Man hält die Heimat für den relativ permanenten, die Wohnung für den auswechselbaren, übersiedelbaren Standort. Das Gegenteil ist richtig: Man kann die Heimat auswechseln oder keine haben, aber man muß immer, gleichgültig wo, wohnen. Der Mensch kann überall wohnen: unter den Pari-ser Brücken, in Zigeunerkarawanen, in den Hütten der Paulistaner Favelas und sogar in Auschwitz. Er ist wie die Ratte
... [Show full abstract] – kosmopolitisch ... Wer aus der Heimat vertrieben wird (oder den Mut aufbringt, von dort zu fliehen), der leidet. Die geheimnisvollen Fäden, die ihn an Dinge und Menschen binden, werden zerschnitten. Aber mit der Zeit erkennt er, daß ihn diese Fäden nicht nur verbunden, sondern angebunden haben, daß er nun frei ist, neue zwi-schenmenschliche Fäden zu spinnen und für diese Verbindungen die Ver-antwortung zu übernehmen." Vilém Flusser 1 Alltägliches, scheinbar nichts Besonderes . . . Es reicht aus, an einem beliebigen Tag des Jahres die Zeitung aufzuschlagen, die Radio-oder Fern-sehnachrichten einzuschalten. Wir stellen bei aufmerksamer Beobachtung fest: Kaum ein Tag ver-geht ohne irgendwelche Neuigkeiten, die mit Migration oder deren Folgen zu tun haben. Da mah-nen in regelmäßigen Abständen Politikerinnen und Politiker stärkere Anstrengungen zur Integration Zugewanderter an und private Pflegedienste bekämpfen die irreguläre Beschäftigung Zehntausender osteuropäischer Arbeitskräfte in der häuslichen Pflege (hauptsächlich Frauen). Immer mehr qualifi-zierte Deutsche – ein deutlicher Trend der jüngsten Zeit – wandern auf der Suche nach lukrativen Arbeitsplätzen aus und in der ‚Gegenrichtung' tauchen praktisch jeden Tag vor den Kanarischen Inseln, der Meerenge von Gibraltar, der italienischen Insel Lampedusa und anderswo afrikanische Bootsflüchtlinge auf, tot oder lebendig, deren Ziel das ersehnte Europa ist. 1 Flusser (1999).