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Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung
und Vernetzung Jugendlicher
Analyse jugendnaher Plattformen und ausgewählter
Selbstdarstellungen von 14- bis 20-Jährigen
Erster Teil der Studie „Das Internet als Rezeptions-
und Präsentationsplattform für Jugendliche“
im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für
neue Medien (BLM)
Ulrike Wagner, Niels Brüggen, Christa Gebel
Unter Mitarbeit von Peter Gerlicher und Kristin Vogel.
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
München im Mai 2009
Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung und Vernetzung Jugendlicher
Analyse jugendnaher Plattformen und ausgewählter Selbstdarstellungen
von 14- bis 20-Jährigen
Erster Teil der Studie „Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform für Jugendliche“
im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM)
Weitere Informationen zur Untersuchung unter: www.jff.de/medienkonvergenz
Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Helga Theunert
Projektteam: Ulrike Wagner, Niels Brüggen, Christa Gebel, Peter Gerlicher, Kristin Vogel
Mitarbeit an Teilbereichen:
Durchführung der Evaluation der Web-2.0-Werkstätten: Britta Müller
Durchführung der Analysen: Ilona Cwielong, Christoph Eisemann, Jane Fleischer, Monika Eder
ii
Inhaltsverzeichnis
1 Neue Artikulationsformen und Handlungsspielräume in der
konvergenten Medienwelt 1
1.1 Gegenstand der Untersuchung: Das Internet als Rezeptions- und
Präsentationsplattform Jugendlicher 1
1.2 Fragestellungen der ersten Teilstudie 3
1.3 Das Vorhaben im Überblick 5
2 Methodische Umsetzung 7
2.1 Analyse jugendnaher Plattformen 7
2.1.1 Plattformsichtung und Auswahl für die weitere Analyse (1. Stufe) 8
2.1.2 Kurzanalyse zur Charakterisierung der jugendnahen Plattformen (2. Stufe) 9
2.1.3 Vertiefende Analyse exemplarischer Vertreterinnen (3. Stufe) 9
2.2 Analyse ausgewählter Selbstdarstellungen von Jugendlichen 10
2.2.1 Auswahl der Plattformen für die Analyse der Selbstpräsentationen 10
2.2.2 Auswahl der Selbstdarstellungen 11
2.2.3 Durchführung und Auswertung der Analysen 13
2.3 Exemplarische Einblicke in das Medienhandeln Jugendlicher 14
2.3.1 Ziele der Evaluation der Web 2.0-Werkstätten 14
2.3.2 Umsetzung der Evaluation 15
2.3.3 Kurzbeschreibung der realisierten Web 2.0-Werkstätten 16
3 Ergebnisse 17
3.1 Jugendnahe Internetplattformen:
Neuer Rahmen für das Medienhandeln von Heranwachsenden 18
3.1.1 Grundcharakteristika jugendnaher Internetplattformen 19
a) Kommunikativ orientierte Angebote:
Vernetzung und Austausch stehen im Mittelpunkt 21
b) Produktiv orientierte Angebote:
Präsentation der eigenen Werke als Ausgangspunkt für Interaktion 24
c) Materialbörsen und Werkräume:
Fundus und Arbeitsplätze für den medialen Ausdruck 26
d) Pädagogisch ausgerichtete Angebote:
Förderung von Medienkompetenz und Beteiligung in neuem Rahmen 27
3.1.2 Organisation der persönlichen Daten und Kontrolle der Interaktionsformen 28
3.1.3 Orientierung und Hilfestellungen 31
3.1.4 Zusammenführung: Typische Bühnen für die Selbstdarstellungen Jugendlicher 34
3.2 Selbstdarstellungen: Spektrum medialer Artikulation und Beziehungspflege 39
3.2.1 Themensetzung durch die Jugendlichen 39
a) Thematischen Schwerpunkte: Medienaffine Interessen,
Freundschaften, Lebensfragen 39
b) Thematische Vielfalt: Vom Selbstbezug bis zur Gesellschaft 43
c) Zusammenfassung 45
3.2.2 Formen der Artikulation 46
a) Schwerpunkte in den Artikulationsformen:
‚Zeigen’ steht im Vordergrund 46
iii
b) Fremdproduzierte Inhalte: Einbetten und Bearbeiten 50
c) Design als Ausdrucksform:
Individualität zwischen Vorgaben und Vorlagen 51
d) Zusammenführung: Persönliche Akzentsetzungen der Jugendlichen 53
3.2.3 Formen der sozialen Bezugnahme 55
a) Online-Öffentlichkeiten: Spezifische Publika im Blick 56
b) Vernetzungsaktivitäten: Netze knüpfen und Eingebunden werden 58
c) Veröffentlichte Kommunikation: Kommentare und Dialoge 61
d) Zusammenfassung 63
3.3 Identitätsarbeit in Online-Öffentlichkeiten 64
3.3.1 Ausrichtungen der Selbstkonstruktion 65
a) Innenwelt- versus Außenweltorientierung 66
b) Person- versus Themenzentrierung 67
c) Suche nach Feedback 68
3.3.2 Soziale und kulturelle Verortung 68
a) Soziale Verortung:
Verankerung im realen sozialen Umfeld im Vordergrund 68
b) Kulturelle Verortung:
Jugendkulturell mit massenmedialen Bezügen 69
3.3.3 Zusammenfassung 72
3.4 Partizipation an vernetzen Öffentlichkeiten 74
3.4.1 Partizipation an kultureller Praxis:
Jugendkulturelle Szenen stehen im Zentrum 75
3.4.2 Partizipation am gesellschaftlich-politischen Zusammenleben:
Positionierung und Ansätze für Engagement 77
3.4.3 Zusammenführung: Ansatzpunkte für die Partizipationsförderung 79
3.5 Problemfelder und Risiken 81
3.5.1 Problemfelder bei den Plattformen 81
a) Persönliche Informationen: Aufforderung zur Veröffentlichung 81
b) Mindestalter: Ungeprüft vorausgesetzt 83
c) Transparenz: „Was geschieht mit meinen Daten?“ 83
d) Kommerzielle Einbettung: Plattformen als Werbe- und Warenwelten 84
e) Zusammenfassung 87
3.5.2 Umgang mit Risiken 87
a) Identifizierbarkeit: Nicht nur in der eigenen Verantwortung 88
b) Rechte Dritter: Unklare Grenzen und bewusste Grenzverletzungen 92
c) Zusammenfassung 94
4 Jugendliche als Akteure inkonvergenten Medienwelten:
Schlussfolgerungen und Ausblick 96
Literatur 102
Glossar 105
1
1 Neue Artikulationsformen und Handlungsspielräume in der konvergenten
Medienwelt
„Heute war ein cooler Tag, heute haben wir uns mal ein bisschen mehr mit Musik befasst, nicht immer
nur Texte schreiben, sondern auch mal ein paar Fotos gemacht.“
(Junge, 16 Jahre)
Der „coole Tag“, von dem der Jugendliche spricht, fand in einer ‚Web 2.0-Werkstatt’ statt.
Jugendliche konnten im Rahmen dieser Werkstätten erzählen, was sie von den sogenannten
Web 2.0-Angeboten halten, was davon sie selbst nutzen und wie sie es bewerten, eigene
Inhalte gestalten zu können. Sie hatten dabei selbst die Möglichkeit, neue Formen der Arti-
kulation für sich auszuprobieren. Der Junge macht deutlich, was ihm an diesen Angeboten
wie z. B. myspace.com gefällt: Sie bieten die Möglichkeit, verschiedene Medien einzubezie-
hen und vor allem auch selbst aktiv werden zu können.
Angebote des Web 2.0, das auch als „Mitmachnetz“ (Fisch/Gscheidle 2008) bezeichnet wird,
bieten Möglichkeiten an, die über das Rezipieren medialer Inhalte hinausgehen. So steht es
prinzipiell jedem bzw. jeder frei, eigene Inhalte zu gestalten und zu veröffentlichen sowie mit
anderen zu kommunizieren. Inzwischen ist der Begriff des Web 2.0 zum Schlagwort gewor-
den, das eher unscharf verwendet wird und das sehr unterschiedliche Angebote subsumiert.
Kritik wird insbesondere da laut, wo Web 2.0 oftmals mit der Verwirklichung von Teilhabe für
breite Bevölkerungsschichten gleichgesetzt und dabei aber unterschlagen wird, dass der
Begriff eigentlich ein Geschäftsmodell beschreibt. (vgl. u.a. Jenkins 2009).
In der aktuellen Berichterstattung werden nahezu täglich neue Möglichkeiten und vermeint-
liche Trends aufgegriffen. Vieles davon verpufft nach einem ersten ‚Hype’, aber vieles davon
ist auch für Heranwachsende hoch attraktiv, nicht mehr nur für jene, die den Medien mit
Begeisterung und Offenheit gegenüberstehen. Die Ausdifferenzierung der Medienlandschaft
erfordert viel Aufmerksamkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ständig
auf dem Laufenden bleiben müssen, um zu wissen, was die heranwachsende Generation
umtreibt. Dabei ist die Perspektive der Heranwachsenden selbst zentral, um die Bedeutung
ihres Medienhandelns für ihre Lebensvollzüge abschätzen zu können. Ein wesentlicher
Schritt ist aber auch die detaillierte Betrachtung der Inhalte und der medialen Strukturen, mit
denen die Heranwachsenden in ihrem Medienumgang zu tun haben. Diese erste Teilstudie
konzentrierte sich auf solche Strukturen und Rahmenbedingungen, von denen begründet
davon auszugehen ist, dass sie für Jugendliche und ihr Medienhandeln von Relevanz sind:
Sie stellt jugendnahe Internetplattformen und exemplarisch ausgewählte Selbstdarstellungen
Jugendlicher im Internet in den Mittelpunkt der Betrachtung.
1.1 Gegenstand der Untersuchung: Das Internet als Rezeptions- und Präsentations-
plattform Jugendlicher
Geht man der Frage nach, was Jugendliche im und mit dem Web 2.0 machen, so zeigen
empirische Befunde, dass es vor allem Social Network Sites wie z. B. schuelervz.net sind,
die von Heranwachsenden genutzt werden (vgl. z. B. Fisch/Gscheidle 2008, Schmidt u.a.
2009). So nutzen mehr als die Hälfte der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren inzwi-
schen zumindest einmal wöchentlich Online-Communitys (vgl. JIM-Studie 2008). Wieder
einmal sind vor allem die Erwachsenen ratlos, was die Jugendlichen umtreibt, sich in der-
2
artige mediale Räume zu begeben, z. B. um zu chatten, eigene Videos oder Bilder zu prä-
sentieren oder auch ‚nur’ um Freunde zu treffen. Übereinstimmend kommen verschiedene
Studien zu dem Schluss, dass die Pflege des bestehenden Freundes- und Bekanntenkreises
eines der wichtigsten Motive zur Nutzung dieser Art von Angeboten ist (vgl. für Deutschland
JIM 2008, Schorb u.a. 2008 und für die Gruppe der Hauptschülerinnen und Hauptschüler
Wagner 2008). Neben Social Network Sites machen Videoplattformen einen weiteren wichti-
gen Teil in der Internetnutzung Heranwachsender aus, youtube.com ist hier mit Abstand der
Spitzenreiter. Diese Plattform wird von vielen Heranwachsenden als Rezeptionsfläche
genutzt, d.h. sich Videos anzusehen, die von anderen eingestellt worden sind, ist eine zen-
trale Tätigkeit für Jugendliche. Die Tatsache, dass auf solchen Plattformen auch Inhalte von
Fernsehsendern platziert werden – oder Nutzende Sendungsausschnitte oder auch ganze
Sendungen einstellen –, verweist darauf, dass sich alternative Zugänge zu den Angeboten
der traditionellen Massenmedien etablieren, sei es durch ein alternatives Ausgabemedium
oder durch zeitunabhängige Nutzung. Die Rezeption von Inhalten bleibt weiterhin ein
wichtiger Bestandteil in der Medienaneignung von Heranwachsenden, ihre Formen sind al-
lerdings Veränderungen unterworfen. Selbst aktiv Videos einzustellen ist ebenfalls attraktiv,
allerdings für einen wesentlich kleineren Teil der Heranwachsenden (vgl. JIM 2008, Schorb
u.a. 2009).
Geht man zunächst der Frage nach, welche Art von Angeboten aufzufinden sind, wird deut-
lich, dass es Inhalte sind, die teils massenmedialer Provenienz, teils auch privaten
Ursprungs sind oder der Individualkommunikation zuzurechnen sind. Dargeboten sind diese
Inhalte z. B. auf Video- und Foto-Plattformen und Blogs. Daneben finden sich Angebote,
deren Inhalt sich für Außenstehende nicht leicht einordnen lässt. Insbesondere in den Social
Network Sites stellen die Nutzenden selber Inhalte unterschiedlicher Herkunft ein. Dies ist
eingebettet in das Motiv, Anerkennung und Zugehörigkeit zu erfahren. Der Aspekt des ‚Sich-
in-Beziehung-setzens’ steht dabei im Vordergrund. Heranwachsende können in Austausch
mit anderen treten, sie können Bewertungen und Kommentare abgeben aber auch Feedback
für ihre eigenen Werke einfordern. In dieser Beziehungsarbeit erfahren die Jugendlichen
Unterstützung und soziale Einbettung (vgl. z. B. Tillmann 2008, Boyd 2008, Stern 2008). Sie
haben gleichzeitig die Möglichkeit, sich von anderen, in dem Fall den Erwachsenen,
abzugrenzen und erleben sich als autonom (vgl. z. B. Herring 2008).
Die bisherigen JFF-Konvergenzstudien sowie Untersuchungen, die sich speziell mit dem
Internetumgang von Heranwachsenden befassen (z. B. Reichmayr 2005, Tillmann 2006 und
2008 Tillmann/Vollbrecht 2006), verweisen insbesondere in zwei Dimensionen auf Erwei-
terungen: Im interaktiv-kommunikativen und im produktiv-selbstpräsentativen Medienhan-
deln, also in den Bereichen, in denen das Internet Austausch und gemeinsame Aktion
ermöglicht, und in den Bereichen, in denen es die Veröffentlichung eigener Sichtweisen,
Fähigkeiten und Werke oder öffentliche Selbstinszenierung erlaubt. Organisiert und struktu-
riert werden diese Formen des Medienhandelns zum größeren Teil direkt über die so-
genannten Web 2.0-Angebote:
• Erstens über Social Network Sites und Communitys, die kommunikative Aktivitäten
anbieten (z. B. Chatforen für Mitglieder, Instant Messenger, Mailsysteme, Notizfunk-
tionen usw.) und innerhalb dieser Selbstpräsentationen fordern bzw. ermöglichen,
• Zweitens über Video- und Fotoplattformen sowie Blogs, bei denen die Produktion und
Veröffentlichung eigener Werke und deren Diskussion im Mittelpunkt steht.
3
Das Mitmachnetz bietet mit unterschiedlichen medialen Schwerpunkten neue Handlungs-
räume, in denen Heranwachsende sich treffen können und sie bieten kommunikative Struk-
turen zur Gestaltung des Beziehungsnetzwerks Heranwachsender. Diese Angebote erlauben
es, und darin liegt ihre neue Qualität, medial vermittelt mit anderen zu interagieren und sich
selbst zu präsentieren. Neben ihrer Funktion als Rezeptionsfläche für mediale Inhalte sind es
vor allem die Bereiche der Interaktion und der Produktion eigener Werke, die aus medienpä-
dagogischer Perspektive als höchst relevant einzuschätzen sind, z. B. wenn es darum geht,
sich in diesen medialen Räumen mit bestimmten Persönlichkeitsfacetten zu präsentieren.
(vgl. Brüggen, Wagner 2008) Diese neue Qualität eingehender zu bestimmen ist das Anlie-
gen der vorliegenden ersten Teilstudie. Sie arbeitet Strukturen und Charakteristika jugend-
naher Plattformen heraus, differenziert die Möglichkeiten für Jugendliche sich selbst darzu-
stellen und bestimmt Facetten, in welcher Weise Jugendliche diesen Rahmen füllen.
1.2 Fragestellungen der ersten Teilstudie
Jugendliche artikulieren sich auf vielfältige Art und Weise in den beschriebenen medialen
Strukturen, ob über eigene Produkte wie Videos oder Fotos oder über Profilbeschreibungen
auf Social Network Sites: Sie können darüber Themen platzieren, Standpunkte und Meinun-
gen vertreten sowie die eigene Person und das eigene Erleben thematisieren und mit ande-
ren darüber in Austausch treten. In dieser Betrachtung rückt der Prozess der Artikulation in
den Vordergrund, bei dem mit dem medialen Ausdruck stets auch Deutungsmuster und
Erfahrungen eingebracht werden, die im Diskurs weiterentwickelt werden.1 Artikulationen die-
nen dem Ausdruck des eigenen Erlebens, haben aber immer auch eine intersubjektive
Dimension und zielen auf Feedback von bzw. Kommunikation mit anderen. (vgl. Arnold
2005) Damit ist der Startpunkt für einen Diskurs gesetzt, der auf diesen Plattformen nicht
mehr nur auf privater Ebene geführt wird, sondern zumindest in Teilen öffentlich zugänglich
wird. Zu diskutieren ist dabei, wie sich private und öffentliche Sphären verändern und in
welcher Form Individualkommunikation und massenmediale Bezüge miteinander verwoben
sind.2
Die Darstellung der eigenen Person in den verschiedenen Facetten wird ein wichtiges
Merkmal für das Medienhandeln in diesen Räumen, um die Aufmerksamkeit der anderen zu
bekommen und um sich z. B. bestimmten Gruppen zuzuordnen. Die Selbstdarstellungen
haben dabei unterschiedliche Reichweiten und Schwerpunkte. Zu fragen ist danach, wie das
Selbst mit persönlichen Merkmalen und Eigenschaften sein soziales Umfeld thematisiert und
wie die eigenen Interessen und Fähigkeiten ‚in Szene gesetzt werden’.
Die Analyse von exemplarischen jugendnahen Internetangeboten und ausgewählten Selbst-
darstellungen konzentrierte sich auf zwei zentrale Forschungsfragen:
a) Welchen Rahmen setzen jugendnahe Internetplattformen für das Medienhandeln
von Heranwachsenden?
In der Diskussion zum Umgang Jugendlicher mit Konvergenz-Phänomenen reicht es nicht
mehr aus, Fragen danach zu stellen, wie Heranwachsende ihre bevorzugten Inhalte über
1 Vgl. dazu ausführlich Marotzki (2008), der sich dabei auf Jung (2005) bezieht.
2 Zur Verbindung von Individualkommunikation und Massenkommunikation in Social-Web-Angeboten vgl.
Schmidt u.a. 2009.
4
verschiedene Medien hinweg und auch im Internet weiterverfolgen. Mediale Inhalte werden
zunehmend entkoppelt von ihrem Ursprungsrahmen präsentiert, dies gilt im Besonderen für
massenmediale Inhalte. Die Plattformen stellen Strukturen zur Verfügung, die es möglich
machen, eigene Werke und massenmediale Inhalte in die unterschiedlichsten Kontexte zu
stellen, miteinander zu verquicken und auch zu rezipieren. Damit setzen sie bestimmte
Rahmenbedingungen, die folgende Fragen nach sich ziehen:
• Welche Aktivitäten und thematische Schwerpunkte ermöglichen diese Plattformen?
• Inwiefern werden sie zu Foren für den interpersonalen Austausch und für den Austausch
über massenmediale Inhalte?
• Welche Werkzeuge bieten sie zur Bearbeitung, Verbreitung und Veröffentlichung
massenmedialer und ‚privater’ Inhalte?
• Welche Möglichkeiten bieten sie zur Selbstdarstellung?
• Welche Problemlagen werden dabei offenkundig?
b) Welche konkreten Artikulations- und Gestaltungsformen finden sich in
ausgewählten Selbstdarstellungen von Jugendlichen?
Die Internetplattformen bieten neue Bühnen für die Selbstdarstellungen Jugendlicher. Im
Hinblick auf die konkreten Ausformungen dieser Selbstdarstellungen, sind Fragen danach zu
stellen, wie sie Facetten ihres Selbst präsentieren und welche Aushandlungsprozesse sie
dabei eingehen:
• Welche Themen, Interessen und Fähigkeiten präsentieren die Jugendlichen in ihren
Selbstdarstellungen?
• Welche Hinweise auf Motivlagen zur Auseinandersetzung mit der eigenen Person, mit
Themen und im Hinblick auf ihre Lebensführung sind in diesen Selbstdarstellungen zu
erkennen?
• Inwiefern setzen sich Jugendliche in ihren Selbstdarstellungen zu anderen in Bezie-
hung?
• In welchen Formen wenden sie sich an welche Publika und wie positionieren sie sich in
ihrem sozialen und kulturellen Umfeld?
Die Antworten auf diese Fragen, ermöglichen es, die Potenziale sowie die Problemfelder zu
bestimmen, die in diesem neuen Handlungsrahmen für Identitätsarbeit, Vernetzungs-, Veröf-
fentlichungs- und Partizipationsmöglichkeiten liegen. Sie erweisen sich als relevant für
Pädagogik, Aufsicht und Betreiber, denen die besondere Verantwortung zukommt, zum
Schutz vor Problemlagen und Risiken beizutragen.
5
1.3 Das Vorhaben im Überblick
Im ersten Teil dieser fünften Konvergenzstudie3 wurden der Handlungsrahmen sowie
exemplarische Manifestationen jugendlichen Medienhandelns auf Internetplattformen unter-
sucht.
Für die Beantwortung der Fragen wurde zunächst das Spektrum der Plattformen gesichtet
und Schritt für Schritt vertiefend analysiert. Detailliert analysiert wurden 17 stellvertretende
Plattformen. Von fünf Plattformen wurden nachfolgend 26 exemplarische Selbstdarstellun-
gen von Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren einer eingehenden Analyse unterzogen.
Im Verlauf der Analysen wurde die Dynamik der Medienentwicklung deutlich: Zum einen gin-
gen die technischen Entwicklungen sehr rasch voran, was sich z. B. darin äußert, dass die
Betreiber der Plattformen ihre Angebote beständig erweitern und diese mit neuen Funktionen
versehen. Zum anderen stehen gerade die Betreiber von Social Network Sites im Zentrum
medialer Aufmerksamkeit, wenn es z. B. um den Schutz von persönlichen Informationen, das
Auffinden problematischer Inhalte in teilöffentlichen Strukturen und die Weitergabe von
Informationen ihrer Nutzenden an Dritte geht. Bei auffälligen und relevanten Diskrepanzen
zwischen dem Stand der Erhebung, die zwischen Februar und September 2008 durchgeführt
wurden, und dem Zeitpunkt der Berichtlegung, wird auf zwischenzeitliche Veränderung auf
den Plattformen hingewiesen.4
Parallel zu den Analyseschritten wurden praktische Experimentierfelder, die sogenannten
Web 2.0-Werkstätten, für Jugendliche aus sozial schwächeren und bildungsbenachteiligten
Milieus eingerichtet. In den pädagogisch betreuten und kontinuierlich wissenschaftlich
begleiteten Werkstätten sollten die Jugendlichen angeregt werden, sich kritisch-reflexiv und
gestalterisch-produktiv mit den Möglichkeiten des Web 2.0 auseinanderzusetzen. Im Kon-
zept der Web 2.0-Werkstätten geht es darum, erstens die Palette von Optionen, die das
Web 2.0 bietet, mit den Jugendlichen gemeinsam aufzufächern und zu bewerten, und zwei-
tens den Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, ihre eigenen Ideen gestalterisch mit dem
Web 2.0 umzusetzen und sich so neue Bereiche für das eigene Medienhandeln zu erschlie-
ßen. Die Verzahnung der Analyseergebnisse mit den Ergebnissen aus der prozessbe-
gleitenden Evaluation der Web 2.0-Werkstätten bietet die Möglichkeit, Impulse für die
Weiterentwicklung von medienpädagogischen Modellen zu erarbeiten5 und Präzisierungen
für weiterführende Forschungsprozesse und Hinweise auf die Motive der Jugendlichen zu
erhalten.
Die vorliegende Teilstudie hatte explorierenden Charakter und bietet einen differenzierten
Einblick in:
• die Grundcharakteristika jugendnaher Plattformen und den Möglichkeiten für Jugendliche
sich selbst darzustellen,
3 Im Jahr 2001 wurde der Forschungsschwerpunkt zu Medienkonvergenz begonnen und in Kooperation mit der
Professur für Medienpädagogik und Weiterbildung an der Universität Leipzig (www.medienkonvergenz-
monitoring.de) sukzessive aufgebaut.
4 Eine solche Veränderung ist z. B. die zwischenzeitlich von Anbietern eingegangene Verpflichtung, die Profile
von Unter-14-Jährigen auf größtmögliche Privatheit zu stellen und die Profile von Unter-16-Jährigen aus den
Suchmaschinen zu nehmen.
5 Der vorliegende Bericht stellt die empirischen Ergebnisse aus der Forschungsperspektive in den Mittelpunkt.
Eine Veröffentlichung, in der die Implikationen für die pädagogische Praxis reflektiert werden, ist in Vorbereitung.
