Der Schutz der biologischen Vielfalt ist eine gesellschaftlich sehr wichtige Aufgabe, deren Bedeutung in den letzten Jahrzehnten zunehmend auch politisch erkannt wird. Nationale wie globale Zielsetzungen, den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten und eine positive Trendwende zu erreichen, wurden bislang allerdings verfehlt. Als wichtige Ursachen für den Verlust der Artenvielfalt werden sowohl der Landnutzungswandel als auch Klimaveränderungen gesehen. Landnutzungsintensivierungen haben insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem zunehmenden Rückgang der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft geführt. Die Ursachen für diesen Rückgang sind vielfältig. Sie umfassen eine Abnahme der Nahrungsgrundlage vieler Arten, u.a. durch den Einsatz von Herbiziden und Insektiziden, und den Verlust von geeigneten Fortpflanzungs- und Nahrungshabitaten durch einen Rückgang der Strukturvielfalt und des Anteils naturnaher Habitate. Seit Ende des 20. Jahrhunderts rückt zunehmend auch der Klimawandel als Einflussgröße für den Rückgang der Artenvielfalt in den Fokus. Einhergehend mit steigenden Temperaturen wurden bereits Verschiebungen von Verbreitungsgrenzen und Veränderungen in der Phänologie von Arten beobachtet. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts werden neben weiter steigenden Temperaturen die Zunahme von Hitzewellen und extremen Niederschlagsereignissen, eine Veränderung der Niederschlagsverhältnisse und ein weiterer Anstieg des Meeresspiegels erwartet.
Zwischen Klima und Landnutzung gibt es vielfältige Wechselwirkungen und sich gegenseitig verstärkende Effekte - auch in ihrer Wirkung auf einzelne Arten und die biologische Vielfalt. Hier gilt es, Methoden zur Erfassung und Bewertung von Auswirkungen landnutzungs- und klimawandelbedingter Umweltveränderungen zu entwickeln und aufzuzeigen, durch welche Maßnahmen negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt vermieden oder vermindert werden können. Akteure zur Umsetzung solcher Maßnahmen sind einerseits der behördliche und ehrenamtliche Naturschutz. Andererseits ist gerade in der Agrarlandschaft auch die Einbindung von Landwirten entscheidend, um möglichst dauerhafte und großflächige Wirkungen zu erzielen.
Ein Weg der Einbindung von Landwirten in naturschutzfachliche Maßnahmenprogramme führt über die lebensmittelerzeugenden Unternehmen, die Abnehmer ihrer Produkte sind. Solche Unternehmen, gerade aus der Biobranche, suchen zunehmend nach Möglichkeiten, ihren Kunden transparent und glaubwürdig zu kommunizieren, was ihre Zulieferlandwirte für den Erhalt und die Förderung der Artenvielfalt leisten. Flächendeckende Vor-Ort-Erfassungen von Arten sind dabei aber sowohl aus Kosten- als auch aus Zeitgründen unrealistisch. Einfache Modelle bzw. Indikatorensets, die die Artenvielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen valide abbilden und dabei zeiteffizient und praxisnah in der Datenerhebung und Anwendung sind, werden daher dringend benötigt, fehlen aber bislang. Auf Basis solcher Modelle können auch Maßnahmen für die Betriebsebene und deren Potenzial zur Steigerung der Artenvielfalt abgeleitet werden.
Im Hinblick auf Auswirkungen des Klimawandels auf Tierarten fehlen derzeit vor allem auf regionaler Ebene Einschätzungen über die Empfindlichkeit von Artengemeinschaften gegenüber den projizierten Klimaänderungen und darüber, wie sich klimabedingte Arealverschiebungen auf die Zusammensetzung regionaler Artengemeinschaften auswirken könnten. Solche Einschätzungen braucht es aber, um den naturschutzfachlichen Handlungsbedarf für Anpassungsstrategien und -maßnahmen zu identifizieren und zu konkretisieren. Zu entsprechenden Anpassungsmaßnahmen gibt es bereits eine Reihe von Empfehlungen, die allerdings häufig unspezifisch bleiben, so dass vielen Praktikern unklar ist, welche Maßnahmen Priorität haben und wie diese konkret umgesetzt werden sollen und können. Daher ist es erforderlich, solche allgemeinen Maßnahmenempfehlungen für die jeweilige regionale Ebene unter Berücksichtigung der Empfindlichkeit der dort vorkommenden Arten und möglicher klimabedingter Ein- und Abwanderungsprozesse zu konkretisieren.
