis von Inkonsistenzen
und Ineffizienzen im bestehenden System des Finanzausgleichs. Doch könnte und
sollte es wohl die Schwierigkeiten der praktisch-politischen Diskussions- und Ab-
stimmungsprozesse nicht ersetzen. Denn ein hoch formales Modell wäre weder für
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
27
die breite Öffentlichkeit in seinen Prämissen durchschaubar noch verständlich kom-
munizierbar, noch könnte es alle politischen Entscheidungen abnehmen (endogeni-
sieren).
25
Dies lässt wiederum eine Umgruppierung der Gliederung auf horizontaler
Ebene (Gemeindeänderung) im jeweiligen Einzelfall nach den in praxi gemachten
und relativ leicht dokumentierbaren Erfahrungen als gangbareres Instrument zur Er-
zielung einer Zweitbestlösung erscheinen, wiewohl natürlich das eine (induktive,
pragmatische) Instrument das andere (deduktive, formal-theoretische) keineswegs
kategorisch ausschließen soll.
1.19. Zusammenfassung der Ergebnisse und Folgerungen
(1) Von Seiten der theoretischen Finanzwissenschaft sind Änderungen des Finanz-
ausgleichs durch Finanzzuweisungen und durch Variationen der Gemeindegren-
zen von Bedeutung, weil der Finanzausgleich trotz des abgestuften Bevölke-
rungsschlüssels, selbst unter Einschluss der Bedarfszuweisungen, ein zu grobes
System darstellt, um dem Finanzierungsbedarf jeder einzelnen Gemeinde in der
Vielfalt ihrer jeweiligen Charakteristika und Erfordernisse sowie den steten Ände-
rungen in den kommunalpolitischen Rahmenbedingungen gerecht werden zu
können.
(2) Ausgangspunkt der Überlegungen hat die Kompetenzverteilung (der vertikale
passive Finanzausgleich) zu sein und die Kosten und Nutzen auf volkswirtschaft-
licher (nicht nur verwaltungsbetriebswirtschaftlicher) Ebene zu erfassen. Ein (in-
zwischen) unzweckmäßiger Finanzausgleich, wo Ineffizienzen des passiven nicht
durch entsprechende Korrekturen bei der Einnahmenverteilung (dem aktiven Fi-
nanzausgleich) kompensiert werden, stellt ein Politikversagen (Staatsversagen)
dar. Es sollte gegebenenfalls durch Formen interkommunaler Kooperation (von
Produktions- und Beschaffungskoordinierungen über Zweckverbände bis zu Ge-
meinde-Gebietsarrondierungen und Gemeindezusammenlegungen) aufgehoben
werden.
(3) Die theoretisch bedeutsamsten Argumente für Erhöhungen von Gemeindegrö-
ßen sind die Existenz positiver und negativer Externalitäten sowie von steigen-
25
"Natürlich wird auch ein derart konstruierter Index (der Verteilung der gesamtstaatlichen Finanz-
masse; Anm. d. Vf.) dem Kriterium der Objektivität nicht gerecht werden können, da sich für eine ob-
jektive Messung des Bedarfs (relativ zwischen den einzelnen Gemeinden; Anm. d. Vf.) allein schon
aufgrund der Normativität des abzubildenden Phänomens von selbst verbietet", konzediert Kuhn
(1995, S. 117) selbst. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit einer demokratisch legitimierten politi-
schen statt einer technokratischen Entscheidung. "Was jedoch geleistet werden konnte, ist, die Be-
darfsmessung auf eine rationale Grundlage zu stellen und Werturteile offenzulegen" (Kuhn 1995, S.
117).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
28
den Skalenerträgen. In durch Grenzverlegungen (Arrondierungen) oder Einge-
meindungen entsprechend größer gefassten Gemeindegebieten wird die wirt-
schaftspolitische Internalisierung der externen Effekte einfacher, zumal die Ent-
scheidungsmaterien von äußeren Verhandlungen zwischen autonomen Partnern
zu gemeindeinternen Strukturfragen werden, die deshalb leichter zu lösen sind.
Ähnliches gilt für die Koordinations-, Steuerungs- und Kontrollkosten für Projekte
interkommunaler Kooperationsformen. Mit diesen Ansätzen lassen sich sowohl
das Phänomen Überversorgung mit Kollektivgütern als auch der Umstand man-
gelnder infrastruktureller Planungseinrichtungen auf kommunaler Ebene erklären.
(4) Schwierig gestalten sich Verhandlungen über interkommunale Kooperation (bis
hin zur Gemeindezusammenlegung) auf Grund der Unsicherheiten über die zu
erwartenden Auswirkungen sowie ebenso wegen der erwarteten Umverteilungs-
wirkungen und dem damit verbundenen unkooperativen Verhandlungsverhalten.
Deshalb wird eine hinsichtlich der Entscheidungsunterlagen möglichst offene
Verhandlungsführung sowie die Anwendung nicht bloß des potenziellen, sondern
auch des effektiven Kompensationsprinzips vorgeschlagen, so dass sich jeder
Verhandlungspartner erstens möglichst informiert und somit sicher vor Übervor-
teilung weiß sowie zweitens einer Besserstellung als Teilhabe am zu erzielenden
Syergieeffekt ("fiscal return") sicher sein kann.
(5) Eine weitere Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss von Kooperations-
verträgen, vor allem bei Arrondierungen und Eingemeindungen, sind Vorkehrun-
gen für die Erhaltung der sozialen Identifikationsmöglichkeiten, wie sie in den vo-
rigen, kleinräumigeren Einheiten vorgeherrscht haben.
(6) Unbeschadet der sozialen Identifikation der Einwohner in ihrer Gemeinde können
die Präferenzen der Einwohner verschiedener Gemeinden für kollektive (kom-
munale) Leistungen sehr ähnlich oder fast gleich (homogen) sein. Gerade in na-
he beisammen oder benachbart gelegenen Gemeinden werden die Kollektivgüter
der jeweils anderen Gemeinde(n) insofern mitgenützt, als die privaten Komple-
mentärkosten (hauptsächlich Reisekosten) für die Nutzung in einem bestimmten
Einzugsbereich zumutbar und hinreichend gering sind. Insoweit der Finanzaus-
gleich und die eigene Finanzkraft der zentralen Gemeinde, welche diese so ge-
nannten regionalen Kollektivgüter meist als Großgemeinde anbietet, nicht ent-
sprechend berücksichtigt, ist politischer Handlungsbedarf für interkommunale
Kooperation, ggf. bis hin zur Eingemeindung, gegeben.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
29
(7) Bei durch Arrondierung oder Zusammenlegung größer werdenden Gemeinden
besteht die Möglichkeit, dass die Organisationen, welche die zunehmenden Ver-
waltungsagenden bewältigt, über die optimale Betriebsgröße hinaus und somit in
den Bereich sinkender Skalenerträge (Diseconomies of Scale) hinein wächst.
Doch kann dieser Ineffizienz durch Aufteilung der Organisation in kleinere und
somit wieder effiziente (optimale) Betriebe begegnet werden (Multi-Plant Econo-
mics).
(8) Erst die auf Grund einer solchen Betriebsgrößenverkleinerung eventuell erfol-
genden Zunahme der Komplexität und mithin der Monitoring-Kosten (für Steue-
rung und Kontrolle) sowie das Ansteigen der durchschnittlichen Fixkapitalkosten
über alle Betriebe können der Erhöhung der Gemeindegröße aus Effizienzgrün-
den einen Riegel vorschieben. Jedenfalls ist analytisch gesehen die Frage nach
den Argumenten der Gemeindegröße die funktional weiter reichende, wobei aber
die Frage der Dezentralisierung die Entscheidung im Zuge der Kollektivgrößen-
Optimierung sehr wohl mitzubestimmen hat.
(9) Analoge Überlegungen zu jenen über die Betriebsgrößenverkleinerung (Multi-
Plant Economics) betreffen den Bereich der Dezentralisierung, wenn also in ei-
nem vergrößerten Gemeindegebiet die lokalen Kollektivgüter (Infrastrukturein-
richtungen, welche die kommunalen Leistungen erbringen) dezentraler – und da-
her in mehreren und im Durchschnitt kleineren Betrieben – angeboten werden
müssen als zuvor. Ebenso ist dies auf Fälle interkommunaler Kooperation an-
wendbar.
(10) Daher kann allgemein gesagt werden: Optionen der Betriebsgrößenreduzie-
rung in Relation zum "Marktvolumen" und/oder Dezentralisierung – sei es auf
Grund von Gemeindegebietsvergrößerung oder interkommunaler Kooperation –
müssen in die Gemeindekooperations- und Gemeindegrößen-Entscheidungen
einbezogen werden. Denn diese Überlegungen können die optimale Kollektiv-
größe zunehmen lassen (Vorteile der Betriebskleinheit und/oder Dezentralisie-
rung), sie kleiner machen (wegen der entsprechenden Nachteile) oder unverän-
dert belassen (wenn sich im konkreten Fall keine oder einander kompensierende
Auswirkungen steigender Größe und Dezentralisierung auf die Effizienz erge-
ben).
(11) Ein weiteres theoretisches Argument gegen Gemeindegrößen-Zunahmen stel-
len die Ballungskosten dar. Allerdings fallen sie kaum, nicht kurz- bis mittelfristig
oder gar nicht ins Gewicht, wenn es sich im Fall von Arrondierungen oder Zu-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
30
sammenlegungen von Gemeinden schon bisher um ein hinsichtlich der Präferen-
zen der Einwohner homogenes sozio-ökonomisches Gebiet gehandelt hat, und
zwar mit der für die Konsumierung der in beiden Gemeinden vorhandenen Kol-
lektivgüter (Infrastrukturleistungen) und öffentlichen Güter (z.B. Landschafts-
schönheit, Ruhe). Gerade diese Konstellation ist es, welche innerhalb sozio-
ökonomisch zusammengewachsener Gebiete etwa die beobachtete Aufteilung
zwischen Arbeits- und Wohngemeinden mit sich bringt. Denn schon vor einer die
informelle Einheit nachvollziehenden und geeignetere fiskalische Strukturen be-
gründenden Eingemeindung ("goldene Regel") hat ein in seiner Komplementari-
tät relativ abgegrenzter und in seiner Präferenzstruktur ziemlich homogener
Raum die Ballungskosten aufgewiesen.
(12) Für den Fall, dass der Homogenitätsgrad der Präferenzen der Einwohner ei-
ner Region eher gering ist, kann die Autonomie selbst der durch Transaktionen
eng untereinander verbundenen kleineren Gemeinden dazu dienen, als eine Art
Minderheitenschutz den Präferenzen der Einwohner einer bestimmten Gemeinde
besser zum Ausdruck und zu einer höheren Effektivität in der Umsetzung zu ver-
helfen als in einer durch Zusammenlegung gebildeten Großgemeinde. Argumen-
te der Kosteneffizienz sprechen dabei aber gleichzeitig für eine Kooperation zwi-
schen den durch sozio-ökonomische Beziehungen enger verbundenen Gemein-
den. Eine interkommunale Kooperation verursacht wiederum relativ hohe Koordi-
nations- und Monitoring-Kosten (siehe oben die Argumente der Organisations-
größe, des Zentralisierungsgrades und der Internalisierung externer Effekte).
Somit verteuert eine solche Kooperation aber die Gemeindeautonomie. Deshalb
sollten auch andere institutionelle Alternativen zur Gewährleistung eines Minder-
heitenschutzes in der Präferenzstruktur für kommunale Güter erwogen werden –
z.B. Selbstverwaltung in reinen Ortschaftsagenden (Ortschaften als Teile einer
Gemeinde) und faire Repräsentation in gemeindlichen Gesamtagenden; vgl.
auch die Anforderungen für die Gewährleistung sozialer Identifikationsmöglich-
keiten.
(13) Ein weiteres Argument im Zusammenhang mit Gemeindezusammenlegungen,
das auf den Machtaspekt und potenziellen Machtmissbrauch durch eine Majorität
hinweist, ist das der Kompetenzzentralisierung im horizontalen Finanzausgleich.
Eine riesige Gemeinde könnte durch eine faktische Vormachtstellung mehr Ein-
fluss in der Region erlangen, als ihr nach regionalökonomischen Kriterien objek-
tiv zugemessen wird. Auf dieser informellen Machtbasis könnte es zu allokativen
Verzerrungen in den regionalen und lokalen Budgets und somit in den Kollektiv-
güterbündeln zu Gunsten der faktisch dominanten Großgemeinde geben. Die
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
31
deshalb erwünschte Kompetenzdiffusion kann durch Eigenständigkeit kleinerer
Gemeinden (nota bene: Nicht-Eingemeindung von Umlandgemeinden) erreicht
werden. Allerdings gelten der selbe Vorbehalt wie im vorigen Punkt (beim Min-
derheitenschutz), nämlich jener der Verteuerung der Autonomie durch ineffektive
Kooperation, sowie das Gebot der Suche nach effizienteren institutionellen Ar-
rangements.
(14) Allein der für wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Theoriebildung (Erklä-
rungen der Realität) typische Wenn-dann-Charakter, der in den bisherigen theo-
retischen Überlegungen zum Ausdruck gekommen sein sollte, soll auch ausdrü-
cken, dass wirtschaftspolitisch rationale Entscheidungen über Gemeindegrenzen
keine kategorischen, sondern nur kasuistische sein können. Ebenso folgt daraus,
dass in einer Wirtschaft und Gesellschaft, wo das einzig Konstante der Wandel
ist, Formen der interkommunalen (Nicht-)Kooperation immer wieder hinterfragt
und ggf. weiter entwickelt werden. Nur so kann das eingangs erwähnte und bei
konstanter Politik unter stetem Strukturwandel sich quasi automatisch ergebende
Politikversagen minimiert werden. Im Licht der steten Informationskosten für die
Politikanpassung an die sich ändernden Rahmenbedingungen, der Unwahr-
scheinlichkeit der Realisierung der jeweiligen Optimallösung und der hohen Ko-
ordinations- und Monitoring-Kosten bei losen Formen interkommunaler Koopera-
tion könnte eine "Einmalentscheidung" (Gebietsarrondierung, Eingemeindung)
leicht eine Zweitbest-Lösung sein.
2. Negative Anreize und notwendige Bedingungen für Kooperation zwischen
Gemeinden
2.1. Hindernisse der Kooperation
Auf volkswirtschafts- und regionalpolitischer Ebene besteht ein normatives Interesse
an Kooperation zwischen (benachbarten) Gemeinden. Dieses Interesse ist durch die
Existenz externer Effekte (zwischen den Gemeinden) begründet (siehe Unterab-
schnitt 1.5.), muss aber nicht von allen der beteiligten Gemeinden (Verhandlungspar-
teien) geteilt werden und kann so die (Effizient fördernde) Internalisierung bestehen-
der Externalitäten vereiteln.
Zwar besteht die Natur der Internalisierung darin, dass eine Partei eine Verbesse-
rung erzielt und diese Besserstellung ermöglicht wird, indem die eine der anderen
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
32
Partei eine Verhaltensänderung "abkauft" ("Coase-Lösung"), also der Zustand der
anderen Partei unverändert gehalten wird.
• Doch kann auch die bloß relative Besserstellung der einen Partei an der fehlen-
den Bereitschaft der anderen Partei, die Verbesserung zuzulassen, scheitern
(was analog auch aus der horizontalen Lohnbildungstheorie bekannt ist).
• Ebenso kann in Bereichen ungeregelter Eigentums- bzw. Nutzungsrechte die
Streitfrage entstehen, ob die Internalisierung negativer Externalitäten zu Lasten
der Verursacher geht (z.B. das Recht auf Produktion und Umweltbelastung domi-
niert) oder aber zu Lasten der Betroffenen (hier gibt das Recht auf Produktion mit
Hilfe von Umwelt und Konsum von Umweltgütern den Ausschlag). Es geht also
um Verteilungsfragen, deren Beantwortung besonders schwierig ist und die als
negative Anreize ("disincentives") eine Kooperationslösung erschweren (quasi
wer wird besser- und wer schlechter gestellt).
• Schließlich sind auch mit etwaigen Gemeindezusammenlegungen zunächst ein-
mal wohl Umverteilungseffekte verbunden, die sich aus den gemeindeeigenen
Einnahmen sowie aus dem System des Finanzausgleichs und sonstigen inter-
gouvernmentalen Finanztransfers ergeben können.
Auf der anderen Seite stellen Skalenerträge (die sich als Kostenvorteile erhöhter
Produktionsmengen nach Gemeindekooperationen oder -zusammenlegungen erge-
ben) positive Anreize dar, die aus rein ökonomischer Sicht zu einer Kooperationslö-
sung führen müssten.
26
Doch auch in diesem Bereich gibt es Argumente, die eine
Kooperation erschweren oder verhindern können (siehe Unterabschnitt 1.10.).
• Ein erstes (sozialpsychologisches) Argument betrifft die Aufgabe gewisser sozia-
ler Identifikationsmöglichkeiten, die für die Bewohner in kleinen Organisationsein-
heiten oder Gemeinden eher gegeben sind oder subjektiv eher empfunden wer-
den als in größeren (Nowotny 1996).
