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MULTIMEDIAPLAN.AT & IEMAR, TU Wien © 2002 77
gaming properties – Individuelle Planungskompetenz und subjektive Zentralitäten
Wolfgang HÖHL
Dipl.-Ing. Dr.-Ing. Wolfgang Höhl, Technische Universität München, Sendlinger Straße 29, D – 80331 München
w_hoehl@compuserve.com
1. ABSTRACT
Wer plant die Städte von morgen ? Die Auswirkungen digitaler Technologie auf Planungswerkzeuge, -strategien und den urbanen
Raum stehen heute im Mittelpunkt der gestalterischen Debatte. Gesucht sind Visionen für eine pluralistische Gesellschaft, abseits
verordneter Planung. MVRDV sehen die Antwort in der Software 'Functionmixer 16.0', Peter Haimerl entwirft sein integrales
Stadtmodell 'zoomtown'. Matthias Hollwich von 'e-tekt' sieht die Zukunft in einer neuen Dienstleistungsplattform mit einer
integrierten 'Architectural Parametric Design-Engine'.
Parallel zu dieser Entwicklung spezialisieren sich die alten Stadtzentren, während die Peripherie boomt. Sind an diesem
Zentralitätswandel ebenfalls die Neuen Medien beteiligt ? Das abstrakte Modell der ‘Boundary Cities’ widmet sich dieser aktuellen
Thematik. Es ist ein abstraktes Modell einwohnerbezogener Möglichkeitsfelder; Individuelle Handlungsalternativen, um urbane
Infrastruktur zu erreichen. Bestellen wir ein Video per Telefon, besuchen wir eine virtuelle Filmvorstellung oder gehen wir doch
‘real’ ins nächste Kino ? Unfähig, alle möglichen Alternativen gleichzeitig zu kennen und zu beurteilen, wählen wir heute oft zufällig
oder nach Gewohnheit. Abhängig von der individuell verfügbaren Information wird die Stadt zum situativen Ambiente; einem
subjektiven Möglichkeitsfeld zwischen ‘Information Peak’ und ‘Information Outback’. Die Verteilung von städtebaulicher
Infrastruktur verändert sich.
Wird Zentralität zu einer rein subjektiven und indivuduellen Größe ? Entstehen unsere Städte in Zukunft sozusagen ‚aus uns selbst’
und ‚von selbst’ ? Stadtplanung als komplexer selbstgenerierender Prozeß, jenseits der uns bisher bekannten Instrumente ?
2. WER PLANT DIE STÄDTE VON MORGEN ?
Möglicherweise sind wir selbst die Stadtplaner von morgen. Selbstbewußte Individualisten in 'gaming properties', einer
zusammengewürfelten Vielfalt ? Mit mehr städtebaulicher Verantwortung für jeden Einzelnen ? - Fragen an eine selbstbestimmte
Dienstleistungsgesellschaft.
2.1 Functionmixer 16.0
Functionmixer 16.0 ist freeware zum Planen des eigenen Stadtquartiers. Nach der Vorgabe verschiedener Randbedingungen
entstehen multiple räumliche Variationen eines zukünftigen Stadtquartiers. ‚Voxels’ nennt Ronald Wall von MVRDV die
planerischen Grundeinheiten der neuen Stadt. Sie können verschiedene Funktionen beherbergen, die sich gegenseitig ausschließen
oder anziehen. Je nach gestalterischer Priorität (z.B. Kosten, Belichtung, Erschließung) errechnet das Modell verschiedene räuliche
Lösungen.
MVRDV ‘Functionmixer 16.0’. © Jutta Görlich, München
2.2 zoomtown
Peter Haimerl reorganisiert das Transportsystem der europäischen Städte mit dem sogenannten ‚zoom-liner’. Mit einer
Transportgeschwindigkeit von bis zu 800 km / h verbindet er die neuen ‚zoomtowns’ und lässt das Auto überflüssig werden. Der auf
diese Weise gewonnene Straßenraum wird für andere Nutzungen zurückgewonnen. In offenen, selbstgenerierenden Prozessen
entwickelt dort die Bevölkerung selbst ihre eigene Stadt.
Wolfgang HÖHL
78 Vienna University of Technology
‘zoomtown’. © Peter Haimerl, München
2.3 e-tekt
William Katavolos entwirft 1960 die 'Organics', organisch-chemisch konstruierte, amorphe Gebäude - eine 'Architektur als
Geschehnis'. Es ist ein ständig veränderliches Ambiente, das sich den Wünschen des Benutzers optimal anpaßt.
"... Explosionsartig entstehende Formen einer unmittelbaren Architektur, die immerfort wandlungsfähig ist im Hinblick auf
gewünschte Festigkeiten, vorbestimmte Richtungen und vorausberechnete Zeiträume."
Dieser Traum ist topaktuell. Verwirklicht wird er heute im virtuellen Raum.
screenshot ‘e-tekt’. www.etekt.com
Bei der Dienstleistungsplattform ‚e-tekt’ handelt es sich um ein interaktives 'Interventionsprogramm', zwischen Bauherrn und
Architekt. Ähnlich wie vergleichbare Fertighausproduzenten, bieten 'e-tekt' eine Internetplattform an, über die der Planungsdialog
geführt werden kann. Der Bauwillige erstellt sein eigenes Bedürfnisprofil, 'e-tekt' findet für ihn den optimalen Entwurf und
kontaktiert den passenden Architekten. Das junge Start-Up-Unternehmen stellt dazu mehrere tools im web bereit. Die Gebäude- und
Grundstücksgeometrie, die Bauweise und die Materialien können direkt vom Kunden online gewählt werden. Die gewünschte
Anzahl der Räume und das Raumprogramm sind individuell darstellbar. Der jeweilige Architekt hat die Gelegenheit, seinen
maßgeschneiderten Entwurf anschliessend im web zu präsentieren. Ein Möblierungstool rundet das Paket ab. In der 'Architectural
Parametric Design Engine' kann der Kunde den Entwurf online betrachten und innerhalb gewisser Grenzen beeinflussen. Der
Standort im 3D-Modell ist frei wählbar, die Gebäudegeometrie kann bedingt verändert werden.