Vor dem Hintergrund dieser Wissenslücken war das Ziel der vorliegenden Arbeit, einen Beitrag dazu zu leisten, Auswirkungen landnutzungs- und klimawandelbedingter Umweltveränderungen auf Tierarten auf der regionalen bzw. lokalen Ebene zu ermitteln und zu bewerten, um darauf aufbauend geeignete und für die jeweilige Ebene hinreichend konkrete naturschutzfachliche Maßnahmen zur Verminderung negativer Auswirkungen ableiten zu können. Dazu wurde exemplarisch für einzelne Regionen, Lebensräume und Tierartengruppen untersucht,
1) anhand welcher Indikatorensets und Modelle sich die Artenvielfalt auf der Ebene landwirtschaftlicher Betriebe praxistauglich, zeiteffizient und valide abbilden lässt,
2) an welchen Kriterien eine Empfindlichkeit von Tierarten gegenüber klimatischen Veränderungen auf naturräumlicher Ebene festgemacht werden kann,
3) wie sich ein klimawandelbedingter Turnover in Artengemeinschaften eines Naturraums abschätzen lässt,
4) welche Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt basierend auf den Ergebnissen solcher Analysen auf lokaler und regionaler Ebene abgeleitet werden können,
5) welche Synergien sich im Hinblick auf Maßnahmen zur Verringerung negativer Auswirkungen von Klimawandel und Landnutzung ergeben und welche Grenzen die entwickelten Methoden zur Einschätzung solcher Auswirkungen aufweisen.
Hinsichtlich der Auswirkungen landnutzungsbedingter Umweltveränderungen auf Tierarten wurde untersucht, ob und wie sich die Artenvielfalt und mögliche Veränderungen durch die Landnutzung oder durch Naturschutzmaßnahmen auf der Ebene landwirtschaftlicher Betriebe mit Hilfe von einfach handhabbaren Modellen und Indikatorensets abbilden lassen. Dazu wurden in umfangreichen Literaturstudien mögliche Einflussvariablen identifiziert, die für die Artenvielfalt von Tagfaltern auf Rainen und die Artenvielfalt von Vögeln in Hecken sowie auf Äckern von Bedeutung sein können. Auf sieben über Deutschland verteilten landwirtschaftlichen Betrieben wurden sowohl Daten zu diesen möglichen Einflussvariablen erhoben als auch Erfassungen der Artengruppen Tagfalter und Vögel durchgeführt. Durch multiple lineare Regressionsanalysen wurden aus dem Set der möglichen Einflussvariablen anhand der auf den Betrieben erhobenen Daten diejenigen identifiziert, die die Artenvielfalt von Tagfaltern und Vögeln am besten vorhersagen. Bei Tagfaltern auf Rainen sind dies die Heterogenität der umgebenden Landschaft, der Mahdzeitpunkt, die Breite, Länge und das Gräser-Kräuter-Verhältnis des Rains sowie die Bewirtschaftungsart angrenzender Felder. Für die Artenvielfalt von Vögeln in Hecken wurden die Variablen Länge und Breite der Hecke, die Anzahl der Gehölzarten, das Vorkommen von Höhlen/Totholz, das Vorhandensein von Dornsträuchern sowie die Breite des angrenzenden Krautsaums als wichtigste Einflussfaktoren zur Vorhersage der Artenvielfalt ermittelt. Ein Modell zur Vorhersage der Artenvielfalt von Vögeln auf Äckern wurde verworfen, da die Ergebnisse deutlich von der Datenlage der Stichprobe geprägt waren und nur zum Teil den Erkenntnissen aus der zuvor durchgeführten Literaturstudie entsprachen.
Die aus den Modellergebnissen ableitbaren Maßnahmen für die Betriebsebene beziehen sich auf die jeweils bedeutsamen Einflussfaktoren - z.B. das Mahdregime bzw. den Mahdzeitpunkt bei Rainen und die Anlage oder Verbreitung von Krautsäumen zwischen Hecken und den an diese angrenzenden Feldern - und betreffen sowohl die Optimierung vorhandener Strukturen als auch die Neuanlage von Landschaftselementen. Diese stellen einen Baustein im Spektrum sinnvoller Maßnahmen auf landwirtschaftlichen Betrieben dar und sollten durch weitere flankiert werden. Dazu ist eine gesamtbetriebliche Perspektive wichtig, die die betriebs- und landschaftsraumspezifischen Voraussetzungen einbindet. Zur Unterstützung hierbei kann einerseits landwirtschaftliche Beratung, andererseits aber auch eine vom Landwirt selbst bedienbare naturschutzfachliche Managementsoftware dienen. In eine solche Software (MANUELA - Managementsystem Naturschutz für eine nachhaltige Landwirtschaft) wurden die in der vorliegenden Arbeit entwickelten Modelle bereits implementiert und ergänzen dort bereits vorhandene Tools, zum Beispiel zur Ermittlung und Bewertung der Pflanzenartenvielfalt auf Äckern, aber auch zum Landschaftsbild und zum Biotopverbund.