26
In einem positiv-theoretischen Modell der Zentralisierung wirtschaftspolitischer Kompetenzen de-
monstrieren Crémer und Palfrey (1996) , dass es nicht aussichtslos ist, in einer Abstimmung eine
Mehrheit für eine Zentralisierung – in unserem Fall auch Gemeindezusammenlegungen – zu erhalten.
Denn die Stimmbürger können bei einer zentralen Lösung auch eine moderate Lösung für die betref-
fenden wirtschaftspolitische Problemstellung erwarten ("moderation effect"); die Bandbreite der ein-
zelnen Lösungen in den getrennten Jurisdiktionen ist groß und verunsichert die Einwohner. Überdies
ist die Wahrscheinlichkeit, eine Mehrheitsentscheidung zu Gunsten einer Zentralisierung zu erreichen,
größer, wenn nicht die Mehrheit aller Stimmen zusammen gewertet wird, sondern wenn die Mehrheit
der Gemeinden mit Mehrheiten für die Zentralisierung den Ausschlag gibt ("aggregation effect"). Aller-
dings müssten bei der Praxisanwendung dieser Theorie die Modellvoraussetzungen genauer mit den
Gegebenheiten in praxi verglichen werden, zumal das Modell von der Vorstellung mehrerer kleiner
Einheiten (z.B. Bezirke einer Stadt) ausgeht.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
33
• Ein zweites (polit-ökonomisches) Argument bezieht sich auf den möglichen Ver-
lust von Ämtern und/oder relativem Prestige seitens Funktionsträgern (Bartel
1998) aus – zuvor meist kleineren – Gemeinden auf Grund größer gemachter Or-
ganisationseinheiten bzw. Gemeindegebiete.
• Ein drittes (entscheidungs- und verhaltenstheoretisches) Argument unterstreicht
die mögliche Unsicherheit über die Konsequenzen (Nutzen und Kosten) einer
Kooperation. Ist diese Unsicherheit so groß, dass höchstwahrscheinlich hohe
Kosten für eine Entscheidungsfundierung anfallen, aber entweder die Wahr-
scheinlichkeit, zuverlässige Prognosen zu erhalten, und/oder die leicht prognosti-
zierbaren Vorteile sehr gering ausfallen, so ist es – unter diesen Unsicherheitsbe-
dingungen – sogar ökonomisch effizient, die betreffende Entscheidungsmaterie
nicht zu bearbeiten und keine Entscheidung für eine Änderung des Status quo zu
treffen (Reding/Dogs 1986, vgl. auch Unterabschnitt 1.6.).
Für Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg finden Behnisch u.a. (2002) empiri-
sche Evidenz dafür, dass mangelnde Kooperation zwischen den Ländern Einbußen
im Produktivitätsfortschritt und Wachstum bedingen.
27
2.2. Institutionelle Bedingungen der Kooperation
Abgesehen davon, diese speziellen Argumente bei der konkreten Ausgestaltung ei-
ner Kooperationslösung zu berücksichtigen, erscheint es sinnvoll, auch die generel-
len (institutionenökonomischen) Überlegungen zur Kooperation zwischen Wirt-
schaftseinheiten unter problematischen Umständen auf verwertbare Handlungs-
grundsätze für die Ausgestaltung des Kooperationsregimes zu untersuchen.
28
Die grundlegende Problematik besteht in der Unsicherheit beim Abschluss der Ko-
operationsvereinbarung einzuschätzen, wie kooperativ sich der Vertragspartner künf-
tig tatsächlich zeigen wird; es gibt eben keine (vollkommene) Verbindlichkeit der Ab-
sprachen: Man spricht von einer "Gefangenendilemma-Situation" ("Prisoners' Dilem-
ma").
27
As the analysis (...) shows a positive significance of federal government expenditures or, respective-
ly, a negative significance of state government expenditures, it, therefore, indicates that the coordina-
tion of policies among the state level governments as part of the cooperative federalism is not efficient
with regard to productivity growth" (Behnisch u.a. 2002, Nontechnical Summary).
28
Dieser Unterabschnitt stützt sich großteils auf den übersichtsartigen Artikel von Viktor Vanberg
(2001).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
34
• Gerechtfertigt werden kann die grundsätzliche Annahme eine Gefangenendilem-
ma-Situation zum einen dadurch, dass selbst schriftlich detaillierte Verträge in
später auftretenden konkreten Anwendungsfragen Interpretationsspielräume auf-
weisen und vielleicht nicht ganz oder nur unter nicht zu rechtfertigenden Kosten
entschieden werden können. Insbesondere kann durch ungelöste Dispute eine
Reaktions- und Verhaltensdynamik in der Kooperation oder (Nicht-)Kooperation
entstehen, die bei Vertragsabschluss mit sehr verschwindender Wahrscheinlich-
keit hinreichend genau prognostiziert und antizipiert werden können.
• Zum anderen ist es unter bestimmten Voraussetzungen systematisch der Fall,
dass Anreize zum "Defektieren" (zum Abgehen von den Vertragsbestimmungen)
bestehen. So genannte spieltheoretische Züge der (Nicht-)Kooperation (d.h. stra-
tegische Verhaltensmuster) gewinnen dadurch an Bedeutung, dass das Verhalten
einer Partei den Zustand der anderen Partei beeinflusst und dass die eine Partei
nicht weiß, ob die andere Partei kooperieren oder defektieren wird und wie die
andere Partei auf etwaiges Defektieren reagieren wird (quasi: was mache ich,
wenn die anderen dies tun werden; was machen die anderen, wenn ich jenes tun
werde).
• Eine zusätzliche Problemdimension entsteht (insbesondere im Hinblick auf Inter-
pretationsspielräume), wenn bei der (potenziellen) Kooperation nicht bloß eine
Austauschsituation ("exchange") vorliegt, sondern eine Gemeinschaftsproduktion
("joint enterprise"). Bei ersterem geht es darum, zu leisten (kooperieren) oder
nicht zu leisten (zu defektieren), bei letzterem hingegen darum, einen fairen Bei-
trag zum Gelingen des gemeinsamen Unterfangens zu leisten (Kooperation) oder
den Leistungseinsatz unterproportional zum eigenen Anteil an der Gemein-
schaftsproduktion zu halten (Defektieren in Form von "shirking").
• Besonders problematisches Gewicht erhält das "joint enterprise prisoners' dilem-
ma" dann, wenn an der Gemeinschaftsproduktion mehr als zwei Kooperations-
partner beteiligt sind oder sein sollen. Die ansonsten meist übliche Reaktionsstra-
tegie zur Erziehung des (einzigen) Partners zu kooperativem Verhalten ist "tit for
tat": Wenn du kooperierst, tue ich das auch; wenn du defektierst folge ich eben-
falls deinem Beispiel. Doch im Fall mindestens dreier Kooperationspartner – dem
"multilateral joint venture prisoners' dilemma" – kann "tit for tat" eine zu grobe
(weil nicht zielgerichtete) und somit wenig zweckmäßige Verhaltensstrategie sein.
Denn wenn ich an Kooperation interessiert bin und der eine Partner kooperiert,
der andere aber defektiert, so werde ich entweder durch meine Reaktion Defek-
tieren sowohl den Defekteur als auch den Kooperateur "bestrafen" und diesen
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
35
vielleicht von seiner Kooperationsstrategie abbringen; oder ich werde durch mei-
ne Reaktion Kooperieren zwar den Kooperateur "belohnen", aber auch den De-
fekteur in seiner Nicht-Kooperation bestärken.
Der Erziehung zur Kooperation durch "bedingte Kooperation" ("conditional cooperati-
on") ist es deshalb förderlich, wenn als negative Sanktion für Defektieren neben der
bloßen Strategie "Vergeltung durch Defektieren" ("tit for tat") auch eine Strategie
"Vergeltung durch Bestrafung" (Retributivstrategie) zur Verfügung steht. Selbst wenn
die Retributionskosten (die Kosten der Bestrafung oder des Unterhalts eines Bestra-
fungssystems) anfallen, ohne einen unmittelbaren Nutzen zu stiften, werden dadurch
möglicherweise die Kooperation als solche sowie deren Vorteile im Fall des klaglo-
sen Kooperierens erhaltens – jedenfalls (potenziell) effektiver als mit dem stumpferen
Instument "tit for tat".
Eine Alternative für eine zielgerichtete Strategie, die in der Lage ist, Kooperation län-
gerfristig zu fördern, ist – wie Vanberg (2001) sie etwas pathetisch bezeichnet – eine
"moralische Strategie". Sie schreibt vor, selbst im Fall des Defektierens eines oder
mehrerer Kooperationspartner nicht mit Defektieren zu reagieren, sondern durch
Ausstieg aus der schlecht funktionierenden Partnerschaft ("exit") und der Suche nach
anderen, vermutlich nicht defektierenden Kooperationspartnern.
Die Bestrafungsstrategie (Retribution) hat den Vorteil, das Risiko zu verringern, dass
die Partnerschaft zu rasch abgebrochen wird ("exit") – nämlich bevor ein bestehen-
der, defektierender, aber doch noch anpassungsfähiger Partner für die künftige Ko-
operation verloren geht. Der Nachteil ist, das Risiko zu erhöhen, dass die Kosten der
Retribution und des ausgebeutet Werdens durch einen defektierenden und nicht an-
passungswilligen Partner "versinken", indem die Bestrafung ineffektiv ist und somit
die Partnerschaft unzweckmäßig aufrechterhalten wird.
Die Schwierigkeit der effizienten Strategieauswahl in einer multilateralen Gefangendi-
lemma-Situation, nämlich effizient zwischen der Bestrafungsstrategie (Retribution)
und der moralischen Strategie (Exit-Strategie) zu wählen, besteht insofern: Zuweilen
ist es nicht leicht, zwischen einem Defektor, der sich mittels seiner Defektion (als "tit
for tat"-Strategie) vor der Ausbeutung durch andere Defektoren zu schützen sucht
(bedingte Kooperation zu Erziehungszwecken), und einem Defektor, der mit seiner
Defektion den Zweck der Ausbeutung der Partner verfolgt, zu unterscheiden.
Erleichtert wird die Wahlentscheidung in Richtung Bestrafungsstrategie durch folgen-
de Umstände: Es mag unmöglich bzw. mit relativ hohen Kosten verbunden sein, die
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
36
Partnerschaft zu verlassen, und/oder mit Zunahme der Gruppengröße wird es – bei
gegebener Population (Zahl der potenziellen Kooperationspartner) – immer schwieri-
ger, andere Partner für eine neue Partnerschaft außerhalb der früheren, die verlas-
sen wurde, zu finden.
Andererseits wird die Wahlentscheidung zu Gunsten der moralischen Strategie durch
das "Freifahrer-Problem" ("free riding") bewegt: In einer großen Gruppe ist die Be-
strafung des Defektierens ein so genanntes öffentliches Gut. Das bedeutet, es ist
eine individuell rationale Strategie, die Bestrafung und ihre Kosten den jeweils ande-
ren zu überlassen, um den Vorteil der Disziplinierung – den Nutzen aus der Koopera-
tion mit den nicht (mehr) defektierenden Partnern – zu genießen und die Kosten da-
für auf die anderen auszulagern. Ab einer kritischen Anzahl von Freifahrern wird die
Bestrafung ineffektiv, und alle Partner tragen die Kosten des Defektierens. Demzu-
folge sind unterschiedliche Nutzenzumessungen (aus den durch Kooperation erziel-
ten Nutzengewinnen: den so genannten "group rents") an die einzelnen kooperieren-
den Partner – je nach Höhe der jeweils beigetragenen Retributionskosten erforder-
lich, um das Freifahrer-Problem zu entschärfen.
Die Anwendbarkeit der moralischen Strategie (Exit-Strategie) hängt aber, zusätzlich
zur Gruppengröße, auch in anderer Hinsicht von der Beschaffenheit der Gruppe
(Partnerschaft) ab. Zum einen kann es sich um frei gebildete Gruppen ("self-selected
groups", Klubs) handeln, die durch freie Entscheidung aller Teilnehmer entstehen.
Zum anderen gibt es vorherbestimmte Gruppen ("pre-defined groups", Klassen): Ihre
Zusammensetzung wird durch die Rahmenbedingungen etwaiger Kooperation (z.B.
Nachbarschaft in einer Region mit homogenen Präferenzen: vgl. Unterabschnitt
1.14.) bzw. durch die Natur ihres Kooperationsgegenstandes (etwa enge Handels-
und Pendelbeziehungen, Externalitäten, Gemeinschaftsgüter wie ein gemeinsames
Mikroklima und daher eine einheitlich gute oder schlechte Luft) im Vorhinein abge-
grenzt ist.
Die vorliegende Gemeinsamkeit einer vorherbestimmten Gruppe in der einen oder
anderen Hinsicht definiert diese Gruppe als aus Partnern bestehend, egal ob sie im
Hinblick auf ihre Gemeinsamkeit kooperieren oder defektieren. Die vorherbestimmte
Gruppe besteht quasi aus sachlogischen Partnern, die wahlweise kooperieren oder
defektieren können; allein die Exit-Strategie bleibt ihnen erschwert oder verwehrt.
• Die die Partner nolens volens verbindenden Rahmenbedingungen lassen relativ
klar erkennen, wer aller (nämlich die unwillkürlichen Mitglieder der Gruppe) von
Verbesserungen in der gemeinschaftlichen Hinsicht profitieren wird. Dieser Um-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
37
stand lässt Freifahren in einer vorherbestimmten Gruppe eine zwar vergleichs-
weise attraktive, doch ebenso durchsichtige Strategie werden. Es gibt nämlich in
einer vorherbestimmten Gruppe relativ geringe Probleme mit Informationsasym-
metrien, wenn es darum geht, die Auswirkungen von Kooperation abzuschätzen
und die Beitragsbedingungen für die Kooperation festzulegen; Informationsvor-
sprung bei der gemeinschaftlichen Festlegung von Institutionen (der Kooperation)
fällt als Macht- und Ausbeutungsfaktor kaum ins Gewicht.
• Andererseits können mit einer größeren Sicherheit die Gewinne aus den ver-
schiedenen Strategien (die "Auszahlungen" nach Kooperation oder Defektieren)
prognostiziert werden, und dies erhöht den Anreiz zu strategischer Verhandlungs-
führung ("strategic bargaining") und "Einbunkerung in den Verhandlungen ("hold-
out"). Dafür sprechen auch die Ergebnisse simulierter Spiele, die zeigen, dass ei-
ne Exit-Option ein kooperativeres Klima schafft ("... creates a much more hospit-
able environment for cooperative programs": Vanberg 2001, S. 11). Dies deshalb,
weil sich aufrechte Kooperateure mit jenen Partnern zusammenschließen können,
die sie als ebenfalls aufrecht (statt ausbeuterisch) einschätzen.
Zunehmende Verlässlichkeit (die stärkere Befolgung von "trust rules" und "solidarity
rules": Vanberg 2001, S. 15) reduziert das Gefangenendilemma-Problem und erhöht
die erzielten Gemeinschaftsvorteile ("group rents"). Aber Verlässlichkeit ist halt leider
ein öffentliches Gut, das mit zunehmender Gruppengröße und bei vorherbestimmten
Gruppen objektiv schwieriger realisierbar ist. Obendrein ist hier die unterschiedlich
hohe Zumessung von Benefits aus der realisierten Gruppenrente je nach individuel-
lem Kooperationsverhalten (wie schon erwähnt) schwer möglich.
Deshalb ist insbesondere unter diesen Bedingungen die externe Vorgabe ethischer
Verhaltensprinzipien – samt Verhaltenssanktionen – (seitens einer höheren Hierar-
chieebene) besonders nötig und effektiv. (Handelt es sich um eine frei gebildete
Gruppe, so ist der Zeitpunkt ihrer Konstituierung für die Institutionalisierung eines
Sanktionsregimes besonders geeignet: Vanberg 2001, S. 17).
Zumindest ist es unter den Bedingungen vorherbestimmter Gruppen immerhin
schwieriger, Defektieren zu rechtfertigen als Kooperation. Gerade in frei gebildeten
Gruppen kommt es zur künstlichen Schaffung von Exit-Barrieren, um die Ausschöp-
fung des Potenzials an Kooperationsmöglichkeiten und -gewinnen ("group rents")
dadurch zu fördern. Auch hier zeigt sich einmal mehr die Vielschichtigkeit der rele-
vanten, kontroversiellen Überlegungen zur Kooperation.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
38
2.3. Zusammenfassung der Ergebnisse und Folgerungen
(1) Trotz des zu rechtfertigenden Interesses an Kooperation zwischen benachbarten
Gemeinden, die sich auch gemeinsamen Rahmenbedingungen und Anliegen
gegenübersehen, ist Kooperation in der einen oder anderen Form (von Joint
Ventures bis zur Gemeindezusammenlegung) alles Andere als selbstverständlich
– hauptsächlich weil Unsicherheiten über die Zukunft herrschen und Verteilungs-
fragen mitschwingen und nicht zuletzt deshalb vertragliche Vereinbarungen we-
der vollständig definiert sein können, noch frei vom Anreiz sind, aus Eigeninte-
resse vom Vertrag abzuweichen (zu defektieren) oder den Interpretationsspiel-
raum des Vertrags auszunützen, um die Lastenverteilung zu den Partnern hin zu
verschieben ("shirking").