2.4 Boundary Cities
Parallel zu dieser Entwicklung spezialisieren sich die alten Stadtzentren, während die Peripherie boomt. Sind an diesem
Zentralitätswandel ebenfalls die Neuen Medien beteiligt ? Das abstrakte Modell der ‘Boundary Cities’ widmet sich dieser aktuellen
Thematik. Es ist ein abstraktes Modell einwohnerbezogener Möglichkeitsfelder; Individuelle Handlungsalternativen, um urbane
Infrastruktur zu erreichen. Bestellen wir ein Video per Telefon, besuchen wir eine virtuelle Filmvorstellung oder gehen wir doch
‘real’ ins nächste Kino ? Unfähig, alle möglichen Alternativen gleichzeitig zu kennen und zu beurteilen, wählen wir heute oft zufällig
oder nach Gewohnheit.
gaming properties – Individuelle Planungskompetenz und subjektive Zentralitäten
CORP 2002 & GeoMultimedia02 79
‘Information Peak’ . © Wolfgang Höhl
Abhängig von der individuell verfügbaren Information wird die Stadt zum situativen Ambiente; einem subjektiven Möglichkeitsfeld
zwischen ‘Information Peak’ und ‘Information Outback’. Die Verteilung von städtebaulicher Infrastruktur verändert sich.
‘User location’ . © Wolfgang Höhl
Susan Leigh Star beschreibt die Beziehungen zwischen Raum und Funktion als uneindeutig und variabel. Räume können
verschiedenen Funktionen zugeordnet werden. Eine eindeutige Zuordnung scheint unmöglich. Für diese uneindeutigen
Konstellationen verwendet Leigh Star den Ausdruck ‘Boundary Object’.
Ein solches Objekt ist ambivalent, offen und flexibel, aber gleichzeitig genau definiert. Betrifft das auch die urbane Zentralität ?
Natürlich. ‘Neue Subjektivität‘ und ‘Ambiguität’ prägen das Bild unserer Stadt. Antonino Saggio verwendet dafür den Begriff ‘Neue
Subjektivität’. Er wünscht sich sinngemäß, daß die Interaktivität dazu beiträgt, eine Umwelt zu schaffen, die sich „... der
Subjektivität unserer Wünsche zuwendet“.
‘Information Balance’ . © Wolfgang Höhl
Zentralität wird üblicherweise als unpersönlicher Bedeutungsüberschuß eines Standortes beschrieben; scheinbar festgefügt in einem
lokalen Netz ‘zentraler Einrichtungen’. Mit wachsenden Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten wachsen aber auch unsere
individuellen Wahlmöglichkeiten. Das lokale Angebot ergänzt sich intensiver mit dem non-lokalen. Das individuelle
Möglichkeitsfeld gewinnt an Bedeutung. Der eigene Standort wird deutlich wahrnehmbar zum situativen ‘Boundary Object’. Kann
Zentralität nun auch als individueller, non-lokaler Informationsüberschuß verstanden werden ?
Wolfgang HÖHL
80 Vienna University of Technology
‘Information Outback’ . © Wolfgang Höhl
‘Boundary Cities' sind abstrakte City-Sets, die in diesem Zusammenhang verschiedene mögliche Fälle modellieren. Dabei gibt es
zwei polare Extreme. Entweder wir sind in der Lage, alle möglichen Einrichtungen über alle möglichen Transporter zu erreichen.
Oder wir erreichen keine einzige dieser Einrichtungen über keinen einzigen Transporter. Im ersten Fall befinden wir uns am
‘Information Peak’, im zweiten Fall am ‘Information Outback’. Dazwischen entfalten sich eine enorme Anzahl von individuellen
Möglichkeiten. Entscheiden wir uns alle rein zufällig für eine mögliche Alternative, ergibt sich eine Normalverteilung. Genau die
Hälfte aller möglichen Fälle sind am häufigsten, wir befinden uns in der ‘Information Balance’. Erstaunlich ähnlich ist diese
Verteilung dem heutigen Bild unserer Städte.
‘Distribution of Boundary Cities’ . © Wolfgang Höhl
Dieses Szenario simuliert eine freie und situationsbezogene Zentralitätsbildung, vergleichbar einer rein marktwirtschaftlichen
Entwicklung. Bevorzugt man hingegen die soziale Marktwirtschaft, so stellt sich die Frage nach zukünftigen Perspektiven einer
allgemeinen Grundversorgung.
LITERATUR
Wolfgang Höhl: MedienStädte . Passagen Verlag . Wien 2000
William Katavolos: Organics . in: Ulrich Conrads: Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts . Vieweg 1981
Antonino Saggio: Neue Subjektivität . Architektur zwischen Kommunikation und Information . in: P. C. Schmal (Hg.): digital / real . Blobmeister -
erste gebaute Projekte . Birkhäuser 2001
Susan Leigh Star: The Structure of lll-Structured Solutions . Boundary Objects and Heterogenous Distributed Problem Solving . Distributed Artificial
Intelligence Hrsg. L. Gasser, M. Huhns, London 1989