6
• die thematischen Schwerpunkte in den Selbstdarstellungen und die konkreten Artikula-
tionsformen,
• die Relevanz dieser Handlungsräume für Identitätsarbeit, Vernetzung und Partizipation,
• neue Problemlagen und Risiken.
Die Ergebnisse legen die Basis für die qualitative Weiterführung der Studie, die Heranwach-
sende ab 11 Jahren untersucht. Ziel ist dabei, vertiefende Einblicke in das Medienhandeln
von Jugendlichen auf jugendnahen Internetplattformen zu erhalten. Dabei gilt es vor allem,
die Begründungen und Motive der Heranwachsenden herauszuarbeiten und zwar in Bezug
auf rezeptive Tätigkeiten (massenmediale Inhalte und User Generated Content), auf kom-
munikative und produktive Tätigkeiten sowie in Bezug auf die Veröffentlichung eigener
Werke.
7
2 Methodische Umsetzung
Diese erste Phase der Studie war explorativ ausgerichtet, um Fragestellungen und inhaltli-
che Schwerpunkte für die geplante qualitative Untersuchung, mit der die Perspektive von
jugendlichen Nutzerinnen und Nutzern ins Zentrum gerückt wird, zu präzisieren. Es ging zum
einen darum, das Feld aktueller, jugendnaher Internetplattformen zu sondieren und es zum
anderen in ausgewählten Bereichen einer detaillierten Untersuchung zugänglich zu machen,
wofür exemplarische Plattformen und dort platzierte Selbstdarstellungen einer vertiefenden
Analyse unterzogen wurden. Der Startpunkt der Analyse war von der Grundannahme der
Studie bestimmt, dass das Medienhandeln von Heranwachsenden im sogenannten Web 2.0
in der interaktiv-kommunikativen Dimension und der produktiv-gestalterischen Dimension
Ausweitungen und neue Akzentuierungen erfährt. Es lässt sich eine Vielzahl an Plattformen
identifizieren, die Betätigungsmöglichkeiten in diesen Dimensionen des Medienhandelns
bieten und bei denen es Indizien dafür gibt, dass sie von Jugendlichen wahrgenommen und
geschätzt werden. Diese wurden im ersten Abschnitt der Untersuchung differenziert
betrachtet.
Für die Analyse der Plattformen wurde ein dreistufiges Verfahren gewählt, das nach jedem
Schritt Zäsuren setzt und schrittweise vertiefende Beschreibungen ermöglicht (Kapitel 2.1).
Der zweite Abschnitt dieser Untersuchung umfasste die Analyse ausgewählter
Selbstdarstellungen von Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren (Kapitel 2.2) im Hinblick
auf thematische Schwerpunkte, Artikulations- und Gestaltungsformen sowie Beziehungs-
und Vernetzungsmöglichkeiten.
Parallel zur Analyse wurden Web 2.0-Werkstätten durchgeführt und wissenschaftlich
begleitet, die exemplarische Einblicke in das Medienhandeln Jugendlicher ermöglichten. In
diesen wurden Jugendlichen aus sozial und bildungsmäßig schwächeren Milieus
pädagogisch betreute Experimentierfelder geboten, in denen mit den Jugendlichen
gemeinsam die Palette von Optionen, die Web 2.0-Plattformen bieten, erkundet und
bewertet wurde und den Jugendlichen ermöglicht wurde, ihre eigenen Ideen gestalterisch im
Web 2.0 um zu setzen (Kapitel 2.3).
2.1 Analyse jugendnaher Plattformen
Ziel dieses Analyseschrittes war es, jugendnahe Internetplattformen zu charakterisieren und
medienpädagogisch einzuschätzen, die Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich selbst
darzustellen, mit anderen in Beziehung zu treten oder ihre eigenen Werke zu veröffentlichen.
Für die Analyse und auch für die Darstellung der Ergebnisse wurde der Begriff der
Plattformen gewählt. Er wird als Arbeitsbegriff für die Vielfalt an Angeboten verwendet, die
auch unter dem Schlagwort Web 2.0 subsumiert werden.
Ausgewählt wurden kommerzielle und pädagogische Angebote,
• die durch ihre Struktur explizit eine kommunikative und/oder produktive mediale Präsen-
tation des Selbst anregen, und zwar hinsichtlich thematischer Kontexte oder persönlich-
keitsbezogener Darstellung,
• die Kontaktaufnahme mit anderen ermöglichen,
8
• die Feedbackmöglichkeiten anbieten, die über die bloße Registrierung als Nutzende
hinausgehen,
• die keinen eigenen Webspace auf Seiten der Nutzerinnen und Nutzer erfordern,
• die einen eigenständigen, deutschsprachigen Webauftritt haben.
Für die Analyse erschien ein prozesshaftes Vorgehen angemessen, da empirische wie
theoretische Befunde im Detail noch nicht hinreichend vorhanden sind und zudem keine
endliche Grundgesamtheit zu bestimmen ist. Die Zusammensetzung der Stichprobe
orientierte sich am methodischen Vorgehen des theoretischen Sampling (Glaser/Strauss
1967, zit. nach Flick, 1995).
Die nachstehende Abbildung veranschaulicht das Vorgehen der Plattformanalyse, deren
Stufen im Folgenden kurz skizziert werden (vgl. Abb. 2.1-1).
Abbildung 2.1-1: Stufen der Plattform-Analyse
Die Plattformanalyse wurde im Schwerpunkt im Zeitraum Februar bis September 2008
durchgeführt. Im weiteren Projektverlauf und insbesondere im Zuge der Analyse der Selbst-
darstellungen wurden jedoch noch weitere relevante jugendnahe Plattformen identifiziert, die
nachträglich gesichtet und teils auch mit dem Instrumentarium der Kurzanalyse charak-
terisiert wurden.
2.1.1 Plattformsichtung und Auswahl für die weitere Analyse (1. Stufe)
Insgesamt wurden 97 Plattformen gesichtet, die auf ihre Jugendnähe geprüft wurden. Die
Indikatoren für Jugendnähe speisten sich aus folgenden Bereichen:
• Aktuelle empirische Befunde aus Nutzungsuntersuchungen sowie Nutzungsdaten von
Betreibern
9
• Explizite Nennung der Zielgruppe Jugendliche und junge Erwachsene (z. B. in den
Beschreibungen der Plattform oder in den Zielsetzungen formuliert)
• Indizien, die aus dem Angebot plausibel ableitbar sind (z. B. die Art der Ansprache der
Nutzenden und der „erste Eindruck“ zu Anmutung und Design)
• Suchoptionen, die jugendliche Nutzerinnen und Nutzer einschließen (Eingrenzungsmög-
lichkeit auf die entsprechende Altersgruppe etc.)
Im Verlauf dieser Sichtung wurden die Angebote in ihrer Grundstruktur bestimmt. Dabei
wurden strukturähnliche Angebote zusammengeführt und verglichen. Beinhalteten die
Angebote keine wesentlichen Elemente, die über die in den bereits einbezogenen Plattfor-
men vorhandenen Elemente hinauswiesen, wurden sie in die weitere Analyse nicht einbe-
zogen. Bedeutsam war hier insbesondere die medienpädagogische Relevanz der Elemente.
2.1.2 Kurzanalyse zur Charakterisierung der jugendnahen Plattformen (2. Stufe)
Aus den gesichteten Angeboten wurden auf diese Weise 46 Plattformen für die Kurzanalyse
ausgewählt. Zentrale Bereiche der Kurzanalyse waren:
• die von den Betreibern formulierte Zwecksetzung,
• formale Struktur und Rahmenbedingungen für die Nutzenden (z. B. die Strukturierung
des Anmeldesystems),
• die Erfassung des Tätigkeits- und Angebotsspektrums, das diese Plattformen bereit-
stellen (kommunikative, gestalterisch-produktive, spielerische, informationsorientierte,
rezeptive und organisatorische Tätigkeiten).
Auf Basis der Kurzanalysen wurden insgesamt vier Bündel an einander ähnelnden jugend-
nahen Plattformen herausgearbeitet. Aus diesen vier Bündeln (vgl. Kapitel 3.1.1) wurden 17
Plattformen als exemplarische Vertreterinnen für die vertiefende Analyse ausgewählt.
2.1.3 Vertiefende Analyse exemplarischer Vertreterinnen (3. Stufe)
In dieser letzten Stufe der Plattformanalyse wurden die 17 ausgewählten Plattformen im
Detail beschrieben. Diese Analyse umfasste:
• die Zugangswege zur Plattform und die Vernetzungsstrukturen mit anderen Angeboten,
• den Umgang mit gesetzlichen Regelungen und freiwilligen Übereinkommen,
• die thematische Struktur,
• die Kommunikationswege zwischen Nutzenden und Betreibenden,
• die verschiedenen Formen an Unterstützung und Hilfestellungen, die für den Umgang
mit der Plattform und den Umgang mit Internet-Anwendungen gegeben werden,
• die Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Nutzenden,
• die gestalterisch-produktiven Dimensionen des Angebots.
Ziel dieser Stufe der Analyse war es, die Hauptcharakteristika der vier Bündel im Hinblick auf
die kommunikative Strukturierung und die Schwerpunkte im Tätigkeitsspektrum heraus-
10
zuarbeiten sowie zu einer Einschätzung der Möglichkeiten für die Selbstdarstellung von
Jugendlichen zu gewinnen.
Abschließend wurden die in der Stufe 2 und Stufe 3 analysierten Plattformen zusammen-
führend ausgewertet, um Problembereiche und Risiken zu identifizieren, die aus den
Angebotsstrukturen entstehen (vgl. Kapitel 3.5.1).
2.2 Analyse ausgewählter Selbstdarstellungen von Jugendlichen
Ziel der Analyse der Selbstdarstellungen war es, einen Überblick über die Umgangsweisen
von Jugendlichen mit ausgewählten Plattformen zu gewinnen und insbesondere
Anhaltspunkte für die Bedeutung der Selbstdarstellungen für die Identitätsarbeit sowie die
kulturelle und gesellschaftliche Partizipation zu erhalten. Ferner sollten Hinweise auf den
Umgang mit Problemen und Risiken herausgearbeitet werden, die mit der Nutzung der
Plattformen verbunden sind.
Zur Analyse ausgewählt wurden insgesamt 26 Selbstdarstellungen. Analyseeinheit war
jeweils eine Selbstdarstellung, d.h. ein Profil einer Nutzerin/ eines Nutzers inklusive aller
damit verbundenen Seiten und Werke der Nutzerin/ des Nutzers sowie die unmittelbar dort
platzierten Kommentare von anderen auf die Werke oder zum Profil. Damit wurden die
„öffentlich“1 zugänglichen (bspw. keine persönliche Nachrichten per E-Mail oder Instant
Messenger) und zeitunabhängigen Elemente (bspw. keine Chats) einer Selbstdarstellung in
die Analyse einbezogen.
Bei der Konzeption des Vorgehens und der Entwicklung der Analyseinstrumente war zu
beachten, dass
• die Formen der Selbstdarstellung entsprechend der Angebotsstruktur der Plattformen
eine große Variationsbreite zeigen. Dies impliziert zum einen große Unterschiede im
Analyseaufwand. Zum anderen mussten bei der Konzeption der Analyse und Inter-
pretation der Ergebnisse auch die jeweils unterschiedlichen Bedingungen der Plattfor-
men berücksichtigt werden.
• die Selbstdarstellungen kontinuierlich verändert werden können und keine in sich
abgeschlossenen Analyseeinheiten darstellen.2
2.2.1 Auswahl der Plattformen für die Analyse der Selbstpräsentationen
Mit dem Ziel, ein Spektrum an Selbstdarstellungen über unterschiedliche Plattformen hinweg
zu erfassen, wurden aus den Ergebnisbündeln der Plattformanalyse exemplarische
Vertreterinnen ausgewählt, die sich in den Artikulationsmöglichkeiten und den Möglichkeiten
zur Gestaltung des Erscheinungsbildes der Selbstdarstellung unterscheiden. Der Fokus der
1 Je nach Plattform und den vorgenommenen Einstellungen der Zugriffskontrolle sind die Selbstdarstellungen für
alle Internetnutzerinnen und -nutzer, nur für registrierte Nutzende oder nur für bestätigte Freundinnen und
Freunde zugänglich. In die Analyse wurden nur Selbstdarstellungen einbezogen, deren Zugriff nicht auf bestätigte
Freundschaften beschränkt ist.
2 Für die Dokumentation der Selbstdarstellungen zum Zeitpunkt der Analyse wurden Screenshots von relevanten
Seiten erstellt und relevante Video- und Audiodateien heruntergeladen. Zudem wurde zum Abschluss der
Analyse ein mit eingesprochenen Audiokommentaren versehenes Screenvideo der Selbstdarstellung angefertigt.
Hier wurden die wesentlichen Aspekte der Selbstdarstellung und ihrer Vernetzung nochmals im Zusammenhang
nachvollziehbar dokumentiert.
11
Analyse wurde auf Selbstdarstellungen von Jugendlichen auf kommunikativ und produktiv
orientierten Plattformen gelegt (vgl. 3.1.1).3 Die Plattformen in den jeweiligen Bündeln
wurden zunächst in Hinblick auf die Artikulations- und Gestaltungsmöglichkeiten gruppiert
und aus diesen Gruppen Stellvertreterinnen ausgewählt (vgl. Tabelle 3.1-II in Kapitel 3.1.4 -
die ausgewählten Stellvertreterinnen sind dort jeweils durch fette Formatierung
hervorgehoben).
2.2.2 Auswahl der Selbstdarstellungen
Angestrebt war eine Stichprobe von mindestens fünf Selbstdarstellungen pro Plattform, die
weitere Quotierungskriterien erfüllten sollte.
Auswahlkriterien
Um zu untersuchen, wie die unterschiedlichen Möglichkeiten auf den Plattformen für die
Selbstpräsentation genutzt werden, wurde zunächst darauf geachtet, das thematische
Spektrum nicht zu beschneiden. Dieses Ziel sollte durch eine Sichtung des Themenspek-
trums auf den ausgewählten Plattformen sichergestellt werden. Auf theoretisch und em-
pirisch abgeleiteten Vorannahmen4 basierend wurden zunächst Kategorien möglicher The-
men festgelegt. Diese Kategorien wurden im Rahmen einer Grobanalyse von jeweils sechs
willkürlich aus den fünf Plattformen herausgegriffenen Profilen am Material ergänzt. Die
Kategorien wurden in drei Bereiche gebündelt: „Ich als Person“, „Ich und mein
soziokulturelles Umfeld“ sowie „Ich in der Gesellschaft“. (Vgl. Tabelle 2.2-I)
Ich und mein Körper
Ich und mein Leben, mein Alltag, meine Lebensgeschichte
Ich und meine Talente
Ich als Person
Ich und meine Interessen
Ich und meine Herkunft
Ich als soziales Wesen
Ich und mein soziokulturelles
Umfeld
Ich als Teil der Community/ Netzwelt
Ich und meine Meinung/ Einstellungen
Ich in der Gesellschaft
Ich als Konsumentin bzw. Konsument
Tabelle 2.2-I: Raster möglicher Themenbereiche in den Selbstdarstellungen
3 Dabei wurde die Untergruppe der auf interpersonalen Austausch ausgerichteten Plattformen nicht
berücksichtigt, da bei diesen Angeboten nur in sehr begrenztem Maße persistente (also
zeitunabhängige) und „öffentlich“ zugängliche Formen der Selbstdarstellung realisiert werden können.
Das Bündel der pädagogisch ausgerichteten Angebote wurde wegen der abweichenden
Schwerpunktsetzung ebenfalls nicht in der Analyse berücksichtigt.
4 Grundlage hierfür waren u.a. die Vorarbeiten des JFF. (Vgl. Wagner 2008; Lauber et al. 2007;
Wagner & Theunert 2006)
12
Ziel war eine quotierte Stichprobe, die drei thematische Bereiche abdeckt: Mindestens zehn
Selbstdarstellungen sollten Beiträge zu ‚Ich als Person’, mindestens zehn zu ’Ich als soziales
Wesen’ und mindestens fünf zu ’Ich in der Gesellschaft’ enthalten. Mehrfachzuordnungen
einer Selbstdarstellung zu mehreren Dimensionen waren zugelassen.
Das Abdecken des thematischen Spektrums wurde mit einer systematischen Auswahl nach
Geschlecht verschränkt. Insgesamt sollten mindestens je zwölf Selbstdarstellungen von
Jungen und Mädchen berücksichtigt werden. Eine systematische Verteilung der Alters-
gruppen (14-16 Jahre; 17-20 Jahre) auf Plattformen und Themen wurde nicht angestrebt.5
Vorgehen bei der Auswahl
Die Stichprobe wurde in einem mehrstufigen Prozess der Suche und des Abgleichs mit den
Quotierungsvorgaben zusammengestellt:
• Recherche: Auf den Plattformen wurde mit den dort jeweils zur Verfügung stehenden Möglich-
keiten (Nutzung von Suchfunktionen, Durchkämmen von Nutzerlisten, Gruppen, Verweise auf
aktuelle Beiträge,...) nach aktuellen Selbstdarstellungen in den relevanten Altersgruppen gesucht.
• Anfrage: Insgesamt wurden 137 Jugendliche auf den fünf Plattformen mit einer Nachricht über die
plattformeigenen Kommunikationssysteme über unser Forschungsvorhaben informiert und
gefragt, ob sie einverstanden sind, dass ihre Selbstdarstellung in die Studie einbezogen wird. Im
Zuge der Rückmeldung wurden die Jugendlichen gebeten, ihr tatsächliches Alter mitzuteilen.
• Grobanalyse: Jene 39 Selbstdarstellungen, zu denen uns in der verfügbaren Frist eine Einver-
ständniserklärung vorlag, wurden in eine erste Grobanalyse einbezogen. Diese zielte darauf, die
thematischen Schwerpunktsetzungen in den Selbstdarstellungen zu erfassen und die angestrebte
Quotierung der Stichprobe aufzufüllen.
Insgesamt wurden 26 Selbstdarstellungen auf den ausgewählten Plattformen analysiert. Die
Verteilung auf die Altersstufen geht aus Tabelle 2.2-II hervor.
Alter youtube.com bloggospace.de flickr.com myspace.com lokalisten.de
14 – 16 Y1 w, 14
Y2 w, 14
Y3 m, 16
B1 w, 15 F1 w, 15 L1 m, 14
L2 w, 15
L3 m, 16
17 – 20 Y4 w, 18
Y5 w, 17
Y6 m, 18
B2 w, 17
B3 w, 19
B4 m, 20
B5 m, 20
F2 m, 17
F3 m, 17
F4 w, 18
F5 w, 19
M1 w, 17
M2 m, 17
M3 m, 17
M4 w, 18
M5 m, 18
L4 w, 17
L5 m, 18
Tabelle 2.2-II: Zusammensetzung der Stichprobe nach Geschlecht (m, w), Alter und Plattform
5 Im Rahmen des Jugendschutzes schränken einige Plattformen den öffentlichen Zugriff auf Profile von unter 16-
Jährigen ein. In der Analyse konnten diese daher bei myspace.com nicht berücksichtigt werden.
13
2.2.3 Durchführung und Auswertung der Analysen
Bei der Entwicklung des Analyserasters wurden neben relevanter Literatur insbesondere die
Ergebnisse der Plattformanalyse und die in den begleitenden Web 2.0-Werkstätten identifi-
zierten Fragestellungen berücksichtigt.
Das Analyseraster umfasste folgende sieben Bereiche:
• Grunddaten zur Selbstdarstellung und Daten zur Person
• Genutzte Artikulationsformen, Gestaltungsoptionen und optionale Profilangaben im
Verhältnis zum von der Plattform vorgegebenen Rahmen6
• Themen und Inhalte
• Mediale Artikulationsformen (Eigen-/ Fremdproduziertes, Spektrum, Bearbeitungsgrad)
• Preisgabe persönlicher Informationen
• Anvisierte Zielgruppen
• Kommunikative Strukturierung (Kommunikationskanäle, -stile, Vernetzungsoptionen)
Die Analysen wurden im Zeitraum Dezember 2008 bis Februar 2009 von mehreren geschul-
ten Kräften durchgeführt. Um die Reliabilität zu erhöhen wurde jede Analyse durch eine
zweite Kraft unabhängig kontrolliert.
Die Auswertung der Analysen erfolgte in drei Schritten:7
• Zusammenfassende Einschätzung zu jedem Analysebereich mit besonderem Fokus auf
Potenziale wie auch mögliche Risiken und Probleme8
• Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Kontrasten zwischen den verschiedenen
Selbstdarstellungen
• Zusammenführende Auswertung mit Blick auf die Relevanz der Selbstdarstellung für die
Identitätsarbeit der Autorin bzw. des Autors und die kulturelle sowie gesellschaftlich-
politische Partizipation
Diese so gefundenen Ergebnisse wurden in der Gesamtauswertung mit den Ergebnissen der
Plattformanalyse (vgl. 2.1) und der Begleitung der Web 2.0-Werkstätten (vgl. 2.3) zusam-
mengeführt.
6 Hierfür wurde jeweils mit einem plattformspezifischen Raster gearbeitet, das auf den Ergebnissen der
Plattformanalyse basierte.
7 Von einer ursprünglich angestrebten Typologisierung wurde zugunsten einer nach Analysebereichen differen-
zierenden Auswertung Abstand genommen. Eine Typologisierung wäre nur auf sehr hohem Abstraktionsniveau
möglich gewesen, das die Differenzen innerhalb der Analysebereiche unverhältnismäßig nivelliert hätte.
8 Zur Steigerung der Validität wurden diese Einschätzungen von zwei geschulten Mitarbeiterinnen oder Mitarbei-
tern unabhängig voneinander geprüft, so dass dieser erste interpretative Schritt durch drei Mitglieder des
Forschungsteams abgesichert wurde.
14
2.3 Exemplarische Einblicke in das Medienhandeln Jugendlicher
Parallel zur Plattformanalyse und der Analyse exemplarischer Selbstdarstellungen wurden
praktische Experimentierfelder für Jugendliche aus sozial schwächeren und bildungs-
benachteiligten Milieus eingerichtet. In den pädagogisch betreuten und kontinuierlich wissen-
schaftlich begleiteten Werkstätten wurden die Jugendlichen angeregt, sich kritisch-reflexiv
und gestalterisch-produktiv mit den Möglichkeiten des Web 2.0 auseinander zu setzen.
In diesem Untersuchungsabschnitt wurden zwei Werkstätten mit je einer festen Gruppe
Jugendlicher durchgeführt und evaluiert.
2.3.1 Ziele der Evaluation der Web 2.0-Werkstätten
Mit der Verknüpfung der Plattform- und Selbstdarstellungsanalysen und der prozessbeglei-
tenden Evaluation der Web 2.0-Werkstätten wurden zwei Ziele verfolgt, bei denen vor allem
Jugendliche aus sozial schwächeren Milieus und aus bildungsbenachteiligten Verhältnissen
im Fokus standen.
Erstens sollten Impulse für die Weiterentwicklung von medienpädagogischen Modellen
gewonnen werden,
• mit denen diese Jugendlichen motivational, inhaltlich und methodisch erreicht werden
können (das betrifft z. B. Organisationsformen der Projektarbeit, inhaltliche und mediale
Schwerpunkte),
• die die Fähigkeiten der Jugendlichen im Umgang mit der konvergenten Medienwelt för-
dern, insbesondere in Bezug auf die reflexiven und gestalterisch-produktiven Dimen-
sionen von Medienkompetenz (dabei geht es auch um Fragen, die sich an die
verschiedenen Formen von Selbstdarstellungen im Internet anschließen, z. B. Schutz
der Privatsphäre)
• die die Jugendlichen dazu anregen, sich die Potenziale der Plattformen selbstbestimmt
zu Nutze zu machen.
Zweitens sollten Anregungen für die Konzeption von weiterführenden Forschungs-
prozessen erbracht werden,
• die in ihrer methodischen Anlage dieser Gruppe Jugendlicher angemessen sind,
• die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung auf den Voraussetzungen, Themenbezügen und
Vorlieben für multimediale Medienoptionen dieser Jugendlichen aufsetzen,
• die Forschungsfragen zur konvergenzbezogenen Medienaneignung dieser Gruppe von
Jugendlichen aufwerfen bzw. konkretisieren.
Die Erfahrungen aus den Web 2.0-Werkstätten dienten der Erweiterung der Basis für die
Konzeption der Selbstdarstellungsanalysen, die Interpretation der Analyseergebnisse sowie
die Diskussion der pädagogischen Schlussfolgerungen. Ferner sollten sie Anregungen für
die Konzeption des geplanten Untersuchungsschritts der Befragung der Nutzenden geben.
15
2.3.2 Umsetzung der Evaluation
Während der Laufzeit der Analysen wurden im Jahr 2008 zunächst zwei Web 2.0-
Werkstätten umgesetzt. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, war innerhalb des Vorhabens
eine enge Verzahnung von medienpädagogischer Praxis und prozessbegleitender Eva-
luation notwendig.