(2) Diese inhärent strategische Verhaltenssituation ("Gefangenendilemma") besteht
im Allgemeinen darin, dass zwar durch die effektive Kooperation aller Parteien
zusammen insgesamt das beste Ergebnis zu erzielen ist, während Nicht-
Kooperation alle Parteien schlechter stellt, doch durch das Defektieren einer oder
weniger Partner diese individuell und auf Kosten der anderen (der Kooperieren-
den) besser aussteigen. Die negativen Anreize ("disincentives") zur Kooperation
können dabei auch von außerökonomischen (etwa sozialpsychologisch zu erklä-
renden) Faktoren ausgehen – mit den entsprechenden negativen Konsequenzen
(Ineffizienzen, die Wohlfahrtseinbußen bedingen) im ökonomischen Bereich.
(3) Greifen übergeordnete föderale Ebenen nicht vertikal regelnd in diese Problema-
tik ein (Politikversagen), verbleibt noch die Option, bei horizontalen Bemühungen
um Kooperation Handlungsprinzipien aus der die Probleme erklärenden Theorie
zu beachten und anzuwenden, wie es im Folgenden unternommen wird:
(4) Zunächst wäre festzustellen, inwiefern im jeweils konkreten Fall um eine "joint
enterprise"-Situation vorliegt, also ob die potenzielle Kooperation in einer ge-
meinschaftliche Produktion kommunaler Leistungen besteht. Dies liegt eher zwi-
schen jenen benachbarten Gemeinden vor, die sich alle in einem (hinsichtlich
Präferenzstruktur der Bewohner und bezüglich sonstiger, auch finanzieller Rah-
menbedingungen und Problemstellungen) ziemlich homogenen und die beste-
henden Externalitäten weitestgehend umfassenden Raum befinden. Unter sol-
chen Bedingungen wird das Monitoring der Kooperation (Kontrolle, Steuerung,
Sanktionierung) schwieriger, weil es um die Feststellung und Gestaltung der Bei-
träge geht, welche die Produktionspartner individuell einbringen.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
39
(5) Hingegen besteht eher eine Situation von Austauschbeziehungen ("exchange
situation"), wenn beide Gemeinde durch unterschiedliche Gegebenheiten ge-
prägt sind, welche jeweils wesentlich unterschiedliche kommunale Leistungen er-
fordern, die aber zwischen den Bewohnern der verschiedenen Gemeinden de
facto ausgetauscht werden (beide Leistungen werden von beiden Populationen
genossen). Falls die marktanaloge Wertgleichheit der zwischen den Gemeinden
getauschten Leistungen nicht besteht und/oder falls diese Leistungen in je recht
unterschiedlicher fiskalischer Ergiebigkeit finanziert werden (Finanzausgleich, Fi-
nanzzuweisungen), ist eine Kooperation der Gemeinden aus volks- und regio-
nalwirtschaftlicher Sicht angezeigt – als eine Art Korrektiv für die Inadäquanz des
föderativen Fiskalsystems.
(6) Die effizienteste (zweckmäßigste, effektivste und kostenwirtschaftlichste) Organi-
sationsform der Gemeinschaftsproduktion ist mit der Situationsanalyse noch
nicht festgelegt, sondern sollte auf der Basis dieser Analyse erfolgen, die zwi-
schen den alternativen Situationen Gemeinschaftsproduktion und Austausch-
beziehung (gleichsam einem Liefervertrag) entscheidet. Bei Gemeinschaftspro-
duktion geht es etwa von gemeinsamer Verkehrspolitik bis hin zu gemeinsamer
Budgeterstellung und -vollziehung (im Fall der Gemeindezusammenlegung). Das
Argument der Transaktionskosten der Kooperation spricht so lange für die "Fusi-
onslösung", solange die zunehmende Organisationsgröße nicht auf Grund stei-
gender Komplexität und Intransparenz die Optimalgröße übersteigt.
(7) Bei der Kooperation zwischen mehr als zwei Gemeinden ergibt sich das Problem
der ineffizienten Sanktionierung abweichenden Verhaltens (des Defektierens).
Die Erziehung zu Kooperation statt "shirking" oder "non-cooperation" kann durch
reziprokes Verhalten ("tit for tat": ich kooperiere, wenn du kooperierst; ich defek-
tiere, wenn du defektierst) nicht gezielt und daher nicht effizient auf den oder die
defektierenden unter den Partnern ausgerichtet werden. Dieser Umstand ver-
langt einerseits nach einem kostenträchtigen Sanktionssystem ("compliance
costs") für kooperatives Verhalten (Abgeltung in Form beitragsorientierter Er-
folgsverteilung) und nicht kooperatives Verhalten (Vergeltung in Form von Be-
strafung). Andererseits spricht die gegenständliche Problematik wiederum aus
dem Transaktionskosten-Argument heraus für die Lösungsvariante der Zusam-
menlegung der kooperierenden Gemeinden zu einer Entscheidungseinheit.
(8) Ein weiteres Kriterium für die Problematik und Optionen der Zusammenarbeit
zwischen Gemeinden ist die Unterscheidung nach ihrer Gruppenzugehörigkeit –
nämlich ob es sich im jeweiligen Fall um eine vorherbestimmte ("pre-defined")
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
40
Gruppe von Gemeinden handelt, welche durch gemeinsame Bedingungen ver-
bunden und daher die Nutznießer einer etwaigen Kooperation sind, oder um eine
frei gewählte ("self-selected") Gruppe von Gemeinden, welche sich in uneinge-
schränkt freier Auswahl klubartig zu einem Zweckverband zusammenschließen.
Die Bedeutung dieser Unterscheidung ist in dem Umstand zu sehen, dass eine
Gemeinde als unwillkürliches Mitglied einer vorherbestimmten Gemeindegruppe
keine Strategie des "Exit" wählen, also nicht aus der Gruppe ausscheiden kann,
um sich gegen ausbeuterische Defektierer zu schützen und eine verlässlichere
Kooperation in einer andere (einer frei gewählten) Gruppe von Gemeinden zu
suchen. So kann etwa Ebensee nicht mit Neusiedel kooperieren, wenn es um die
lokale Gewässerreinhaltung geht. Demgegenüber wird aber auch Gmunden da-
von profitieren (und nicht Neusiedel), wenn Ebensee die Wassergüte erhöht. In-
folge der die vorherbestimmte Gruppe kennzeichnenden Bedingungen kann eine
Gemeinde einerseits kaum ein "shirking" (mangelnde bis fehlende Kooperation)
sachlich rechtfertigen, zumal das "Freifahrer-Verhalten" vergleichsweise offen-
sichtlich ist.
(9) Andererseits verleiht die unwillkürliche Gruppenzugehörigkeit einer sich strate-
gisch verhaltenden (frei fahrenden) Gemeinde eine im Vergleich zu Verhand-
lungslösungen beim Eintritt in frei gewählte Gruppen (Klubs) große Macht. Aus
dieser Machtposition heraus können solche Gemeinden – durch strategisches
Verhalten (Vorgabe falscher Präferenzen für das durch Kooperation erzeugbare
Gemeinschaftsgut) und "Einbunkerung" in dieser bekundeten Meinung – das
Treffen effizienter Gesamtlösungen verhindern oder zumindest verwässern. Die
einzige Möglichkeit zur Herbeiführung effizienter, die Gesamtwohlfahrt tendenzi-
ell maximierender Kooperation dürfte wohl die vollständige, penible und leicht
kommunizierbare Darstellung der besonderen Sachlage sein. Dieser Schluss
mag sowohl für die Etablierung der Kooperationsregeln als auch für die deren
Einhaltung gelten.
(10) Das Zustandekommen und die Einhaltung der vereinbarten Kooperation sind
jenen Konstellationen leichter, wo die Zahl der Mitgliedsgemeinden einer (frei
gewählten wie auch vorherbestimmten) Gruppe geringer ist, denn dort ist Frei-
fahren auf Grund der geringeren Komplexität augenscheinlicher und merklicher
(in vorherbestimmten Gruppen ist das Problem, wie gesagt, gravierender). In
diesem Licht betrachtet sollte die Situation in einer Region nach den einzelnen
Rahmenbedingungen unterschieden analysiert werden, so dass sich in jeder ein-
zelnen Hinsicht vielleicht nur wenige Gemeinden als Mitglieder der jeweiligen
Gruppe identifizieren lassen. Wenn nach den verschiedenen Hinsichten in etwa
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
41
gleich hoher Besetzungsziffern in den einzelnen Gruppen zu finden sind, ver-
weist das Transaktionskostenargument auf eine Einheitslösung (bis hin zur Ge-
meindezusammenlegung).
(11) Öffentliche Transparenz (Informationen zur Problemsituation und zu den Lö-
sungsmöglichkeiten) kann als Druckmittel im Weg der Bevölkerungsmeinung in
Bezug auf eine effiziente regionale Gesamtlösung allerdings nichts bewirken
(außer vielleicht das Bewusstwerden von Handlungsbedarf auf einer übergeord-
neten föderalen Ebene), wenn lokale Legislativen und Exekutiven einen individu-
alistischen Kommunalpatriotismus forcieren, wo der eigene Nettonutzen in Rela-
tion zu denen der anderen Gemeinden das einzige oder entscheidende Kriterium
darstellt. Auch aus dieser Sicht bietet sich eine Zusammenlegung der in der vor-
herbestimmten Gruppe unwillkürlich ereinten Gemeinden an. Dies wäre in einem
historisch begünstigten Zeitpunkt möglich, wo die Situation eher durch sachlichen
Kooperationswillen (analog zur Konstituierung von Klubs: Vanberg 2001) denn
durch lokalpatriotisches Einzel- und Konkurrenzdenken gekennzeichnet ist.
(12) Im Gegensatz zur Theorie des Freifahrerverhaltens haben Experimente (Van-
berg 2001) gezeigt, dass die Existenz einer Exit-Option einem freiwilligen, ver-
lässlichen Kooperationsverhalten zuträglich ist. Diese Ergebnisse legen nahe,
konkrete Kooperationsprojekte zeitlich zu befristen, um eine Kombination zwi-
schen den Vorzügen der Erwartungssicherheit (Verlässlichkeit der Kooperation in
einer bestimmten Probezeit) und der Reversibilität (Änderungsmöglichkeit der
Kooperationsform nach der Testperiode) zu ermöglichen. (Es gibt zwar keinen
Exit aus der vorherbestimmten Gruppe – denn diese ist durch die Problemsi-
tuation definiert –, doch gibt es einen Ausstieg aus der Kooperation.) Der flexible-
ren Gestaltung des Kooperationsregimes entgegen stehen die Argumente zum
einen der Transaktionskosten (Systemänderungskosten) und zum anderen der
versunkenen Kosten (noch nicht amortisierte Infrastruktureinrichtungen für zwi-
schenzeitlich institutionalisierte Verwaltungssysteme).
(13) Die im vorigen Punkt erwähnten Ergebnisse von Verhaltensexperimenten mit
und ohne ein Element der Freiwilligkeit in der Kooperation werden auch durch die
Theorie des "intrinsischen Crowding-out" (Frey 1997) gestützt: Entscheidungs-
träger verhalten sich in Gemeinschaftsangelegenheiten nicht ausschließlich und
nicht unbedingt überwiegend egoistisch (hier: lokalpatriotisch). Kooperation und
Solidarität haben für sie (auch) einen inneren Wert: einen Wert an sich. Diese alt-
ruistische Motivation wird durch äußere Zwänge zu altruistischem Verhalten
(hier: Kooperation) "verdrängt" ("crowded out"). Der äußere Zwang als Mittel zum
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
42
Zweck erfüllt den Zweck relativ schlecht (d.h. schlechter als die freiwillige Lö-
sung). Dies wäre ein Argument für die übergeordneten föderalen Ebenen darauf
hoffen zu können, die Kooperation zwischen gleichberechtigten Gemeinden wer-
de eine effiziente Gesamtlösung erzielen.
(14) Die Spieltheorie kennt bei frei gebildeten Gruppen ein "moralisches Regime",
wo die allgemeine Auffassung vorherrscht, es wird nicht defektiert ("trust rules"),
sondern ggf. als Reaktion auf das Defektieren anderer eine andere Koopera-
tionsgruppe gesucht. In ähnlicher Weise befasst sich die Spieltheorie im Bereich
vorherbestimmter Gruppen mit so genannten Solidaritätsregeln, welche die
Nicht-Kooperation ("shirking") moralisch ablehnen. Konkreter gesprochen ist es
für Gemeinden innerhalb einer durch die äußeren Umstände gebildeten Gemein-
schaft (vorherbestimmten Gruppe) kaum denkbar, nicht verlässlich zu kooperie-
ren. Das Zustandekommen solcher Solidaritätsregeln ist allerdings kaum ein
ökonomischer Erklärungsgegenstand.
(15) Im Gegensatz zu den altruistischen Ansätzen zur Erklärung funktionierender
Kooperation besagt die Leibenstein'sche Theorie begrenzt rationalen Verhaltens
(Reding/Dogs 1986), dass bei Unsicherheiten über die Konsequenzen der zu
vereinbarenden Kooperation eher der Status quo mit seinen Ineffizienzen (hier:
der suboptimale Zustand einer Gemeindekooperation) erhalten bleibt, als neue
Vereinbarungen (zwischen den Gemeinden) zu treffen. Dieser Ansatz impliziert,
dass externe (exogene) Verhaltensvorschriften demgemäß innerhalb der ge-
nannten Unsicherheitsbereiche ("Indifferenzbänder") eine effektive Lenkungswir-
kung erzeugen, neigt konsequent einer Regulierung der Kooperation durch über-
geordnete Hierarchieebenen zu.
(16) Allgemein kann festgehalten werden, dass bei der Ausgestaltung von Reform-
vorhaben in der Zusammenarbeit von Nachbargemeinden alle Umstände zu
vermeiden sind, die durch ihre Anreize eine Situation strategischen Verhaltens
begründen und fördern. Die dafür zu beachtenden Prinzipien sind Transparenz
der Entscheidungssituation (als Schutz gegen Übervorteilung beim Vertragsab-
schluss), größtmögliche Sicherheit der Vereinbarung in Bezug auf die Entschei-
dungskonsequenzen (Detaillierung des Kontrakts, Vorhersehbarkeit der Auswir-
kungen und Verlässlichkeit der Einhaltung), das Vorsehen eines differenzierten
(gezielt wirkenden) Sanktionierungssystems (selbst bei Kostenträchtigkeit) sowie
eine möglichst effizient gestaltete Reversibilität (als Option bei Enttäuschung der
mit der Kooperation verbundenen Erwartungen an Stelle von Defektieren).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
43
(17) Im Sinn einer Kostenminimierung der Kooperation erscheint angesichts der
zahlreichen Schwierigkeiten interkommunaler Zusammenarbeit die Alternative
der Gemeindezusammenlegung als engste und sicherlich an Transaktionskosten
ärmste Variante der regionalpolitischen Kooperation am ehesten geeignet.
(18) Sollte selbst auf der Basis dieser Handlungsprinzipien die Situation aus volks-
und regionalwirtschaftlicher Perspektive eindeutig, nachhaltig und deutlich sub-
optimal bleiben, würde dies einen normativen Interventionsanlass für überge-
ordnete föderale Ebenen bedeuten.
3. Bisherige Studien für Oberösterreich
3.1. "Strukturverbesserung der Gemeinden in Oberösterreich"
29
3.1.1. Historisch, aber nicht organisch gewachsen
Fröhler (1976) stellt eingangs fest, dass einerseits der Grundsatz des Gesetzgebers
im mittleren bis späteren 19. Jahrhundert, nämlich "freie Gemeinde in einem freien
Staat", zwar noch der heutigen Gesetzgebung zu Grunde liegt. Doch andererseits
basieren die historisch gewachsenen Ortsgemeinden von heute teils wesentlich auf
den späten 18. Jahrhundert definierten Katastralgemeinden, die zwar damals der
zweckmäßigen Grundsteuererfassung gedient haben, aber deren Grenzziehung in
Bezug auf die Aufgaben einer Gemeinde im heutigen Sinn natürlich oft keinerlei
Zweckmäßigkeitsüberlegungen standhalten: "Als Basis für gemeindliches Eigenleben
waren diese neuen Gebietseinheiten nicht vorgesehen. Niemand hatte daran ge-
dacht, daß sie später einmal Gebietskörperschaften mit eigenen Rechten und Pflich-
ten werden könnten. (..) so ist man nicht selten zu Gebietsabgrenzungen gekommen,
die dem späteren Zweck der Katastralgemeinden, als Bausteine der Ortsgemeinde
zu dienen, in keiner Weise gerecht werden konnten" (Fröhler 1976, S. 11 f.).
30
Diese Kritik könnte für das alte Linz wie folgt etwas relativiert werden: "Die liberale
Gemeindegesetzgebung ging ferner von der Katastralgemeinde als 'natürliche Ge-
meinde' aus, obwohl diese nur in wenigen Gebieten – nämlich in den Räumen hoch-
mittelalterlicher Plansiedlungen – mit dem Dorf und seiner Gemarkung annähernd
deckungsgleich war" (Fröhler 1976, S. 12). Doch gilt dieser Einwand für das alte
29
Die hier referierte Studie stammt von Fröhler (1976).