Hinsichtlich der Auswirkungen klimawandelbedingter Umweltveränderungen wurde unter-sucht, an welchen Kriterien sich eine Empfindlichkeit von Tierarten gegenüber solchen Umweltveränderungen auf naturräumlicher Ebene festmachen lässt und welche Eigenschaften eine Anpassung an sich ändernde Umweltbedingungen erschweren. Mit Hilfe einer auf solchen Kriterien basierenden Empfindlichkeitsanalyse wurde ermittelt, wie viele Tierarten in den naturräumlichen Regionen „Harz“ und „Lüneburger Heide und Wendland“ eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber klimawandelbedingten Umweltveränderungen aufweisen. Dabei wurden Vertreter der Artengruppen Brutvögel, Amphibien, Reptilien, Heuschrecken, Tagfalter und Libellen mit einbezogen. Eine voraussichtlich erhöhte Empfindlichkeit gegenüber spezifisch klimawandelbedingten Umweltveränderungen lässt sich bei jeweils ca. 39% der untersuchten Tierarten in den naturräumlichen Regionen „Harz“ und „Lüneburger Heide und Wendland“ feststellen. Dabei scheinen insgesamt mehr Arten negativ von einer Abnahme der Sommerniederschläge betroffen zu sein als von einer Erhöhung der Temperaturen. Weiterhin wurde ermittelt, wie klimabedingte Veränderungen der Zusammensetzung von Vogellebensgemeinschaften in einem Naturraum abgeschätzt und Prognosen über mögliche klimabedingte Zu- und Abwanderungen von Arten getroffen werden können. Dazu wurde der Artenpool des Naturraums Lüneburger Heide mit den Artenpools zukünftig klimaanaloger Räume verglichen. Zukünftig klimaanaloge Räume sind Gebiete, die gegenwärtig klimatische Verhältnisse aufweisen, die zukünftig für das Untersuchungsgebiet projiziert werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrzahl der Vogelarten die für den Zeitraum 2071-2100 erwarteten Klimabedingungen im Naturraum Lüneburger Heide vermutlich tolerieren kann, die Artenvielfalt insgesamt aber möglicherweise abnehmen wird. Viele der potenziell aus dem Naturraum abwandernden Arten sind an Feuchtgebiete als Lebensraum gebunden.
Zur Verringerung negativer klimawandelbedingter Auswirkungen auf Tierarten können zum einen derzeitige Gefährdungsursachen und Stressoren minimiert werden, um die Habitatverfügbarkeit und -qualität zu erhöhen und die Resilienz sowie das Anpassungspotenzial von Arten zu stärken. Als prioritäre Maßnahmen sind je nach naturräumlicher Region die folgenden anzusehen: Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung von Feuchtlebensräumen, Maßnahmen zur Verhinderung von Nährstoffeinträgen bzw. Eutrophierung und zur Extensivierung landwirtschaftlicher Nutzung, Maßnahmen zur Erhöhung der Konnektivität in der Landschaft und zur Verringerung des Landschaftsverbrauchs, Maßnahmen zur Offenhaltung von Lebensräumen und Maßnahmen zur naturnahen Waldrandgestaltung bzw. Waldbewirtschaftung. Zum anderen kann zur Verringerung negativer klimawandelbedingter Auswirkungen auf Tierarten die Konnektivität in der Landschaft gefördert und der Erhalt und die Schaffung von Biotopverbundstrukturen gestärkt werden, um den Arten eine Anpassung durch die Verschiebung ihrer Verbreitungsareale zu ermöglichen. Besonders auf überregionale Biotopverbundmaßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel angewiesen sind in beiden naturräumlichen Regionen Arten des Offenlandes, in der naturräumlichen Region „Lüneburger Heide und Wendland“ zusätzlich auch Arten der Gewässer.
Da viele der derzeitigen Gefährdungsursachen potenziell klimaempfindlicher Arten nutzungsbezogen sind und auch direkte oder indirekte Folge landwirtschaftlicher Nutzung sein können, sind Synergien zwischen Maßnahmen zur Verminderung negativer Auswirkungen von Landnutzungs- und Klimawandeleinflüssen offenkundig. Dies betrifft auch die Stärkung des Biotopverbunds. Hier spielen Raine und Hecken in der Agrarlandschaft eine wichtige Rolle - auch vor dem Hintergrund des Klimawandels, da viele der auf Biotopverbund als Anpassungsmaßnahme angewiesenen Arten Bewohner des Offenlandes sind. Ein besonderes Gewicht kommt im Hinblick auf den Klimawandel dem Schutz bzw. der Renaturierung und Schaffung von Feuchtlebensräumen zu. Diese werden bislang nur zum Teil durch die Modelle zur Abschät-zung der Artenvielfalt auf landwirtschaftlichen Betrieben abgedeckt, so dass in der Erweiterung der Modelle um die Lebensräume Feuchtgrünland und Grünland im Allgemeinen eine mögliche Weiterentwicklung der vorliegenden Arbeit zu sehen ist. Da ein Großteil der Fläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt wird, kommt der Landwirtschaft bei der Bewahrung der Artenvielfalt eine Schlüsselrolle zu. Die vermehrte Integration naturschutzfachlicher Ziele in die Landbewirtschaftung kann daher wesentlich zum Erhalt und zur Förderung der Artenvielfalt beitragen, nicht nur im Hinblick auf landnutzungsbezogene sondern auch auf klimawandelbezogene Einflüsse. Die vorliegende Arbeit liefert dazu wichtige Ansätze.