Die Web 2.0-Werkstätten wurden im Rahmen der medienpädagogischen Initiative In eigener
Regie der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM) und des JFF durchgeführt, in
dem bereits pädagogische Betreuungsstrukturen für den Bereich Multimedia etabliert sind,
die für die Umsetzung der Werkstätten genutzt werden konnten. So waren ideale Voraus-
setzungen für die enge Verzahnung zwischen pädagogischer Betreuung und wissen-
schaftlicher Begleitung bei der Konzeption und Durchführung der Web 2.0-Werkstätten
gegeben.
In den zwei Werkstätten wurden zeitversetzt zwei unterschiedliche Modelle erprobt: Ein auf
Kontinuität angelegtes Modell mit regelmäßigen Treffen und ein Modell, bei dem die
Projektarbeit geblockt war. Beide Modelle wurden in der prozessbegleitenden Evaluation von
der Themenfindung bis hin zur Reflexion der erstellten Produkte systematisch beobachtet,
dokumentiert und ausgewertet.
In der methodischen Gestaltung der Werkstätten wurde sichergestellt, dass alle Prozesse
wie auch die Ergebnisse für die wissenschaftliche Auswertung dokumentiert wurden.
Die folgenden Methoden kamen zum Einsatz:
• Teilnehmende Beobachtung und ausführliche Gedächtnisprotokolle für jede Projekt-
einheit
• Talk-Box für die Teilnehmenden als Möglichkeit, jederzeit die eigene Meinung zu äußern
• Kurzfragebögen für jede Projekteinheit
• Feedbackrunden zur Rückspiegelung der Eindrücke der teilnehmenden Beobachtung
und diskursiven Absicherung mit den Jugendlichen
• Gruppendiskussionen
• Systematische Auswertungen der einzelnen Projekteinheiten mit dem pädagogischen
Team
Die in beiden Modellen der Web 2.0-Werkstätten dokumentierten Prozesse und Ergebnisse
wurden aus einem medienpädagogischen Blickwinkel ausgewertet.
16
2.3.3 Kurzbeschreibung der realisierten Web 2.0-Werkstätten
Beide Projekte wurden an Münchner Hauptschulen in sozialen Brennpunkten durchgeführt.
Die Teilnehmenden waren zwischen 14 und 17 Jahren alt und der Großteil hat einen
Migrationshintergrund.
Modell 1: Blog-Projekt
In dieser Werkstatt wurde mit einer Blogplattform aus dem Bündel der produktiv orientierten
Angebote gearbeitet.
Eckdaten des Blog-Projekts
- zeitlich versetzte Treffen mit insgesamt fünf Terminen
- geschlechtshomogene Gruppe: nur Jungen
- Teilnehmer aus verschiedenen Klassen und
Klassenstufen
Die Teilnehmenden erstellten in Kleingruppen jeweils einen Blog zu einem selbstgewählten
Interessensgebiet. Für diesen Blog erstellten sie im Projekt verschiedene Medienbeiträge
(Fotos, Audioaufnahmen, Handy-Videos etc.), die in den Blog eingebunden wurden. Zu den
von den Teilnehmern gewählten Themen Musik und Fußball produzierten sie bspw. Beatbox-
Aufnahmen oder Fußballtrick-Videos.
Modell 2: MySpace: IchSpace – WirSpace
Mit myspace.com wurde in dieser Werkstatt mit einer Plattform aus dem Bündel der
kommunikativ orientierten Angebote gearbeitet.
Eckdaten des MySpace-Projekts
- einwöchiges Projekt mit fünf Terminen
- koedukativ: zu gleichen Anteilen Jungen und Mädchen
- alle Teilnehmenden waren aus einer Klasse
Die Teilnehmenden gestalteten sowohl individuelle Selbstdarstellungen als auch eine
gemeinsame Präsenz auf myspace.com. Auch in dieser Werkstatt wurden verschiedene
Medienbeiträge erstellt: Fotos, Handyclips, Audioaufnahmen, Hintergrundgestaltungen.
Zudem wurde auch mit verschiedenen Zusatzangeboten für die Plattform gearbeitet, wie
bspw. myspace-Widgets. In der gemeinsamen Selbstdarstellung wurden die eigene Gruppe
und der Inhalt der Werkstatt thematisiert. So nahmen die Jugendlichen z.B. die
Informationen zum Datenschutz zum Anlass, selbst eine Umfrage zu diesem Thema
durchzuführen und daraus einen Audiobeitrag zu erstellen.
17
3 Ergebnisse
Dieses Kapitel bündelt die vorliegenden Ergebnisse in ihren Schwerpunkten und unterglie-
dert sich in fünf Teile:
In Kapitel 3.1 werden die Ergebnisse der Plattformanalyse vorgestellt. Zunächst werden die
untersuchten Plattformen nach ihren Grundcharakteristika anhand von vier Bündeln vorge-
stellt: ‚Kommunikativ orientierte’, ‚produktiv orientierte’, ‚pädagogisch ausgerichtete’ Platt-
formen sowie ‚Materialbörsen und Werkräume’ werden nach ihren Schwerpunkten in den
Zielsetzungen und Betätigungsmöglichkeiten beschrieben sowie in Hinblick auf ihre Möglich-
keiten zur Selbstpräsentation eingeschätzt (Kap. 3.1.1). Thematisiert werden anschließend
die Organisation der persönlichen Daten und die Kontrolle der Interaktionsformen
(Kap. 3.1.2) sowie die Orientierungen und Hilfestellungen, die von den Plattformen gegeben
werden (Kap. 3.1.3). Zusammenführend werden typische Vertreterinnen aus den Bündeln
beschrieben, die sich in ihren Möglichkeiten zur Artikulation und ihrer Gestaltungsfreiheit
unterscheiden (Kap. 3.1.4).
In Kapitel 3.2 rücken die Selbstdarstellungen der Jugendlichen ins Zentrum. Medienaffine
Interessen stehen in den thematischen Schwerpunktsetzungen der Jugendlichen im Vorder-
grund, die Themenbereiche Alltag und Freundschaften sowie Gefühle, Werte und Lebens-
ziele spielen ebenfalls eine wichtige Rolle (Kap. 3.2.1). Die Formen der Artikulation
(Kap. 3.2.2) machen deutlich, dass sich in den Selbstdarstellungen unterschiedliche
Schwerpunkte ausmachen lassen, wobei jedoch der Modus des ‚Zeigens’ insgesamt sehr
prominent erscheint. Fremdproduziertes wird dabei entweder in die eigenen Werke eingear-
beitet oder aber unverändert in die Selbstdarstellung eingebunden. Die Selbstdarstellungen
sind darüber hinaus auch ein Produkt der Auseinandersetzung mit den Vorgaben und Vorla-
gen der Plattformen und eigenen Vorstellungen. Die Formen der sozialen Bezugnahme, also
die Frage nach den Publika, an die sich die Selbstdarstellung richtet, die Vernetzungsaktivi-
täten und der Umgang mit den veröffentlichten Kommentaren und Dialogen sind Thema von
Kapitel 3.2.3.
Gegenstand von Kapitel 3.3 ist die Identitätsarbeit in den Online-Öffentlichkeiten. Dabei wer-
den die Selbstdarstellungen nach ihren grundlegenden Konstruktionsprinzipien verortet, die
sich anhand der zwei Dimensionen Innen- versus Außenweltorientierung und Personen-
versus Themenzentrierung gruppieren lassen (Kap. 3.3.1). In den Selbstdarstellungen ver-
orten sich die Jugendlichen zum einen in ihrem sozialen Umfeld, zum anderen nehmen sie
Bezug auf die Plattformöffentlichkeit. Sie beziehen sich auf Symbole und Praktiken, mit
denen sie sich kulturell zuordnen, z. B. zu bestimmten jugendkulturellen Szenen. Die Selbst-
darstellungen werden mit Attributen und Produkten ausgestattet, die viele massenmediale
Bezüge aufweisen (Kap. 3.3.2).
Kapitel 3.4 arbeitet heraus, inwiefern sich Jugendliche in ihren Selbstdarstellungen mit ihrem
sozialen Nahraum, kulturellen Räumen und Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausein-
andersetzen und daran teilhaben. Partizipation wird dabei in drei Formen unterschieden:
‚Sich positionieren’, ‚sich einbringen’ und ‚andere aktivieren’. Dabei zeigt sich, dass Online-
Öffentlichkeiten neue Handlungsmöglichkeiten für die Jugendlichen erbringen und sie sich
diese auf unterschiedliche Art und Weise zur Teilhabe nutzbar machen. Die Verankerung
und das Engagement in jugendkulturellen Szenen sowie in spezialisierten Interessengruppen
steht hier deutlich im Vordergrund.
18
Abschließend setzt sich Kapitel 3.5 mit den Problemfeldern und Risiken auseinander. Diese
sind zum einen gerahmt durch die Bedingungen, die die Plattformen durch ihre Strukturen
vorgeben (Kap. 3.5.1). Zum anderen zeigt sich in den Selbstdarstellungen, dass die Prakti-
ken der Jugendlichen selbst ebenfalls Problemlagen zeitigen können (Kap. 3.5.2), insbeson-
dere in Bezug auf den Umgang mit persönlichen Daten. Die Risiken tangieren zudem den
Umgang mit den Rechten Dritter, bei dem die Jugendlichen sich in für sie unklaren Bedin-
gungen zurechtfinden müssen und teilweise auch bewusste Rechtsverletzungen begehen.
3.1 Jugendnahe Internetplattformen: Neuer Rahmen für das Medienhandeln von
Heranwachsenden
„Für mich sind die Lokalisten wichtig, weil ich da meine Freunde treffe und um andere Leute
kennen zu lernen. Bei MySpace bin ich um meine Musik zu zeigen. Mein Profil bei den
Lokalisten ist wie eine Werbung von mir für andere Leute, damit sie mich gut finden.“
Wie das Zitat des 13-jährigen Jungen aus einer Web 2.0-Werkstatt zeigt, kennen Jugend-
liche insbesondere die in ihrer Peergroup verbreiteten Web 2.0-Angebote. Dazu gehören in
diesem Fall vor allem Windows Live Messenger/MSN, lokalisten.de1, youtube.com und
myspace.com. Zudem haben sie aber auch erste Erfahrungen mit anderen Web 2.0-Ange-
boten, die sie z. B. von älteren Geschwistern oder Verwandten kennen, die sie aber selbst
nicht aktiv nutzen wie kwick.de, jappy.de, Skype oder ICQ. Eher wenig bis gar keine Erfah-
rungen, so zeigte sich in den Web 2.0-Werkstätten, hatten die Jugendlichen mit Blogs oder
Podcasts.
Dieser kurze Überblick umfasst nicht alle Web 2.0-Angebote, die die teilnehmenden
Jugendlichen der Web 2.0-Werkstätten kannten bzw. von denen sie bereits gehört hatten.
Dies verdeutlicht, dass in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Online-Angeboten
entstanden ist, welche sich mit dem Schlagwort Web 2.0 charakterisieren lassen. Dieses
Schlagwort hat sich durchgesetzt als Bezeichnung für Internetangebote, bei denen Nutzer-
daten und -profilen ein hoher Stellenwert zukommt, bei denen die Vernetzung zwischen
Nutzenden unterstützt wird, bei denen Nutzende die Möglichkeit haben eigene Inhalte
einzubringen und bei denen aus der Masse von Nutzenden ein Mehrwert2 für die Einzelnen
entstehen soll. (vgl. Cormode/Krishnamurthy 2008, kritisch auch Madden/Fox 2006 oder
Jenkins 2009)
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie werfen einen differenzierenden Blick auf eine
Palette an Angeboten, die unter dem Schlagwort Web 2.0 firmieren. Eingegrenzt wurde die
Analyse unter medienpädagogischen Gesichtspunkten auf jugendnahe Internetplattformen,
d.h. auf Angebote, die sich speziell an Jugendliche richten bzw. von denen bekannt ist, dass
Jugendliche sie nutzen3. Aber auch mit dieser Einschränkung bleibt eine Vielzahl hetero-
gener Angebote Gegenstand der Studie. Die Angebote unterscheiden sich in den Möglich-
keiten sich darzustellen, mit anderen Nutzenden Kontakt aufzunehmen, eigene Werke zu
präsentieren oder auch eigene Werke zu erstellen. Um Jugendliche auf ihrem Weg durch
1 In diesen Ergebnissen spiegelt sich wieder, dass bei einigen Plattformen starke regionale Unterschiede in der
Nutzung bekannt sind. Die Web 2.0-Werkstätten wurden in München durchgeführt, wo lokalisten.de sehr stark
verankert ist.
2 Zu denken ist hier z.B. an das ‚Amazon-Prinzip’, nach dem Bücher vorgeschlagen werden, die andere Käufer
zusätzlich zu dem gefundenen Buch erworben haben.
3 Ausführlicher zur zugrunde liegenden Definition von jugendnahen Internetplattformen vgl. Kapitel 2.1.
19
das Web 2.0 pädagogisch begleiten zu können und um Risiken und Potenziale im Umgang
mit diesen Angeboten abschätzen zu können, ist es folglich wichtig, zwischen den unter-
schiedlichen Angebotsformen differenzieren zu können. Hierzu soll die Analyse jugendnaher
Internetplattformen eine Grundlage bieten.
Der Hauptteil der Analyse wurde zwischen Februar und September 2008 durchgeführt.
Angebote, auf die wir im weiteren Verlauf des Projekts, z. B. im Rahmen der Analysen der
Selbstdarstellungen (vgl. 3.2), aufmerksam wurden, wurden im Sinne des explorativen
Vorgehens der Studie ebenfalls gesichtet und in ihrem Charakter bestimmt.
Einen Überblick über die analysierten Plattformen gibt Kapitel 3.1.1 und charakterisiert kurz
die identifizierten Bündel ähnlicher Angebote. Kapitel 3.1.2 fokussiert auf die Fragestellung,
welche Möglichkeiten zur Organisation der persönlichen Daten und der Zugriffskontrolle auf
den jeweiligen Plattformen gegeben sind. Welche Unterstützung und Hilfestellungen den
Nutzenden auf den Plattformen zur Verfügung stehen, wird in Kapitel 3.1.3 vorgestellt.
Abschließend bündelt Kapitel 3.1.4 die Ergebnisse daraufhin, welches Spektrum an Artikula-
tionsformen auf den Plattformen gegeben ist und wie groß die Gestaltungsfreiheit für die
Selbstdarstellung von Nutzenden ist.
Grundlage der Darstellung ist sowohl die Charakterisierung von 46 Plattformen als auch die
vertiefenden Analysen von 17 Plattformen.
3.1.1 Grundcharakteristika jugendnaher Internetplattformen
Das nachstehende Kapitel bietet einen Überblick über das Spektrum an jugendnahen Platt-
formen. Innerhalb des Spektrums lassen sich vier Bündel ähnlicher Angebote unterscheiden.
Zentrale Elemente für die Charakterisierung der Bündel bilden die erkennbaren Schwer-
punkte in Zielsetzungen und Betätigungsmöglichkeiten sowie eine Einschätzung der Mög-
lichkeiten zur Selbstpräsentation für die Jugendlichen. Die Übergänge zwischen den einzel-
nen Angeboten sind dabei teilweise fließend und es gibt durchaus Verbindungspunkte
zwischen den Bündeln. Die nachstehende Tabelle 3.1-I gibt einen Überblick über die 46
charakterisierten Plattformen zu den gebildeten Bündeln, während die Abbildung 3.1-1 die
Zuordnung der 17 vertieft analysierten Plattformen veranschaulicht.
20
Kommunikativ
orientierte Plattformen
Produktiv
orientierte Plattformen
Pädagogisch
orientierte Plattformen
Materialbörsen und
Werkräume
MSN
Skype
ICQ
habbo.de
knuddels.de
chatcity.de
schuelervz.net
lokalisten.de
myspace.com
jappy.de
hi5.com
netlog.com
facebook.com
bloomstreet.net
haefft.de
wer-kennt-wen.de
kwick.de
ilove.de
wie-ich.de
podcast.de
dopcast.de
podster.de
mypods.de
flickr.com
photocase.de
fotocommunity.de
youtube.com
myvideo.de
sevenload.com
clipfish.de
myspass.de
piczo.de
neopets.com
blog.de
blogster.de
bloggorilla.de
netzcheckers.de
ineigenerregie.de
mitmischen.de
youth-reporter.de
lizzynet.de
youngspirix.de
fluter.de
kult-on.de
linkpics.de
slide.com
Tabelle 3.1-I: Charakterisierte Plattformen im Überblick
Abbildung 3.1-1: Überblick über die vertieft analysierten Plattformen sowie die Werkräume und
Materialbörsen (von denen linkpics.de nicht vertieft analysiert wurde).
21
a) Kommunikativ orientierte Angebote: Vernetzung und Austausch stehen im
Mittelpunkt
Gemeinsames Merkmal dieses Bündels ist es, dass Motive der Kontaktpflege mit alten und
neuen Freundinnen und Freunden, der Familie oder Bekannten bedient werden. Bei den
kommunikativ orientierten Angeboten lassen sich zwei Ausrichtungen unterscheiden. Erstens
jene, die primär das Kommunizieren mit anderen als Handlungsoptionen in den Vordergrund
stellen, und zweitens jene Plattformen, bei denen Motive der Beziehungspflege, von
Freundschaftsbeziehungen bis hin zur Anbahnung von Liebesbeziehungen, im Zentrum
stehen.
Angebote für den interpersonalen Austausch
Bei dieser Gruppe steht der interpersonale Austausch mit anderen im Mittelpunkt, die über
diese Angebote online erreicht werden können.
Angaben zu Zielgruppen finden sich bei den Angeboten in der Regel nicht. Nur bei habbo.de
wird mit dem Spruch „hangout for teens“ deutlich, dass Teenager mit dem Angebot erreicht
werden sollen. Anhaltspunkte zur Eingrenzung der Zielgruppen bieten die Angaben zum
Mindestalter. Ein von den Nutzerinnen und Nutzern gefordertes Mindestalter wird von Seiten
der Betreiber bei habbo.de (ab 12 Jahren), MSN und ICQ (ab 13 Jahren) und chatcity.de (ab
16 Jahren) in ihren Nutzungsbedingungen angegeben. Bei knuddels.de ist die Altersangabe
freiwillig, manche der Chats auf knuddels.de sind allerdings nach Altersgruppen gegliedert.4
Folgende Angebotsmerkmale charakterisieren diese Gruppe:
• Alle Plattformen bieten Formen der Echtzeit-Kommunikation (Chatten per Text, Video
oder Audio, Sofortnachrichten etc.). Diese Kommunikationsformen sind bei einem Teil
der Angebote daran gebunden, dass man die Kommunikationspartner einer Freund-
schafts-/Kontaktliste hinzufügt. Mit dieser Kontaktliste kann man zum einen seinen
Bekannten- und Freundeskreis sortieren. Zum anderen erfährt man über sie den Status
der Kontakte, z. B. ob sie gerade online und damit direkt erreichbar oder offline sind.
• Ein Teil der Angebote (z. B. Windows Live Messenger/MSN) stellt auch Möglichkeiten
zur asynchronen Kommunikation (Offline-Nachrichten, E-Mail-ähnliche Nachrichten) und
die Möglichkeit zum Verschicken von Dateien oder von SMS zur Verfügung.
• Inhaltliche Schwerpunkte sind kaum auszumachen. Die Angebote bieten entweder kaum
thematische Anhaltspunkte wie z. B. knuddels.de oder sie decken mit ihren Rubriken
explizit ein breites Themenspektrum ab.
Zum Beispiel findet sich bei ICQ folgende Themensammlung:
„Romance & Liebe, Filme & TV, Rat & Beistand, Hobbies, Musik, Länder & Sprachen, Freunde,
Studenten, ICQ, Reisen, Essen & Getränke, Kunst, Weltgeschehen, Religion & Kulturen,
Computer & Internet, Sport, Familie, Lifestyle, Handys, Wissenschaft“
Unterschiede liegen innerhalb dieser Gruppe erstens in der Umsetzung der Kommunika-
tionsmöglichkeiten: Beispielsweise bieten knuddels.de und chatcity.de rein textbasierte
Formen der Kommunikation. Bei einigen Angeboten ist die Kommunikation auch per Audio
4 Im Rahmen der Analysen wurden ansonsten keine Hinweise auf eine Überprüfung des Alters gefunden.
22
oder Video möglich (MSN, ICQ). Ein grafikbasierter Austausch über Avatare ist bei einem
Angebot realisiert (habbo.de).
Zweitens lassen sich Differenzen im Umfang der Funktionen feststellen, die über das reine
Kommunikationsangebot hinaus möglich sind: Z. B. gibt es bei MSN und ICQ Profilseiten,
Foren, Gruppen und Votings.
Drittens zeigen sich innerhalb dieser Gruppe Unterschiede in der technischen Umsetzung:
So sind knuddels.de, habbo.de und chatcity.de direkt online zugänglich und nach der Anmel-
dung direkt zu verwenden. Bei den Instant Messengern (Windows Live Messenger/MSN,
ICQ) muss zunächst ein Programm/Client am eigenen Computer installiert werden, um mit
anderen kommunizieren zu können. Im Unterschied zu den webbasierten Angeboten ist
Kontakt hier in der Regel nur mit denjenigen Menschen möglich, die auf der eigenen
Kontaktliste stehen, d.h. man muss die Kontaktdaten der anderen kennen, um mit ihnen
kommunizieren zu können. Hinzu kommt bei diesen beiden Angeboten, dass sie ergänzend
auch Community-Bereiche auf ihren Websites anbieten, die z. B. die Selbstdarstellung über
ein Profil ermöglichen.
Kurzfassung: Bei den Angeboten aus dieser Gruppe steht, wenngleich einige der
Plattformen ergänzend die Möglichkeit bieten, sich über ein Profil selbst darzustellen, die
direkte Kommunikation mit anderen deutlich im Vordergrund, weshalb diese Gruppe aus
Nutzersicht betrachtet mit ‚Ich will reden’ charakterisiert werden kann.
Angebote für die Beziehungspflege
Kennzeichnend für diese Gruppe sind die Möglichkeiten, die eigenen Beziehungen zu
‚pflegen’. So kann man mittels dieser Angebote den eigenen Freundes- bzw. Bekanntenkreis
online ‚abbilden’, um Kontakt zu halten oder diesen auch erweitern.
Die Zielgruppen der Plattformen sind teilweise sehr genau eingegrenzt. Zum Beispiel richten
sich schuelervz.net und haefft.de ausschließlich an Schülerinnen und Schüler. Signalisiert
wird den Heranwachsenden damit, dass sie unter ihresgleichen seien und sich damit gleich-
zeitig von Erwachsenen abgrenzen können. Häufiger jedoch sind die Zielgruppen sehr weit
gefasst (wie bei myspace.com und lokalisten.de) oder gar nicht definiert. Wenn von den
Plattformen ein Mindestalter zur Nutzung genannt wird, liegt es zwischen 12 (schuelervz.net)
und 16 Jahren (ilove.de), wobei bei den meisten Plattformen 14 Jahre als Mindestalter ange-
setzt wird.
Unterschiede lassen sich zudem in Bezug auf die regionale Verankerung feststellen. So
betont lokalisten.de z. B. „dein freundesnetzwerk in deiner region“ treffen zu können. Einige
Plattformen weisen dagegen auf ihre Internationalität hin. Zum Beispiel lautet die Aufforde-
rung bei hi5.com: „Suche Freunde in deinem Heimatort oder in anderen Ländern weltweit“,
und auch myspace.com definiert seine Community als „eine weltweite Gemeinschaft“. Bei
vielen Plattformen (z. B. schuelervz.net, lokalisten.de, myspace.com, facebook.com) können
sich die Mitglieder in lokalen Teilnetzwerken (gebündelt z. B. nach der besuchten Schule/
Universität oder nach dem Land bzw. der Region) zuordnen.
23
Charakteristische Merkmale der Angebote in dieser Gruppe sind:
• Bei diesen Angeboten ist ein persönliches Profil Ausgangspunkt und Voraussetzung für
weitere Aktivitäten der Nutzenden. Im Profil können diese sich entlang von Kategorien
beschreiben und mit Profilfotos vorstellen.
• Ein weiteres charakteristisches Element ist die Möglichkeit, Freundschaften mit anderen
Nutzenden einzugehen. Freundschaften müssen in der Regel aktiv bestätigt werden und
werden dann auch im Profil für alle anderen Nutzenden sichtbar. Über die Darstellung
von Freundesketten kann auf diesen Plattformen erschlossen werden, „wer wen über
wen kennt“. Entlang von diesen Freundesketten ist es auch möglich, von Profil zu Profil
zu surfen und in den Profilen anderer Nutzenden zu stöbern.5 Weitere Möglichkeiten
andere Nutzende zu finden sind i.d.R. über Suchmöglichkeiten gegeben.
• Alle Plattformen bieten verschiedene Optionen mit anderen Nutzenden zu kommuni-
zieren und in Interaktion zu treten, z. B. über (a) Nachrichten/Chats, Kommentare, Pinn-
wand-/Gästebucheinträge, Bewertungen oder (b) Gruppen und Diskussionsforen.