30
Als soziale Einheiten entwickelten sich vielmehr die Pfarrgemeinden.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
44
Linz, wohl aber kaum für das heutige Linz und seine Umlandgemeinden, zumal diese
mit den mittelalterlichen Strukturen in ihren Angrenzungsbereichen nichts gemein
haben.
Auch die Konstituierung von Ortsgemeinden Mitte des 19. Jahrhunderts (die nicht
mehr nur nach der Katastereinteilung, sondern auch nach den viel eher soziale Ein-
heiten repräsentierenden Pfarrgemeinden richtete) löste das Problem nicht befriedi-
gend; die neuen Verwaltungseinheiten waren "keineswegs mehrheitlich 'organische
Gebilde'" (Fröhler 1976, S. 12). Ebenso änderte die Neukonzeption der Nazis gene-
rell nichts Wesentliches daran – selbst nicht im Fall von Linz und seiner Umlandge-
meinden. Danach kam es auch nur mehr zu minimalen Änderungen.
Dem gegenüber steht jedoch die Entwicklung der sozial-ökonomischen Realität: "Der
grundlegende Wandel der Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur hat zu einer Verän-
derung der Siedlungsstruktur im Sinne einer fortschreitenden Konzentration aus den
Streusiedlungen und Kleinstortschaften auf die größeren Orte, Märkte und Städte
geführt. (..) Die starren, keineswegs organischen Gemeindegrenzen tragen diesem
Prozeß vielfach nicht Rechnung. (..) Die historische Übersicht hat gezeigt, daß die
heutigen Gemeinden keineswegs so organisch gewachsene Gemeinschaften sind,
wie wir dies schlechthin annehmen" (Fröhler 1976, S. 17 f.).
3.1.2. Gemeindegrößen, Gemeindegrenzen und Gemeindekooperation
Fröhler (1976) tritt gegen die generelle Zusammenlegung von Gemeinden ein, die
nur dazu dienen, eine bestimmte Norm-Gemeindegröße zu erreichen. Dem ist zuzu-
stimmen, zumal die ökonomischen Gegebenheiten (wie in Abschnitt 1. dargelegt)
historisch und geografisch sehr unterschiedlich sein und individuell durchaus unter-
schiedlich hohe (mindest-)optimale Gemeindegrößen ergeben können.
Darüber hinaus setzt er den ökonomischen und wirtschaftspolitischen Erwägungen
eine strikte Nebenbedingung aus dem allgemein- und demokratiepolitischen Bereich:
"Die wesentlichste Funktion der Gemeinde ist die Stärkung der demokratischen Prä-
senz des Bürgers in der parlamentarischen Demokratie. (..) Föderalismus ohne bür-
gerschaftliche Beteiligung in den Gemeinden ist nicht möglich. (..) die rationellste
Verwaltung ist zu teuer, wenn damit die Gemeinde ihren Charakter als demokrati-
sche Basis verliert und zur bloßen Verwaltungseinheit wird. Daraus folgt: Jede Ver-
änderung in den Gemeindestrukturen hat zunächst im Auge zu behalten, daß die
vom Bürger getragene Gemeinde erhalten bleibt. Stärkung der Gemeinde ist nur mit
den Ziel möglich und vertretbar, diese Bürgerpräsenz zu stärken. Eine Rationalisie-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
45
rung auf Kosten dieser Präsenz ist von vornherein abzulehnen. (..) Ziel einer Ge-
meindereform ist nicht Stärkung der Verwaltung, sondern der Selbstverwaltung. Ziel
soll sein, die Gemeinden so zu strukturieren, daß sie überschaubar bleiben im Inte-
resse der Bürgerbeteiligung (..)" (Fröhler 1976, S. 18 ff.).
Fröhler (1976) weist zu Recht auf eine außerökonomische Nebenbedingung im Pro-
zess der gesamtpolitischen (nicht nur wirtschaftspolitischen) Optimierung hin (vgl.
Unterabschnitt 1.7. unter dem Stichwort soziale Identifikation). Dabei darf aber nicht
übersehen werden, dass es in Theorie und Praxis Gestaltungsmöglichkeiten gibt,
Bürgerbeteiligung mit einem theoretisch wie politisch befriedigenden Anspruchniveau
zu verwirklichen. Denn erstens würde sonst jede große Gemeinde Demokratie und
Förderalismus mit Füßen treten, was tatsächlich nicht zuzutreffen scheint; und zwei-
tens kann eine Maximalforderung nach demokratischer Partizipation kaum als Opti-
mallösung angesehen werden
31
bzw. keine Optimallösung zweifelsfrei und interper-
sonell kommunizierbar gefunden werden, so dass vielmehr mit befriedigenden An-
spruchsniveaus gearbeitet werden muss.
Demgemäß sind bei Maßnahmen, welche eine Gemeinde vergrößern, geeignete
Vorkehrungen zu treffen, um dem demokratiepolitischen Anspruch gerecht zu wer-
den. Dies lässt sich etwa durch eine Ortschaftsgliederung der Gemeinde mit regiona-
len Mitwirkungseinrichtungen und sonstigen die Identifikation mit der Gemeinde för-
dernden Institutionen für die Bevölkerung erzielen, wie dies Fröhler (1976, S. 24 f.)
selbst tut (Ortschaftsverfassung, Ortschaftssprecher, Ortschaftsvertretung.
Allerdings hegt der Autor der Studie aus 1976 Zweifel an der Wirksamkeit solcher
Vorkehrungen: Für ihn dominiert die Gemeindegröße als Faktor der Bürgerentfrem-
dung absolut. Dabei gründet er seine Auffassung allerdings auf die sehr stark anmu-
tenden Annahmen, dass derartige Ortschaftseinrichtungen ohne Kompetenzen in der
Gemeinde bleiben und große Verwaltungseinrichtungen nicht durch einen geeigne-
ten Mix aus Zentralisierung und Dezentralisierung (optimale Betriebsgröße: vgl. Un-
terabschnitt 1.9.) überschaubar und konsumentenfreundlich sein können:
"Die Chance, daß dadurch wirkliche Bürgerbeteiligung erhalten bleibt, ist wohl gering.
Wahrscheinlicher ist, daß die Aktivitäten in den Ortschaften usw. alsbald erlahmen,
wenn sich zeigt, daß mangels echter Kompetenzen einerseits und des großgemeind-
lichen Übergewichts im informatorischen, verwaltungstechnischen und und natürlich
finanziellen Bereich andererseits, diese Bürgervertreter zweiten Grades nur Alibifunk-
31
Gewisse Entscheidungen, insbesondere über öffentliche Güter wie Verteilungsgerechtigkeit oder
über meritorische Güter wie Hochkultureinrichtungen sind von ihrer Natur aus nicht gut für direkt-
demokratische Entscheidungsmechanismen geeignet (Bartel 2000).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
46
tion haben. Es liegt in der Natur der Sache, daß sie von der gemeindlichen Zentrale
nur bei 'Wohlverhalten' geduldet, andernfalls aber auf Abstellgleis rangiert werden"
(Fröhler 1976, S. 24). Unter dieser Annahme ist Fröhler immerhin zuzustimmen und
für Gemeindeänderungsmaßnahmen zu stipulieren, partizipative Institutionen nicht
ohne substanzielle Kompetenzen zu belassen.
Ein weiterer Kritikpunkt Fröhlers (1976, S. 26) an Erhöhungen der Gemeindegrößen
besteht in seinem Zweifel an dem nach Krieg aufgekommenen "Ideal des Wohn- und
Städtebaues in der reißbretthaften Trabantenstadt, einer künstlichen Stadt". Dem ist
wahrscheinlich beizupflichten, doch gilt diese allgemeine Kritik offenbar nicht im Spe-
ziellen für den Fall der Eingemeindung von Umlandgemeinden, welche nicht als Sa-
tellitenorte konzipiert worden, sondern natürlich gewachsen sind.
Wegen seiner Skepsis über Bürgerbeteiligung in großen Gemeinden stellt Fröhler
(1976) die Kooperation von Gemeinden als überlegene Lösung gegenüber Gemein-
dearrondierung und -zusammenlegungen dar, ohne aber auf deren potenzielle
Schwierigkeiten in größerem Detail (siehe Unterabschnitt 2.1.) einzugehen: "Eine
echte Verbesserung der gemeindlichen Struktur wird nicht über eine rigorose Ge-
meindezusammenlegung, sondern nur über ein wohlüberlegtes Raumordnungskon-
zept erreichbar sein" (Fröhler 1976, S. 29).
Gleichwohl erkennt er mögliche Schwierigkeiten freiwilliger Kooperation an, befürwor-
tet er denn auch eine finanzielle Förderungen einer interkommunalen Kooperation
bis hin zum Zusammenschluss. Dadurch würde die gemeinschaftlich erzielbare
Wohlfahrtssteigerung ("group rent": vgl. Unterabschnitt 2.2.) von Seiten der überge-
ordneten föderalen Ebene künstlich (wirtschaftspolitisch) erhöht und somit der Anreiz
zu kooperieren verstärkt.
Hinsichtlich interkommunaler Kooperation streicht Fröhler (1976) die engen (Arbeits-
und Konsum-)Verflechtungen besonders zwischen ihrer Art nach deutlich verschie-
denen Nachbargemeinden heraus, ohne aber näher auf die unterschiedlichen Finan-
zierungsbedingungen die jeweils recht speziellen Herausforderungen der Erfüllung
der Gemeindeaufgaben und dabei insbesondere auf die dabei besonders virulente
Problematik von nicht entgoltenen positiven und nicht angelasteten negativen exter-
nen Effekten einzugehen (vgl. Unterabschnitt 1.5.). Sehr wohl greift Fröhler (1976)
zwei andere fiskalische Aspekte auf, die nachstehend behandelt werden.
Erstens kann ein Koordinationsproblem gleichsam in einem Wettlauf um Gemeinde-
finanzen durch Gemeindegrößenerhöhungen im Rahmen des bestehenden Finanz-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
47
ausgleichs (abgestufter Bevölkerungsschlüssel: siehe Unterabschnitt 1.1. und Ab-
schnitt 4.) entstehen: "Bleibt nämlich die Finanzmasse für den Gemeindeblock gleich
und erlangen alle Gemeinden einen höheren Schlüsselmultiplikator (weil alle durch
Zusammenlegungen expandieren; Anm. d. Vf.), so bedeutet dies (..), daß die gesam-
te kommunale Finanzmasse durch eine höhere Gesamtzahl zu teilen ist, daß auf die
einzelne Schlüsselzahl daher weniger entfällt, mit der Folge, daß sich zwar der Re-
chenmodus, aber nicht das Rechenergebnis verändert. Wird die Zusammenlegung
zu Großgemeinden aber nur teilweise durchgeführt, so erhalten diese zwar infolge
des veränderten Schlüssels mehr an Zuweisungen; dies geht aber auf Kosten der
Gemeinden, deren Schlüssel unverändert bleibt" (Fröhler 1976, S. 26).
Dem sind Einwände entgegenzuhalten: zunächst dass mehrere Faktoren einer sol-
chen "mergermania" (Zusammenlegungsmanie) entgegenstehen (vgl. die Unterab-
schnitte 1.6., 1.7., 1.10., 1.12., 1.14. und 2.1.), wie auch Fröhler selbst einräumt.
Obendrein können in den regelmäßig wiederkehrenden Verhandlungen über den Fi-
nanzausgleich die Argumente für einen steigenden Finanzbedarf aller Gemeinden
zusammen geltend gemacht werden. Und schließlich sollten sich durch Gemeinde-
zusammenlegungen doch auch Erhöhungen der Kostenwirtschaftlichkeit erzielen
lassen, welche einem Steigen des Finanzierungsgesamtbedarfs entgegenwirken.
Zweitens wendet Fröhler (1976) ein, dass Gemeindezusammenlegungen zu keiner
sie rechtfertigenden überproportionalen Zunahme der Wirtschaftsleistung führen
muss: "(..) die Verbesserung der Wirtschaftskraft (wird) – sofern sie überhaupt eintritt
– relativ gering sein, wenn Heterogenes juristisch zu einer künstlichen Einheit wird",
so dass es sich "letztlich nur um die Fiktion einer Gemeinde" handelt (Fröhler 1976,
S. 28).
Dem ist generell zuzustimmen, doch auf Grund der gerade zuvor angesprochenen
Hindernisse für Gemeindezusammenlegungen können wir – insbesondere im spezi-
ellen Fall einer Eingemeindung von Umlandgemeinden – eher davon ausgehen, dass
die beiden fusionierten Wirtschaftsräume homogen oder komplementär und somit
ökonomisch zusammengehörig sind. So formuliert Fröhler (1976, S. 42) selbst: "Die
Kooperation heterogener Gemeinden ist wegen der häufig verschiedenen, ja konträ-
ren Interessenlage besonders schwierig, aber gerade hier besonders notwendig, sol-
len für alle betroffenen Gemeinden schwerwiegende, zum Teil irreparable Fehlent-
wicklungen vermieden werden. Ohne Kooperation besteht gerade hier die Gefahr,
daß örtliche Entwicklungsplanungen einander paralysieren, daß damit aber auch die
überörtliche Planung ins Leere geht. Erfolgt in solchen Fällen der Interessenaus-
gleich nicht zwischen den Gemeinden selbst, dann ist die staatliche Gemeindeauf-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
48
sicht gezwungen, die Schiedsrichterrolle zu übernehmen. Dies bedeutet nicht nur
eine bedenkliche Verkürzung des Selbstverwaltungsbereiches; die mangelnde Orts-
nähe und mangelnde Detailkenntnis der staatlichen Organe lassen auch keine für die
Gemeinden optimalen Lösungen erwarten. Nur die Gemeinden selbst können einen
Modus vivendi finden, der jeder Gemeinde die notwendige Entwicklungsfähigkeit si-
chert."
Mit der Ablehnung einer rigorosen im Sinn von unreflektierten Zusammenlegung
(bloß wegen des abgestuften Bevölkerungsschlüssels oder trotz Zusammenlegung
immer noch im ineffizienten Größenbereich verbleibend) behält Fröhler (1976) natür-
lich Recht.
Andererseits dürfte er die Probleme bei der freiwilligen Kooperation zwischen Ge-
meinden etwas unterschätzen, indem er bloß einen einzigen Grund dafür anführt:
"Bei vielen Gemeinden zeigt sich allerdings eine gewisse Zurückhaltung, wenn nicht
sogar Widerstand gegen interkommunale Kooperation, weil sie befürchten, in der
Anerkennung der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der Kooperation (..) könnte das
Eingeständnis gesehen werden, daß die Gemeinde in ihrem jetzigen Bestand nicht
lebensfähig ist. Manche Gemeinde befürchten also, mit der Kooperation gleichsam
selbst den Anstoß zu ihrer Auflösung zu geben" (Fröhler 1976, S. 35). Doch qualifi-
ziert er es juristisch als ein Scheinproblem.
Der Autor gibt neben dem Hervorheben der Vorteilhaftigkeit freiwilliger interkommu-
naler Kooperation immerhin nochmals einen Hinweis auf die (z.T. irrationale) Prob-
lematik des Zustandekommens von Kooperation: "Vorteil ist es, weil die Gemeinden
und ihre Organe 'zu der Zusammenarbeit stehen'. Der Nachteil liegt darin, daß nicht-
kooperationswillige Außenseiter solche Projekte scheitern lassen oder doch verzö-
gern und disharmonieren können" (Fröhler 1976, S. 50 f.; vgl. auch Punkt 2.1.2. über
strategisches Verhalten und Einbunkerung in vorherbestimmten Gruppen).
Als starke normative Argumente für die interkommunale Kooperation werden die Ver-
folgung der verfassungsmäßigen Prinzipien Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und
Zweckmäßigkeit sowohl in der Hoheits- als auch in der Privatwirtschaftsverwaltung
(vgl. Unterabschnitt 1.10.) genannt. Ebenso werden geografische, historische, ge-
sellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche technische und administrative Verflechtun-
gen zwischen so manchen benachbarten Gemeinden als Kooperation bedingende
Umstände angeführt. So sollte etwa die Standortwahl für ein regionales Infrastruktur-
projekt nach regionalökonomischen Gesichtspunkten getroffen werden, was (analog
zu den Überlegungen über Externalitäten in Unterabschnitt 1.5.) einer ökonomischen
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
49
Optimierung innerhalb der davon erfassten Region entspricht (Pommerehne 1987,
Kap. 3.), und nicht von in dieser Hinsicht zufälligen Gemeindegrenzen oder inadä-
quaten Verhältnissen der Finanzausstattungen der betroffenen Gemeinden.
Ebenso wird auf die Bedeutung einer einheitlichen Gebührenpolitik hingewiesen. Das
(es sei den Ausführungen des Autors hinzugefügt) impliziert nicht eine Einheitlichkeit
der Gebühren, sondern der Gebührenfestlegungsmethode. Gleichermaßen sei auch
angemerkt, dass diese Empfehlung auch von der normativen Steuertheorie als
Staatsintervention zur Vermeidung eines unregulierten allgemeinen Steuersen-
kungswettbewerbs gestützt wird (z.B. Buiter et al. 1993), obwohl auch gegenteilige
Auffassungen vertreten werden (z.B. Pommerehne 1987, Kap. 3.).
