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Motivotion60+: Entwicklung eines computeranimierten Systems zum
Kraft- und Balancetraining für Senioren
PD Dr. Michael Brach, University of Muenster, Muenster, Deutschland, michael.brach@uni-muenster.de
PD Dr. Klaus Hauer, Agaplesion Bethanien-Hospital Heidelberg, Heidelberg, Deutschland,
khauer@bethanien-heidelberg.de
Oliver Korn M.A., KORION Simulation–Software–Training, Ludwigsburg, Deutschland, Oliver.Korn@korion.de
Robert Konrad, KTX Software Development, Darmstadt, Deutschland, robert@kontechs.de
Dipl. oec. soc. Sven Unkauf, Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg, Stuttgart, Deutschland,
sven.unkauf@wohlfahrtswerk.de
Sandro Hardy, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, Deutschland, sandro.hardy@kom.tu-darmstadt.de
Dr.-Ing. Stefan Göbel, Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, Deutschland, stefan.goebel@kom.tu-darmstadt.de
Kurzfassung
Der Begriff „Altersgerechte Assistenzsysteme“ (AAL) ist ein Oberbegriff für Produkte und Dienstleistungen, welche die
täglichen Aktivitäten älterer Menschen mit technischen Mitteln unterstützen. Die vorliegende Arbeit beschreibt die Ent-
wicklung eines Systems zum präventiven körperlichen Training unter Nutzung von Sensorik und Computer-
spieltechnologien (Serious Games). Motivotion60+ ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
gefördertes Forschungsprojekt, dem ein AAL-Innovationsmodell zugrunde liegt. Den heterogenen Fähigkeiten und
Interessen auf der Nachfrageseite stehen technische Möglichkeiten und zahlreiche Akteure auf der Angebotsseite
gegenüber. Um beide Seiten zusammenzuführen, wird bei der Entwicklung des Systems ein offener Ansatz verwendet.
Nach den Standards der MRC (Medical Research Council, UK) soll ein mehrstufiges Forschungsprogramm helfen, das
System weiter zu entwickeln und zu bewerten. Dieser Artikel wurde u.a. geschrieben, um Feedback von der
wissenschaftlichen Gemeinschaft zu erhalten, auch dies kann als ein Teil dieses Forschungsprogramms gesehen werden.
Anhand von zwei Prototypen wurden außerdem erste Machbarkeits- und Akzeptanztests mit Senioren durchgeführt.
Abstract
Ambient assisted living (AAL) is an umbrella term for products and services, which are designed to support daily activit-
ies by technological means. The present paper describes the development of a system for preventive physical exercise
using sensors and computer games. It is developed using the AAL innovation framework of the German federal research
ministry. Heterogeneous capabilities and interests on the demand side correspond to technological options and multiple
actors on the supply side. In order to match both sides, an open system approach is used to construct the system.
According to standards of the MRC (Medical Research Council, UK) a multi-step research program should help to
further develop and evaluate the system. This paper is presented in order to foster feedback from the scientific
community which can be also seen as a part of this research program. Using two prototypes, a first wave of feasibility
and acceptance tests is being conducted with community-dwelling seniors and geriatric care residents.
1 Einführung
Im Jahr 2008 wurde vom deutschen Bundesministerium
für Bildung und Forschung das Förderprogramm
„Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und
unabhängiges Leben“ ins Leben gerufen. Der Begriff
der altersgerechten Assistenzsysteme umfasst Produkte
und Dienstleistungen, welche die täglichen Aktivitäten
von Senioren oder behinderten Menschen mit
technischen Mitteln unterstützen (ambient assisted
living - AAL). Die vorliegende Arbeit beschreibt das
Projekt Motivotion60+, es ist Teil des BMBF-Förder-
programms. Es umfasst verschiedene Computerspiele,
um älteren Nutzern die Möglichkeit zu geben, zu Hause
oder draußen präventive körperliche Aktivitäten durch-
zuführen, die auf modernen Prinzipien der Sportwis-
senschaft gründen.