• Des Weiteren bieten die Plattformen auch Möglichkeiten, eigene Werke zu präsentieren
(bspw. Fotos, Videos und teils auch Musik) oder auf den Plattformen selbst produktiv zu
werden (bspw. in Blogs, die den Profilen zugeordnet sind). Auch diese Elemente bieten
eine Basis, um mit anderen Nutzenden in Interaktion zu treten, indem z. B. Werke
kommentiert oder mit Profilen von anderen Nutzenden verlinkt werden.
Die auf diesen Plattformen angebotenen Tätigkeiten liegen zum einen im kommunikativen
Bereich, zum anderen sind auch (im Unterschied zur ersten Gruppe der ‚Angebote für den
interpersonalen Austausch’) mehr produktiv-gestalterische Tätigkeiten möglich.
In der Regel kann man (zum Analysezeitpunkt) auf die Profile und Inhalte dieser Plattformen
erst zugreifen, nachdem man sich angemeldet hat. Nur bei myspace.com und kwick.de
können die Profile auch ohne Anmeldung abgerufen werden. (vgl. 3.1.2) Viele Plattformen
dieser Gruppe sind auch dahingehend ‚in sich geschlossen’, dass keine Inhalte von anderen
Plattformen eingebunden werden können. Myspace.com ist allerdings ein Beispiel, bei dem
vielfältige Möglichkeiten bestehen, Inhalte, z. B. favorisierte Videos, von anderen Plattformen
einzubetten wie auch auf andere Plattformen zu verlinken.
Inhaltsschwerpunkte werden von den Plattformen in der Regel nicht gesetzt. So steht den
Nutzenden frei, welche Inhalte sie in die Plattform einbringen möchten (z. B. in den Gruppen
oder über Kommentare etc.). Bei allen Plattformen ist allerdings das Thema Freundschaft
bzw. die Gestaltung sozialer Beziehungen prominent in der Beschreibung und Umsetzung
der Angebote verankert.
So bezieht sich das Geschehen auf schuelervz.net in vielen Fällen auf Schule, Freundschaft
und Beziehungen. Innerhalb dieses Rahmens sind aber unterschiedliche thematische Schwer-
punkte möglich. Hinweise auf vorgegebene Themenschwerpunkte lassen sich lediglich bei
den Gruppen finden, die die Mitglieder entweder neu gründen oder denen sie beitreten
können. Sie sind bei schuelervz.net u.a. in folgende Kategorien eingeteilt:
„Gemeinsame Interessen; Musik; Organisationen; Schulalltag; Spaß & Unsinn; Sport & Frei-
zeit; Stadt, Land & Fluss; Tech & Internet; Unterhaltung & Kunst“
5 Dies ist bei den meisten Plattformen allerdings nur möglich, wenn die Nutzenden den Zugriff auf das Profil und
die Freundeslisten nicht auf bestimmte Nutzergruppen eingeschränkt haben. (vgl. hierzu 3.1.2)
24
Die Vorgaben decken folglich ein breites Themenspektrum ab, bei dem keine eindeutigen
Schwerpunktsetzungen erkennbar sind.
Ein deutlicher thematischer Schwerpunkt ist allein bei der Plattform myspace.com fest-
zustellen:
Bei myspace.com ist Musik als inhaltlicher Schwerpunkt sehr präsent. Auf der Plattform haben
viele Künstler und Bands ihre eigenen Profilseiten, auf denen Songs, Musikvideos, Tourdaten
etc. präsentiert werden. Die Musik dieser Bands kann auch über den plattforminternen
Musikplayer in das eigene Profil eingebunden werden. Darüber hinaus gibt es auch Bereiche
für Kinofilme/Trailer und Comedy. Bei den Blogs, Foren, Gruppen und Videos findet sich eine
sehr große Spannbreite von Themen (auch hier ist Musik zwar präsent, daneben aber auch
weitere Themen wie z. B. Autos, Comedy, Computer, Essen, TV, Stars). Eindeutige Schwer-
punkte lassen sich in diesen Bereichen nicht mehr ausmachen.
Eine Besonderheit in diesem Bündel betrifft den Schwerpunkt einiger Plattformen auf die
Suche nach neuen Partnerinnen und -partnern für Liebesbeziehungen und damit auf ein für
Jugendliche höchst relevantes Thema. Alle Plattformen dieser Gruppe können zwar zur
Partnersuche genutzt werden, allerdings fokussieren einige Angebote speziell darauf bzw. in
der Angebotsstruktur gibt es Hinweise für diesen Schwerpunkt. Beispiele für jugendrelevante
Angebote im Bereich dieser Flirt- und Dating-Plattformen sind iLove.de, wie-ich.de oder
kwick.de.
Kurzfassung: Bei den Plattformen in dieser Gruppe steht mit dem eigenen Profil zum einen
die eigene Person, zum anderen und vor allem aber die Beziehungspflege mit Freunden und
Bekannten im Vordergrund, weshalb diese Angebote aus der Nutzerperspektive mit ‚Ich will
Beziehung pflegen’ charakterisiert werden können.
b) Produktiv orientierte Angebote: Präsentation der eigenen Werke als
Ausgangspunkt für Interaktion
Die grundlegende Zwecksetzung dieser Art von Plattformen ist die Veröffentlichung von
eigenen Werken. Dabei gibt es zwei Varianten: Während bei den untersuchten Video-, Foto-
und Podcast-Portalen offline Produziertes hochgeladen und präsentiert wird, gibt es eine
weitere Gruppe von Angeboten, die das Erstellen eines Produkts online ermöglichen, z. B.
piczo.com und die Weblog-Portale6 fallen darunter.
Generell richten sich alle produktiv orientierten Plattformen zunächst einmal an die Perso-
nen, die an den jeweiligen Medienprodukten (Podcasts, Fotos, Videos) und deren Erstellung
und Ausgestaltung interessiert sind. Die Zielgruppen der Plattformen sind sehr weit gefasst
oder werden in den Angaben der Plattform nicht näher konkretisiert. Bezüglich des Alters
werden bei einem Großteil der Plattformen keine expliziten Angaben gemacht.7 Bei einigen
Plattformen (dopcast.de, flickr.com, youtube.com, myvideo.de, clipfish.de) wird das Alter
jedoch bei der Registrierung abgefragt. Die Plattform slide.com fordert ein Mindestalter der
Nutzenden von 13 Jahren.
6 Konkret fallen blog.de, blogster.de oder bloggorilla.de darunter.
7 Aus den veröffentlichten Mediadaten einzelner Plattformen ist allerdings abzulesen, dass die registrierten
Nutzerinnen und Nutz meist ältere Jugendliche sind.
25
Bei den produktiv orientierten Angeboten sind folgende Merkmale charakteristisch:
• Das eigene Produkt oder Werk steht bei diesen Angeboten im Vordergrund. Beim
Zugang auf die Plattformen und der Navigation auf den Plattformen nehmen die einge-
stellten oder erstellten Produkte eine zentrale Rolle ein. So werden üblicherweise neue
oder beliebte Beiträge vorgestellt oder es wird auf ähnliche Inhalte verwiesen.8
• Feedbackmöglichkeiten sind ein weiterer wichtiger Bestandteil der Plattformen: Fast auf
allen untersuchten Angeboten ist es möglich, dass die Produkte der User bewertet und/
oder kommentiert werden können. In den Kommentaren wird dann der Name und der
Zeitpunkt des Kommentars sowie in den meisten Fällen auch das Profilbild des Kom-
mentierenden angezeigt.9 Hervorzuheben ist flickr.com, da hier von den Kommentaren
auf die Fotos der Kommentierenden und nicht auf deren Profil verlinkt wird.10
• Auch diese Plattformen bieten Community-Funktionen zur Vernetzung. Zum einen kann
man sich ein persönliches Profil erstellen oder (bei youtube.com) einen eigenen Kanal
anbieten. Zum anderen kann man sich mit anderen Produzentinnen und Produzenten
vernetzen. Im Profil sind neben einer Beschreibung mit Profilbild in der Regel die selbst-
erstellten Werke, Favoriten oder abonnierte Inhalte/Kanäle und Freunde verlinkt. Auch in
den Profilen nehmen damit die eigenen Werke einen hohen Stellenwert ein.11 Bei den
meisten Angeboten ist es zusätzlich möglich, neben den eingestellten oder erstellten
Werken auch das Profil zu kommentieren.
• Charakteristisch für viele der produktiv orientierten Plattformen ist, dass sie Funktionen
anbieten, die das Verteilen und Einbetten der Werke über die Plattform hinaus unter-
stützen. So bieten viele Plattformen die Möglichkeit anderen Nutzenden Inhalte zu
empfehlen. Darüber hinaus werden aber auch Funktionen angeboten, die das direkte
Einbinden der Inhalte auf anderen Internetseiten oder Plattformen (z. B. in Profile von
kommunikativ orientierten Plattformen) möglich machen.12 Diese Funktion ist bei denjeni-
gen Plattformen weniger ausgeprägt, bei denen man online Produkte erstellen kann
(z. B. bei Blog-Plattformen).
• Einige Plattformen halten auch Hilfestellungen und Werkzeuge bereit. So gibt es z. B. bei
youtube.com sehr ausführliche Anleitungen, wie man Videos selbst dreht und bearbeitet.
(siehe auch Kap. 3.1.4)
Inhaltsschwerpunkte sind auf den produktiv orientierten Plattformen insofern auszumachen,
als bereits in der Grundausrichtung dieser Plattformen zumeist eine bestimmte Mediensorte
in den Vordergrund gerückt wird: Die Plattformen sind entweder auf Videos, Fotos, Podcasts
8 Entsprechende produktbezogene Tätigkeiten sind auf der produktiven Seite Produkte einstellen, beschreiben
und verschlagworten und auf der rezeptiven Seite Produkte suchen, ansehen/hören/lesen, ähnliche Produkte
nutzen.
9 Nicht verlinkt werden Kommentare auf dopcast.de und piczo.com.
10 Feedbackmöglichkeiten umfassen in der Regel Kommentare (ggf. auch als Videos) sowie standardisierte
Formen der Bewertungen (Vergabe von Sternen, Fischen, Punkten oder Ähnlichem).
11 Das Tätigkeitsspektrum umfasst bezogen auf die Profile: das Profil ausfüllen und gestalten; ein Profilfoto ein-
stellen; Favoriten, Abonnements oder Freunde verwalten sowie Anzeigeoptionen und Zugriffskontrollen
einstellen. (vgl. hierzu 3.1.2)
12 Tätigkeiten, die die Verteilung oder Einbettung unterstützen, sind z.B.: Inhalte weiterempfehlen, Code kopieren,
der in anderen Seiten integriert werden kann, um damit das betreffende Werk einzubinden. Ferner kann es vor-
strukturierte Funktionen geben, bei denen nur auf einen entsprechenden Link geklickt werden muss, um die
Inhalte in anderen Plattformen (z.B. auf facebook.com oder myspace.com oder von myvideo.de auf lokalisten.de)
einzubinden.
26
oder Texte konzentriert. Einige der untersuchten Plattformen zeigen aber auch eigene
Inhalte bzw. ‚Kanäle’ mit massenmedialen Inhalten, die z. B. Programminhalte und entspre-
chende Zusatzangebote von Fernsehsendern, wie z. B. PRO 7-Inhalte auf myvideo.de (z. B.
„Germany’s Next Topmodel“) und RTL-Sendungen auf clipfish.de (z. B. „Ich bin ein Star. Holt
mich hier raus!“).
Kurzfassung: Bei den Angeboten in diesem Bündel steht das Präsentieren von eigenen
Werken bzw. das Erstellen eigener Werke, die über die Plattform präsentiert werden, im
Vordergrund. Die Jugendlichen werden auf verschiedene Weise angeregt, selbst aktiv zu
werden. Zugleich bieten diese Plattformen viele (auch massenmediale) Inhalte, die rezipiert
werden und als Orientierungsangebot gelten können. Aus der Perspektive von Nutzenden
formuliert, liegt das Charakteristische der Plattformen im ‚Zeigen, was ich gemacht habe’.
c) Materialbörsen und Werkräume: Fundus und Arbeitsplätze für den medialen
Ausdruck
Neben den kommunikativ und den produktiv orientierten Angeboten, die überwiegend bereits
im Fokus der öffentlichen Diskussion zum Umgang von Jugendlichen mit dem Web 2.0
stehen, wurden im Rahmen der Untersuchung eine Vielzahl von weiteren Angeboten
identifiziert, die oder deren Inhalte Jugendliche ergänzend für die Selbstdarstellung auf den
Plattformen nutzen: Zum einen Materialbörsen und zum anderen Werkräume.
Die Materialbörsen bieten eine Fülle an Material für die eigene Selbstdarstellung, aus der
man sich sehr einfach bedienen kann. Viele Materialbörsen leben davon, dass die Nutzen-
den eigene Bilder einstellen und zur Verfügung stellen. Sie sind im Gegensatz zu allen
anderen Plattformen zumeist ohne Anmeldung zu nutzen.
Bei einem Typus von Materialbörsen stehen zum Beispiel Bilder oder verschiedene Design-
Vorlagen im Vordergrund, die dann als einzelne Elemente oder zur Gestaltung des Hinter-
grunds in die eigenen Profilseiten auf anderen Plattformen integriert werden können. Dies
wird in einigen Fällen dadurch unterstützt, dass die notwendigen Quellcodes für unterschied-
liche Plattformen zur Verfügung gestellt werden und nur kopiert werden müssen, um die
Inhalte in die eigene Selbstdarstellung zu integrieren. Programmierkenntnisse sind entspre-
chend nicht notwendig, um die Inhalte einzubinden. Beispiele für diesen Typus sind
linkpics.de oder pimp-my-profile.com.
Bei einem anderen Typus von Materialbörsen steht Musik im Zentrum. Auf diesen Angebo-
ten werden Musiktitel zum in der Regel13 legalen und kostenlosen Download angeboten.
Teils werden diese Titel auch lizenzfrei oder mit „creative commons“-Lizenz bereitgestellt
und können somit in eigenen Produktionen weiterverarbeitet werden. Ein Beispiel für ein
Angebot, bei dem die Titel auch in eigenen Produktionen verwendet werden dürfen ist
royaltyfreeinstrumentals.com.
Die Werkräume ermöglichen es, z. B. Diashows mit eigenen Fotos online zu erstellen (z. B.
auf slide.com). Dazu werden Fotos hochgeladen, aneinandergereiht und mit Musik, die
ebenfalls online vom Betreiber zur Verfügung gestellt wird, hinterlegt.
13 Bei einigen Materialbörsen sind die Nutzungsbedingungen sehr undurchsichtig. (vgl. zur Verständlichkeit von
Nutzungsbedingungen Kapitel 3.5.1)
27
Abbildung 3.1-2: Ausschnitt der Startseite von slide.com, 06.05.2009
Charakteristisch für diese Angebote ist, dass hier Bausteine für die eigenen Selbstdar-
stellungen (innerhalb eines vorgefertigten Rahmens und mit Designvorlagen) erstellt werden
können, die dann in Selbstdarstellungen auf anderen Plattformen eingebunden werden
können. Auch hier ist das Einbinden der Inhalte auf anderen Plattformen vorstrukturiert. So
können bei slide.com bspw. Slideshows speziell für myspace.com erstellt werden etc.
d) Pädagogisch ausgerichtete Angebote: Förderung von Medienkompetenz und
Beteiligung in neuem Rahmen
Gesondert betrachtet und als eigenständiges Bündel behandelt wurden die pädagogisch
ausgerichteten Angebote. Die Förderung von Medienkompetenz bei Heranwachsenden ist
deren explizites Ziel. Sie richten sich entweder an eine bestimmte Zielgruppe oder widmen
sich einer bestimmten Thematik.
Die übergeordnete Zielsetzung bei nahezu allen Plattformen in diesem Bündel ist der aktive
Einbezug von Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Sie sollen die Plattform bzw. das
Geschehen dort aktiv mitbestimmen, sich beteiligen und sich einmischen, sie sollen sich
selbst, eigene Inhalte, Themen und Meinungen einbringen und ihre eigenen Ideen in die
Praxis umsetzen. Zielgruppen sind z. B.:
• Mädchen und junge Frauen (lizzynet.de)14
• bestimmte Altersgruppen (fluter.de, ineigenerregie.de, youngspirix.de, kult-on.de)
14 Die Besonderheit bei lizzynet.de besteht darin, dass es als pädagogisches Angebot im Rahmen von Schulen
ans Netz gefördert wurde und seit 01/2008 an die Unternehmensgruppe M. DuMont Schauberg (MDS) gegangen
ist.
28
• Jugendliche mit bestimmten Interessen (youthreporter.eu: Freiwilligendienste in
Europa, ineigenerregie.de: Medienproduktion, youngspirix.de: Kirche, christlicher
Glaube)
Mit der Ansprache bestimmter Zielgruppen sind auch entsprechende Themensetzungen ver-
bunden. An den drei pädagogischen Plattformen, die auch in der vertiefenden Analyse unter-
sucht wurden, soll dies verdeutlicht werden.
Bei fluter.de steht z. B. das Themenspektrum Politik und Kultur (Gesellschaft, Film, Literatur,
Events) im Vordergrund, zu dem Inhalte und auch Beteiligungsmöglichkeiten angeboten
werden. Auch bei lizzynet.de findet sich eine breite Palette an Themen, sowohl redaktionell
aufbereitet in der Rubrik „Magazin“15 als auch in Foren und „Clubs“, die von den Mitgliedern
selbst initiiert werden können. Zwei weitere thematische Schwerpunkte bilden die Berufswelt
(z. B. in Form eines Berufswegweisers und in Form von vorgestellten Berufsbildern). Der
Bereich „Computer und Internet“ bietet z. B. Onlinekurse sowie Artikel und Hilfestellungen zum
Umgang mit PC und Internet. Bei netzcheckers.de war das Themenspektrum zum Analyse-
zeitpunkt ebenfalls sehr breit angelegt, wurde zwischenzeitlich im Zuge eines Relaunchs aber
auf das Themengebiet digitale Kultur fokussiert.
Die Tätigkeitsschwerpunkte auf diesen Plattformen sind äußerst unterschiedlich und orien-
tieren sich stark an den Zielsetzungen. So ist das Spektrum bei einigen Plattformen sehr
groß: Netzcheckers.de bietet die größte Bandbreite an Tätigkeiten, um selbst aktiv zu
werden, und zwar sowohl im Bereich kommunikativer und produktiver Tätigkeiten als auch
im Bereich der Information über unterschiedlichste Themenbereiche hinweg. Auch
youngspirix.de und lizzynet.de haben umfangreiche Möglichkeiten, sich auszutauschen und
zu vernetzen nach dem Vorbild kommunikativ orientierter Angebote und geben auch die
Möglichkeit, sich selbst mit eigenen Produkten zu präsentieren. Einige Plattformen (z. B.
ineigenerregie.de und kult-on.de) legen einen Schwerpunkt auf gestalterisch-produktive
Tätigkeiten: Hier können Medien eingestellt werden und Weblogs, Podcasts oder
Textbeiträge erstellt werden. Andere bieten nur relativ wenig Möglichkeiten, selbst aktiv zu
werden (z. B. youthreporter.eu). Fluter.de und mitmischen.de legen ihren Schwerpunkt eher
auf informationsorientierte Tätigkeiten: Texte lesen, Videos ansehen, Audios anhören,
Inhalte durchsuchen, Linklisten und Begriffe nachschlagen sind die Hauptaktivitäten auf
diesen beiden Angeboten.
3.1.2 Organisation der persönlichen Daten und Kontrolle der Interaktionsformen
Um auf den Plattformen als attraktiver Kontakt zu erscheinen, ist es notwendig, sich entspre-
chend ‚in Szene’ zu setzen. Dies tangiert auch Informationen, die über die eigene Person
preisgegeben werden. Nutzende der Plattformen bewegen sich dabei in einem Spannungs-
feld zwischen dem Wunsch, sich mit anderen zu vernetzen und dazu Daten von und über
sich veröffentlichen zu ‚müssen’, und andererseits der Notwendigkeit, unter dem Gesichts-
punkt des Datenschutzes sparsam bei der Veröffentlichung eigener Daten vorzugehen bzw.
die Informationen nur ausgewählten Nutzenden zugänglich zu machen.
Dieses Spannungsfeld betrifft verschiedene Aspekte der Plattformgestaltung und damit den
Rahmen, in dem Jugendliche sich bewegen: Zum einen die für die Anmeldung bei den Platt-
15 Diese Rubrik umfasst: „Mach mit!, Körper & Geist, Politik & Leben, Kultur & Kulturen, Forschung & Wissen,
Netz & Multimedia, Rätsel & Tests, Links & Tipps“
29
formen verpflichtenden Angaben, die teils auch im Profil veröffentlicht werden.16 Zum ande-
ren aber auch die Möglichkeiten der Zugriffskontrolle auf freiwillig eingestellte und im
Rahmen des Angebotes oder im Internet veröffentlichten Informationen. Welche Problem-
stellungen für Jugendliche aus diesem Rahmen entstehen, wird in Kapitel 3.5 ausgeführt. Im
Folgenden wird zunächst der Rahmen, den die Plattformen bieten, beschrieben.
Pflichtangaben und freiwillige Angaben
Bei der Registrierung für die Plattform müssen Nutzende zum einen bestimmte Angaben zu
ihrer Person machen und können zum anderen außerdem freiwillige Angaben hinzufügen.
Die Pflichtangaben umfassen in der Regel zumindest die Angabe eines Benutzernamens
sowie eines Passwortes und einer gültigen E-Mail-Adresse (außer bei dem Windows Live
Messenger). Darüber hinaus waren bei allen Plattformen aber auch andere Daten als
verpflichtend gekennzeichnet; darunter das Geschlecht der Nutzenden (schuelervz.net,
myspace.com, kwick.de, bloggorilla.de, flickr.com, myvideo.de, piczo.com, youtube.de), das
Geburtsdatum (lokalisten.de, myspace.com und schuelervz.net) und zum Teil auch der
Wohnort beziehungsweise die Postleitzahl oder Schule, wie bei schuelervz.net, flickr.com,
myspace.com, dopcast.de, myvideo.de und piczo.com.
Mit Blick auf die freiwilligen Angaben zur Person geben die Plattformen in den meisten Fällen
auch Bereiche und Kategorien vor, entlang derer sich die Nutzenden vorstellen können.
Ausnahmen finden sich hier insbesondere bei den produktionsorientierten Plattformen, bei
denen teils keine oder nur sehr wenige Kategorien vorgegeben werden.17 Das Spektrum der
Kategorien reicht dabei von der Beschreibung eigener Interessen und Hobbys über Einstel-
lungen bis hin zu spezifischen Themen, die mit der Plattformausrichtung in Verbindung
stehen, wie z. B. Lieblings- und Hassfächer bei schuelervz.net oder bei lokalisten.de stärker
lokalbezogene Bereiche wie Lieblingsbars und -diskotheken.
Zu den freiwilligen Angaben ist auch die Zuordnung zu Gruppen zu zählen. Die Gruppen-
namen sind oftmals Statements, die durch eine Mitgliedschaft in der jeweiligen Gruppe im
Profil erscheinen. Sie können weitgehend unabhängig von Vorgaben frei gewählt werden.
Der Name der Gruppe dient hier einer Zuordnung an sich, ohne dass ein Austausch darüber
stattfinden muss.18 Fast alle kommunikativ orientierten, aber nur drei der produktiv-
gestalterischen und nur eine der pädagogisch orientierten Plattformen (lizzynet.de) bieten die
Möglichkeit, sich Gruppen zuzuordnen und in ihnen aktiv zu werden.
Zugänglichkeit persönlicher Daten
Fast alle analysierten Plattformen setzen eine Anmeldung zur vollständigen Nutzung ihrer
Funktionen voraus. Unterschiede bestehen bei den Angeboten allerdings darin, inwiefern
bestimmte Funktionen für andere, nicht angemeldete Nutzende zugänglich sind.
16 Als Anforderung gilt hier, dass Soziale Netzwerke bei der Anmeldung nur Daten als verpflichtend markieren
sollten, die für die Ausführung des Dienstes zwingend notwendig beziehungsweise rechtlich erforderlich sind.
(vgl. Fraunhofer IST 2008: 26)
17 Beispiele sind hier podcast.de und netzcheckers.de, die zur Selbstbeschreibung nur „über mich“ vorgeben.
18 Bei kwick.de ist es von vornherein nicht möglich, die Gruppen zur Kommunikation zu nutzen; diese Zuordnung
dient ausschließlich als eine Art ‚Profil-Merkmal’.
30
• Bei den kommunikativ orientierten Plattformen sind, sofern keine Einschränkungen
getroffen wurden, z. B. bei ICQ, kwick.de, knuddels.de und myspace.com die Profile der
Nutzenden und die darauf präsentierten Inhalte für jeden zum Ansehen und Lesen
zugänglich. Schuelervz.net und lokalisten.de hingegen öffnen die Profilseiten nur für
angemeldete Nutzende. Bei allen Plattformen gibt es Mitgliedersuchfunktionen, die in
einigen Fällen auch differenzierte Suchoptionen z. B. nach Alter, Geschlecht oder Wohn-
ort zulassen.