Von juristischer Seite argumentiert Fröhler (1976, S. 37) auch, dass selbst Gemein-
degrenzen überschreitende ökonomische Effizienzüberlegungen im eigenen Wir-
kungsbereich einer Gemeinde
32
ebenso durch die Verfassung fundiert sind: "Der
Umstand, ob die einzelne Gemeinde eine Aufgabe selbst (allein) oder nur in kommu-
naler Zusammenarbeit bewältigend kann bzw. soll oder will, ist kein Kompetenz-,
sondern ein Zweckmäßigkeitsproblem. Die von der Verfassung zur Verfügung ge-
stellten Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit lassen (..) erkennen, daß
nicht nur mit dem örtlichen Gemeindegebiet verhaftete, sondern auch grenzüber-
schreitende Verwaltungsaufgaben im überwiegenden örtlichen Interesse gelegen
und geeignet sein können, von den beteiligten Gemeinden wahrgenommen werden
zu können."
Fröhlers (1976) erste Präferenz für die Situation in Oberösterreich erhält das Instru-
ment der Gebietsarrondisierung (Gemeindegrenzenänderung bei gleichzeitiger Erhal-
tung aller beteiligten Gemeinden) zwecks Aufhebung der gemeindegebietlichen
"Verzahnungen, Überschneidungen und Verflechtungen", denn "dies ist wohl das
brennendste Problem der gemeindlichen Strukturverbesserung schlechthin" (Fröhler
1976, S. 31). Allerdings weist er auch auf das Problem hin, dass die dabei Gebiet
und Einwohner verlierenden Gemeinden in eine schlechtere Kategorie des abgestuf-
ten Bevölkerungsschlüssels rutschen und das Unterfangen erschweren können.
Doch er verweist auch auf die Möglichkeit des fiskalischen Ausgleichs dieses Nach-
teils durch freiwillige horizontale oder vertikale Finanzzuweisungen – quasi ein Kopf-
quotenhandel, wie er dem (Hicks/Kaldor-)Kompensationskriterium zur Erreichung der
32
Der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde in er Hoheitsverwaltung umfasst alle Angelegenheiten,
die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen
Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen
besorgt zu werden" (Art. 118 (2) B-VG).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
50
Pareto-Effizienz entspricht (siehe Unterabschnitt 1.7.). Dies ist (wie bereits dargelegt)
eine Option zur Erleichterung von Effizienz fördernder Kooperation.
In Bezug auf die interkommunale Kooperation in Form von Gemeindeverbänden (als
Zweckverbände) warnt Fröhler (1976, S. 49) vor einem schwergewichtigen Einsatz
dieser Organisationsform, weil mit der Begründung der Verbandszugehörigkeit die
Zuständigkeit der Gemeinde verloren geht. (..) im Extremfall verbliebe den Gemein-
den nur mehr die Mitwirkung im Verband übrig. Damit wäre im Ergebnis die Gemein-
deautonomie in ihrem Kern ausgehöhlt. Von den Gemeindezusammenlegungen un-
terschiede sich diese Entwicklung nur dadurch, daß zwar die einzelne Gemeinde in
ihrem Bestand – aber praktisch ohne Verwaltungsaufgaben – erhalten bliebe."
3.1.3. Umlandgemeinden und Eingemeindung
Erinnert man sich Fröhlers (1976) starrer Nebenbedingung der völligen Bewahrung
des aktuellen Niveaus der politischen Partizipation auf Gemeindeebene, so liegt sein
Argument nahe, mit dem er einer Gemeindezusammenlegung den Vorzug vor einer
extremen Ausformung der Gemeindeverbandskonstruktion gibt: "Die rechts- und
verwaltungspolitischen Mängel einer weitreichenden Gemeindeverbandspolitik, die
praktisch den eigenverantwortlichen Aufgabenbereich der einzelnen Mitgliedsge-
meinden aufzehrt, könnten sogar noch größer werden als bei Gemeindezusammen-
legungen: Immerhin besitzen nämlich die Gemeindebürger auch bei Großgemeinden
noch die Chance einer direkten Einflussnahme auf die Kommunalpolitik, sei es im
Weg der Wahlen zum Gemeinderat, sei es durch direkt-demokratische Einrichtun-
gen, wie Gemeindevolksbegehren und Gemeindevolksbefragung. Die Entscheidun-
gen im Gemeindeverband fallen hingegen in ungleich größerer Bürgerferne als in der
Großgemeinde. Denn die Verbandsorgane selbst verfügen lediglich über eine mittel-
bar demokratische Legitimation (..)" (Fröhler 1976, S. 49).
Damit greift der Autor selber jene Argumente auf, die wir seiner zuvor geäußerten
prinzipiellen Gegnerschaft von Gemeindezusammenlegungen bereits im vorigen
Punkt entgegengesetzt haben: die Akzeptanz einer grundsätzlichen institutionellen
Gestaltbarkeit qualitativ hoch stehender demokratischer Partizipation und bürger-
freundlicher Serviceleistung auch in großen Gemeinden. Somit sind diese Einwände
gegen die Realisierung von Kostenvorteilen und die Internalisierung von Externalitä-
ten durch Eingemeindung stark relativiert.
Fröhler (1976) befürwortet die Zusammenlegung von Gemeinden in Form der Ein-
gemeindung von Umlandgemeinden unter Voraussetzungen, die wir verschiedentlich
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
51
im 1. Abschnitt aus der Sicht der theoretischen Grundlagen dargelegt haben: Bal-
lungs- und Verdichtungsphänomene in diverser Hinsicht (Bevölkerung, Betriebe, Ar-
beitsplätze, Wertschöpfung, Ver- und Entsorgung) in der zentralen Großgemeinde,
die mit den von ihrem Charakter deutlich unterschiedlichen Umlandgemeinden eine
wirtschaftliche und soziale Einheit bildet und demgemäß ein ungewöhnlich hohes
Maß an Austauschbeziehungen zwischen Zentrum und Peripherien aufweisen. "Im
Stadt-Umland-Bereich wird häufig – freilich in verschiedenen Abstufungen – eine or-
ganisch gewachsene, faktische Einheit durch unnatürlich gewordene Rechtsgrenzen
durchzogen (..): Eine faktische Einheit von Aufgaben ist rechtlich zur Wahrnehmung
einer Mehrheit – nicht selten Vielheit – von Gemeinden und damit selbständigen
Kompetenzträgern überantwortet. Gerade im Ballungsraum, wo die kommunalen
Aufgaben am schwierigsten sind, treffen wir auf die ungünstigste Organisationsstruk-
tur (Fröhler 1976, S. 52).
So modifiziert der Autor für diesen speziellen Fall seine bisher geäußerte generelle
Skepsis gegenüber Gemeindezusammenlegungen: "Wenn wir den Grundsatz aufge-
stellt haben, daß es dem demokratischen Gedanken, der materiellen Demokratie
entspricht, bestehende Gemeinden zu erhalten, sofern sie im wesentlichen funktions-
fähig sind, so muß diese Aussage im Stadt-Umland-Bereich modifiziert werden. Es
gibt Fälle – und wir treffen sie am ehesten im Stadt-Umland-Bereich an –, in denen
es gerade das demokratische Prinzip gebietet, daß selbst funktionsfähige Gemein-
den mit hoher Verwaltungskraft ihre Selbständigkeit aufgeben müssen. Der Fall ist
dann gegeben, wenn ansonsten eine Mehrheit durch eine Minderheit majorisiert wird.
Und dies trifft zu, wenn die Gebietsgrenzen einer Kernstadt so gezogen sind, daß die
Erhaltung ihrer Funktionsfähigkeit, sei es aus technischen, aus wirtschaftlichen oder
aus anderen Gründen, nur mehr unter Einbeziehung einer oder mehrerer Nachbar-
gemeinden oder doch von Teilen deren Gebietes (Arrondierung) gesichert werden
kann" (Fröhler 1976, S. 53).
Dies für den konkreten Fall von Linz zu beurteilen, wird nachfolgenden Kapiteln über-
lassen. Jedenfalls stützt des Autors Position unsere bisherigen theoretischen Überle-
gungen, räumt doch Fröhler (1976, S. 53) hinsichtlich der Indikation von Eingemein-
dung Folgendes ein: "Und man sollte auch darüber einig sein, daß dieser Sachzwang
zur Eingemeindung nicht nur in Extremfällen (..) besteht. Überall dort, wo die Ver-
hältnisse sich so verdichtet haben, daß unabhängig von den politischen Grenzen ein
einheitlicher Lebens- und Aufgabenraum entstanden ist, der nur mehr als Einheit
sinnvoll (d.h. effizient; Anm. d. Vf.) funktionieren kann, ist es an den Politikern gele-
gen, dem Demokratiegedanken zum Durchbruch zu verhelfen und durch Eingemein-
dung die faktische Einheit zur rechtlichen Einheit zu machen."
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
52
Immerhin trifft Fröhler (1976, S. 53) seine Empfehlung nicht unbedingt, sondern er
relativiert und sieht auch die umgekehrte Problematik und Gefahr: "Freilich, die Ent-
scheidung im Einzelfall ist nicht leicht. Und es darf auch nicht zur mißbräuchlichen
Umkehr des Gedankens kommen, daß die Mehrheit wie ein Molloch alles um sich
herum einverleiben möchte, nur weil es sich so leichter und angenehmer verwalten
lässt. Es gilt den goldenen Schnitt zu finden zwischen den unabdingbaren Bedürfnis-
sen der Mehrheit und den zu respektierenden Interessen der Minderheit. Die Politiker
haben sich bei der Lösung dieses Problems an dem im ganzen Staatsleben gelten-
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren."
3.2. "Großgemeinden für Oberösterreich"
33
Standen im Unterabschnitt 3.1. generelle, theoretische Überlegungen zur Frage der
Gemeindegröße und interkommunalen Kooperation im Mittelpunkt, so stellt Schmidt
(1976) die empirische Beziehung zwischen Gemeindegröße, Wirtschaftskraft und
somit – ceteris paribus (abgesehen vom Finanzausgleich) – auch Verwaltungskraft
ins Zentrum des Interesses. Dazu wurden die Effekte konkreter, aber fiktiver Ge-
meindezusammenlegungen auf einen Index mehrerer sozio-ökonomischer Kenngrö-
ßen für die Performance der jeweiligen Gemeinden abgeschätzt.
34
Die Unterschied-
lichkeit zur zuvor vorgestellten Studie, was den analytischen Ansatz und die nolens
volens zu Grunde zu legenden Wertungen und zu treffenden Prioritätensetzungen
betrifft, wird schon im Vorwort der Herausgeber merklich: "Die Lebensverhältnisse in
einer Gemeinde als der kleinsten und damit den Bewohnern am engsten verbunde-
nen Gebietskörperschaft hängen (..) unmittelbar von der Strukturierung und vor allem
von der wirtschaftlichen Leistungskraft der Gemeinden ab.
3.2.1. Empirische Deskription und Bewertung der Gemeindeperformance
Bei ländlichen Gemeinden war – im Gegensatz zu städtischen Gemeinden – die Be-
völkerungsentwicklung (die positive Geburtenbilanz) oft der einzige positive Faktor
für die Wirtschafts- und Verwaltungskraft (im Weg des Bevölkerungsschlüssels im
Finanzausgleich), zumal die agrarischen Gemeinden meist zu den die wirtschaftlich
schwachen zählen. Doch die Migration wirkte diesem Plus entgegen: In den Wande-
rungsbilanzen schneiden 1961-71 nur die Städte Linz, Wels und Steyr mit ihren Um-
gebungsgebieten mit einem positiven Saldo ab. Attraktive Erwerbs- und Kon-
summöglichkeiten im städtischen Raum samt seinem Umraum werden von Schmidt
33
Die hier besprochene Studie stammt von Schmidt (1976).
34
Die Datenbasis bezieht sich größtenteils auf die frühen 70er-Jahre, v.a. 1971 bzw. 1973.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
53
(1976) ebenso dafür verantwortlich gemacht wie der Arbeit sparende technische
Fortschritt vor allem in der Landwirtschaft.
Die angebotenen Arbeitsplätze in Relation zur unselbständig erwerbstätigen Wohn-
bevölkerung zeigen (mit Ausnahme von Touristikzentren) eine Konzentration in grö-
ßeren Orten mit entsprechender Infrastruktur; die Ergebnisse demonstrieren die zent-
ralörtliche Funktion der "Arbeitsplatz-Überschussgemeinden". Fernpendeln zum Ar-
beitsort wird als vorlaufender Indikator für Abwanderung angesehen, welche wiede-
rum die Finanzkraft schwächt, der Infrastrukturerhaltung und -entwicklung und somit
– ceteris paribus (wenn nicht durch Finanzzuweisungen kompensiert) – und einer
arbeitsplatzintensiven Betriebsgründung oder -ansiedelung entgegenwirkt.
Unter den Gemeinden im Gebiet von und um Linz waren einige Zuwanderungsge-
meinden zu finden, die aber eher keine Arbeitsplatz-, sondern Wohngemeinden sind
(Puchenau, Leonding, Pasching, Ansfelden, Steyregg, Lichtenberg) waren, während
andere eine mehr oder minder stark abwandernde Bevölkerung und einen markanten
Arbeitsplätzeüberschuss aufwiesen (Linz, Hörsching), andere wiederum ebenfalls
eine mehr oder weniger starke Abwanderung, aber bei gleichzeitig einer im Vergleich
zur Bevölkerung eher schwächeren Arbeitsplatzbilanzbilanz (Hellmonsödt, Eiden-
berg, Kirchschlag, Hellmonsödt).
Die Gesamtperformance einer Gemeinde wurde mit einer Sammelkennzahl bewertet.
Als einzelne Kennzahlen (Kriterien) gingen darin ein, und zwar positiv gewertet der
Geburtenbilanz-Überschuss, der Wanderungsbilanz-Überschuss, der Arbeitsbevölke-
rungsindex (die Relation der angebotenen Arbeitsplätzen zur Zahl der wohnhaften
Arbeitnehmer), die Fernpendlerbilanz (Ein- minus Auspendelung), die Fremdennäch-
tigungen pro Einwohner und das gemeindeeigene Steueraufkommen pro Kopf sowie
negativ gewertet die Agrarquote (Relation der Landwirtschafts- an der Wohnbevölke-
rung) und die Arbeitslosenquote. Eingereiht wurden die Ergebnisse für die einzelnen
Gemeinden in die Performancekategorien niedrig (innerhalb der ersten 30 % des je-
weiligen doppelten Landesdurchschnittswerts), mittel (zwischen 30 und 70 %) und
hoch (zwischen 70 und 100 %). Diese symmetrische Verteilung beiderseits des Mit-
telwerts erlaubt die einheitliche Erfassung positiv wie negativ gewerteter Kennzahlen.
Die Ziehung der Klassengrenzen musste willkürlich erfolgen, richtete sich allerdings
nach empirischen Erfahrungen aus der Pädagogik, nicht aus der Wirtschaft.
Die Gesamtperformance wurde quasi mit einem Benotungssystem festgestellt. Jede
Gemeinde, die mit einem bestimmten Kriterium in den Niedrigperformancebereich
fiel, erhielt dafür einen Schlechtpunkt. Bei acht Kriterien (Kennzahlen) waren neun
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
54
Ausgänge möglich, eben null, ein, zwei, ... neun Schlechtpunkte. Nun wurde diese
Bandbreite skaliert, indem sie in gleich große Klassen zu je drei möglichen Ergebnis-
sen (Schlechtpunktezahlen): "wirtschaftskräftig" (0, 1, 2 Schlechtpunkte), "mittelmä-
ßig" (3, 4, 5) und "wirtschaftlich schwach" (6, 7, 8).
3.2.2. Ergebnisse und Folgerungen bezüglich Gemeindezusammenlegung
Hinsichtlich der Gesamtperformance meint Schmidt (1976, S. 23) auf den Punkt ge-
bracht Folgendes: "Bei dieser Analyse schneiden die kleinen Gemeinden ungünstig
ab. Sie bieten offensichtlich ihren Bewohnern schlechtere Lebenschancen als die
größeren Gemeinden, die häufig Zentren von Kleinregionen geworden sind."
35
Allerdings muss man dabei beachten, dass die verwendete Größenklasseneinteilung
nur im eher kleingemeindlichen Bereich scharf ist, im Bereich größerer Gemeinden
(je nach subjektiver Auffassung) kaum bis gar nicht differenziert, nämlich: bis 500
und 501 – 1000 Einwohner (Kleinst und Kleingemeinden, zusammen bezeichnet als
kleine Gemeinden), 1001 – 2000 (kleine Mittelgemeinden), 2001 – 5000 (Mittelge-
meinden) und über 5000 Einwohner (große Gemeinden). Ähnlich wie bei Fröhler
(1976) stellt die Schmidt-Studie (1976) hauptsächlich auf die Frage der Vergrößerung
von Klein- und Kleinstgemeinden ab und geht so in dieser Hinsicht an der aktuellen
Fragestellung der Eingemeindung (in diesem Sinn größerer) Umlandgemeinden der
größten oö. Stadt vorbei: "Das Vorhandensein sehr vieler, kaum lebensfähiger klei-
ner Gemeinden bringt es mit sich, daß rund 55 Prozent der Landesfläche ökono-
misch nur schwach genutzt werden" (Schmidt 1976, S. 26). Dennoch sind einige Er-
gebnisse mehr oder weniger mittelbar für uns von Interesse.