Dem o.g. Förderprogramm und damit auch Motivo-
tion60+ liegt ein Innovationsmodell zugrunde [1]. Der
vorliegende Aufsatz folgt den drei Kernbereichen dieses
Modells: der Nachfrageseite, der Angebotsseite und der
Abstimmung zwischen den beiden Seiten. Zunächst
werden die Bedürfnisse der Zielgruppe analysiert (2.1)
und der Wissensstand hinsichtlich des präventiven
Trainings skizziert (2.2). Das Problem liegt in der
Erstellung von Bewegungsangeboten, welche sowohl
die Empfehlungen als auch die Bedürfnisse berück-
sichtigen (2.3).
Die Angebotsseite umfasst technische Mittel und Wis-
sen aus der Sportwissenschaft, welches genutzt wird,
um die Bedürfnisse der Zielgruppe zu erfüllen (3). Die
dritte Säule des Innovationsmodells ist die Abstimmung
zwischen Angebot und Nachfrage.
Wir betrachten dies als einen Prozess und beschreiben
daher praktische Anforderungen aus der Nutzerper-
spektive (4.1) und Konsequenzen für die Erstellung des
Exergame Systems (Exercise + Game, 4.2). Das
Ergebnis wird in Kapitel 5 vorgestellt. Kapitel 6 enthält
einen Überblick des zugehörigen Forschungspro-
gramms, als dessen Teil wir auch den vorliegenden
Aufsatz betrachten und so frühzeitig Rückmeldung der
wissenschaftlichen Gemeinschaft suchen.
2 Kenntnisse über die Ziel-
gruppe – die Nachfrageseite
2.1 Unabhängigkeit bewahren – das
Hauptanliegen älterer Menschen
Im aktuellen Bericht zur Lage der älteren Generation in
der Bundesrepublik Deutschland wird gefordert, dass
vermehrt Konzepte der Gesundheitsförderung und der
Prävention mit dem Ziel der Erhaltung der körperlichen,
seelisch-geistigen und sozialen Gesundheit entwickelt
und umgesetzt werden [2]. Ältere Menschen sind sehr
daran interessiert, ihre Lebensführung so lange wie
möglich autonom und selbstständig zu gestalten. Die
Bedürfnisse betreffen die Erhaltung der Gesundheit, die
Unterstützung der Mobilität und Gewährleistung der
Sicherheit in der Häuslichkeit und im Wohnumfeld [3].
Körperliche Aktivität ist einer der wichtigsten Faktoren,
die Senioren selbst beeinflussen können, um Immo-
bilität zu vermeiden.
2.2 Körperliche Aktivität: Empfehlung-
en und deren Umsetzung
Ältere Menschen sind aufgrund des natürlichen
Alterungsprozesses von erhöhter Morbidität und Morta-
lität betroffen. Sie erleben einen sukzessiven Verlust
ihrer Muskelmasse, Muskelkraft, Balance, Flexibilität
und ihrer kardio-respiratorischen Funktion. Eine
Vielzahl von Studien belegt, dass ein kausaler Zusam-
menhang zwischen mangelnder körperlicher Fitness und
dem Rückgang dieser Parameter besteht.
Allerdings können all diese Parameter deutlich durch
körperliches Training und ohne erhöhtes Risiko für
klinische Nebenwirkungen im Alter verbessert werden
[4]. Trotz dieser positiven Zusammenhänge nimmt die
körperliche Aktivität mit dem Anstieg des Lebensalters
kontinuierlich ab. Nur 10% der Menschen im Alter von
65-74 Jahren erfüllen die Empfehlungen von offiziellen
Einrichtungen des Gesundheitswesens (z.B. [5]). In den
noch höheren Altersgruppen sinkt die körperliche
Aktivität entsprechend noch weiter ab.
Empfehlungen schlagen 30 Minuten moderate körperli-
che Aktivität an fünf oder mehr Tagen der Woche vor
[6]. Spezifischere Empfehlungen beinhalten Trainings-
programme mit unterschiedlichen Trainingszielen, so
z.B. Verbesserung der Kraft, Flexibilität, Ausdauer,
posturalen Kontrolle oder Koordination und geben
Angaben zur Trainingsintensität. Letztere sind von
entscheidender Bedeutung, da sie zusätzliche Risiken
minimieren, die das Training besonders für gefährdete
Personen wie z.B. Herzpatienten, ansonsten bergen
kann.
