Zusammenfassung: Neuere Forschung zur Evolution der Sprache und sprachlicher Darbietungen (z.B. Miller, 1999, 2000a, 2000b, 2002) legte nahe, dass Sprache nicht nur Ergebnis natürlicher Selektion ist, sondern auch als sexuell selektierter Fitnessindikator fungiert, d.h. als Anpassung, die die Angemessenheit eines Individuums als Reproduktionspartner signalisiert. Sprache wäre dem¬nach im Bereich von Konzepten wie dem Handicap-Prinzip (Zahavi, 1975) anzusiedeln. Für diese Position existieren verschiedene Gründe: Zahlreiche sprachliche Merkmale sind hoch erblich (z.B. Stromswold, 2001, 2005), während natürlich selektierte Merkmale eher gering erblich sind (Miller, 2000a). Männer neigen stärker zu sprachlichen Darbietungen als Frauen, die diese Darbietungen dafür beurteilen (Dunbar, 1996; Locke & Bogin, 2006; Lange, in Druck; Miller, 2000a; Rosenberg & Tunney, 2008). Sprachliche Gewandtheit erhöht kultur¬universal insbesondere männlichen Status (Brown, 1991). Zahlreiche linguistische Merkmale sind Handicaps (Miller, 2000a) im Zahavi’schen Sinn. Ein Großteil der Literatur wird von Männern im reproduktionsrelevanten Alter geschaffen (Miller, 1999). Es existierte jedoch weder eine experimentelle Studie, die die kausale Beziehung zwischen sprachlicher Gewandt¬heit und Attraktivität untersucht hätte noch eine Studie, die eine Korrelation zwischen Markern für literarischen Erfolg und solchen für Paarungserfolg belegt hätte. In Form der vorliegenden Studien wurde versucht, diese Lücken zu füllen. In der ersten Studie führte ich ein Laborexperiment durch. Videos, in denen sich ein Schauspieler und eine Schauspielerin jeweils sprachlich präsentierten, dienten als Stimuli für die gegengeschlechtlichen Versuchs¬personen. Der Inhalt war immer gleich, jedoch variierten die Videos in Form dreier Stufen sprachlicher Gewandtheit. Die Vorhersagen waren u.a., (1) dass sprachliche Gewandtheit den Partnerwert erhöht, aber dass dies (2) stärker auf männlichen als auf weiblichen Partnerwert zutrifft, und zwar wegen angenommener vergangener geschlechtsdifferenter Selektionsdrücke, aufgrund derer Frauen sehr wählerisch bei der Partnerwahl sind (Trivers, 1972). Eine zwei-faktorielle Varianzanalyse mit den Variablen „Geschlecht“ und „sprachlicher Gewandtheit“ als Faktoren wurde durchgeführt, wodurch die erste Hypothese mit großen Effektstärken belegt wurde. Hinsichtlich der zweiten Hypothese zeigte sich nur ein Trend in die vorhergesagte Richtung. Außerdem wurde deutlich, dass sprachliche Gewandt¬heit den Partnerwert als Langzeitpartner stärker beeinflusst als den als Kurzzeitpartner. In der zweiten Studie wurde sprachliche Gewandtheit als menstruationszyklusabhängiges Partner¬wahlkriterium untersucht. Dafür wurden die gleichen Materialien wie in der vorherigen Studie verwendet; lediglich der Fragebogen wurde leicht verändert. Die Hypothese lautete, dass fertile Frauen der sprachlichen Gewandtheit eines Mannes eine größere Bedeutung beimessen als nicht-fertile Frauen, da sprachliche Gewandtheit als Indikator für „gute Gene“ aufgefasst werden könnte. Allerdings gab es in der vorliegenden Studie kein signifikantes Ergebnis, das die Hypothese belegte. In der dritten Studie waren die Hypothesen: 1. Ein Großteil der Literatur wird von Männern im reproduktionsrelevanten Alter geschrieben. 2. Je mehr Werke von hoher literarischer Qualität ein männlicher Schriftsteller produziert, desto mehr Partner und Kinder hat er. 3. Lyriker haben einen größeren Paarungserfolg als Nicht-Lyriker, da lyrische Sprache ein größeres Handicap darstellt als andere Sprachformen. 4. Das Schreiben von Literatur erhöht den Status eines Manns derart, dass unter seinem Nachwuchs ein zu¬gunsten des männlichen Geschlechts signifikant höherer Geschlechterproporz zu finden ist als in der Normalbevölkerung, wie die Trivers-Willards-Hypothese (Trivers & Willard, 1973) bei Anwendung auf Literatur vorhersagt. Um diese Hypothesen untersuchen zu können, wurden letztlich zwei sehr bekannte Literaturkanons ausgewählt. Umfangreiche biografische Recherche wurde durchgeführt, um für jeden Autor möglichst alle Paarungserfolge in Erfahrung zu bringen. Die erste Hypothese wurde bestätigt, die zweite, mit Lebensalter als Kontrollvariable, hinsichtlich Partnerzahl, aber nicht durchgehend hinsichtlich Kinderzahl. Letzteres wurde u.a. mit Bezug auf die Verfügbarkeit effektiver Kontrazeptiva, insbesondere im 20. Jahrhundert, diskutiert. Die dritte Hypothese wurde nicht zufriedenstellend bestätigt. Die vierte Hypo¬these wurde teilweise bestätigt. Im deutschen Kanon des 20. Jh. war der sekundäre Ge¬schlechterproporz zugunsten des männlichen Geschlechts signifikant höher als der für die Normalbevölkerung angenommene.