Obwohl die großen oö. Gemeinden "nur ein Zehntel der Landesfläche bedecken,
haben sie (..) zusammen 42 Prozent der Landesbevölkerung. Sie sind entweder Teile
des großen zentralen Ballungsraumes von Oberösterreich oder Bezirkshauptstädte
oder Industrie- und Tourismuszentren des Salzkammergutes und des Vöckla-Ager-
Gebiets. Zur ersten Gruppe gehören neben Linz, Wels und Steyr auch Ansfelden,
Enns, Leonding, Pasching, Traun, Sierning, Garsten und Marchtrenk. (..) Die Wirt-
schafts- und Arbeitsmarktkraft dieser Kommunen ist groß. Vier Fünftel von ihnen sind
positiv benotet. Sie stellen die eigentlichen Zentren der oberösterreichischen Wirt-
schaft dar. Wenn sie Schwächen haben, dann in einigen Fällen hinsichtlich der Ge-
35
Dabei wurde festgehalten, dass immerhin in kleinen Gemeinden die Arbeitslosenquoten nicht so
schlecht ausfielen. Dies hängt, darauf sei verwiesen, offenbar mit der Abwanderung chancenloser
Arbeitsloser aus strukturschwachen, agrarischen Regionen und dem "Verstecken" von Arbeitslosen
unter den (überdimensionoerten) mithelfenden Familienangehörigen in Landwirtschaft und Kleinge-
werbe zusammen.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
55
burtenbilanz. (..) Einige große Wohn-Schlaf-Gemeinden haben eine geringe Arbeits-
platzdichte, z.B. Ansfelden, Leonding, Pasching, Marchtrenk, Sierning, Garsten und
Timelkam (Schmidt 1976, S. 25 f.).
Als eine Folgerung in prozedural-politischer Hinsicht zitiert Schmidt (1976, S. 29) aus
dem Bericht einer betreffenden nordrhein-westfälischen Expertenkommission: "Eine
gebietliche Neugliederung der Gemeinden sollte nicht als ein einseitiger staatlicher
Hoheitsakt gewissermaßen von oben angeordnet werden. Sie sollte ein Gemein-
schaftswerk aller politischen Kräfte im Land und weitestmöglich von der Zustimmung
der Bürger getragen sein. Mit guten Lösungen kann man dann rechnen, wenn alle
Beteiligten einen intensiven Meinungsaustausch pflegen und Theorie und Praxis sich
gegenseitig befruchten. Über allem steht selbstverständlich die politische Verantwor-
tung des Gesetzgebersfür eine optimale gebietliche Gliederung der Gemeinden, die
ihn letzten Endes zum Handeln zwingt, wenn eine einvernehmliche Lösung an örtli-
chen oder regionalen Sonderinteressen oder an allzu starrem Festhalten an der Ver-
gangenheit zu scheitern droht."
In Bezug auf die Zielorientierung und -begründung wird von Schmidt (1976, S. 29 f.)
weiter zitiert: "Ziel einer gebietlichen Neugliederung muß es sein, die Räume, in de-
nen die räumlichen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft verwaltet werden,
möglichst weitgehend in Deckung zu bringen mit den Räumen, in denen sich die
Grundfunktionen der modernen arbeitsteiligen Gesellschaft vollziehen. (..) Nur für
einen Teil der Einwohner sind die Gemeinden noch gleichzeitig Wohnort, Arbeitsort,
Stätte der Ausbildung, der kulturellen Erbauung, der Erholung und der Befriedigung
all der differenzierten Bedürfnisse, die die moderne arbeitsteilige Gesellschaft er-
zeugt. Siedlung und Industrie haben sich häufig unabhängig von Gemeindegrenzen
entwickelt (..)."
Als Institut für "eine möglichst breite aktive Mitwirkung der Bürger an der Selbstver-
waltung und eine abgewogene Berücksichtigung aller Gemeindeteile" wir auch in
Schmidt (1976, S. 32 f.) eine Ortschaftsverfassung und die ihr ergänzend zugehöri-
gen Einrichtungen für die in einer Großgemeinde zusammengefassten Ortschaften
propagiert: "Sinn der Ortschaftsverfassung ist es, Angelegenheiten, der Gemeinde
deren Bedeutung sich auf einen Teil der Gemeinde – die Ortschaft – beschränkt,
ortsnah durch die allein für die Ortschaft zuständigen Stellen erledigen zu lassen. Ein
Ortgemeinderat (..) soll bei allen Angelegenheiten, die sich auf die Ortschaft bezie-
hen anregend und beratend mitwirken. (..) Angelegenheiten, deren Bedeutung sich
auf die Ortschaft beschränkt, sollen dem Ortsgemeinderat zur eigenen Entscheidung
übertragen werden. Der Vorsitzende des Ortsgemeinderates – der Ortsvorsteher –
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
56
kann mit der Erledigung bestimmter Geschäfte der laufenden Verwaltung für den Be-
reich der Ortschaft betraut werden. (..) Die Ortschaftsverfassung kann auch in einem
Gebietsänderungsvertrag vereinbart werden."
Die Lösung der Umlandgemeindenproblematik liegt in zweierlei Alternativen nahe,
wobei Schidt (1976, S. 35) abermals auf die nordrhein-westfälischen Praxiserfahrun-
gen rekurriert: "a) Waren Umlandgemeinden in ihrer städtebaulichen Entwicklung
oder in ihren Versorgungsbeziehungen schon so eng mit der Großstadt verflochten,
daß eine von der Großstadt unabhängige Eigenentwicklung im Interesse einer bes-
seren gesamträumlichen Gliederung zu schädlichen Auswirkungen führen musste,
dann sind derartige Gemeinden in die Großstadt eingegliedert worden (..) b) Sofern
Gemeinden im weiteren Umland der Großstädte über eine volle Ausstattung an öf-
fentlichen und privaten Versorgungseinrichtungen verfügten sowie hinreichende An-
sätze für eine konzentrierte eigenständige städtebauliche Entwicklung an Haltepunk-
ten des öffentlichen Nahverkehrs boten, blieben sie als selbständige Gemeinden er-
halten. (..) Da im Umland der Städte mindestens 30.000 – besser 40.000 – Einwoh-
ner die notwendige Basis bilden, um ein volles Versorgungsangebot für alle Bürger
zu tragen, wurden im Umland der Großstädte solche Gemeinden neu gebildet."
Als Realisierungsbedingung für derartige Reformwürfe wird auf Grund der Erfahrun-
gen in Nordrhein-Westfalen Folgendes genannt (Schmidt 1976, S. 40): "Landesregie-
rung und alle im Landtag vertretenen Parteien haben sich der Notwendigkeit der Ge-
bietsreform nicht entzogen, obwohl die Aufgabe sehr schwer war, obwohl sie Emoti-
onen freisetzte und in der Öffentlichkeit oft von bissigen Kommentaren begleitet wur-
de. (..) Aber eines sollte in den Vordergrund gerückt werden: Diese Gebietsreform
wurde nicht nur von der Landesregierung und den die Landesregierung tragenden
politischen Parteien verwirklicht, sondern auch von der Opposition. Dies ist sicher
auch der Schlüssel für ihren erfolgreichen Abschluß." Per Analogie können wir die
Kooperation von Regierung und Opposition auf Landesebene auf eine Kooperation
zwischen Vertretern der in die Eingemeindungserwägungen eingebundenen Um-
landgemeinden bzw. der verschiedenen dort repräsentierten politischen Fraktionen
übertragen.
Dennoch – d.h. trotz aller Rationalität vorliegender Argumente – dürfen die Schwie-
rigkeiten bei der Realisierung nicht unterschätzt werden, wie ebenfalls das Beispiel
Nordrhein-Westfalen zeigt: "Sieben Jahre lang hat die kommunale Gebietsreform in
unserem Land Schlagzeilen gemacht und die Gemüter der Kommunal- und Landes-
politiker, aber auch der kommunalpolitisch engagierten und interessierten Bürger
bewegt. Sieben Jahre wurden Gutachten erstattet, Pläne und Gesetzesentwürfe ge-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
57
macht, wurde diskutiert, beraten, gekämpft und schließlich beschlossen. Sieben Jah-
re lang gab es kaum ein Gesprächsthema in der Landes- und Kommunalpolitik, das
ebenso leidenschaftliche Befürworter wie Gegner hatte. Und manche haben sogar
vom 'siebenjährigen Krieg der kommunalen Selbstverwaltung' gesprochen" (Schmidt
1976, S. 33).
Die skizzierte Problematik erklärt sich aus interpersonell nie ganz exakt fass- und
somit kommunizierbaren Abwägungen zur Optimierung (Nutzen/Kosten-Kalkülen)
wie etwa den folgenden: "Auch das ist der große Vorteil der kommunalen Selbstver-
waltung, daß sie immer noch den Gestaltungsspielraum hat, den die Bürger der Ge-
meinde durch ihren Rat selbst bestimmen. All diese Probleme dürfen aber nicht ab-
lenken von dem eigentlichen und langfristig angestrebten Ziel der Gebietsreform:
Bessere Entwicklungsvoraussetzungen für die Gemeinden selbst und all ihre Bürger
zu schaffen. Eine bessere Versorgung mit öffentlichen und privaten Leistungen. Eine
bessere und bürgernahe Verwaltung. Eine bessere Planung und bessere Finanzie-
rung. Eine organischere Siedlungsentwicklung. Eine wirtschaftlichere Investitionspoli-
tik" (Schmidt 1976, S. 41).
Die eventuelle parteipolitische Befürchtung, jene Fraktionen, welche die Reform initi-
ieren, werden bei den nächsten Wahlen Stimmen einbüßen, hängen nicht nur vom
prozeduralen Geschick bei der Durchführung und den Ergebnissen der Reformver-
handlungen ab, sondern haben sich zumindest in Nordrhein-Westfalen auch nicht
bestätigt (Schmidt 1976). Fragen der Kooperation, Grenzänderungen und Zusam-
menlegungen von Gemeinden sind eben keine Grundsatzfrage oder sollten es nicht
sein, sondern eine der zweckmäßigen Abwägung, sonst wären nämlich ökonomische
Überlegungen (d.h. das Denken in Alternativen und die Optimierung unter Nebenbe-
dingungen) völlig überflüssig. Grundsätzliches greift hier nur insofern, als derartige
Überlegungen nicht ausgeschlossen werden dürfen, und zwar getreu dem Prinzip
der staatspolitischen Verantwortung auch und nicht zuletzt auch regionaler und loka-
ler Ebene.
3.2.3. Simulation der Eingemeindung
In einer relativ einfachen Rechenoperation wurden die in Punkt 3.2.1. dargelegten
Performance-Kennzahlen für hypothetisch gebildete Großgemeinden ermittelt, wobei
es ein Grundsatz für die dazu nötigen Gemeindezusammenlegungen war, das Um-
land in die städtischen Gemeinden einzugliedern. Städtische Agglomerationen wur-
den quasi experimentell um Linz, Wels, Steyr, Gmunden und Vöcklabruck gebildet.
Auf Linz bezogen bedeutete dies Folgendes:
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
58
"Die Neugliederung des Raumes um die Landeshauptstadt Linz ist schon viel disku-
tiert worden. Die künstliche Enge dieses expandierenden Industrie- und Verwal-
tungszentrums ist wirtschaftlich ungesund. (Vgl. die dazu passende demokratiepoliti-
sche Argumentation Fröhlers 1976, S. 53, hier in Punkt 3.1.3.; Anm. d. Vf.) Der Vor-
schlag sieht nicht nur die Einbeziehung der längst zur Stadtlandschaft gehörenden
südlichen Anrainergemeinden von Hörsching bis Ansfelden vor, sondern auch die
Gewinnung von Erholungsraum im nördlich angrenzenden Mühlviertel. Neuhofen,
Wilhering, Markt St. Florian und Enns erscheinen genügend eigenständig, um Sub-
zentren zu werden" (Schmidt 1976, S. 44).
Zur Großgemeinde "erweitertes Linz" (273000 Einwohner, 360 km
2
, Note 2) hypothe-
tisch vereint wurden die folgenden realen Gemeinden (in Klammern ihre damaligen
Noten – je niedriger, umso besser – als eigenständige Gemeinden zum Vergleich mit
der Note zwei nach der Eingemeindung): Linz (2) mit – südlich der Donau – Ansfel-
den (2), Hörsching (2), Leonding (keine Angabe) und Pasching (2) sowie – nördlich
der Donau – Altenberg (5), Eidenberg (5), Hellmonsödt (4), Kirchschlag (3), Lichten-
berg (5), Puchenau (3) und Steyregg (4).
Als Anmerkung zu den Ergebnissen gilt es festzuhalten, dass die erzielten Ergebnis-
se das Resultat einer bloßen Aggregation des Wirtschaftspotenzials und seiner
Grundlagen in den einzelnen Gemeinden sind, womit noch nichts über das dynami-
sche Entwicklungspotenzial (die Effizienz steigernden Synergieeffekte: vgl. Abschnitt
1.) in kurzer bis langer Frist ausgesagt ist und womit u.a. das Gleichbleiben der mit
Linz homogenen Gemeinden innerhalb der Breite der Notenklasse 2 begründet wer-
den kann. In Anbetracht dessen und der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung
während dreier Jahrzehnte wird hier auf die detaillierte Darstellung der fusionsbe-
dingten Veränderungen der zwölf beteiligten Gemeinden nach den acht unterschie-
denen Kriterien verzichtet und mit einem Verweis auf Schmidt (1976, Tab. 1 bis 5 im
Vgl. zu Tab. 11) das Auslangen gesucht.
3.3. Zusammenfassung der Ergebnisse und Folgerungen
(1) Die Gebietsstruktur Oberösterreichs nach Gemeinden ist nicht nach Maßgabe
der sozio-ökonomischen Entwicklung organisch gewachsen, sondern ist für die
Aufgabenerfüllung der Gemeinden mit einer im Sinn der Wohlfahrtstheorie effi-
zienten Hoheits- und Wirtschaftsverwaltung häufig nicht zweckmäßig.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
59
(2) Migrationsgewinner waren in Oberösterreich die Gebiete der Statutarstädte zu-
sammen mit den Gebieten ihrer Umlandgemeinden.
(3) Unter den Gemeinden im Gebiet von und um Linz waren einige Zuwanderungs-
gemeinden zu finden, die aber eher keine Arbeitsplatz-, sondern Wohngemein-
den sind (Puchenau, Leonding, Pasching, Ansfelden, Steyregg, Lichtenberg),
während andere eine mehr oder minder stark abwandernde Bevölkerung und ei-
nen markanten Arbeitsplätzeüberschuss aufwiesen (Linz, Hörsching), andere
wiederum ebenfalls eine mehr oder weniger starke Abwanderung, aber bei
gleichzeitig einer im Vergleich zur Bevölkerung eher schwächeren Arbeitsplatzbi-
lanzbilanz (Hellmonsödt, Eidenberg, Kirchschlag, Hellmonsödt). Nur für einen
Teil der Bevölkerung sind die Gemeinden noch gleichzeitig Wohn-, Arbeits-,
Ausbildungs-, Kulturkonsum- und Erholungsort. Siedlung und Wirtschaft haben
sich häufig ungeachtet der Gemeindegrenzen entwickelt.
(4) Ziel einer Neugliederung einer Region nach Gemeinden müsste es demnach
sein, die Räume, in denen die lokalen Angelegenheiten der örtlichen Gemein-
schaft verwaltet werden, möglichst weitgehend in Deckung zu bringen mit den
Räumen, in denen sich die Grundfunktionen der modernen arbeitsteiligen Ge-
sellschaft vollziehen.
(5) Eine Beurteilung nach einem Notensystem, das Geburten- und Wanderungsbi-
lanz, den Arbeitsbevölkerungsindex (Arbeitsplätze je wohnhaftem Arbeitnehmer),
Fernpendlerbilanz, Fremdennächtigungen und Steueraufkommen pro Einwohner
sowie Agrar- und Arbeitslosenquote umfasst, ergab für Linz, Ansfelden, Hör-
sching und Pasching eine gleich gute Note, die anderen Gemeinden (außer Le-
onding: Angabe fehlt) erhielten ein wenig bis deutlich schlechtere Noten. Nach
einer rechnerischen Zusammenlegung all dieser Gemeinden erzielte das "erwei-
terte Linz" die selbe gute Note wie das reale Linz. Allerdings beruht diese Simu-
lation auf einer bloßen Addition, welche die durch die Eingemeindungen noch zu
induzierenden Effizienzsteigerungen im neuen Gemeindegebiet nicht erfasst.
(6) Als außerökonomische Zielsetzung ist zugleich mit der Verbesserung der Ge-
bietsstruktur der Gemeinden nach ökonomischen Effizienzgesichtspunkten auch
die Partizipation der Einwohner am gemeindlichen und gemeindepolitischen Le-
ben mit zu berücksichtigen (oder ein bestimmtes Partizipationsniveau als Neben-
bedingung zu formulieren) und mithin auch die soziale Identifikation in dem Maß
zu gewährleisten, dass die bestmögliche gesellschaftliche Gesamtlösung erzielt
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
60
wird. Bei frei vereinbarten Gemeindezusammenlegungen erscheint dieser Aspekt
ohnedies, Voraussetzung zu sein.