Die Trainingsempfehlungen für die aerobe Intensität für
Erwachsene werden in absoluten Zahlen definiert (z.B.
als metabolisches Äquivalent, MET, ausgedrückt). Für
Senioren ist jedoch ein anderes Maß für die Definition
der aeroben Intensität notwendig, weil deren Fitness-
Level sehr niedrig sein kann. Moderate Intensität einer
aeroben Tätigkeit beinhaltet ein moderates Maß an
Anstrengung in Bezug auf das individuelle aerobe
Fitnesslevel. Folglich ist es möglich, dass ein Spazier-
gang in moderater Intensität für die Einen als langsames
Gehen wahrgenommen wird, während der gleiche
Spaziergang für andere ein flottes Tempo bedeutet.
Um die Empfehlungen zu erfüllen ist es wichtig, die all-
täglichen körperlichen Aktivitäten zu erhöhen, indem
z.B. die Treppen anstatt des Aufzugs genommen wer-
den, zum Einkaufen gegangen wird (anstatt das Auto zu
nehmen) oder mit dem Hund spazieren zu gehen.
2.3 Das Problem: Eine an die Zielgrup-
pe angepasste Empfehlungen zur körperli-
chen Aktivität
Obwohl die positiven Effekte gesundheitsorientierter
körperlicher Aktivität allseits bekannt sind, treten bei
der Umsetzung dieser Erkenntnisse Probleme auf: Den
Senioren fehlt ein passendes Angebot an präventiven
sportlichen Übungen, die
angemessen, individuell und anpassbar sind,
sowohl Einsteiger als auch Geübte motivieren
können,
auf modernen trainingswissenschaftlichen
Prinzipien basieren und
die auch mit eingeschränkter Mobilität durch-
geführt werden können.
Technische Mittel könnten zur Entwicklung solcher
Übungsmöglichkeiten für nahezu die gesamte Vielfalt
der Zielgruppe genutzt werden. In einer motivierenden
spielerischen Trainingsumgebung können diese
Übungen zu Hause durchgeführt werden, während
zusätzlich auch noch die Prinzipien der Sportwis-
senschaft beachtet werden können.
3 Überblick über die Angebots-
seite des Modells
Jüngere technologische Entwicklungen im Bereich des
Videotrackings, der Sensorik und bei computeranimier-
ten Spielen ermöglichen technische Lösungen für eine
Entwicklung eines Spiels für den Heimbereich, das die
Anforderungen an präventive sportliche Übungen er-
füllt. In diesem Kontext hat sich der Begriff der Exer-
games etabliert, um die Kombination von „Übung“ und
„Spiel“ in diesem speziellen Bereich der Computerspie-
le darzustellen. Harley und Mitarbeiter [7] zeigten, dass
sich die Nintendo Wii in Verbindung mit speziellen
Konzepten dazu eignet, soziale Prozesse in häuslicher
Umgebung zu unterstützen. Reviews zu unterschied-
lichen Studien, die den Einsatz von Exergames
untersuchen, zeigen positive Ergebnisse, wobei die
Ergebnisse nicht immer den festgesetzten Zielsetzungen
entsprechen [8].
Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit dem Exerga-
me System, das die Kernkomponente von Moti-
votion60+ bildet. Das Ziel von Motivotion60+ ist es, die
körperliche und geistige Fitness von Senioren zu
erhalten und zu verbessern, damit diese lange gesund
und unabhängig in ihrem eigenen Zuhause leben
können. Wie der Name des Projekts andeutet, soll dieses
Ziel durch die Motivation und Volition der Senioren zu
gesunder körperlicher Bewegung angestrebt werden.
Um diese Ziele zu erreichen, setzen die Projektpartner
auf eine Kombination aus Bekanntem (wie TV) und
Innovativem: Sensoren, webbasierte Plattformen und
moderne Kommunikationsmittel werden eingesetzt, um
die Zielgruppe auf spielerische Weise zur Bewegung zu
motivieren. Durch ein Plus an Bewegung und
Lebensfreude wird die Gesundheit jedes Einzelnen
erhalten und verbessert. Ausdauer-Übungen, die
schwerpunktmäßig draußen absolviert werden, gehören
genauso zu diesem Projekt wie die Übungen, die im
Haus durchgeführt werden können. Die folgenden
Ausführungen beziehen sich nur auf die Spiele und
Übungen, die zu Hause durchgeführt werden.