• Bei den produktiv orientierten Plattformen sind das Betrachten der von den Nutzenden
eingestellten Werke und der Zugriff auf die Profile grundsätzlich auch ohne Anmeldung
möglich. Die weiteren Funktionen, wie Bewerten, Kommentieren und eigene Produkte
einstellen, sind nur angemeldeten Nutzenden vorbehalten.
• Bei den pädagogisch ausgerichteten Plattformen sind grundsätzlich Artikel und Beiträge
ohne Anmeldung zu nutzen. Die Profile sind bei lizzynet.de und netzcheckers.de19 erst
nach der Registrierung zugänglich und auch die Möglichkeit, selbst zu kommentieren ist
ebenfalls auf angemeldete Nutzende beschränkt. Bei fluter.de hingegen können die
Profile auch ohne Anmeldung betrachtet und auch Foreneinträge und Kommentare in
bestimmten Bereichen verfasst werden.
Kontrollmöglichkeiten über persönliche Daten und Interaktionsformen
Die diversen Möglichkeiten zur Beschränkung von Zugriffsmöglichkeiten auf eingestellte
Daten (oftmals Privatsphäreeinstellungen genannt) als auch die Möglichkeiten zur Kontrolle
der Interaktion mit anderen Nutzenden sind entscheidend dafür, wie selbstbestimmt sich
(jugendliche) Nutzende auf den Plattformen ggf. gegen unerwünschte Zugriffe verwahren
oder Übergriffe in Kommentaren vermeiden bzw. löschen können.
Beschränkungsmöglichkeiten finden sich hinsichtlich des Zugriffs auf eingestellte Daten20,
die Erkennbarkeit des Namens für andere Nutzende und die Auffindbarkeit in der
plattforminternen Suche oder anderen Suchmaschinen. Teils werden Grenzen der Einstel-
lungsmöglichkeiten in den beschreibenden Texten verdeutlicht.21
Die Nutzenden können bei vielen analysierten Plattformen auch regulieren, ob das Profil und
eingestellte Werke kommentiert und ggf. bewertet werden dürfen. Beides hat Einfluss auf die
Selbstdarstellung, da ggf. auch negative Kommentare oder Bewertungen von weiteren
Nutzenden eingesehen werden können. Diese Optionen betreffen also die Frage, inwiefern
die ‚Mit’-Gestaltung einer Selbstdarstellung durch andere kontrolliert bzw. beschränkt werden
kann.
Bei den produktiv-gestalterischen und den pädagogischen Plattformen haben die Nutzenden
überwiegend sehr geringe Beschränkungsmöglichkeiten. Sie können Kommentare und Be-
wertungen, wenn überhaupt, nur komplett ausschalten oder löschen. Bei einigen Plattformen
19 Im Zuge des Relaunchs wurde ein neues Konzept der Zugriffskontrolle eingeführt. Jetzt können die Nutzenden
selbst entscheiden, ob verschiedene Bereiche der Selbstdarstellung nur für sie selbst, für Freunde, für
angemeldete Nutzende oder auch ohne Anmeldung zugänglich sein sollen.
20 Hier wird u.a. differenziert zwischen der Beziehung zu den jeweiligen Nutzenden (befreundet, dieselbe Schule
etc.) oder Formalkriterien wie dem Alter von Nutzenden, die auf das Profil zugreifen dürfen (bspw. bei
lokalisten.de).
21 So wird z.B. bei schuelervz.net bezüglich der Frage, wer das eigene Profil sehen darf, bei „Nur meine Freunde“
ergänzt, dass andere dennoch Profilbild, Name und Schule sehen können.
31
sind aber auch differenziertere Kontrollmöglichkeiten umgesetzt. So lassen z. B. flickr.com
und youtube.com eine differenzierte Einschränkung für Kommentar- und/oder Bewertungs-
funktionen zu, die sich entweder auf nur ein Bild/Video, eine bestimmte Gruppe oder alle
beziehen können. Bei bloggorilla.de und youtube.com können die Nutzenden entscheiden,
ob generell alle Kommentare sofort veröffentlicht werden, ob die Kommentare vor der
Veröffentlichung geprüft werden sollen oder ob überhaupt keine Kommentare zu den
eingestellten Produkten erlaubt werden. Darüber hinaus können bei youtube.com Kommen-
tare auch von anderen Nutzenden bewertet und somit ggf. entkräftet werden.
Auch bei kommunikativen Plattformen lassen sich entsprechende Einstellungen finden.
Eingestellt werden kann bei den entsprechenden Plattformen, wer Kommentare zu eigenen
Werken oder wer Gästebuch- oder Pinnwandeinträge verfassen darf. Bei den Plattformen
schuelervz.net, lokalisten.de und myspace.com sind hier differenzierte Einschränkungen
möglich. Kwick.de bietet dagegen die wenigsten Möglichkeiten für (differenzierte)
Beschränkungen.
Bei den pädagogisch ausgerichteten Plattformen, die sich als pädagogisch betreute Räume
verstehen, sind die Kontrollmöglichkeiten überwiegend wenig differenziert.
3.1.3 Orientierung und Hilfestellungen
Im Umgang mit Plattformen ist relevant, wie sich die Nutzenden Klarheit darüber verschaffen
können, was die einzelnen Plattformen an Inhalten bieten und welchen Handlungsrahmen
die Nutzenden vorfinden. Orientierung und Hilfestellungen können dabei auf verschiedene
Art und Weise vermittelt werden, z. B. in Form von eigenen Plattformregeln, über
Kommunikation mit den Betreibern und über konkrete Anweisungen und Hilfen in Teilbe-
reichen der Plattformen.
Plattformregeln
Orientierung in Bezug auf das, was erlaubt ist und was nicht, in welchen Bereichen des
Angebots man sich befindet und was dort möglich ist, können den Nutzenden durch Platt-
formregeln, z. B. in Form von Community-Richtlinien, Verhaltenskodizes oder über
Frequently Asked Questions (FAQ) geboten werden. Unter den vertiefend analysierten 17
Plattformen bieten sechs (myvideo.de, icq.de, bloggorilla.de, dopcast.de, slide.com,
piczo.com) keine speziellen Plattformregeln an. An zwei Beispielen sollen positive
Umgangsweisen mit Plattformregeln vorgestellt werden:
Bei lokalisten.de werden die Regeln in den jeweils betroffenen Bereichen im Kontext des
Handelns thematisiert. So erscheinen die „Marktregeln“ zum Beispiel, wenn man eine neue
Kleinanzeige aufgeben möchte, und die „Video-Regeln“, wenn man ein Video hochlädt.
Der Verhaltenskodex von schuelervz.net wurde in einem Videowettbewerb von den jugend-
lichen Nutzenden in Videos umgesetzt. Durch den Videowettbewerb und die Beteiligung der
Nutzenden wurde ein aktive Auseinandersetzung mit dem Verhaltenskodex angeregt.
32
Automatisierte und personalisierte Kommunikation zwischen Nutzenden und
Betreibern
Eine Möglichkeit sich zu orientieren oder bei Problemen aktiv werden zu können, bietet auch
die Kommunikation zwischen Nutzenden und Betreibenden.
Für die Nutzenden besteht auf allen Plattformen die Möglichkeit über das Impressum
herauszufinden, wie man mit den Betreibern in Kontakt treten kann (per Telefon, postalisch
oder in Form von E-Mail). Einen Sonderfall stellen dabei ICQ und youtube.com dar. Bei ICQ
gibt es keine direkte Möglichkeit Kontakt mit den Betreibern aufzunehmen. Zwar gibt es den
Link „Contact us“, dieser führt aber zu Hilfeseiten oder zu Werbeseiten für andere Unterneh-
men. Bei youtube.com wird im Impressum und auch sonst auf der Homepage ausschließlich
ein Kontakt in den USA angegeben, aber keine Vertretung in Deutschland. Der direkte
Kontakt setzt in diesem Fall Englischkenntnisse voraus, was für Jugendliche eine Hürde
darstellen kann.
Fast alle Plattformen verfügen über die Möglichkeit, indirekt über ein Kontakt- oder Feed-
backformular persönliche Nachrichten an den Betreiber zu senden. Myspace.com und
schuelervz.net bieten zudem separate Kommunikationswege für Eltern (und Lehrkräfte bei
schuelervz.net) an.
Auf fast allen Plattformen können Produkte, die das Urheberrecht verletzen oder gegen die
Plattformregeln verstoßen, gemeldet werden. Hierzu ist in der Regel ein separates Formular
beziehungsweise ein gesonderter Link vorgesehen. Ausnahmen finden sich bei den
pädagogisch-ausgerichteten Plattformen: Hier fungieren die Redaktionen als Ansprech-
partner bei Problemen.
Durch die verpflichtende Angabe einer E-Mail-Adresse bei der Anmeldung besteht generell
bei fast allen Plattformen (außer Windows Live Messenger/MSN) für die Betreiber die
Möglichkeit mit den Nutzenden in Kontakt zu treten. Diese Möglichkeit wird von den meisten
Betreibern in automatisierter Form vor allem dazu genutzt, die Nutzenden über Neuigkeiten
auf ihrem Profil, zum Beispiel bei Gästebucheinträgen oder Bewertungen von Videos oder
neuen Nachrichten im eigenen Postfach, zu informieren. Die Nutzenden haben in der Regel
auch die Möglichkeit, diese Benachrichtigungen zu deaktivieren.
Zudem bieten viele Plattformen (Windows Live Messenger/MSN, clipfish.de, lokalisten.de,
myspace.com, bloggorilla.de, dopcast.de, myvideo.de, piczo.com, slide.com, youtube.com,
fluter.de, lizzynet.de, netzcheckers.de) einen Newsletter mit technischen Neuerungen,
Neuigkeiten aus der Community oder Sonderangeboten für Plattformmitglieder (wie es bei
piczo.com der Fall ist) an, der entweder an die angegebene E-Mail-Adresse oder an das
Profil-Postfach gesendet wird bzw. auf der Profil-Startseite zu finden ist.
Als eine weitere Möglichkeit in Kontakt mit den Nutzenden zu treten, wird von einigen
Betreibern (bspw. flickr.com) ein Blog geführt.
33
Konkrete Anweisungen und Hilfestellungen
Bezüglich der konkreten Hilfen durch die Angebote lohnt sich eine differenzierte Betrachtung
nach Art der Plattform und der Art der Hilfestellung. So können Hilfestellungen und
unterstützende Hinweise medial umgesetzt (z. B. in die Dialogstruktur integriert) oder an
einen interpersonalen Austausch (mit Betreibern oder anderen Nutzenden) geknüpft sein.
(Mediale) Hilfestellungen finden sich vor allem zum Umgang mit den Plattformen. Vor allem
bei den kommunikativ orientierten Plattformen gibt es sehr detaillierte Hilfestrukturen mit
konkreten Schritt-für-Schritt-Anweisungen und Screenshots, durch die die Nutzenden Unter-
stützung erhalten. Darüber hinaus werden diese Hinweise teils mit Anregungen verbunden,
die über die konkrete Bedienung hinausgehen, was an zwei Beispielen illustriert werden soll:
Bei lokalisten.de gibt es kurze Informationstexte in Form von Pop-Ups. So werden die Nutzen-
den zum Beispiel bei der Registrierung zum Feld „Spitzname“ auch auf mögliche marken-
rechtliche Probleme aufmerksam gemacht: „mit diesem namen kannst du dich einloggen. er
kann später nur noch einmal geändert werden. bitte keine namen von prominenten oder
markennamen verwenden.“
Bei schuelervz.net wird auf der Seite „Tipps" unter den Privatsphäreeinstellungen verdeutlicht,
was Nutzende beim Einstellen persönlicher Daten berücksichtigen sollten. Dabei werden nicht
nur die Funktionen an sich erläutert. (vgl. Abb. 3.1-3)
Abbildung 3.1-3: Tipps auf schuelervz.net zum Umgang mit persönlichen Informationen, 11.03.09
Auch auf den produktiv orientierten Plattformen werden mediale Hilfestellungen zum Um-
gang mit den Angeboten gegeben. Im Vergleich zu den kommunikativ orientierten
Plattformen sind diese aber weniger umfassend. Zudem unterscheidet sich die
34
Aufbereitungsform dahingehend, dass Hilfen eher textbasiert umgesetzt werden. Vermutlich
steht dies damit in Verbindung, dass viele der Plattformen auf eine bestimmte Anwendung
(bspw. Fotos hochladen, Podcast veröffentlichen) ausgerichtet sind und entsprechende
spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten vorausgesetzt werden.
Einen Sonderfall stellt hier youtube.com dar. Die Hilfestellungen sind sehr ausführlich und
bieten sowohl für Anfänger als auch für fortgeschrittene Nutzende interessante Informa-
tionen, die jedoch zum überwiegenden Teil in englischer Sprache vorliegen. Auch slide.com
und ICQ bieten ausschließlich englische Hilfetexte an. Weiterhin bieten die produktiv
orientierten Plattformen, anders als die kommunikativen, wenig andere Formen der Unter-
stützung wie z. B. durch Hilfeforen an. Ausnahmen sind diesbezüglich bloggorilla.de und
flickr.com.
Bei den pädagogisch orientierten Plattformen sind im Vergleich zu den kommunikativ und
produktiv orientierten Plattformen die nicht-personalen Hilfestellungen in Bezug auf den
Umgang mit der Plattform wenig ausgeprägt. Hinter einer Vielzahl an Tipps und Anleitungen
zum Umgang mit dem Internet oder z. B. zur Erstellung von Fotos, Videos etc. rücken
konkrete Hilfestellungen zum Umgang mit den Angeboten in den Hintergrund.
Personale Hilfestellungen werden überwiegend über Foren realisiert. Alle kommunikativ
orientierten Plattformen bieten zusätzlich Hilfe-Foren an, in denen sich Nutzende gegenseitig
helfen können, und die zum Teil von den Mitarbeitenden der Plattform moderiert werden. Bei
lokalisten.de, myspace.com, schuelervz.net, clipfish.de, piczo.com, youtube.com und
netzcheckers.de kann man zudem mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Plattform oder
mit erfahrenen, oftmals speziell ausgezeichneten Nutzenden (z. B. haben alle Nutzenden bei
clipfish.de einen persönlichen „Bigfish“) über deren Profile Kontakt aufnehmen oder Feed-
back geben. Lizzynet.de bietet als einzige unter den pädagogisch orientierten Plattformen
ein Hilfe-Forum an.
3.1.4 Zusammenführung: Typische Bühnen für die Selbstdarstellung Jugendlicher
Zwischen den einzelnen Plattformen finden sich deutliche Unterschiede in den Möglichkeiten
auf den Plattformen zu interagieren und sich selbst zu präsentieren. Das nachstehende
Kapitel stellt als Zusammenführung und Hinleitung zu den Ergebnissen der Analyse der
Selbstdarstellungen von Jugendlichen das Spektrum der Artikulationsmöglichkeiten und die
Gestaltungsfreiheit für die Nutzenden ins Zentrum:
• Die Möglichkeiten zur Artikulation, die den Nutzenden auf den jeweiligen Plattformen
zur Verfügung stehen, umfassen zum einen textbasierte und zum anderen symbolische
Formen der Artikulation. Textbasiert können sich die Nutzenden z. B. über Gästebuch-
oder Pinnwandeinträge, Profileinträge oder Blogbeiträge artikulieren. Der symbolische
oder symbolhafte Ausdruck ist über Fotos, Videos, Musikbeiträge und multimediale Ele-
mente möglich. Das Spektrum der Artikulationsmöglichkeiten ist bei den Plattformen
unterschiedlich breit: Bei manchen ist der Rahmen für die Selbstdarstellung sehr eng
gesteckt, andere Plattformen bieten ein Vielzahl an Möglichkeiten. Darüber hinaus sind
insbesondere bei den textbasierten Angaben große Unterschiede hinsichtlich der
Vorstrukturierung durch Beschreibungskategorien zu sehen.
• Die Gestaltungsfreiheit beschreibt die Möglichkeiten, die Nutzende zur Gestaltung des
Erscheinungsbildes ihrer Profil- bzw. Kanalseite haben. Die betrifft die Einflussmöglich-
35
keiten der Nutzenden darauf, wie bestimmte Elemente dargestellt und angeordnet
werden, ob sie das Profil mit Hintergrundbildern oder Logos selbst gestalten können oder
ob bestimmte Elemente aus- oder abgewählt werden können. Die Gestaltungsfreiheit
variiert zwischen den Plattform erheblich. So können Nutzende auf einigen Plattformen
ihr Profil mit einem individuellen Hintergrund gestalten, auf anderen Plattformen
hingegen ist diese Möglichkeit nicht gegeben.
Die Analyseergebnisse bezüglich der Artikulationsmöglichkeiten und der Gestaltungsfreiheit
auf den 17 Plattformen wurden in eine grafische Darstellung überführt, die die Unterschiede
erkennbar macht. (vgl. Tabelle 3.1-II)
Dabei wurden die Plattformen jeweils innerhalb ihres Bündels (kommunikativ und produktiv
orientierte Plattformen sowie die pädagogischen Angebote) miteinander in Bezug auf die
beiden Aspekte verglichen.
Für die Analyse der exemplarischen Selbstdarstellungen wurden sich unterscheidende
Vertreterinnen der verschiedenen Bündel ausgewählt, die in der Tabelle 3.1-II fett
hervorgehoben sind.
Kommunikativ orientierte
Plattformen
Produktiv orientierte
Plattformen
Pädagogische Plattformen
eng ICQ, Windows L.M.,
schuelervz.net, kwick.de,
lokalisten.de
youtube.com, clipfish.de,
myvideo.de, dopcast.de,
flickr.com, slide.com
fluter.de Spektrum der
Artikulations-
möglichkeiten
breit myspace.com bloggorilla.de/bloggo-
space.de, piczo.com
lizzynet.de netzcheckers
de
keine ICQ, Windows L.M.,
schuelervz.de, kwick.de,
lokalisten.de
slide.com, dopcast.de,
flickr.com
fluter.de, lizzynet.de
netzcheckers de
Gestaltungs-
freiheit
hoch (mit
Grenzen)
myspace.com youtube.com,
bloggorilla.de/bloggo-
space.de, myvideo.de,
clipfish.de, piczo.com
Tabelle 3.1-II: Differenzierung der Plattformen nach Spektrum der Artikulationsmöglichkeiten und
Gestaltungsfreiheit (für die Analyse der Selbstdarstellung ausgewählte Vertreterinnen
sind hervorgehoben)
Spektrum der Artikulationsmöglichkeiten
Ein breites Spektrum zur Artikulation bieten die Plattformen myspace.com, bloggorilla.de,
piczo.com, lizzynet.de und netzcheckers.de. Sie bieten ihren Nutzenden eine breite Palette
an Möglichkeiten, sich mit den verschiedenen Medien (Audio, Text, Bild) einzubringen und
mit anderen zu interagieren.
36
Ein enges Spektrum findet sich dagegen bei beiden Messenger-Angeboten sowie
lokalisten.de, schuelervz.net, kwick.de, youtube.com, clipfish.de, myvideo.de, dopcast.de,
flickr.com und slide.com. Gerade bei den produktiv orientierten Plattformen ist eine starke
Beschränkung der angebotenen Medienpalette festzustellen. Die Möglichkeiten, sich zu
artikulieren sind bei ihnen auf die Zielsetzung der Plattformen eingegrenzt (vgl. Kap. 3.1.1):
So fokussieren youtube.com, clipfish.de und myvideo.de auf Videos, bei dopcast.de geht es
um Audiobeiträge und bei flickr.com und slide.com stehen Fotos im Vordergrund. Die Anzahl
der hochladbaren eigenen Produkte ist meist keinen Beschränkungen unterworfen.
Gestaltungsfreiheit
Die Gestaltungsfreiheit des eigenen Profils ist vor allem bei einigen der produktiv orientierten
Plattformen und bei myspace.com als hoch einzuschätzen. Besonderheiten zeigen sich
dabei speziell in Bezug auf Design und Layout, bei denen am deutlichsten Unterschiede
festzustellen sind. Bei bloggorilla.de, clipfish.de und myvideo.de können bestimmte Elemente
ein- oder ausgeblendet werden. Bei youtube.com, bloggorilla.de und myspace.com können
Hintergründe individuell bestimmt werden. Die im Verhältnis größte Gestaltungsfreiheit
bieten myspace.com und piczo.com: Hier können die Hintergründe und die Designs für das
eigene Profil entweder aus vorhandenen Vorlagen ausgewählt, aus externen Angeboten –
den Materialbörsen wie linkpics.de oder pimp-my-profile.com – integriert oder eigene
Hintergründe erstellt und eingebunden werden.
Keine bzw. sehr geringe Gestaltungsfreiheiten bieten die Messenger-Angebote und die
Plattformen schuelervz.net oder lokalisten.de. Insbesondere bei den letzten beiden sind
Layout und Design innerhalb des Gesamterscheinungsbildes der Plattform festgelegt.
Für die Analyse der Selbstdarstellungen ausgewählte Plattformen
Um einzelne Selbstdarstellungen von Jugendlichen genauer unter die Lupe zu nehmen, ist
es erforderlich den Rahmen zu berücksichtigen, den die Plattformen in Bezug auf die
Artikulationsformen und die Gestaltungsfreiheit abstecken. Daher wurden fünf exemplarische
Plattformen herausgegriffen, die hier kurz charakterisiert werden. Aus diesen fünf
Plattformen wurden die Selbstdarstellungen der Jugendlichen ausgewählt, die Gegenstand
des nachfolgenden Ergebniskapitels (3.2) sind.
myspace.com
Myspace.com ist die einzige kommunikativ orientierte Plattform, die den Nutzenden sowohl
ein breites Spektrum an Artikulationsformen als auch einen hohen Grad an Gestaltungs-
freiheit bietet. Die Nutzenden können ihre Selbstdarstellung durch ihre Profilinformationen,
einen Blog, eine Linksammlung, textbasierte Widgets (z. B. Einbindung eines Kalenders),
Bildunterschriften, Statusmeldungen und Kommentare gestalten. Zudem steht ihnen eine
breite Palette an symbolischen Artikulationsformen zur Verfügung: Fotos, Videos, Musik und
symbolische Widgets (z. B. Voice Comment Box, die eingebunden werden kann).
Bezüglich der Gestaltungsfreiheit in Bezug auf die eigene Profilseite sind den Nutzenden
nahezu keine Grenzen gesetzt. Sie haben die Möglichkeit, einen individuellen Hintergrund
für ihr Profil auszuwählen, zusätzlich können sie selbst entscheiden, wie sie die einzelnen
37
Elemente ihres Profils anordnen. Die Nutzenden können auch Profilhintergründe und -
layouts aus den „Materialbörsen“ (vgl. 3.1.1) übernehmen oder mit dem Profil-Editor ihr
eigenes Profil gestalten.
bloggorilla.de/bloggospace.de
Bloggorilla.de22 aus der Gruppe der produktiv orientierten Plattformen bietet den Nutzenden
ebenfalls ein breites Spektrum an Artikulationsmöglichkeiten und einen hohen Grad an
Gestaltungsfreiheit. So können sich Nutzende in ihren Profilinformationen artikulieren, in
ihrem Blog, in Kommentaren, in einem Kalender, mit der Angabe von Blogfavoriten („Blog-
roll“), durch die Vergabe von Tags und in einem Chat-Feld, das in das Profil eingebaut
werden kann. Auch das Spektrum an symbolischen Artikulationsmöglichkeiten ist breit und
umfasst neben der Artikulation über Fotos und Videos auch Audiodateien und eine Webcam-
Funktion. Auch auf bloggorilla.de haben die Nutzenden die Möglichkeit den Hintergrund
selbst zu gestalten, das heißt entweder ein eigenes Hintergrundbild hochzuladen oder aus
verschiedenen Hintergrund-Vorlagen auszuwählen.
Ähnliche Möglichkeiten wie bei bloggorilla.de stehen auch bei piczo.com zur Verfügung.
youtube.com
Youtube.com steht als exemplarische Vertreterin für die produktiv orientierten Plattformen,
die den Nutzenden ein enges Spektrum an Artikulationsmöglichkeiten, aber eine verhältnis-
mäßig große Gestaltungsfreiheit bieten. So beschränken sich die Artikulationsmöglichkeiten
auf die Informationen im Kanalprofil, auf die Videos inklusive Untertitel und Beschreibung
sowie auf die Vergabe von Tags, das Anzeigen von Favoriten und das Verfassen von
Kommentaren. Hinsichtlich der Gestaltungsfreiheit haben die Nutzenden bei youtube.com
vergleichbare Möglichkeiten wie bei bloggorilla.de: Sie können entweder aus einem Pool von
vorgefertigten Hintergründen auswählen oder ihren eigenen Kanalhintergrund entwerfen. Die
beiden Plattformen myvideo.de und clipfish.de sind in Bezug auf Artikulationsmöglichkeiten
und Gestaltungsfreiheit mit youtube.com vergleichbar.
lokalisten.de
Diese Plattform bietet den Nutzenden ein enges Spektrum an Artikulationsformen und keine
Gestaltungsfreiheit. Die textbasierte Artikulation umfasst den Ausdruck über Profilinforma-
tionen, Tagebucheinträge, Blogs, Bildunterschriften, Kommentare und Gästebucheinträge.