(7) Die aus diesem Grund vorzusehenden demokratischen und administrativen Insti-
tutionen auf Ortschaftsebene (der Untergliederungsebene einer Gemeinde) müs-
sen, um ihren Zweck effektiv zu erfüllen, mit effektiven Kompetenzen ausge-
stattet sein, welche in lediglich die Ortschaft betreffenden Angelegenheiten Auto-
nomie und in gemeinsamen Angelegenheiten aller Ortschaften der Gemeinde
verhältnismäßige Mitentscheidung bedeuten müssen.
(8) Kollektiv rationale Widerstände (objektive regionalpolitische Einwände) gegen
effiziente interkommunale Kooperation oder Fusion können durch offene, nicht
strategische Verhandlungen auf sachlicher Basis und transparenten Verträgen
unter Einbeziehung des (Hicks/Kaldor)-Kompensationsprinzips ausgeräumt wer-
den.
(9) Bloß individuell rationale Widerstände gegen Effizienz fördernde interkommunale
Kooperation (befürchtete persönliche Nutzeneinbußen durch Organwalter) und ir-
rationale (subjektive und unreflektierte) Gegenpositionen könnten durch finanziel-
le Förderungen einer Kooperation (in welcher Kooperationsform, bis hin zur Ein-
gemeindung, auch immer) seitens übergeordneter föderaler Ebenen im regional-
politischen Interesse überwunden werden. Letzteres bewirkt eine zusätzliche Er-
höhung der regionalen Wohlfahrt ("group rent") im Kooperationsfall und macht
individuell rationale und irrationale Positionen schwerer aufrechterhaltbar.
(10) Bei individuell rationalen Widerständen könnte auch hier das Kompensations-
prinzip Anwendung finden; eine Art regionalpolitischer "Anpassungskosten" kön-
nen eingegangen werden, um die Realisierung der "group rent" nicht zu gefähr-
den.
(11) Die Erfahrung mit der Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen lässt das Mittra-
gen der Änderung von Gemeindegrößen durch alle Fraktionen der Regierung
und die Opposition sowie eine umfassende und kontinuierliche Informationspolitik
gegenüber und ein ebensolcher Meinungsaustauschprozess mit den Bewohnern
als Voraussetzungen für die Umsetzung effizienter Lösungen erscheinen.
(12) Der Verlust von Wählerstimmen für jene Parteien, welche die Gebietsreform
initiiert hatten, konnte zumindest am Beispiel Nordrhein-Westfalens (wo die poli-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
61
tisch-prozeduralen Erfolgsbedingungen immerhin eingehalten wurden) nicht beo-
bachtet werden.
(13) Allerdings sind Gemeindezusammenlegungen sehr wohl nicht indiziert, wenn
sie – regionalökonomisch unfundiert – als bloßer "Wettlauf" um mehr Mittel aus
dem Ertragsverteilungssystem des abgestuften Bevölkerungsschlüssels (also
aus bloßen fiskalischen Motiven) erfolgen. Daraus entstünde letztlich ein Zwang
zur Beteiligung an der allgemeinen Konkurrenz um Ertragsanteile und insgesamt
kaum eine oder keine Änderung der Verteilung der gemeinsamen Erträge, wohl
aber eine Zunahme der Zahl der Gemeinden mit ineffizienter Kollektivgröße. Im-
merhin ist die Gefahr einer solchen "mergermania" kaum wahrscheinlich, zumal
das Problem eher in einem gewissen kommunalen Autonomismus liegen dürfte.
(14) Einem kommunalen Autonomismus entgegen steht die Intention der Bundes-
verfassung, nicht nur mit dem örtlichen Gemeindegebiet verhaftete, sondern
auch grenzüberschreitende Verwaltungsaufgaben sind im überwiegenden örtli-
chen Interesse gelegen. Die Erfüllung von Gemeindeaufgaben dürfte daher –
unbeschadet ob in der Hoheits- oder Privatwirtschaftsverwaltung – gemäß den
verfassungsmäßigen Prinzipien Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaft-
lichkeit im (auch mittelbaren) Umgang mit öffentlichen Ressourcen selbst im ei-
genen Wirkungsbereich einer Gemeinde nicht an ihren Grenzen Halt machen.
(15) Ökonomische Überlegungen haben schon deshalb ihre Berechtigung, ja Not-
wendigkeit, weil die ökonomische Struktur einer Gemeinde (mit ihren Wirkungs-
beziehungen über die kommunalen Grenzen hinaus) und somit die gemeindliche
Wirtschafts- wie auch Verwaltungskraft die Lebensverhältnisse der Bewohner
wesentlich bestimmt.
(16) Als Begründungen für interkommunale Kooperation bis hin zu Gründung von
Zweckverbänden, Gemeindegrenzänderungen und Gemeindezusammenlegun-
gen werden geografische, historische, gesellschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche
technische und administrative Verflechtungen zwischen so manchen benachbar-
ten Gemeinden angeführt. Ohne Berücksichtigung solcher Gegebenheiten müs-
sen kommunale Entscheidungen regional- und wohlfahrtspolitisch suboptimal
ausfallen.
(17) Interkommunale Kooperation kann sowohl durch die Homogenität des Wirt-
schaftsraums, in dem sich die betreffenden Gemeinden befinden, begründet
werden als auch durch die Komplementarität der Gemeindegebiete bezüglich de-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
62
ren Wirtschaftsstruktur. Letzterer Umstand bedingt enge Austauschbeziehungen
für Produktions- und Konsumzwecke. Beide Rahmenbedingungen, Homogenität
wie Komplementarität, legen eine einheitliche rechtliche und administrative Ge-
staltung des sozio-ökonomischen Lebens in diesem durch die beiden genannten
Umstände zu einer natürlichen Einheit gewordenen Gemeindegebiete aus Effizi-
enzgründen nahe.
(18) Selbst wenn weder Homogenität noch Komplementarität der Wirtschaftsstruk-
tur das Verhältnis benachbarter Gemeinden kennzeichnen, sind bei Vorliegen
gleichartiger Aufgaben unter den Gemeinden Überlegungen darüber unumgäng-
lich, diese Aufgaben auf breiterer – gemeinsamer – Basis kostengünstiger zu er-
füllen.
(19) Obendrein ist es aus ökonomischer Sicht erforderlich, die Räume kommunaler
Kooperation danach zu umreißen, inwieweit dem Hersteller nicht abgegoltene
positive Externalitäten und dem Verursacher nicht angelastete negative Externa-
litäten vorliegen und einander wertmäßig nicht aufheben, so dass wirtschaftspoli-
tisch Bedarf an der Internalisierung dieser externen Effekte durch interkommuna-
le Kooperation in der einen oder anderen Form besteht.
(20) Bei Änderungen der Externalitäten oder aber auch der Regelungstatbestände
im Zeitablauf entstehen Kosten für jeweils neuerliche Verhandlungen und Ver-
einbarungen über die Externalisierung, so dass in diesem Licht vor allem eine
Zusammenlegung der Gemeinden (aber auch eine Zweckverbandslösung) kos-
teneffizient erscheint. Dadurch würde eine relativ schwierige Gemeindeaußenpo-
litik unter gleich berechtigten und sich zuweilen auch strategisch verhaltenden
Verhandlungspartnern zu eine gemeindeinternen Strukturpolitik, wo das Gesamt-
interesse naturgemäß stärker vorherrscht als in Außenbeziehungen.
(21) Schließlich ist unter den ökonomischen Fragen auch noch zu untersuchen,
inwiefern die Finanzausstattungen der einzelnen Gemeinden den Aufgabenstel-
lungen dieser Gemeinden entspricht. Solcher Inkongruenzen können durch Ge-
meindezusammenlegungen verringert oder gar zum Ausgleich gebracht werden.
(22) Unter dem Eindruck der Autonomiebestrebungen von Gemeinden dürfte eine
Zweckverbandslösung eher realisierbar sein denn eine Fusionslösung. Dabei
darf nicht übersehen werden, dass die demokratische Partizipationsmöglichkei-
ten am politischen und administrativen kommunalen Geschehen im Fall von Ge-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
63
meindezusammenlegungen in weit größerem Maß und in direkterer Weise gege-
ben sind als bei Verbandslösungen.
(23) Aus einem rechtsphilosophischen und demokratiepolitischen Grund (Majorisie-
rung der Mehrheit durch eine Minderheit) ist in der Frage der Eingemeindung von
Umlandgemeinden selbst eine von höherer föderaler Ebene dekretierte statt ei-
ner von den betreffenden Kommunen frei vereinbarten Lösung zu vertreten. Dies
ist dann gegeben, wenn durch eine fehlende oder mangelnde (jedenfalls ineffizi-
ente) Kooperation der Umlandgemeinden die sozio-ökonomische Entwicklung
der zentralen Großgemeinde beeinträchtigt wird, zumal Ballungs- und Verdich-
tungsprobleme auftreten, die autonom nicht gelöst werden können.
(24) Darüber hinaus sind Eingemeindungen nicht nur in derartigen Extremfällen
wie dem zuvor genannten als Sachzwang anzusehen, sondern bereits sobald die
Lebensverhältnisse sich so verdichtet haben, dass unabhängig von politischen
Grenzen ein einheitlicher Lebens- und Aufgabenraum entstanden ist, der nur
mehr als Einheit zweckmäßig funktionieren kann.
(25) Auf der anderen Seite ist die konkrete Einzelentscheidung kaum je eine au-
genscheinliche und einfach zu treffende Lösung. Deshalb ist auch Augenmerk
auf potenziellen Missbrauch einer faktischen, willkürlich ausgeübten Macht der
Mehrheit gegenüber der Minderheit zu richten ("Einverleibungsstrategie").
(26) Beide in diesem Abschnitt ausgewerteten und verarbeiteten Studien (Fröhler
1976, Schmidt 1976) können als Plädoyers mit teils unterschiedlicher Herange-
hensweise, teils übereinstimmenden Argumentationen beurteilt werden – und
zwar Plädoyers für die Verbesserung kommunaler Strukturen als Ergebnis regio-
naler (metakommunaler) Nutzen/Kosten-Überlegungen. Dabei wird keine Form
interkommunaler Kooperation (bis hin zu Eingemeindungen) als Lösung ausge-
schlossen. Allein der Erhalt einer partizipativen Bürgerbeteiligung und eines leis-
tungsfähigen Bürgerservice wird als außerökonomische Zielsetzung bzw. Ne-
benbedingung stipuliert.
(27) Somit ist das Entscheidungsergebnis für Linz und seine Umlandgemeinden
keinesfalls ein prinzipielles, sondern ein kasuistisches, auf empirischer Basis zu
erzielendes. Als Seriositätsprinzip ist natürlich zu Grunde zu legen, dass keine
Alternative von der sachlichen Prüfung auszuschließen ist.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
64
(28) Neben der regionalen Wirtschafts- und Sozialstruktur im Großraum Linz wird
auch die Zweckmäßigkeit des geltenden Finanzausgleichs die Optimallösung für
die Gebietsaufteilung bestimmen.
4. Der Finanzausgleich in Österreich
4.1. Spannung in Österreichs öffentlicher Finanzwirtschaft
36
Nach seiner Bundesverfassung (B-VG) ist Österreich ein Bundesstaat, der aus
selbstständigen Ländern gebildet wird. Gleichwohl ergibt sich aus zweierlei Gründen
ein hohes politisches Gewicht des Bundes: Das B-VG weist taxativ die wesentlichs-
ten Kompetenzen dem Bund zu, welcher zudem die Kompetenz besitzt, mittels Ein-
fachgesetzgebung die Besteuerungsrechte und Abgabenertragsanteile der Gebiets-
körperschaften zu regeln (Kompetenz-Kompetenz). Diese Umstände begründen den
"unitaristischen und zentralistischen Charakter der österreichischen Finanzverfas-
sung" (Gantner 1989, S. 222). Lediglich die privatrechtlichen Tätigkeitsbereiche der
Gebietskörperschaften, wie die öffentliche Förderungs-, Auftragsvergabe- und Unter-
nehmertätigkeit, unterliegen nicht den Kompetenzbestimmungen des B-VG.
Im Unterschied zur Kompetenzzentralisierung im öffentlich-rechtlichen Bereich ist in
der Finanzverfassung (F-VG) der Grundsatz der Selbsttragung der Kosten durch die
Gebietskörperschaften festgelegt. Insofern besteht eine Inkongruenz zwischen B-VG
und F-VG, eine Diskrepanz zwischen einer Zentralisierung in der Allokations- und
Finanzierungskompetenz auf der einen Seite und der Kostentragungsregel auf der
anderen Seite. Diese Ansicht teilt auch der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen
(1992).
Die aufgezeigte Diskrepanz wird allerdings ein wenig durch drei Faktoren entschärft:
• Das Institut der mittelbaren Bundesverwaltung durch die Länder fördert die bun-
desstaatliche Autonomie;
• der Grundsatz der Gemeindeselbstverwaltung überträgt den Gemeinden alle
Kompetenzen, die im überwiegenden Interesse der örtlichen Gemeinschaft lie-
gen;
• und schließlich wird im F-VG die Möglichkeit einer Kostenabwälzung auf nachge-
ordnete Gebietskörperschaften auf der Basis der Kostentragungsregel durch das
Prinzip der Finanzausgleichsgerechtigkeit (Lastenausgleichs-/Paritätsgrundsatz)
beschränkt.
36
Diese Institutionen- und Problemdarstellung richtet sich großteils nach Gantner (1989).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
65
4.2. Charakteristik des Finanzausgleichs in Österreich
4.2.1. Eine Gesamtsicht der bundesstaatlichen Finanzen
Der Finanzausgleich regelt die Verteilung der gemeinsamen Einnahmen der Ge-
bietskörperschaften (die Ertragsanteile) sowie den Großteil der Finanzzuweisungen
(die intergouvernmentalen Transfers) des Bundes an die Länder und Gemeinden.
Die fiskalischen Beziehungen zwischen Ländern und Gemeinden bleiben von dem
jeweils auf vier Jahre beschlossenen Finanzausgleichsgesetz unberührt, und auch
intergouvernmentale Transfers beschränken sich in ihrer Grundlegung nicht auf die-
ses Gesetz (Lehner 2001).
Hierzulande überwiegt (1999) innerhalb des Finanzausgleichs die Verteilung der ge-
meinsamen Einnahmen der Gebietskörperschaften ("Verbundsystem"-Einnahmen)
mit mehr als vier Fünftel der Gesamteinnahmen bei weitem die ausschließliche Er-
tragshoheit einzelner Gebietskörperschaftsebenen ("Trennsystem"-Abgaben: Bund
9.6 %, Gemeinden 6.2 % und Länder 0.6 %). Mit ihren eigenen Abgaben können
Länder und Gemeinden nur knapp ein Zehntel ihre Ausgaben decken (1990 10 %,
1999 8 %). Darüber hinaus sind sogar ausschließliche Landes- und Gemeindeabga-
ben durch Bundesgesetz (§ 15 FAG) in ihrer Höhe bestimmt (die Abgabenhoheit wird
auf die Ertragshoheit eingeschränkt).
"Die eigene Gestaltungsmöglichkeit der Länder und Gemeinden in der Steuerpolitik
äußerst gering. Diese Gebietskörperschaften müssen ihre Ausgaben den (vorgege-
benen) Einnahmen weitgehend anpassen" (Lehner 2001, S. 498). Seit vielen Jahren
immer wieder beabsichtigte Reformen des Finanzausgleichs in Richtung einer stär-
keren Dezentralisierung der Abgabenhoheit – motiviert durch die zunehmende Belas-
tung des Bundes aus dem Finanzausgleich und die Kritik der Länder an der Steuer-
politik des Bundes – scheiterten allerdings bislang am Widerstand der Länder und
Gemeinden. Für nachgeordnete Gebietskörperschaften ist es vorteilhafter, auf Basis
der gegebenen institutionellen Bedingungen die Finanzierung regionaler Kollektivgü-
ter teilweise auf den Bund auszulagern (Kuhn 1995).
Ein weiterer Faktor, der geeignet ist, die Anforderungen an den Finanzausgleich (zur
Entspannung zwischen Aufgaben- und Abgabenkompetenz) zu erhöhen, ist die Ver-
anlassung zu einem intranationalen Stabilitätspakt, der die Budgetsaldenpolitik in-
nerhalb des Bundesstaates wirksam koordiniert. Die Notwendigkeit eines Staatsver-
trag zwischen Bund und Ländern begründet sich mit der intergouvernmentalen Auf-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
66
teilung der geplanten Budgetdefizite von Bund und Ländern im Rahmen des Maas-
tricht-Vertrags (u.a. fiskalische Konvergenzkriterien) und des EU-Stabilitätspakts (mit-
telfristiger Budgetausgleich). "Allerdings tritt die Ausgleichsfunktion gegenüber der
Verteilungsfunktion in den Hintergrund: Der Finanzausgleich regelt die Verteilung des
Steueraufkommens in Höhe von mehr als 718 Mrd. S (1999) und von Transfers im
Ausmaß von rund 90 Mrd. S" (Lehner 2001, S. 498).