4 Abstimmung zwischen der
Angebots- und der Nachfrageseite
Bei der Entwicklung eines solchen Systems ist zu
berücksichtigen, dass die Entscheidung, ob sich neue
Produkte und Dienstleistungen am Markt durchsetzen,
zu einem bedeutenden Teil davon abhängt, ob sie von
dem Personenkreis, für den sie konzipiert sind,
angenommen werden. Daher ist der Kontakt zu
potentiellen Anwendern schon in der Entwicklungs-
phase unumgänglich.
Das Wohlfahrtswerk für Baden Württemberg als einer
der größten Träger der Altenhilfe in diesem Bundesland
nimmt im Projekt Motivotion60+ die Rolle eines
Verbindungsgliedes zu den Endverbrauchern ein und
wirkt so bei der Beurteilung von Marktchancen mit.
Dabei ist von Vorteil, dass das Wohlfahrtswerk
einerseits die gesamte Bandbreite von Dienstleistungen
für Ältere anbietet und andererseits an anderen
Projekten im Bereich AAL beteiligt ist. Darüber hinaus
finden in Einrichtungen des Wohlfahrtswerks regel-
mäßig Gruppenangebote statt, in denen die Wii von
Nintendo bzw. Microsofts Kinect eingesetzt werden.
Auch einzelne Module des Motivotion-Systems wurden
schon explorativ getestet und mit interessierten Nutzern
wurden vorab Gespräche geführt.
4.1 Erste Ergebnisse nach Einbeziehung
der Zielgruppe: Anforderungen aus Sicht
der Anwender
Lebensentwürfe, Erfahrungen und physische sowie
kognitive Fähigkeiten der Zielgruppe „60+“ zeigen,
dass der angesprochene Personenkreis noch heterogener
und vielschichtiger ist als Menschen jüngeren Alters.
Daher stellt das Wahrnehmen der unterschiedlichen
Bedürfnisse und der Verschiedenartigkeit älterer
Menschen sowie die Einbeziehung dieser in den
Entwicklungsprozess neuer Produkte, einen bedeuten-
den Erfolgsfaktor dar [9]. Produkte und Dienst-
leistungen sollten daher niemanden ausgrenzen, sondern
dem Konzept des Universal Design („Design für alle“)
entsprechen. Im Bereich von Motivotion60+ heißt das,
dass alles, was mit dem System zusammenhängt,
daraufhin überprüft werden muss, ob es auch keine
Personengruppe ausgrenzt. Hierzu einige Beispiele:
Räume (außerhalb der eigenen Häuslichkeit),
in denen das Motivotion-System zum Einsatz
kommt, sollten unmittelbar mit öffentlichen
Verkehrsmitteln zu erreichen sein und Barriere-
freiheit bieten. Herumliegende Kabel könnten
zu Stolperfallen werden. Für ausreichende
Lichtverhältnisse ist zu sorgen. Die spielende
Person benötigt ausreichend Bewegungsfrei-
heit. Für das Kinect-System ist der Raum-
bedarf dabei auf Grund des Einsatzes einer
Tiefensensor-Kamera höher als etwa für das
Wii-System.
Ein System wie das der Kinect, welches mit
möglichst wenigen Eingabegeräten bedient
werden kann, besitzt einige Vorteile gegenüber
einem System, in dem der Einsatz einer
Fernbedienung/eines Controllers unumgänglich
ist. So zeigte sich, dass die Bedienbarkeit und
die Ergonomie von Eingabegeräten häufig
nicht für Menschen geeignet ist, die den
Umgang mit neuartiger Technologie nicht
gewohnt oder die kognitiv und/oder motorisch
eingeschränkt sind. Das richtige Halten eines
Controllers, das Drücken und Loslassen von
Knöpfen und gleichzeitige Ausführen von
Bewegungsläufen bereitet älteren Nutzern
immer wieder Schwierigkeiten. Intuitive
Bedienelemente vereinfachen dagegen den
Zugang zum oftmals unbekannten Bereich der
Computer. Dieser Einstieg in moderne Medien
kann eine zusätzliche Motivation bedeuten
[10].