Die symbolische Artikulation ist auf dieser Plattform nur auf Fotos und Videos beschränkt.
Weiterhin haben die Nutzenden keinen Spielraum, um ihr Profil individuell zu gestalten. Alle
Profile sind in ihrem Hintergrund und ihrem Layout gleich und können von den Nutzenden
nicht verändert werden. Insbesondere hinsichtlich der Gestaltungsfreiheit kann lokalisten.de
exemplarisch für kommunikativ orientierte Plattformen stehen, die insgesamt ein hohes Maß
an Vorstrukturierung aufweisen (schuelervz.net, kwick.de, Windows Live Messenger/MSN,
ICQ).
22 Bloggospace.de ist ein Teilbereich der Blog-Plattform bloggorilla.de. In diesem Bereich sind die analysierten
Selbstdarstellungen verortet.
38
flickr.com
Hinsichtlich der Artikulationsmöglichkeiten ist flickr.com ein Pendant zu youtube.com: Bei
beiden steht ein Medium im Vordergrund. Flickr.com bietet darüber hinaus aber keine nen-
nenswerte Gestaltungsfreiheit. Textbasierte Artikulationsmöglichkeiten sind auf flickr.com
ebenfalls auf die Profilinformationen, die Bildunter- sowie -überschiften, Kommentare und
Tags beschränkt. Symbolisch kann eine Artikulation über Fotos und auch Videos erfolgen.
Die individuelle Gestaltung des Profillayouts sowie des -hintergrundes ist hier nicht möglich.
Ähnlich wie flickr.com sind auch slide.com und dopcast.de einzuschätzen.
39
3.2 Selbstdarstellungen: Spektrum medialer Artikulation und Beziehungspflege
Wie Jugendliche mit dem auf den Plattformen gegebenen Rahmen für ihre Selbstdarstellung
umgehen, wurde im Hinblick auf die behandelten Themen, die Artikulationsformen und die
Formen der sozialen Bezugnahme untersucht. Grundlage dieser hier vorgestellten Ergeb-
nisse sind einerseits die Erfahrungen aus den Web 2.0-Werkstätten, in denen mit Jugend-
lichen auf zwei unterschiedlichen Plattformen gearbeitet wurde, andererseits die Analysen
der 26 Selbstdarstellungen auf den Plattformen bloggospace.de, flickr.com, myspace.com,
lokalisten.de und youtube.com.
3.2.1 Themensetzungen durch die Jugendlichen
Der Begriff Selbstdarstellung mag nahe legen, dass es bei der Nutzung der Online-
Plattformen nur um das Selbst, nur um die eigene Person geht. Auch wird von einigen
Angeboten ebenfalls der Fokus auf das Selbst gelenkt: So beispielsweise bei dem Slogan
von youtube.com „Broadcast yourself!“ („Sende Dich selbst!“) oder auch bei lokalisten.de
„zeige deine fotos und videos“. Doch wie in Kapitel 3.1.1 bereits vorgestellt, werden auf den
Plattformen durchaus auch weitere thematische Akzente gesetzt, wie beispielsweise Musik
im Falle von myspace.com.
Bewusst haben wir bei der Analyse verschiedene thematische Dimensionen berücksichtigt,
die sich zum einen auf das jeweils handelnde Selbst beziehen, zum anderen aber über den
Selbstbezug hinausgehen und weitere thematische Sphären ansprechen, die das Selbst
umgeben. So wurde untersucht, inwiefern die Person selbst thematisiert wird, inwiefern das
soziokulturelle Umfeld der Person angesprochen und inwiefern Bezüge zu gesellschaftlichen
Themen hergestellt werden. Diese drei Dimensionen wurden jeweils noch weiter ausdiffe-
renziert.
In den Web 2.0-Werkstätten wurden von den Jugendlichen selbstgewählte Themen auf den
Plattformen blog.de und myspace.com bearbeitet. Im Rahmen der pädagogischen Angebote
legten die Jugendlichen ihre Themen zwar selbst fest, jedoch wurden darüber hinaus auch
im pädagogischen Prozess weitere Themen angeregt, weshalb die Ergebnisse nicht auf
gleicher Ebene behandelt werden können. In beiden Web 2.0-Werkstätten wurde das
Bedürfnis deutlich, die eigenen Interessen und Fähigkeiten in den Vordergrund zu rücken.
Bei myspace.com wurde aber auch insbesondere von den Mädchen ein großes Gewicht auf
den Themenbereich Freunde und Freundschaften gelegt.
a) Thematische Schwerpunkte: Medienaffine Interessen, Freundschaften, Lebens-
fragen
Im Folgenden wird zunächst auf die Themen fokussiert, die in den Selbstdarstellungen im
Vordergrund stehen. Da in einigen Selbstdarstellungen eine recht große Themenpalette
behandelt wird, werden dadurch einige thematische Bezüge ausgeblendet. Um die
Selbstdarstellungen übersichtlich zu bündeln, wird diese Einschränkung an dieser Stelle
jedoch in Kauf genommen.1
1 Das Spektrum der Themen wird im Anschluss unter b) aufgeblättert. In die Auswertung und entsprechend in die
nachfolgenden Kapitel sind alle Themen in den Selbstdarstellungen einbezogen.
40
Gebündelt nach den Themen, die in den Selbstdarstellungen im Vordergrund stehen, können
drei thematische Schwerpunkte identifiziert werden:
- (medienaffine) Interessen
- Alltag und Freunde
- Gefühle, Werte und Lebensziele.
Die Zuordnung der einzelnen Selbstdarstellungen zu diesen Schwerpunkten ist der Abbil-
dung 3.2-1 zu entnehmen. Zur Anonymisierung wurden die Selbstdarstellungen jeweils durch
den Anfangsbuchstaben der Plattform gekennzeichnet und durchnummeriert.
F3
M2Y5
F1Y6
B5
F2 F4
L2
M1Y4Y2
B2 B3
B4
Y3
L4
L3
B1
M5
F5
L5
Y1
M3
L1
Gefühle, Werte, Lebensziele
(medienaffine) Interessen
Alltag und Freunde
M4
Musik
TV/Film
Videoproduktion
und Fotografie Sport
Bündel thematischer Schwerpunkte
Abbildung 3.2-1: Thematische Schwerpunkte in den Selbstdarstellungen (gebündelt)
(Medienaffine) Interessen
Dieses thematische Bündel ist am stärksten besetzt (vgl. Abbildung 3.2-1). Gemein haben
die dreizehn hier verorteten Selbstdarstellungen, dass die Jugendlichen die eigenen
Interessen in den Vordergrund rücken, die in den meisten Fällen eng mit Medien verknüpft
sind und hier als medienaffine Interessen bezeichnet werden. (vgl. auch Gebel 2006: 49)
- Allein der 16-jährige L3 rückt ein medienunabhängiges Interesse für Kampfsport ins
Zentrum seiner Selbstdarstellung. Die fernöstliche Kampftechnik betreibt er selbst
aktiv und trainiert darin offenbar auch jüngere Sportler und Sportlerinnen. Zur
Darstellung dieses Themas nutzt er neben seinen Profilangaben Videos und Fotos.
Bei den Videos bindet er auch solche in seine Selbstdarstellung ein, die er
41
offensichtlich nicht selbst erstellt hat, die aber hoch entwickelte Fähigkeiten in der
Kampfsportart zeigen.
- Bei sieben Selbstdarstellungen (fünf von weiblichen und zwei von männlichen
Jugendlichen) steht das Interesse für Musik im Vordergrund. Auffällig ist, dass diese
alle auf den Plattformen myspace.com und youtube.com stehen. Das Interesse an
Musik vermittelt sich (a) als Rezeptionsinteresse, (b) in Verbindung mit eigenen
Produktionen oder (c) durch das eigene musikalische Schaffen.
a) In den Selbstdarstellungen der 17-jährigen Y5 und der 18-jährigen M4 stehen
jeweils die eigenen Musikvorlieben im Vordergrund. Bei beiden werden über die Platt-
formen direkt Musiktitel präferierter Musikgruppen in die Selbstdarstellung einge-
bunden.
Die Vorliebe für eine bestimmte Boy-Group wird bei Y5 bereits durch ihren youtube-
Namen deutlich, mit welchem sie sich als Fan eines der Sänger ausweist. Neben
ihren Profilangaben wird ihr Fantum aber vor allem in den als Favoriten eingebunde-
nen Musikvideos deutlich. Auch die Kommunikation mit anderen Nutzenden dreht
sich vielfach um die Boy-Group.
Bei M4 liegt der Schwerpunkt weniger auf einer konkreten Band als auf ihrem
Musikgeschmack insgesamt. Sie beschreibt in ihrem Profil welche Musikgruppen und
-richtungen sie mag und hat über 60 Musiktitel in den auf myspace.com bereit-
gestellten Musikplayer eingebunden.
b) In drei Selbstdarstellungen (M1, Y4, Y2) werden Musikvorlieben im eigenen pro-
duktiven Medienhandeln verarbeitet, wie z. B. bei der Herstellung von Videos oder
dem Betreiben eines Blogs.
Die 17-jährige M1 nutzt myspace.com als Plattform für ihren Blog, in welchem sie
über besuchte Konzerte berichtet. Im Mittelpunkt der Selbstdarstellung der 18-jähri-
gen YouTuberin Y4 steht deutschsprachiger Untergrund-Hip-Hop. Zu den Liedern
produziert sie passend animierte Diashows und kommentiert in diesen Videos die
Liedtexte häufig zusätzlich textlich oder greift Liedzeilen visualisierend auf. Die 14-
jährige Y2 hat mehrere „Anime Music Videos“ (AMVs) eingestellt, in denen sie Auf-
nahmen aus Computerspielen zu populären Musiktiteln schneidet.
c) Zwei Selbstdarstellungen auf myspace.com (M2, M5) rücken das eigene musikali-
sche Schaffen ins Zentrum.
Der 17-jährige M2 und der 18-jährige M5 machen beide selbst Musik. M2 hat die
selbstproduzierte elektronische Musik als Profilsong in seine Selbstdarstellung einge-
bunden und präsentiert darüber hinaus sein Musikequipment auf Fotos. M5 spielt in
einer Band, was vor allem über Fotos von Auftritten deutlich wird. Ob die im Profil
gespielte Musik von dieser Band stammt, bleibt unklar. Von seinem Profil aus verlinkt
er aber direkt auf die Seite seiner Band.
- Rezeptionsinteressen in Film und Fernsehen stehen bei zwei Selbstdarstellungen
im Vordergrund (Y3, L1).
Der 16-jährige Y3 sticht mit seiner Selbstdarstellung besonders hervor. Er hat aus-
schließlich, dafür aber zahlreiche Ausschnitte der Sendung TV total eingestellt.2 Über
2 Die offenkundigen Urheberrechtsverletzungen bleiben an dieser Stelle unkommentiert, da auf die thematischen
Schwerpunkte der Selbstdarstellungen fokussiert wird. Die mit den Selbstdarstellungen verbundenen Probleme
(u. a. Urheberrecht) werden an späterer Stelle behandelt.
42
ein Link auf seiner Kanalseite verweist er auf einen Blog über diese Sendung, den er
über die auf youtube.com gehosteten Videos bestückt. Das zentrale Thema seiner
Selbstdarstellung auf youtube.com ist die Sendung TV total. Darüber hinaus kann
nahezu nichts über Y3 erfahren werden.
Im Fotoalbum des 14-jährigen L1 finden sich nahezu ausschließlich Fotografien von
Stars aus Film und Fernsehen. Neben bekannten Filmschauspielern (vor allem aus
dem Fantasy- und Action-Bereich) hat er auch eine Reihe Abbildungen prominenter
Sportler in seine Selbstdarstellung integriert. Unterstrichen wird seine Vorliebe für das
Fantasy-Genre durch sein einem Film entlehntes Pseudonym und die Angaben in
seinem Profil.
- Fotografie bzw. Videoproduktion (mit teils professionellen Ambitionen) stehen bei
drei Selbstdarstellungen im Fokus (F1, F3 und Y6).
Besonders markant ist das Interesse an Fotografie bei dem 17-jährigen F3. Mit einer
Zahl von über 20 Alben ist er zum einen ein besonders aktiver Fotograf und zum
anderen wird in der Qualität der Fotografien deutlich, dass er semiprofessionell foto-
grafiert. Verschiedene seiner Fotos ergänzt er mit Angaben zur Aufnahmetechnik.
Bei der 15-jährigen F1 ist das Interesse am Fotografieren mit ersten Experimenten in
der Modefotografie verbunden. Neben den eigenen Modefotos stehen aber auch
Schnappschüsse aus ihrem Alltag.
Bei dem 18-jährigen Y6 ist ein ausgeprägtes Interesse an der Videoproduktion (insbe-
sondere von Vlogs) erkennbar. In seiner Selbstdarstellung finden sich eine Vielzahl
an Videos, die er alleine oder gemeinsam mit anderen Nutzenden von youtube.com
zu ganz unterschiedlichen Themenbereichen erstellt hat. Ein Thema kehrt allerdings
immer wieder, und zwar erstellt Y6 Origami-Videos, in denen Schritt für Schritt ver-
schiedene Figuren gefaltet werden. Dies ist allerdings nur ein Schwerpunkt innerhalb
einer großen Spannbreite seiner Themen.
Alltag und Freunde
Mit insgesamt acht Selbstdarstellungen ist dieses Bündel am zweithäufigsten besetzt. Im
Vordergrund stehen bei diesen Selbstdarstellungen die Schilderung und Dokumentation von
Freizeitaktivitäten, teils auch von besonderen Lebensereignissen. Freunde werden sowohl in
Verbindung mit den Freizeitaktivitäten thematisiert, bilden teils aber auch einen eigenen
Schwerpunkt. In drei Selbstdarstellungen sind auch explizite Freundschaftsbotschaften
enthalten (Y1, L2 und F2).
In der Selbstdarstellung thematisiert die 15-jährige L2 verschiedene Ereignisse in ihrem Le-
ben (Abschlussball, Urlaub usw.) vor allem über Fotos. In Bildunterschriften nimmt sie Bezug
auf ihre Freunde (z. B. „hab euch alle lieb“ zu einem ein Bild mit Kussmund). In
Kommentaren bekommt sie verhältnismäßig viele positive Rückmeldungen, aus denen sich
teils auch Dialoge entwickeln.
Neben der Dokumentation von besonderen Lebensereignissen nimmt bei dem 17-jährigen F2
die Freundschaft mit seinem vermutlich besten Freund großen Raum ein. In mehreren Fotos
inszeniert er den Freund und sich in bearbeiteten Bildern, die er dann auch entsprechend
betitelt („best friends forever“).
Auch bei der 14-jährigen Y1 stehen Freundschaftsbekundungen im Vordergrund. Sowohl für
ihren „Schatz“ als auch für andere Freundinnen und Freunde hat sie Videos mit individuellen
Botschaften erstellt. Neben diesen hat sie auch einzelne Slideshow-Videos eingestellt, die
Aktivitäten mit ihren Freundinnen und Freunden dokumentieren.
43
Gefühle, Werte und Lebensziele
Diese fünf Selbstdarstellungen haben gemein, dass Stimmungen hervorgehoben, persön-
liche Einstellungen thematisiert und teils auch diskutiert werden sowie Orientierungsfragen
hinsichtlich des eigenen Lebens aufgeworfen werden.
Die Themen der 15-jährigen B1 drehen sich vor allem um Liebe und Beziehung bzw. Bezie-
hungsprobleme. Teils nimmt sie dabei Bezug auf die eigene Partnerschaft, teils bleibt sie im
Allgemeinen. Darüber hinaus spricht sie verschiedentlich Themen aus ihrem Alltag (Streit mit
Eltern o. Ä.) oder Einstellungsfragen an (z. B. zu Fremdenhass).
Als einziger männlicher Vertreter in diesem Bündel behandelt der 20-jährige B5 in seiner
Selbstdarstellung sowohl Beziehungsfragen als auch Fragen der beruflichen Orientierung.
b) Thematische Vielfalt: Vom Selbstbezug bis zur Gesellschaft
Neben den thematischen Schwerpunkten wird in den Selbstdarstellungen eine Fülle an
Themen angesprochen, deren Spektrum im Folgenden entlang der Untersuchungsdimen-
sionen (vgl. Kapitel 2.2) aufgezeigt wird.
Ich als Person
In durchaus vielfältiger Weise wird das Thema „Körper“ in den Selbstdarstellungen
aufgegriffen. Neben körperbezogenen Profilangaben ist eine relativ verbreitete Form der Kör-
perthematisierung das Einstellen teils sehr körperbetonter mehr oder weniger inszenierter
Fotografien. Es finden sich aber auch Fotografien, in denen der Körper gerade nicht im
Gesamten sichtbar wird, da z. B. nur ein Gesichtsausschnitt abgebildet wurde. Eine Form
den eigenen Körper (ohne ihn abzubilden) zu thematisieren, sind ironische Kommen-
tierungen von Bildern (z. B. eines internationalen Tennisstars mit „Das bin ich“ oder mittels
Bildverlinkungen). Angesprochen werden in diesem Themenkreis auch die Aspekte Gesund-
heit und Schönheit (z. B. stellt M4 viele Fotos von sich in verschiedenen, klassischen
Frauen-Posen ein und schätzt sich als zu dick ein). Keinerlei Körperbezug findet sich nur in
vier Selbstdarstellungen.
Im Themenbereich „Leben, Alltag und Lebensgeschichte“ fallen, wie bereits deutlich wurde,
zwei Themenbündel besonders ins Gewicht: Schilderungen des Alltags und besondere
Lebensereignisse. Schilderungen des Alltags finden sich in achtzehn der 26 Selbstdar-
stellungen. In Berichten und Bildern geht es beispielsweise um die Schule, um
Freizeitaktivitäten, um Nebenjobs etc. Besondere Ereignisse im Leben werden in vierzehn
Selbstdarstellungen vorgestellt. Das Spektrum reicht hier von Schulausflügen und
Urlaubsreisen über das Mitwirken in einem Gesangswettbewerb bis hin zum
Krankenhausaufenthalt. Als besondere familienbezogene Lebensereignisse werden z. B. die
Geburt des eigenen Kindes oder die Scheidung der Eltern thematisiert.
Bei den „Interessen“ geht es am häufigsten um Sport und Musik. Daneben findet sich eine
Vielzahl weiterer Hobbys und Interessen, unter anderem auch medienbezogene (Computer-
spiele, Filme, Fernsehsendungen, Bücher). Auch bei den Interessen wird teils zum Mittel der
Ironisierung gegriffen. Ein Beispiel sind die Interessensangaben von L5 (Yoga, Basteln,
Töpfern und Flohmarkt), die offenkundig mit dem Gesamteindruck dieser eher auf Partykultur
orientierten Selbstdarstellung brechen. Als „Talente“ nehmen ebenfalls Sport und Musik eine
44
besondere Rolle ein. Darüber hinaus werden vor allem Talente in der Medienproduktion
(Videoschnitt, Fotografie etc.) thematisiert.
Ich und mein soziokulturelles Umfeld
Nur bei drei Selbstdarstellungen wird die eigene geografische Herkunft bzw. Beheimatung
nicht erwähnt. In den meisten Selbstdarstellungen finden sich dagegen deutliche Bezüge zu
einem Ort, einer Region oder zumindest (auch durch die Plattformen unterstützt) einem
Land. Überwiegend wird der Wohnort angegeben, teilweise auch der Geburtsort oder eine
kulturelle Verankerung in einem anderen Land. In zwei Selbstdarstellungen werden darüber
hinaus auch explizit Angaben zum sozioökonomischen Hintergrund der Familie gemacht,
z. B. zum Beruf der Eltern.
In allen Selbstdarstellungen sind soziale Kontakte und damit die Person als „soziales
Wesen“ ein Thema. Unterschiedliches Gewicht kommt den Themen Freundschaft3 (bei fast
allen Selbstdarstellungen), Liebe und Partnerschaft (in zehn Selbstdarstellungen), Familie
(ebenfalls zehn Selbstdarstellungen) und Vereinen oder Arbeitskollegen (in fünf Selbst-
darstellungen) zu.
Die jeweilige „Community“ als Bezugspunkt findet sich bei dreizehn Selbstdarstellungen.
Allerdings wird nur bei einem Jugendlichen deutlich, dass er sich auch über die Plattform-
aktivität hinaus in einer „virtuellen Gruppe“ engagiert, die beispielsweise ein eigenes Forum
betreibt und deren Mitglieder sich einmal jährlich offline treffen. Bei allen anderen bleibt die
Bezugnahme zur Community auf die jeweilige Plattform begrenzt. Sie äußert sich
beispielsweise in Gruppenmitgliedschaften, die sich deutlich auf die Plattform beziehen (z. B.
indem neue Features für die Plattform gefordert werden), in Aufforderungen an die Besucher
der Selbstdarstellung, eine Freundschaft einzugehen4 oder Kommentare zu hinterlassen
oder im Einfordern communityspezifischer ‚Anstandsregeln’.
Ich in der Gesellschaft
Mit Blick auf eine Positionierung in der Gesellschaft erscheinen vor allem Äußerungen von
„Meinungen und Einstellungen“ zu sozialen, politischen Themen oder mit Blick auf die
Konsumkultur als relevant. Unter diesem Blickwinkeln können auch Meinungen zu kulturellen
Produktionen (wie z. B. Musik oder einer Band, die hier unter ‚Ich und meine Interessen’
gefasst wurden) als eine Form der jugendkulturellen Positionierung gesehen werden (vgl.
Kapitel 3.4). An dieser Stelle soll jedoch auf gesellschaftsbezogene bzw. politisch-soziale
Themen fokussiert werden.
Politisch-soziale Themen wie Armut oder Rassismus und Ausgrenzung werden in acht und
damit im Gesamtüberblick verhältnismäßig wenigen Selbstdarstellungen thematisiert.5 Ein
3 Für eine Zuordnung in der Analyse reichte nicht aus, Freunde in einer Freundesliste zu führen, sondern es
musste zumindest eine Form der Bezugnahme aufeinander identifiziert werden können (z. B. mit Kommentaren,
Bildern, Verlinkungen).
4 Diese Aufforderung musste explizit genannt werden. Allein die von der Plattform bereitgestellte Funktion, ein
Profil als Freund hinzuzufügen, wurde an dieser Stelle nicht gewertet.
5 An dieser Stelle wird zunächst nur konstatiert, dass es im Verhältnis wenige Selbstdarstellungen sind, in denen
politisch-soziale Themen aufgegriffen werden. Damit wird noch keine Wertung vorgenommen, beispielsweise ob
Jugendliche sich nicht ausreichend politisch positionieren.
45
Thema aus dem politischen Nahbereich ist nur in einer Selbstdarstellung aufgegriffen (der
Schülerstreik, der zur Zeit der Analyse durchgeführt wurde). In mehreren Selbstdarstellungen
werden Wertefragen als eine weitere Facette von Meinungen und Einstellungen aufgegriffen.
Beispiele sind eine moralische Auseinandersetzung mit dem Thema Schwanger-
schaftsabbruch oder auch (weniger differenziert) eine Positionierung bezüglich Schön-
heitsidealen.
Bezüge zur Konsumkultur, in der sich Jugendliche auch online bewegen, wurden gesondert
erfasst. Bei der Hälfte der Selbstdarstellungen wurden explizit Marken aus den Bereichen
Kleidung, Lebensmittel, Fahrzeuge und Medien (Inhalte, Geräte und Netzanbieter) genannt.
In den meisten Fällen wurden diese Bezüge zur positiven Selbstbeschreibung heran-
gezogen, wie beispielsweise ein Jugendlicher, der sich über die Zuordnung zu knapp
zwanzig Erfrischungsgetränken und Schokoriegeln verortet. In einigen Fällen ist mit den
Marken vermutlich auch eine Zuordnung zu bestimmten jugendkulturellen Szenen intendiert
(z. B. bestimmte Skaterschuhmarken).
In zwei Selbstdarstellungen werden auch konsumkritische Einstellungen deutlich, da sich die
Jugendlichen von den besprochenen Themen abgrenzen. So stellt ein Jugendlicher dar,
dass er eine große Handelskette für Unterhaltungselektronik meidet. Ein anderer beschäftigt
sich mit dem Rabattsystem im Versandhandel und hinterfragt die Logik, nach der man
weniger zahlt, wenn man mehr kauft.
c) Zusammenfassung
Die Themenbereiche „(medienaffine) Interessen“ sowie „Alltag und Freunde“ stehen bei den
analysierten Selbstdarstellungen deutlich im Vordergrund. Nur in verhältnismäßig wenigen
Selbstdarstellungen wird vordergründig auf die eigenen „Gefühle, Werte und Lebensziele“
fokussiert, was auf Grundlage der kleinen und exemplarischen Stichprobe als vorsichtige
Relativierung des Pauschalvorwurfs an Jugendliche gewertet wird, sie würden unreflektiert
ihre persönlichsten Informationen im Internet veröffentlichen. Neben den Schwerpunkt-
themen werden aber in fast allen Selbstdarstellungen noch weitere Themen aufgegriffen, so
dass verschiedene Facetten der Autorinnen und Autoren der Selbstdarstellungen erkennbar
werden.