37
4.2.2. Die fiskalische Perspektive der Gemeinden
Bröthaler u.a. (2002) untersuchten die österreichischen Gemeindefinanzen haupt-
sächlich im Zeitraum 1993-1999 und erstellten darüber folgenden Befund:
• Bei den öffentlichen Einnahmen bestand eine Zentralisierungstendenz zu Lasten
der Länder und Gemeinden, und zwar sowohl insgesamt als auch insbesondere
was die Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben anbetrifft.
• Während der Anteil der Gemeinden massiv unterproportional zur Gesamteinnah-
menentwicklung aller öffentlichen Rechtsträger zunahm, ist der Anteil der eigenen
Abgaben der Gemeinden (ohne Wien) im besagten Zeitraum immerhin um 0.6
Prozentpunkte zurückgegangen.
• Die "Erosion der eigenen Abgaben der Gemeinden" (Bröthaler u.a. 2002, S. 138)
ist auf nachstehende Faktoren zurückzuführen: (a) die (angesichts der relativ
schwachen Beschäftigungs- und Lohnentwicklung) wenig dynamische Entwick-
lung der Kommunalsteuer, (b) zuerst die Nahezu-Stagnation und dann – nach
dem Wegfall – den Rückgang der Getränkesteuer infolge ihrer unvollständigen
Kompensation durch den "Getränkesteuerausgleich", (c) ab 2000 den bloß teil-
weisen Ersatz an Einnahmen aus der abgeschafften gemeindeeigenen Werbe-
steuer durch die als gemeinschaftliche Bundesabgabe konzipierte Werbeabgabe,
und (d) nahmen die Einnahmen aus der Grundsteuer auf land- und forstwirt-
schaftliches Vermögen auf Grund der nominellen Konstanz der Einheitswerte real
ab.
• Größere Städte und Landeshauptstädte, deren eigene Abgaben größtenteils in
der Kommunalabgabe bestehen, welche ihrerseits auf den Lohn- und Gehalts-
zahlungen lediglich der erwerbswirtschaftlichen Unternehmen basieren, werden
als Zentren öffentlicher Verwaltung und gemeinnütziger Organisationen (ohne
Erwerbscharakter) systematisch in der Erzielung eigener Einnahmen benachtei-
37
In Lehner (2001) findet sich eine Beschreibung der Mittelverteilung im Wege des Finanzausgleichs.
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
67
ligt. Dies hängt ursächlich auch mit den Umlandsiedlungen zusammen, die sich
zusehends zu Einzelhandelsstandorten und Wohnorten für die Einwohner der
Zentralgemeinden entwickelten und es immer noch tun (vgl. Unterabschnitt 1.5.,
Fußnote 11, sowie Fußnote 24).
38
• Obendrein werden Gemeinden mit hohem Agraranteil fiskalisch deshalb beson-
ders benachteiligt, weil die Erträge aus der Grundsteuer auf land- und forstwirt-
schaftliches Vermögen nur schwach ergiebig sind, zumal aus wirtschaftsstruktur-
politischen Gründen die Einheitswerte auf niedrigem Niveau langfristig nominell
stabil belassen werden.
• "Diese 'Schieflagen' werden durch bestimmte Regelungen des Finanzausgleichs
nur teilweise ausgeglichen" (Bröthaler 2002, S. 140).
• Aus dem sekundären (im FAG geregelten) und tertiären (nicht im FAG geregel-
ten) Finanzausgleich (zusammengenommen) wurden die Einnahmen der Ge-
meinden insgesamt und zunehmend geschmälert, wobei lediglich die Gemeinden
bis zu 2500 Einwohnern netto positiv ausstiegen.
• Im Hinblick die horizontale Umverteilung mittels sekundärem plus tertiärem Fi-
nanzausgleich unter den Gemeinden – ausgehend von der Quote der gemeinde-
eigenen Abgaben am Gesamtabgabenaufkommen der Gemeinden – zeigt sich
"eine bemerkenswerte Stoßrichtung (...): Die mit Einnahmen aus eigenen Abga-
ben am schlechtesten gestellte Gruppe (Quintil; Anm. d. Vf.) von Gemeinden wird
(...) maximal besser gestellt.
39
(...) Viele der schlechtest gestellten Gemeinden
gehören gleichzeitig der untersten Größenklasse an. Die führt dazu, dass die
Gemeinden den untersten Größenklasse als Folge der Umverteilung durch den
sekundären und tertiären Finanzausgleich, vor allen zu Gunsten der schlechtest
gestellten unter ihnen, deutlich höhere Pro-Kopf-Einnahmen erzielen als die Ge-
meinden der mittleren Größenklassen mit 2,5-20 Tsd. EW. Die gewaltige umver-
teilende Mittelaufstockung durch den primären, sekundären und tertiären Finanz-
38
Zwischen Zentralgemeinden und ihren jeweiligen Umlandgemeinden kommt es bereits seit gerau-
mer Zeit zu regelrechten Konkurrenzkämpfen um Produktionsstandorte und Wohnsitze. Rothenberg
(1977, S. 213) analysiert diese Situation theoretisch und stellt fest, dass es sich bei dieser interdepen-
denten Situation um jene eines Spiels von Duopolisten handelt. Dabei muss es keine Entwicklung zu
einem langfristigen harmonischen Gleichgewicht geben, das durch Stabilität gekennzeichnet wäre.
Obendrein muss das Spiel der Konkurrenten kein Nullsummen-Spiel sein, so dass eine regional und
gesellschaftlich suboptimale (allokativ ineffiziente) Entwicklung daraus resultieren kann. Für eine em-
pirische Überprüfung seien angesichts der Langfristigkeit solcher Wettbewerbsprozesse die vorhan-
denen Datenreihen noch viel zu kurz.
39
Dieses Faktum wurde auch für die Finanzzuweisungspolitik der US-Bundesstaaten in den frühen
80er-Jahren festgestellt, jedoch gegenüber ihren Zentralstädten, nicht den Peripheriestädten (Yinger/
Ladd 1997).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
68
ausgleich genießt verbreitet hohe politische Anerkennung. Die Anwendung des
Gleichheitsprinzips in der beschriebenen Ausprägung (...) hat wesentlich zu einer
starken Angleichung der Lebensverhältnisse in unterschiedlichen Regionen Ös-
terreichs beigetragen. Doch dabei wird der Zielkonflikt zwischen Gleichheits- und
Effizienzprinzip zu Lasten des Letzteren entschieden. In Folge der Komplexität
der dabei stattfindenden Prozesse ist es schwierig festzustellen, welcher Preis
langfristig für diese stark ausgeprägte Verfolgung des Gleichheitsprinzips zu be-
zahlen ist. Die enorme Abschöpfung von Abgabenerträgen in den Zentren ihrer
Entstehung und deren Umlenkung in Gebiete mit niedrigen Einnahmen aus den
eigenen Abgaben schwächt jedenfalls die Wertschöpfungszentren. Dies kann zu
einer Schwächung Österreichs im internationalen Standortwettbewerb führen,
insbesondere bei zunehmender Globalisierung des Standortwettbewerbs" (Brö-
thaler u.a. 2002, S. 142).
• In Form der Quote allgemeiner Haushaltsmittel (= der nicht aufgabenorientierten
Einnahmen wie eigene Abgaben, Ertragsanteile an gemeinschaftlichen Bundes-
abgaben, Schuldenaufnahme und freie intergouvernmentalen Transfers) an den
laufenden Gesamtausgaben der Gemeinden wird deren "Nettofinanzierungserfor-
dernis" definiert (Bröthaler u.a. 2002, S. 142 f.). Diese Kenngröße wird nach den
kommunalen Aktivitätsbereichen (a) Basisaufgaben, (b) naturraumspezifische, (c)
ballungsraumspezifische und (d) zentralörtliche Aufgaben (als Verwaltungszent-
rum) getrennt auch in € pro Einwohner ausgewiesen. Als Ergebnis erhalten wir,
dass in allen Aufgabenbereichen mit Ausnahme der naturraumspezifischen
Kommunalagenden das Nettofinanzierungserfordernis mit der Gemeindegrößen-
klasse merklich zunimmt. Grosso modo kann also gesagt werden: je größer die
Gemeinde, desto geringer ihre aufgabenspezifische Finanzausstattung.
• Im Bereich der ballungsraumspezifischen Aufgaben liegen die entsprechenden
Ausgaben der Umlandgemeinden von Großstädten sogar unter den korrespondie-
renden Ausgaben der Gemeinden in ihrer Größenklasse. "Dies lässt bei Groß-
städten auf eine Mitversorgung der Umlandgemeinden durch die Kernstadt
schließen. (...) Diese Ungleichheit zwischen Kernstädten und deren Umgebungs-
gemeinden wird durch das aktuelle Finanzausgleichsgesetz noch verstärkt: Durch
schrittweise Erhöhung des 'Sockelbetrags' gemäß § 12 (2) Z. 2 FAG 2001 von
7,43 € auf 72,66 € im Jahr 2004 wird der Anteil der Kernstädte an den Ertragsan-
teilen der Gemeinden jedes Jahr weiter geschmälert. Den kleineren Gemeinden,
zu denen auch viele Großstadt-Umgebungsgemeinden gehören, werden zusätz-
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
69
lich Finanzmittel zur Verfügung gestellt.
40
Zusätzlich wird dieser Effekt durch die
Bevölkerungsentwicklung verstärkt. (...) Der zugrunde liegende Prozess der Sub-
urbanisierung erhöhte gleichzeitig die Bevölkerung der Großstadt-Umgebungs-
gemeinden. Im Finanzausgleich für 2002 werden erstmals unter Verwendung der
Volkszahl 2001 Ertragsanteile auf die Gemeinden verteilt. Das heißt, die Ertrags-
anteile der Kernstädte werden trotz wahrscheinlich ungemindertem Aufgabener-
fordernis sinken" (Bröthaler u.a. 2002, S. 143 f.).
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4.3. Der aktuelle Finanzausgleich näher betrachtet
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Im aktuellen FAG (2001-2004) haben die ausschließlichen Gemeinde- und Landes-
abgaben an Gewicht verloren. Dies geht auf verschiedene Faktoren zurück: Abschaf-
fung der Getränkesteuer für alkoholische Getränke auf Grund eines EuGH-Urteils (9.
März 2000) sowie der Steuer auf nichtalkoholische Getränke und Speiseeis (1. Jän-
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"Ausgerechnet die Regierungskoalition, die im Jahr 2000 mit dem Anspruch angetreten ist, mit dem
Setzen von Leistungsanreizen überzogener Gleichmacherei entgegen zu treten, verzehnfachte im
Finanzausgleichsgesetz 2001 den extrem egalitär wirkenden Sockelbetrag bis 2004 – möglicherweise
allein deshalb, weil die Nutznießer überwiegend Bewohner (und Bürgermeister) von Kleingemeinden
sind, die sowohl zahlreich sind als auch überwiegend eine geringe Affinität zur SPÖ aufweisen. Finan-
ziert wird diese Umverteilung durch eine gleich große Verminderung der Mittelzuteilungen an die Ge-
meinden gemäß dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel (Ertragsanteile). Dadurch wird, wenn auch
durch den städtefreundlichen "Solidarbeitrag des Bundes" abgeschwächt, den städtischen Wirt-
schaftsräumen absolut am meisten entzogen, also jenen, denen im internationalen Standortwettbe-
werb eine besondere Rolle zukommt. Ein effizienzorientierter Reformanspruch wurde hier einem mög-
licherweise primär parteipolitischen Kalkül geopfert" (Bröthaler u.a. 2002, S. 143).
Abgesehen von der soeben aufgestellten Hypothese von der Umlenkung von Ressourcen aus chan-
cenreichen in weniger chancenreiche Gemeinden (Bröthaler u.a. 2002) wird der Standortwettbewerb
durch den horizontalen Ertragskraftausgleich unter den Kommunen generell herabgesetzt: "Der ge-
meindliche Wettbewerb (bezüglich günstiger Standortfaktoren und somit um positive Standortent-
scheidungen für die Produktion; Anm. d. Vf.) wird allerdings überlagert durch den Finanzausgleich (...).
Hierdurch partizipiert jede Gemeinde zumindest partiell auch an den Steuereinnahmen der Konkurren-
ten im Wettbewerb um Unternehmensansiedlung (...). Damit würde der Finanzausgleich die Einnah-
men der Kommunen in zweierlei Hinsicht beeinflussen; erstens durch die Angleichung der steuerli-
chen Ertragskraft und zweitens durch eine Reduktion des Wettbewerbs" (Janeba/Peters 2000, S. 38).
Durch Letzteres sinkt die häufig beobachtete fiskalische Ineffizienz des Standortwettbewerbs; gleich-
zeitig wird jedoch eine andere Ineffizienz erhöht, nämlich jene, dass Unternehmen mit unterschiedli-
chen Produktionsstandorten überall Überkapazitäten anlegen, um durch rasche Produktionsverlage-
rung auch die Gewinne im Hinblick auf Steuerminimierung verlagern zu können. Somit ergibt sich aus
der theoretischen Analyse ein Optimum an Umverteilung durch den kommunalen Finanzausgleich
(Janeba/Peters 2000). Daher kann mehr horizontale Egalisierung der gemeindlichen Finanzmassen –
abgesehen von der Hypothese von Bröthaler u.a. (2002) über die Beeinträchtigung der langfristigen
allgemeinen Wirtschaftsentwicklung durch fiskalische Schwächung der Städte – die gesellschaftliche
Effizienz fördern oder schmälern.
Wiederum eine andere Position nimmt dazu Dahlby (1996) ein. Er ordnet nämlich den Wettbewerb um
Betriebsansiedlungen in den Bereich indirekter horizontaler fiskalischer Externalitäten ein und klassifi-
ziert ihn somit als Ressourcenverschwendung auf nationaler Ebene. Demnach würde eine Nivellierung
der kommunalen Finanzmassen in dieser Hinsicht stets effizienzfördernd wirken.
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Froschauer (1992) schlägt vor, den Gemeinden die Kompetenz zur Erhebung einer Zweitwohnsitz-
steuer einzuräumen, und verwirft andere Abgeltungsmodelle wie die Aufteilung der Ertragsanteile
zwischen Haupt- und Nebenwohnsitzgemeinden (Splitting-Modell) und die kalkulatorische Erhöhung
der Einwohnerzahl um die Zweitwohnsitzeinwohner (Doppelzählungsmodell) bei der Ermittlung des
Verteilungsschlüssels.
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Dieser Unterabschnitt beruht auf Lehner (2001).
Rainer Bartel – Größe, Aufgabenerfüllung und Finanzen von Gemeinden
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ner 2001); Streichung der Anzeigenabgabe und der Ankündigungsabgaben als aus-
schließliche Landes- und Gemeindeabgaben (2000) und Ersatz durch eine Werbe-
abgabe als gemeinschaftliche Bundesabgabe (vom Bund eingehoben, auf die Ge-
bietskörperschaften verteilt).
Im Lauf der 90er-Jahre kamen als ausschließliche Bundesabgaben die Normver-
brauchsabgabe und die Energieabgaben dazu, andererseits wurde die Körper-
schaftssteuer von einer ausschließlichen in eine gemeinsame Bundesabgabe umge-
wandelt; davor gab es aber einen merklichen Rückgang im Anteil der ausschließli-
chen Bundesabgaben (1990 17.4 %, 1999 9.6 %). Tendenziell über längere Frist und
insgesamt betrachtet auch in jüngster Zeit (FAG 2001) nahm der Verbundcharakter
des Abgabensystems jedenfalls zu.
4.3.1. Vertikale Verteilung: der gemeinschaftlichen Bundesabgaben
Der Beitrag der Länder zur Budgetkonsolidierung wurde im FAG 2001 gegenüber
dem bisherigen Konsolidierungsbeitrag von 2.29 Mrd. S auf 4.29 Mrd. S erhöht; das
verringerte den zur horizontalen Verteilung verbleibenden Länderanteil und steigerte
so die Ertragsanteile des Bundes.
Bei der vertikalen Verteilung der gemeinschaftlichen Bundesabgaben kommen – je
nach Steuer recht unterschiedliche – fixe Prozentsätze zur Anwendung. Die Mehr-
einnahmen aus den Steuererhöhungen kommen aber – so sieht es das FAG 2001
vor – ausschließlich dem Bund zu Gute. Dies wird durch zwei Änderungen der verti-
kalen Verteilungsschlüssel (ab 2001 und ab 2002), die den Bund besser stellen, er-
reicht. Besonders stark fällt daher die Änderung der Verteilungsschlüssel natürlich
bei den besonders aufkommenselastischen einkommensabhängigen Steuern aus:
+2.916 %-Punkte auf 70.2 % für den Bund von 2000 auf 2002 (Lehner 2001, S. 501).
Diese Maßnahmen bedeuten also nur eine relative, keine absolute Schlechterstel-
lung der Länder und Gemeinden.
Für den Ausfall an der (abgeschafften) Getränkesteuer und die Umwandlung der An-
zeigen- und Ankündigungsabgaben in eine Werbeabgabe erhielten die Gemeinden
zwecks Kompensation zwar höhere Ertragsanteile an der Umsatzsteuer (hauptsäch-
lich auf Kosten des Bundes, aber auch der Länder), doch trat diese Kompensations-
wirkung nicht vollständig ein.
Auf Grund der drei gerade skizzierten Veränderungen sinkt der Länderanteil an den
gesamten verteilten Einnahmen von 17.2 % (2000) auf 16.8 % (2002). Bei den Ge-
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