Einführung: Wissenschaftshistorische Vorbemerkung Der Begriff Alltagswelt ist heutzutage in den Kultur-und Sozialwissenschaften so selbstverständlich, so oft zu Recht bzw. zu Unrecht verwendet, und ich würde auch hinzufügen, nicht selten so missbraucht, dass es mir wichtig erscheint, seine wissenschaftshistorische Karriere sowie seine wissenschafts-theoretischen Grundlagen nochmals zur Sprache zu
... [Show full abstract] bringen. Ich kann mich also des Eindrucks nicht erwehren, dass Alltagswelt eine Kategorie geworden ist, die ziemlich willkürlich verwendet wird, ohne die genauen wissenschafts-theoretischen Inhalte, Gedanken und Bedeutungen zu reflektieren, die im phänomenologisch-hermeneutischen Ansatz ihre Ursprünge haben. Vermutlich ist diese Tatsache darauf zurückzuführen, dass die grundlegenden theoretischen Debatten um die Alltagswelt vor ungefähr vierzig Jahren stattgefunden haben und die Herausforderungen, die dieser Begriff damals hervorrief, inzwischen in Vergessenheit geraten sind. Es ist zur Zeit zwar nicht ganz unbekannt, bleibt jedoch oft unbeachtet, dass bis tief in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der Begriff Alltagswelt lediglich von einer ziemlich kleinen Schar von Kultur-und Sozialwissen-schaftlern benutzt wurde, die sich gegen die damals dominanten Theorie-richtungen stellten. Als Beispiel nenne ich hier nur die Publikation des Buches Kultur und Alltagswelt von Ina-Maria Greverus, das als die Bibel einer zwar wissenschaftlich regen, jedoch deutlich minoritären und marginalen Forschergruppe galt, die ihr geistiges Zentrum am Institut für Kulturanthro-pologie und Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt hatte. 1 Aber auch andere, damals sich noch als Volkskundler verstehende Wissenschaftler hatten begonnen, mit dem Begriff Alltagswelt zu operieren. Es sei zunächst dahingestellt, ob diese Verwendung des Begriffes tatsächlich wissenschafts-theoretisch adäquat und gerechtfertigt war. Dasselbe kann im Hinblick auf die Sozialwissenschaften und speziell auf die Soziologie der siebziger Jahre gesagt werden, wie ich selber zu jener Zeit als Nachwuchswissenschaftler dieser Disziplin erfahren durfte. Forscher, die sich beispielsweise auf Erving Goffmans everyday-life-Konzept 2 bezogen, oder