Relativ deutlich kann nachvollzogen werden, dass sich bei einigen Plattformen Schwer-
punkte und Angebotsmerkmale auch thematisch in den Selbstdarstellungen widerspiegeln.
Besonders deutlich wird dies mit dem Schwerpunkt auf Musik bei myspace.com, der durch
die Möglichkeit zur Präsentation eigener Musik und der Einbindung der Musik anderer
hervorsticht. Aber auch übergreifend finden sich zusammen mit den Plattformen
youtube.com und flickr.com6 insbesondere bei diesen Plattformen medienaffine Interessen
als Schwerpunkt. Hier sind deutliche Bezüge zwischen der Plattformanlage und Themen in
den Selbstdarstellungen erkennbar. Ein ähnlich deutlicher Bezug ist bei den Selbst-
darstellungen auf bloggospace.de zu erkennen, wo ein größerer Schwerpunkt auf Gefühle
und Werte gelegt wird. Dies könnte ggf. durch die Tagebuchmetapher, mit der Blogs arbei-
ten, angeregt sein. (vgl. auch Nardi/Schiano/Gumbrecht 2004, Diemand 2009: 47)
6 Beide wurden in der Plattformanalyse aus Nutzerperspektive mit „Zeigen, was ich gemacht habe“
charakterisiert. (vgl. Kapitel 3.1.1)
46
3.2.2 Formen der Artikulation
In den Web 2.0-Werkstätten konnte beobachtet werden, dass die Umgangsweisen der
Jugendlichen mit den Plattformen zum einen sowohl von subjektiven Interessen abhängen
als auch zum anderen mit dem Rahmen, den die Plattformen bereitstellen, in Zusammen-
hang stehen. Ein myspace.com-Profil kann beispielsweise vorrangig zur Vernetzung mit
Freundinnen und Freunden oder gezielt zur Präsentation eigener Musikstücke genutzt
werden7 – je nach Motivation werden die bereitgestellten Möglichkeiten unterschiedlich
ausgeschöpft.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die analysierten Plattformen sich sowohl hinsichtlich des
Spektrums an Artikulationsformen unterscheiden als auch hinsichtlich der Möglichkeiten das
Design zu verändern. (vgl. Kapitel 3.1.4) Beide Aspekte werden getrennt voneinander
betrachtet und abschließend wird zusammenführend dargestellt, inwiefern und wie die
Artikulationsmöglichkeiten und (so möglich) ein individuelles Design für persönliche
Akzentsetzungen in den Selbstdarstellungen genutzt werden.
a) Schwerpunkte in den Artikulationsformen: „Zeigen“ steht im Vordergrund
Zur Verfügung stehen auf den Plattformen prinzipiell sowohl textbasierte Ausdrucksformen
(z. B. Profilangaben, Blogbeiträge, Kommentare) als auch nicht-sprachliche, symbolhafte
(z. B. Bilder, Videos, Musik oder multimediale Elemente8). Von den Plattformen wird jeweils
ein spezifischer Rahmen an verfügbaren Ausdrucksformen bereitgestellt. In die Analyse
wurden sowohl solche Plattformen einbezogen, die ein verhältnismäßig enges Spektrum
bieten (lokalisten.de, youtube.com und flickr.com), als auch solche, die ein relativ breites
vorweisen (myspace.com und bloggorilla.de/bloggospace.de).9
Das jeweils verfügbare Spektrum wird in den einzelnen Selbstdarstellungen unterschiedlich
breit ausgeschöpft. Bei einem relativ kleinen Teil der Selbstdarstellungen ist festzustellen,
dass sie nur wenige Ausdrucksformen einbeziehen. Ein Beispiel hierfür ist der 20-jährige
Blogger B5, der seinen Blog ausschließlich mit Textbeiträgen führt, ohne Bilder oder Videos
einzubinden. Bei dem Gros der Selbstdarstellungen werden dagegen verschiedene Aus-
drucksformen genutzt und teilweise auch miteinander kombiniert. Dennoch wird in ihnen nur
ein Teil des verfügbaren Spektrums herangezogen. Nur knapp ein Viertel der Selbstdar-
stellungen schöpft (fast) die ganze Bandbreite der Plattform aus. Beispiele hierfür sind die
18-jährige YouTuberin Y4, die ihre Videos mit Titeln, Tags und ausführlichen Beschreibun-
gen ergänzt sowie zusätzlich Kommentare nutzt, oder die ebenfalls 18-jährige F4, die auf
vergleichbare Weise ihre Fotos auf flickr.com mit Titeln, Tags und Beschreibungen ergänzt
und die dort neben Fotos auch Videos eingestellt hat.
Auffällig ist, dass die meisten Jugendlichen textbasierte und nicht-sprachliche, symbolhafte
Artikulationen in ihren Selbstdarstellungen kombinieren. Dennoch sind Unterschiede darin
erkennbar, welche Artikulationsformen im Zentrum der Selbstdarstellung stehen, und auch
darin, wie die Artikulationsformen aufeinander bezogen sind. (vgl. Abb. 3.2-2) Entsprechend
7 Beide Akzentsetzungen wurden von Teilnehmenden der zweiten Web 2.0-Werkstätte so umgesetzt.
8 Gemeint sind damit beispielsweise Widgets auf myspace.com.
9 Ausführlich zu den auf den jeweiligen Plattformen bereitgestellten Möglichkeiten siehe Kapitel 3.1.4.
47
der Schwerpunkte in den Selbstdarstellungen lassen sich drei Bündel mit Untergruppen
ausmachen:
- Selbstdarstellungen, bei denen textbasierte Artikulationsformen und damit das
‚Schreiben’ im Vordergrund stehen
- Selbstdarstellungen, bei denen nicht-sprachliche, symbolhafte Artikulationsformen und
entsprechend das ‚Zeigen’ im Vordergrund stehen
- Selbstdarstellungen, bei denen beiden Artikulationsformen, dem ‚Schreiben und Zeigen’,
ein großes Gewicht zukommt
Neben den unterschiedlichen Ausformungen von ‚Schreiben’ und ‚Zeigen’ variiert der Anteil
von Selbst- und Fremdproduziertem in den analysierten Selbstdarstellungen, sodass sich ein
recht differenziertes Bild ergibt. (vgl. Abbildung 3.2-2)
L2, L3
fremdproduziert selbstproduziert
textbasiert symbolhaft
Schwerpunkte in den Artikulationsformen
rein text-
basiert
Text und Symbolhaftes
stehen nebeneinander
L4, L5
M3, M4
B5
Text, illustriert
mit Bildern
M1
B1, B2
B3
F3, F4,
F5
Y6
Y1, Y4
Symbolhaftes steht
im Vordergrund
F1, F2,
M2, M5
B4
L1
Y3, Y5
Symbolhaftes wird
durch Text ergänzt
Y2
Schreiben Schreiben & Zeigen Zeigen
Abbildung 3.2-2: Schwerpunkte in den Artikulationsformen (sortiert nach Anteilen textbasierter und
symbolhafter Artikulationsformen, sowie dem Anteil an Selbst- und Fremdprodu-
ziertem)
‚Schreiben’
Erwartungsgemäß finden sich in diesem Bündel vier der fünf Selbstdarstellungen auf
bloggospace.de (B1,B2, B3, B5), aber auch eine Selbstdarstellung auf myspace.com (M1).
Bei diesen Selbstdarstellungen machen Textbeiträge (im Blog, im Tagebuch etc.) in der
Artikulation einen Schwerpunkt aus. Der Blogger B5, der ganz auf Bilder oder Videos ver-
48
zichtet, ist in diesem Bündel allerdings ein Einzelfall. Bei den anderen drei Bloggerinnen wer-
den häufig Bilder ergänzend zu den Texten eingebunden. In ihren Selbstdarstellungen haben
diese Bilder einen illustrativen Charakter und sind in vielen Fällen auch nicht selbst erstellt.
Vielmehr werden bereits im Internet veröffentlichte Materialien in eigene Blogbeiträge einge-
fügt. Als Quellen für die Fotos nutzen sie zum einen die oben beschriebenen Materialbörsen
(vgl. 3.1.1) oder auch Fotoplattformen wie flickr.com. In der Selbstdarstellung der 19-jährigen
B3 sind als Texte ausschließlich Lieder oder Gedichte eingebunden, die von aktuellen Bands
oder anderen (teils bekannten) Autoren stammen.
Die Selbstdarstellung der 17-jährigen M1 ist auf myspace.com die einzige analysierte mit
dem Schwerpunkt Textproduktion. Für diese Plattform unüblich10, hat sie ein grafisch sehr
reduziertes, textorientiertes Profil und führt einen Blog, in welchem sie über Konzertbesuche
berichtet. In diesem Blog hat sie nur ein einziges Foto von einem besuchten Konzert ein-
gefügt, das sie als Eigenproduktion kennzeichnet.
‚Zeigen’
Bei insgesamt 15 Selbstdarstellungen stehen nicht-sprachliche, symbolhafte Artikulations-
formen wie Bilder, Videos oder Musik im Vordergrund. Die Autorinnen und Autoren vermitteln
die thematischen Schwerpunkte ihrer Selbstdarstellung, indem sie sie anderen zeigen. Diese
Selbstdarstellungen lassen sich nochmals in zwei Untergruppen untergliedern: eine Unter-
gruppe, bei der das Zeigen von Fotos, Videos oder Musik an sich im Vordergrund steht und
eine andere Gruppe, die ergänzend zum Zeigen ihre Inhalte auch ausführlich beschreibt.
- Zur ersteren Untergruppe „Symbolhaftes steht im Vordergrund“ zählen drei Selbstdar-
stellungen auf youtube.com, zwei auf flickr.com und je eine auf bloggospace.de,
lokalisten.de und myspace.com.
Eine exemplarische Selbstdarstellung für diese Gruppe ist die des 17-jährigen M2. Er hat die
Profilangaben auf myspace.com nur sehr knapp und vereinzelt ausgefüllt. Präsent ist er mit
selbst erstellter Musik, die in seinem Profil eingebunden ist, und über eine Reihe von Fotos.
Die Fotos stammen überwiegend aus seinem Lebensumfeld und zeigen sein Musikequip-
ment oder geben Einblicke in sein Leben. Nur wenige dieser Fotos hat er mit Bildunter-
schriften versehen. Vergleichbare Formen der Artikulation finden sich bei der 15-jährigen F1,
dem 17-jährigen F2 sowie dem 18-jährigen M5.
Die Beiträge der 14-jährigen Y2 unterscheiden sich dahingehend, dass sie in ihren Videos
auf youtube.com Musik von populären Musikgruppen verarbeitet und Sequenzen aus Com-
puterspielen einbindet. Damit sind die Anteile an Fremdproduziertem in ihrer Selbstdar-
stellung deutlich größer.
Noch größer ist der Anteil an Fremdproduziertem bei einer weiteren Gruppe (L1, Y3, Y5, B4).
Hierfür ist der 14-jährige L1 mit seiner Selbstdarstellung auf lokalisten.de ein extremes Bei-
spiel. Im Zentrum seiner Selbstdarstellung stehen ausschließlich fremdproduzierte Bilder, die
durchweg Stars aus den Medien und prominente Sportler abbilden. Auch bei ihm sind nur
wenige Bilder mit Bildunterschriften versehen, die dann aber mit Ironie den Bildern eine auf
L1 bezogene Bedeutungsdimension11 verleihen. Auffällig ist auch B4. Im Gegensatz zu den
anderen Bloggerinnen und Bloggern stellt der 20-jährige B4 verschiedene Bilder und vor
10 Auch die Analyseergebnisse von MySpace-Profilen von Jones, Millermaier et al. legen nahe, dass nur ein
kleiner Anteil der Nutzenden auf myspace.com aktiv einen Blog betreibt. (vgl. Jones, Millermaier et al. 2008)
11 Beispielsweise kommentiert er das Bild eines prominenten Tennisspielers mit „Das bin ich“ oder er gibt im
Bildkommentar zu dem berühmten Model Paris Hilton an, dass sie bei ihm als Gastschülerin wohnen wird.
49
allem Videos in sein Blog, die er nur kurz kommentiert.12 Im Rahmen der Web 2.0-Werk-
stätten konnte bei den Jungen ein ähnlicher Umgang mit Blogs beobachtet werden.
- In der zweiten Untergruppe „Symbolhaftes wird durch Text ergänzt“ sind jeweils drei
Selbstdarstellungen auf youtube.com und flickr.com verortet.
Diese Gruppe, bei der symbolhafte Artikulationsformen im Vordergrund stehen, diese aber
ausführlicher mit Texten beschrieben werden, lässt sich am Beispiel der Selbstdarstellung
der 17-jährigen F4 auf flickr.com charakterisieren. Sie hat eine Vielzahl an Fotos auf der
Plattform eingestellt und nutzt ausgiebig die Möglichkeiten, diese mit Bildunterschriften zu
beschreiben und beispielsweise die Situation, aus der heraus das Bild entstanden ist, zu
erläutern. Mit textbasierten Artikulationsformen werden hier ergänzende Informationen zu den
gezeigten Inhalten hinzugefügt, die je nach Schwerpunkt der Selbstdarstellung variieren. Bei
dem nahezu professionell fotografierenden 17-jährigen F3 sind viele dieser Beschreibungen
auf die Aufnahmetechnik, Belichtungsverhältnisse oder den Aufnahmekontext gerichtet. In
der thematisch vielfältigen Selbstdarstellung des 18-jährigen Y6 sind die Videos
inhaltsbezogen kommentiert – teilweise sind aber auch in den Videos Texte eingeblendet. Bei
allen bis hier beschriebenen Selbstdarstellungen basieren die Bilder und Videos im
Wesentlichen auf eigenen Werken.
Die 18-jährige Y4 und die 14-jährige Y1 binden dagegen von anderen produzierte Musik ein.
Zum einen ergänzen sie sie in Beschreibungen und Tags textbasiert, zum anderen betonen
sie auch in den Videos einzelne Aussagen des Liedes mit Texteinblendungen. Y1 verbindet
in ihren Videos die fremdproduzierte Musik mit Bildern aus ihrem Lebensumfeld und überträgt
sie damit auf die eigene Lebenssituation. Y4 verarbeitet dagegen in den Videos fast
ausschließlich Bilder, die sie von Materialbörsen im Internet bezieht.
‚Schreiben und Zeigen’
Bei insgesamt sechs Selbstdarstellungen auf lokalisten.de und myspace.com kommt sowohl
textbasierten als auch nicht-sprachlichen und symbolhaften Artikulationsformen ein großes
Gewicht zu, allerdings ohne dass diese so deutlich aufeinander bezogen sind, wie bei den
Untergruppen der beiden anderen Bündel.
An der Selbstdarstellung des 16-jährigen L3 kann dies verdeutlicht werden. Die Möglich-
keiten, sich im Profil über textbasierte Aussagen darzustellen, hat er ausführlich genutzt, um
sich und seine Interessen zu beschreiben. Zusätzlich hat er aber auch Videos und Fotos in
seine Selbstdarstellung eingefügt, die er jedoch nur selten durch Beschreibungen ergänzt.
Gerade bei den Fotos hat L3 überwiegend eigene Produkte eingestellt, bei den Videos sind
drei von vier Videos offensichtlich fremdproduziert.
Ein deutlich gewichtigerer Anteil an fremdproduzierten Inhalten findet sich bei je zwei
Selbstdarstellungen auf lokalisten.de und myspace.com. Sowohl die 18-jährige M4, der 18-
jährige L5 als auch die 17-jährige L4 binden in großem Maße auch fremdproduziertes
Material ein, das auf Materialbörsen zu finden ist oder im Falle von myspace.com
beispielsweise über Widgets eingebunden werden kann. So hat M4 über ein Widget mehr als
60 Musiktitel populärer Künstler integriert und nutzt die Möglichkeit, ihre Lieblingstitel nicht
nur im Profil zu nennen, sondern den Besuchern ihrer Selbstdarstellung gleich „vorzuspielen“.
Der 18-jährige L5 bezieht eine Vielzahl seiner Bilder von einer Fotoplattform, auf der
Aufnahmen aus verschiedenen Clubs der Stadt veröffentlicht werden.
12 Im Unterschied zu Weblogs als Informationsfilter, bei denen Ereignisse im Netz kommentiert werden und damit
Aufmerksamkeit gestreut wird (vgl. Schmidt et al. 2009), ‚filtert’ B4 sowohl Ereignisse in seinem Leben als auch
Inhalte, die seinen Musikvorlieben entsprechen.
50
b) Fremdproduzierte Inhalte: Einbetten und Bearbeiten
Fremdproduzierte Inhalte werden von den Jugendlichen als Material in ihre Selbstdar-
stellungen einbezogen. In der Darstellung der Schwerpunkte der Artikulationsformen wird
deutlich, dass diese bei einigen Selbstdarstellungen sogar einen übergewichtigen Anteil
einnehmen. Neben urheberrechtlich geschützten Inhalten greifen einige der Jugendlichen
aber auch auf für die Nutzung und Weiterverarbeitung freigegebene Materialien13 zurück. An
dieser Stelle steht im Fokus, wie in den Selbstdarstellungen fremdproduzierte Materialien
einbezogen werden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und damit die Risiken, die für
Jugendliche mit der Verwendung urheberrechtlich geschützter Inhalte verbunden sind, wie
auch die Chancen durch neue Formen der Freigabe von Inhalten werden im Kapitel 3.5.2
ausführlicher betrachtet.
In der Analyse wurde nach vier unterschiedlichen Formen von Inhalten differenziert:
1. Erkennbar selbstproduzierte Inhalte
2. Inhalte, die aus dem Lebenszusammenhang der Jugendlichen stammen, aber (ver-
mutlich) von anderen erstellt wurden (z. B. wenn die Person selbst fotografiert wurde),
3. Fremdproduzierte Inhalte, die in die Selbstdarstellung oder in eigene Werke ein-
bezogen werden
4. Inhalte unklarer Herkunft, bei denen im Rahmen der Analyse nicht geklärt werden
konnte, wie sie entstanden sind
Inhalte der Kategorien (1) und (2) stehen bei knapp der Hälfte der Selbstdarstellungen im
Vordergrund. (vgl. Abb. 3.2-2) Dennoch sind bei achtzehn Selbstdarstellungen, und damit ca.
zwei Dritteln der Stichprobe, fremdproduzierte Inhalte in unterschiedlicher Weise einge-
bunden. Überwiegend geht es dabei um Fotos, Videos und Musik. Nur die 19-jährige B3
verwendet in ihrem Blog mehrere Texte, die sie nicht selbst verfasst hat.
Grundsätzlich können zwei Umgangsweisen mit fremdproduzierten Inhalten ausgemacht
werden:
Zum einen wird Fremdproduziertes in eigene Werke eingearbeitet. Diese Form der
Weiterverarbeitung von fremdproduzierten Inhalten findet sich in sechs Selbstdarstellungen.
- (Populäre) Musiktitel als Tonspur für die eigenen Videos zu nutzen, ist dabei die
Umgangsweise, die am stärksten ins Gewicht fällt. Bei vier von sechs Selbst-
darstellungen14 auf youtube.com und in dem einzigen selbsterstellten Video von L3
wurde diese Umgangsweise identifiziert. Einen besonderen Fall stellt die 18-jährige
Y4 dar, die die Musikstücke, die sie als Grundlage für ihre Musikvideos einbindet,
zumindest zum Teil von Materialbörsen15 bezieht, auf die sie auf ihrer Kanalseite
verweist.
- In vielen Fällen werden auch fremdproduzierte Bilder in selbsterstellte Videos ein-
gebunden, bei denen in der Regel unklar bleibt, woher sie bezogen wurden.
13 Entsprechende Lizenzsysteme liegen beispielsweise mit den creative commons-Lizenzen vor, die im Falle von
flickr.com auch in die Plattform integriert wurden.
14 Bei den beiden weiteren Selbstdarstellungen werden überwiegend bzw. ausschließlich fremdproduzierte
Inhalte eingebunden bzw. eingestellt.
15 Bei einigen dieser konkret genannten Internetangebote werden die Musiktitel nicht nur kostenlos zum Down-
load bereitgestellt, sondern darüber hinaus auch zur nicht-kommerziellen Nutzung freigegeben.
51
- Nur in einem Fall wurde ein identifizierbar fremdproduziertes Bild in einer eigenen
Fotoproduktion umgearbeitet. In diesem Fall wurde ein Kinogutschein unter Verwen-
dung einer Werbegrafik erstellt.
Zum anderen wird Fremdproduziertes unverändert in die Selbstdarstellung eingebun-
den. Hier geht es um das Verwenden von Bildern, kompletten Videos oder Musikstücken.
Bei insgesamt dreizehn Selbstdarstellungen kann diese Umgangsweise mit fremdprodu-
zierten Materialien identifiziert werden, die aber nicht zwingend mit Urheberrechtsverstößen
verbunden ist.16 Auch hier sind verschiedene Einbindungsformen zu identifizieren:
- Für das Einbinden fremdproduzierter Inhalte wird ein Angebot der Plattform aufge-
griffen.
Von den in die Analyse der Selbstdarstellung einbezogenen Plattformen bietet nur
myspace.com diese Möglichkeit. Dort haben auch alle untersuchten Selbstdarstel-
lungen Musik als Profilsong eingebunden und greifen dabei u. a. auf Titel zurück, die
bereits auf der Plattform veröffentlicht wurden. In vielen Fällen handelt es sich dabei
um Werke, die auch im Musikhandel erhältlich sind.
- Fremdproduzierte Inhalte, die von anderen Nutzenden veröffentlicht wurden, werden
in die eigene Selbstdarstellung eingebunden.
Insbesondere bei den Bloggerinnen und Bloggern, aber auch bei myspace.com sowie
über die Favoriten bei youtube.com konnte diese Umgangsweise identifiziert werden.
In diesen Fällen wurden sowohl Inhalte massenmedialer Herkunft wie auch Werke
von anderen Nutzenden eingebunden.
- Fremdproduzierte Inhalte werden im Rahmen der Selbstdarstellung auf der Plattform
eingestellt und veröffentlicht.
Diese Umgangsweise findet sich bei einem youtube-Nutzer, bei mehreren Bloggerin-
nen und auch bei mehreren Selbstdarstellungen auf lokalisten.de. Die Herkunft der
Inhalte variiert dabei. Inhalte, die (sicher oder höchst wahrscheinlich) aus massen-
medialen Quellen stammen, sind beispielsweise Ausschnitte aus Fernsehsendungen
oder auch Fotos von Stars oder prominenten Sportlerinnen und Sportlern. Bei einigen
Selbstdarstellungen auf lokalisten.de gibt es auch Hinweise darauf, dass die
verwendeten Inhalte von Materialbörsen stammen und für die Verwendung
bereitgestellt wurden.
c) Design als Ausdrucksform: Individualität zwischen Vorgaben und Vorlagen
„Selbst ein professionell aussehendes Profil gestalten zu können“, war ein Wunsch, den ein
Teilnehmer zu Beginn der zweiten Web 2.0-Werkstatt formulierte, in der mit myspace.com
gearbeitet wurde. Ein attraktives Profil17 zu gestalten hatte nicht nur für ihn, sondern für alle
teilnehmenden Jugendlichen einen hohen Stellenwert. Im Rahmen der Werkstatt arbeiteten
die Teilnehmenden intensiv an selbsterstellten Hintergründen für ihre Seite und an einem
ansprechenden Layout. Als es allerdings darum ging, die selbstgestalteten Seiten auch
Schülerinnen und Schülern vorzustellen, die nicht bei der Werkstatt dabei waren, griffen
einige der Teilnehmenden dennoch auf vorgefertigte Design- und Layoutvorlagen zurück.
16 Vgl. hierzu Kapitel 3.5.2.
17 Bei myspace.com kann die Gestaltung der Profilseite individuell gestaltet werden. Die weiteren Elemente der
Selbstdarstellung, wie z. B. das Fotoalbum bleibt im Standardlayout.
52
Diese Vorlagen stehen auf speziellen Internetseiten bereit und werden nach dem Einfügen
eines kurzen Programmcodes in der Darstellung des eigenen Profils übernommen. Die dort
verfügbar gemachten Vorlagen sind mit animierten Grafiken u. Ä. deutlich aufwändiger
‚designed’ als es im Rahmen der Projektarbeit möglich war. Darüber hinaus wird mit einigen
der Vorlagen auch das Layout des Profils verändert und damit ein vom Standard myspace-
Profil herausgehobenes Erscheinungsbild ermöglicht. Aus medienpädagogischer Perspek-
tive ist festzuhalten, dass diese Jugendlichen durch die Nutzung der vorgefertigten Vorlagen
für myspace.com nach außen ein professionell gestaltetes Profil präsentieren konnten, und
ihnen dies offenbar wichtiger war als die Präsentation des Selbsterstellten. Für die Analyse
der Selbstdarstellungen warf diese Beobachtung die Frage auf, inwieweit in den
Selbstdarstellungen die Möglichkeiten ausgeschöpft sind, ein mit Vorlagen oder selbstge-
staltetes Design und Layout zu nutzen.
Die Möglichkeit, das Design und/oder das Layout zu verändern, ist nicht auf allen
Plattformen gegeben. Nur auf myspace.com, youtube.com und bloggospace.de können sich
die Nutzenden auch über ein individuelles Erscheindungsbild der Selbstdarstellung
ausdrücken. Bei flickr.com und lokalisten.de besteht diese Möglichkeit nicht.
In allen analysierten Selbstdarstellungen auf den drei relevanten Plattformen bearbeiteten
die Jugendlichen das Erscheinungsbild der Selbstdarstellungen und schöpften dabei weit-
gehend die Möglichkeiten aus, die auf der jeweiligen Plattform zur Verfügung stehen.
Für die Plattformen youtube.com und bloggospace.de heißt das konkret, den
festgesteckten Rahmen auszugestalten. Bearbeitet waren die Anordnung einzelner
Elemente, der Hintergrund und ggf. die Kopfzeile der Seite (bei den Selbstdarstellungen von
B1 und B4 wurde dabei auf Vorlagen der Plattform bloggospace.de zurückgegriffen). Bei
allen Selbstdarstellungen ist erkennbar, dass die Gestaltung durch Farben und
Hintergrundbilder auf einen stimmigen Gesamteindruck der Selbstdarstellung (des Profils
und der Inhalte) orientiert ist. Nur eine insgesamt relativ aktive Bloggerin wechselte auch
während des Analysezeitraums die Hintergrundgrafik ihres Blogs.
Myspace.com ist die einzige der analysierten Plattformen, bei der zusätzlich zum Design das
Layout auch so verändert werden kann, dass es vom Layout des Standard-Profils abweicht.
Bei dieser Plattform ist es also möglich, den Rahmen auszugestalten und zu verändern,
was alle Jugendlichen (in unterschiedlichen Varianten) auch nutzten. Während die Selbstdar-
stellungen von M2 und M4 an der Struktur eines Standard-Profils orientiert sind und nur das
Design verändert wurde, lösen sich die Selbstdarstellungen von M1, M3 und M5 von dem
vorgegebenen Raster. Bei der Selbstdarstellung von M3 wurde eine Vorlage von einer
Materialbörse eingebunden, wie sie die Jugendlichen in der Web 2.0-Werkstätte nutzten. Bei
M1 und M5 lässt sich nicht nachvollziehen, ob das Design und Layout selbst erstellt oder
eine Vorlage genutzt wurde. Beide Selbstdarstellungen lösen sich aber weit von Design und
Layout der Standard-myspace-Profilseite. So ist in diesen Selbstdarstellungen
beispielsweise kein sonst für Profile übliches Profilfoto enthalten und auch Standard-
Elemente wie „Als Freund adden“ etc. sind nicht an der üblichen Stelle zu finden.
53
d) Zusammenführung: Persönliche Akzentsetzungen der Jugendlichen
Die Jugendlichen zeigen in der Nutzung der jeweiligen Möglichkeiten der Plattform durchaus
individuelle Herangehensweisen. Diese betreffen, wie sie die Möglichkeiten zur Artikulation
nutzen, welche Schwerpunkte sie setzen, wie sie fremdproduzierte Inhalte einbeziehen und
auch wie Design als Ausdrucksform genutzt wird. Mit diesen individuellen Herangehens-
weisen setzen die Jugendlichen auch persönliche Akzente in den Selbstdarstellungen, die in
der folgenden Zusammenfassung nochmals fokussiert werden sollen.
Über die analysierten Selbstdarstellungen hinweg wird deutlich, dass die Jugendlichen die
zur Verfügung stehenden Ausdrucksformen auf den Plattformen jeweils unterschiedlich
nutzen. Auffällig ist, dass bei den Plattformen mit einem breiteren Spektrum an Ausdrucks-
formen nur wenige Jugendlichen dieses in ihren Artikulationen ausschöpfen.
Gewichtet nach den Artikulationsformen steht der Modus des ‚Zeigens’ (in Kombination mit
dem ‚Schreiben’) bei den Selbstdarstellungen im Vordergrund. Die Analyseergebnisse
stützen die Annahme, dass bildlicher Kommunikation im Internet eine große Rolle zukommt.
Somit unterstreichen die Ergebnisse, dass in diesen Kommunikationsräumen auch jenen
neue Chancen zukommen, die mit der Schriftsprache Schwierigkeiten haben. (vgl. Niesyto
2004 oder Brüggen/Wagner 2008) Zugleich liefert die Analyse aber auch Hinweise darauf,
dass textbasierte Ausdrucksformen keinesfalls obsolet werden. Beide Ausdrucksformen
gegeneinander auszuspielen ist wenig hilfreich, was an den wechselseitigen Ergänzungen
von Bild mit Text (und umgekehrt) deutlich wird.
Mehrere Hinweise wurden darauf gefunden, dass weniger die technisch angebotenen
Möglichkeiten, sondern vielmehr die Nutzungsmotivation und auch spezifische Charak-
teristika18 des Angebots Einfluss darauf haben, ob und wie eine Plattform genutzt wird. Zum
einen finden sich in der Stichprobe auch Jugendliche, die die Plattform ‚gegen den Strich’
nutzen, indem sie beispielsweise auf myspace.com ein Blog betreiben. Zum anderen wurden
auch in der Begleitung der Web 2.0-Werkstätten entsprechende Anhaltspunkte deutlich:
Obwohl die in den verschiedenen Werkstätten genutzten Plattformen mehr oder weniger
dieselben Artikulationsformen sowie ein individuelles Design der Selbstdarstellung
ermöglichen, war myspace.com für die Jugendlichen deutlich attraktiver als die Blog-
Plattform.
Darin, wie in den Selbstdarstellungen persönliche Akzente im Sinne eines kreativen und
eigenständigen Ausdrucks gesetzt werden, lassen sich unterschiedliche Varianten erkennen:
- Eigene Werke: Die eigenen Werke stehen vor allem bei flickr.com deutlich im
Zentrum. Eigenständigkeit und Kreativität konturiert sich hier über einen eigenen Stil
in den Fotografien, über die Wahl von Motiven oder auch die Bearbeitung der Fotos.
Aber auch bei youtube.com, bei myspace.com und bei bloggospace.de finden sich
Selbstdarstellungen, bei denen gänzlich selbst erstellte Werke eine große Rolle
spielen.
- Montagen/Collagen/Mash-Ups: Die Weiterbearbeitung von massenmedialen oder
auch anderen fremdproduzierten Inhalten zu neuen Werken ist eine weitere Variante,
wie eine Selbstdarstellung als ‚eigen’ und ‚kreativ’ erkennbar wird. Musik und Bilder
spielen bei den analysierten Selbstdarstellungen dafür eine besonders große Rolle.
18 z. B. die Möglichkeit auf myspace.com Musik in das eigene Profil einzubinden
54
Deutlich seltener werden in den untersuchten Selbstdarstellungen Videodateien
weiterverarbeitet.
- Zusammenstellung von fremdproduzierten Inhalten: Auch ohne eine Bearbeitung
von Inhalten kann allein durch die Zusammenstellung von Fremdproduziertem eine
Selbstdarstellung unverwechselbar gestaltet werden. So können persönliche Akzente
durch die Zuordnung zu bestimmten Medien und Inhalten gesetzt werden, die
zunächst aber wenig Kreativität erkennen lassen. Ein Beispiel ist der Musikplayer auf
myspace.com, mit dem der eigene Musikgeschmack demonstriert werden kann.
Gleiches gilt für die Zusammenstellung von Fotos oder Videos zu persönlichen
Interessensgebieten. Bei dieser Form persönliche Akzente zu setzen ist ein starker
Bezug zu massenmedialen Inhalten deutlich. Kreativität ist hier bei einigen Selbst-
darstellungen eher in der (ironischen) Kommentierung der Inhalte zu erkennen.
- Veränderung von Design und Layout: Bei allen Plattformen, bei denen es möglich
ist, das Design bzw. Layout zu verändern, wurde diese Option von den Jugendlichen
genutzt. Besonders deutlich ist dies bei myspace.com, wo allerdings von den Jugend-
lichen auf Vorlagen zurückgriffen wurde, die das Profil ohne aufwändige Eigen-
leistung durchgestaltet erscheinen lassen. Auch hier zeigt sich Eigenständigkeit in
einem Spannungsfeld zwischen Vorlagen und eigenen kreativen Leistungen.
- Profilangaben: Auch mittels textbasierter Profilangaben wird bei einigen Selbst-
darstellungen eine Eigenständigkeit erkennbar. So liegen in der Art und Weise, wie
das Profil ausgefüllt wird, neben den inhaltlichen Informationen auch stilistische
Gestaltungsmöglichkeiten. Die Profile unterscheiden sich z. B. darin, ob die Kate-
gorien eher wortkarg (L1), ironisch (L5) oder ausführlich (L4) ausgefüllt sind. Dabei
werden neben individuellen auch plattformtypische Unterschiede deutlich. Ausführlich
ausgefüllte Profile finden sich eher bei lokalisten.de, youtube.com und myspace.com.
Bei flickr.com und bloggospace.de wurden bei den analysierten Selbstdarstellungen
die Profilangaben dagegen eher knapp gehalten.
Fremdproduzierte Inhalte, so ist zusammenzufassen, werden in mehreren Selbstdarstel-
lungen eingebunden. Auffällig ist dabei, dass die Plattform flickr.com hier ausschert: Nur in
einer Selbstdarstellung wurde ein Bild erfasst, bei dem fremdproduziertes Material genutzt
wurde. Deutlich häufiger wird fremdproduziertes Material auf den anderen Plattformen
eingebunden. Die Verarbeitung von fremdproduzierten Materialien wirft dabei nicht nur
Fragen des Urheberrechts auf, sondern auch in Hinblick auf die dahinterliegende Motivation.
(Auf den Problembereich der Urheberrechtsverstöße wird in Kapitel 3.5.2 eingegangen.)
In den Web 2.0-Werkstätten konnten Spuren auf mögliche Motivationslagen aufgedeckt
werden, fremdproduzierte Inhalte in eigenen Produktionen weiterzubearbeiten oder sie
unverändert in die Selbstdarstellung einzubinden, die auf deren Relevanz für Identitätsarbeit
hinweisen.
- Zum einen ermöglicht die Einbindung oder Weiterverarbeitung (insbesondere auch)
von massenmedialen Inhalten, sich einer bestimmten jugendkulturellen Strömung
zuzuordnen und sich als kundig darzustellen.19 (Ausführlicher wird dieser Aspekt
unter 3.3 behandelt.)
19 Beispielsweise, in dem man die ‚richtigen’ Musiktitel auswählt und in sein Profil einbindet.
55
- Zum anderen ist das Zurückgreifen auf fremdproduzierte Inhalte oder Gestaltungs-
vorlagen auch mit einer Erwartungshaltung an eine nach professionellen Maßstäben
gelungene Selbstdarstellung und dem Anspruch für andere attraktiv zu wirken
verbunden. Im Kontext der Identitätsarbeit kommt dabei den medialen Artikulations-
fähigkeiten eine zentrale Bedeutung zu. Ohne mediale Artikulationen ist man für
andere nicht erkennbar. Auf Plattformen wie myspace.com sind aber unmittelbar
neben der eigenen Selbstdarstellung professionell gestaltete Selbstdarstellungen von
Musikern oder Prominenten zu finden, mit denen man sich ggf. vergleichen lassen
muss. Dies wirft die Frage auf, welchen Stellenwert es für Jugendliche in diesem
Kontext hat, selbst kreativ tätig zu werden und einen eigenständigen Ausdruck zu
finden, während es zugleich die Möglichkeit gibt, sich in der Selbstdarstellung auf
vorgefertigte Vorlagen zu stützen.
Vor diesem Hintergrund ist in der Verwendung von fremdproduzierten Materialien nicht nur
eine neue (jugend-)kulturelle Praxis zu sehen, die das Verständnis von Urheberrecht
herausfordert. Mit Blick auf die Nutzerinnen und Nutzer ist auch zu fragen, was es im
Rahmen der Identitätsarbeit bedeutet, sich über fremdproduzierte Materialien für andere
erkennbar zu machen und darüber die eigenen Erfahrungen auszudrücken und kommuni-
kabel zu machen. Diese Fragen können allerdings erst im geplanten Untersuchungsabschnitt
vertieft werden, bei dem die Nutzerinnen und Nutzer zu Wort kommen.
3.2.3 Formen der sozialen Bezugnahme
Bei den Plattformen, und seien sie auch noch so groß, handelt es sich von der Anlage her
(auch) um soziale Netzwerke, in die sich die Autorinnen bzw. Autoren der Selbstdarstellung
einbringen und in denen sie in Austausch treten können. Die Möglichkeit sich zu vernetzen
und die Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten zu erweitern sind Eigenschaften, die
auch die Jugendlichen, die an den Web 2.0-Werkstätten teilnahmen, an den Plattformen
besonders schätzen.
Innerhalb der Netzwerke sind prinzipiell unterschiedliche Aktivitätsgrade und Qualitäten der
sozialen Bezugnahme und Einbindung möglich. Die soziale Bezugnahme wurde unter drei
Aspekten analysiert:
- die Spezifizierung des sozialen Kreises, auf den mit der Selbstdarstellung Bezug
genommen wird
- die Vielfalt und Ausrichtung der genutzten Vernetzungsoptionen und -aktivitäten
- die Wechselseitigkeit der Vernetzung.
Während der erste Aspekt sich auch auf die inhaltliche Ansprache und Bezugnahme auf
bestimmte Publika stützt, basieren die beiden Vernetzungsaspekte ausschließlich auf dem
Umgang mit strukturellen Instrumenten, also der Aktivierung oder Deaktivierung bestimmter
Optionen, der Einbettung entsprechender Widgets und der Reaktion auf Kommentare.
Die drei Aspekte der Bezugnahme auf andere werden zunächst getrennt beschrieben, um im
Anschluss darauf einzugehen, inwieweit sie miteinander zusammenhängen.
56
a) Online-Öffentlichkeiten: Spezifische Publika im Blick
Die Selbstdarstellungen unterscheiden sich darin, auf welche Publika sie ausgerichtet sind,
bzw. auf wen explizit Bezug genommen wird. So können z. B. bestimmte Gruppen und
Personen direkt angesprochen werden, Fotos oder Videos konkreten Personen gewidmet
sein etc. Die Publika, auf die Bezug genommen wird, lassen sich nach ihrem Spezifizie-
rungsgrad unterscheiden. Alle analysierten Selbstdarstellungen richten sich mehr oder
minder explizit an die virtuellen Freunde und die Plattformöffentlichkeit. Letztere umfasst die
Plattform-Community und mit Ausnahme von lokalisten.de potenziell alle Internetnutzerinnen
und -nutzer.20 Teilweise werden spezifischere Publika angesprochen, die einander überlap-
pen (vgl. Abbildung 3.2-3).
Bei der relativ großen Gruppe 1, die neun Selbstdarstellungen umfasst, beschränkt sich die
Ausrichtung auf den virtuellen Freundeskreis und die Plattformöffentlichkeit. In dieser Gruppe
überwiegen Nutzende von bloggospace.de und flickr.com. Die Ansprache bleibt unspe-
zifisch, wie z. B. beim 20-jährigen B4.
B4 wählt in seiner Selbstdarstellung zwar die direkte Ansprache „auf der Seite findet ihr ...“,
aber grenzt nicht ein, wen er ansprechen möchte. Als Motivation gibt er an, das Netzwerk
erweitern zu wollen. Dies lässt darauf schließen, dass er sich vor allem an ein Publikum
wendet, das nicht zu seinem Bekanntenkreis im realen Leben zählt.
Unspezifische (Plattform-)Öffentlichkeit und Plattformfreunde
Freundinnen und Freunde aus dem RL
Publikum mit spezifischem gemeinsamen Interesse
Rezeptionsinteresse Produktionsinteresse
B1, B2, B3, B4
F1, F3, F5
M4,
L1
Ausrichtung auf spezifische Publika
Y3, Y5,
M1
Y2, Y6
L2, L3, L4, L5
M2, M3, M5
F2, F4
Y1, Y4,
B5,
1
2
3 4
Abbildung 3.2-3: Ausrichtung auf spezifische Publika
20 In einigen Selbstdarstellungen sind auch Indizien dafür vorhanden, dass insbesondere Kontakt zum anderen
Geschlecht bzw. zu Flirtpartnern gesucht wird. Von einer systematischen Analyse dieser Zielgruppe wurde
allerdings abgesehen, da die Hinweise selten eindeutig zu interpretieren sind.
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Davon abgrenzen lässt sich die größte Gruppe (2). Sie umfasst diejenigen, die sich in ihren
Äußerungen an Freundinnen und Freunde aus dem realen Leben wenden. Hier findet sich
ein Großteil der Selbstdarstellungen auf lokalisten.de. Wie die Auswertung der Web 2.0-
Werkstätten ergab, ist eines der wichtigsten Motive für die Nutzung der Plattformen die Posi-
tionierung innerhalb der Peergroup. So meint etwa eine Werkstattteilnehmerin: „Ich finde die
Kommentare gut, da man zeigen kann, dass einem etwas gefällt. Ich kann mit meinen
Freunden dann mehr Kontakt haben.“
Typisch ist für die Gruppe der Selbstdarstellungen, die sich an Freunde aus dem realen
Leben wenden z. B. der 18-jährige L5. Er spricht vor allem Freunde aus der Realität an und
thematisiert dabei gemeinsame Bezugpunkte wie Partys oder die Schule. Andere Anspra-
cheformen finden sich z. B. bei der siebzehnjährigen L4, die unter anderem zwei Freunden
aus dem realen Leben versichert, wie wichtig sie ihr sind, oder bei der siebzehnjährigen Y4,
die einige ihrer Slideshow-Videos Freundinnen und Freunden aus dem realen Leben widmet.
Bei dieser Gruppe erscheint die Annahme plausibel, dass sie ihren realen Freundeskreis
pflegen und ggf. erweitern wollen.
An ein zum Teil noch spezifischeres Publikum wenden sich diejenigen Autorinnen und
Autoren der Selbstdarstellungen, die ein bestimmtes Themeninteresse in den Vordergrund
rücken. Zwar nehmen auch diese zum Teil Bezug auf reale und virtuelle Freunde, jedoch
steht das gemeinsame Interesse dabei ganz klar im Mittelpunkt. In allen Fällen handelt es
sich um Interessen mit Medienbezug, wobei sich zwei Gruppen unterscheiden lassen:
- Zum einen solche, die auf ein gemeinsames Rezeptionsinteresse fokussieren
(Gruppe 3)
Die 17-jährige Y5 schwärmt für eine Popgruppe, insbesondere für ein Mitglied dieser Boy-
Group, und will offenbar mit anderen Fans die eigenen diesbezüglichen Fundstücke teilen.
Auch M1 stellt Musik in den Mittelpunkt ihrer Selbstdarstellung und berichtet über live-
Konzerte, während Y3 ein Fan der Fernsehsendung TV Total ist und anderen seine Mit-
schnitte präsentiert.
- Zum anderen solche, die ein gemeinsames Produktionsinteresse in den Mittelpunkt
stellen (Gruppe 4)
Y2 erstellt Musikvideos aus Computerspielen im Anime-Stil und nutzt die Selbstdarstellung,
um sich mit anderen darüber auszutauschen. Y6 thematisiert dagegen das Gestalten seines
Vlogs und hat sich einer Gruppe angeschlossen, die gegenseitig aufeinander verweist und
z. T. ihre Videos gemeinsam produziert und präsentiert. Y2 und Y6 suchen dabei den Aus-
tausch über die Produktion und Präsentation sehr viel deutlicher als etwa diejenigen Musik-,
Video- oder Fotoproduzierenden der Gruppen 1 und 2.
Diese Gruppen erscheinen vor allem auf ihr Thema konzentriert und pflegen dabei einen
Freundeskreis, deren Mitglieder einerseits im virtuellen, aber auch im realen Leben ange-
siedelt sein können. Nur wenige beziehen sich dabei so intensiv auf die virtuelle Community
wie Y6, der sich einer Produktionsgruppe angeschlossen hat. Bei ihm lässt sich außerdem
nachvollziehen, dass er einige ursprünglich virtuelle Freunde auch real getroffen hat.
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b) Vernetzungsaktivitäten: Netze knüpfen und eingebunden werden
Ein erster Aspekt ist die Vielfalt der Vernetzungsaktivitäten. Sie bestimmt sich durch die Zahl
der verschiedenen genutzten bzw. einbezogenen Vernetzungsinstrumente. Dies betrifft
sowohl durch die Plattform verfügbar gemachte optionale Instrumente als auch solche, die
aus anderen Quellen wie z. B. pimp-my-profile.com eingefügt werden können.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass zwei Richtungen der Vernetzung möglich sind:
- Zum ersten können sich die Nutzenden aktiv den Selbstdarstellungen anderer
zuordnen und sich damit auf diese beziehen, z. B. durch die Anzeige von
Freundeslisten, das Abonnement der Produkte anderer, die Offenlegung der eigenen
Bewertungen von Produkten anderer, den Beitritt zu Gruppen etc.
- Zum zweiten können Nutzende anderen Community-Mitgliedern die Möglichkeit
gewähren oder verwehren, sich mit der Selbstdarstellung zu verknüpfen bzw. sich auf
diese zu beziehen. Dies ist z. B. möglich, indem Kommentar-, Rating-, oder
Verlinkungsfunktionen aktiviert oder deaktiviert werden. Dass andere sich auf die
Selbstdarstellung beziehen, lässt sich auch forcieren, indem ihnen erleichtert wird,
sich über die Entwicklung der Selbstdarstellung auf dem Laufenden zu halten. Dies
lässt sich z. B. durch das Angebot von Newsletterabonnements, RSS-Feeds und
Ähnlichem bewerkstelligen. Auch die inhaltliche Strukturierung der Selbstdarstellung
durch die Verwendung von Tags, lässt sich als Angebot an andere verstehen, sich
auf diese Selbstdarstellung zu beziehen.
Berücksicht man beide Aspekte (aktives Bezug nehmen versus Bezugnahme ermöglichen/
Angebote zur Vernetzung machen), so ergibt sich eine deutliche Differenzierung zwischen
mehreren Gruppen von Selbstdarstellungen, wobei zum Teil plattformspezifische
Schwerpunkte erkennbar sind (vgl. Abbildung 3.2-4) .
‚moderat und ausgeglichen vernetzend’
Die größte Gruppe (Gruppe 1) stellen dreizehn Selbstdarstellungen, die eine moderate
Vielfalt an Vernetzungsaktivitäten aufweisen. Außerdem stehen bei ihnen die Angebote zur
Vernetzung sowie die verwendeten Mittel zur aktiven Bezugnahme auf andere Selbstdarstel-
lungen in einem ausgeglichenen Verhältnis. Hier findet sich schwerpunktmäßig der Großteil
der analysierten lokalisten.de-Selbstdarstellungen sowie einige Vertreter von myspace.com.
‚stärker Bezugnahme ermöglichend’
Von der ersten Gruppe lassen sich vier Selbstdarstellungen abgrenzen, die sich durch-
schnittlich vielfältig auf andere Nutzende beziehen, aber noch weit vielfältigere Ankerpunkte
dafür bieten, dass andere sich auf sie selbst beziehen (Gruppe 2).
Besonders ausgeprägt ist dies bei der 18-jährigen Myspace-Nutzerin M4: Sie lässt alle
Möglichkeiten zu, die die Plattform vorsieht und ergänzt diese zusätzlich. Besucher der
Selbstdarstellung finden dadurch relativ viele Möglichkeiten vor, sich auf diese zu beziehen.
Sie können M4 als Freund adden, sie zu einer Gruppe einladen, können die Selbstdarstel-
lung zu den eigenen Favoriten hinzufügen oder sie anderen empfehlen. Um schriftliche
Kanal- und Fotokommentare oder Voice Comments zu hinterlassen, müssen sie sich zu-
nächst mit M4 befreunden, die bereits ca. 1.900 virtuelle Freunde gesammelt hat. Was aktive
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Bezugnahme auf andere angeht, zeigt M4 eher durchschnittlich vielfältige Aktivität: Sie macht
ihre Freundschaftskontakte sichtbar und hat eine sogenannte Visitor-Map eingebunden, auf
der die geografische Verortung der Besucher ersichtlich wird, ohne diese allerdings kon-
kreten Usern zuordnen zu können.
Ansonsten finden sich in dieser kleinen Gruppe Nutzende von flickr.com, die die Bezug-
nahme von Besuchern dadurch unterstützen, dass sie ein RSS-Feed anbieten, mit dem sie
diese über Neuerungen in der Selbstdarstellung auf dem Laufenden halten.
Y2, Y5, Y6, F3
Vielfalt der Vernetzung
aus