Der Einsatz einer Leinwand als Projektions-
fläche hat sich im Bereich der visuellen
Darstellung als gut erwiesen. Denn die Bild-
schirmdarstellung auf einer Leinwand ist um
ein vielfaches größer als bei einem Fernseher.
Schlechte, kleine und schwer zu lesende Texte
und Grafiken können zum Ausschluss von
Nutzern führen. Die grafische Darstellung
sollte den Nutzer ansprechen, ihn jedoch nicht
durch Unübersichtlichkeit überfordern.
Generell ist es gut, wenn dem Nutzer Darstel-
lungen begegnen, die aus der Lebens-
wirklichkeit bekannt sind. Abstraktheit führt zu
Verständnisproblemen. Dies wurde beim
Einsatz eines Avatars deutlich, der den
spielenden Nutzer repräsentiert. Solange der
Avatar eine menschenähnliche Figur besitzt,
identifizieren sich Teilnehmer mit ihm. Dass
Avatare dabei teilweise als Comicfiguren
gestaltet sind, steht dem nicht entgegen. Wenn
der Abstraktionsgrad des Avatars jedoch zu
groß ist, erfolgt keine nutzerseitige Identi-
fizierung mit diesem.
Die Verwendung bekannter Elemente wie
Symbole, Fotos, Inhalte oder Ähnlichem ist
auch bei der Konzeption der Spiele empfeh-
lenswert. Fremdsprachige Begriffe oder
Bezüge zu aktuellen Kinofilmen und Musik-
gruppen demotivieren. Werden solche
Elemente auch noch in Quizfragen einge-
bunden, dann tritt schnell Resignation ein („Ist
nicht mein Bereich.“). Besser ist auch hier, auf
die Lebenswelt der Nutzer einzugehen und
gewohnte Inhalte einzubinden. Bei Ratespielen
oder anderen Aufgabestellungen ist weiterhin
darauf zu achten, dass zeitliche Vorgaben und
Restriktionen, die etwa mittels einer Sanduhr
visualisiert werden, bei den Teilnehmern
häufig Druck und Nervosität erzeugen.
Ähnliche Erfahrungen wurden auch mit
Spielen gemacht, die Fehler des Spielers so
bestrafen, dass das Spiel abgebrochen wird.
Führen falsche Eingaben oder Aktionen
dagegen nicht zum sofortigen Abbruch, lassen
sich Teilnehmer von Fehlern kaum irritieren.
Dazu trägt auch bei, dass das Zustandekommen
von Punkten und Erfolgen für die Teilnehmer
eher sekundär ist. Im Vordergrund steht der
Spielspaß.
Ob Spielspaß eintreten kann, hängt dabei stark davon
ab, wie ein Videospielsystem eingeführt wird.
Entsprechend dem Grundsatz des Universal Design ist
bereits in der Ansprache potentieller Nutzer darauf zu
achten, dass diese nicht stigmatisiert werden.
Bezeichnungen wie „Alte“ oder „Rentner“ sind hier zu
vermeiden. Gleichzeitig ist gerade bei Motivotion60+
der Nutzen aufzuzeigen, den das System hat und der
über bestehende Videospiele mit Sporthintergrund
hinausgeht. Es zeigte sich, dass die Kombination von
Spaß am Spiel mit möglichen physischen und
psychischen Trainingseffekten besonders geschätzt wird
[10]. Der Nutzen durch mögliche Trainingseffekte muss
daher von Anfang an kommuniziert werden. Geschieht
dies durch eine Person, die das Motivotion-System bei
der Zielgruppe einführt, ist auf einige weitere Aspekte
zu achten. So hängt die Akzeptanz des Systems enorm
mit dem Auftreten und der Ausstrahlung dieser Person
zusammen. Sie muss positiv auftreten, Teilnehmer
motivieren können, das Spiel „vorspielen“ und
Elemente wie etwa den Avatar und dessen Bedeutung
erklären. Diese Erkenntnisse decken sich mit der
Beobachtung, dass die Bereitschaft, sich mit
Computerspielen auseinanderzusetzen, hauptsächlich
damit verbunden ist, inwieweit die intrinsische
Motivation mittels einfachem Zugang, passendem
Anforderungsniveau und bekanntem Spielinhalt ange-
sprochen wird [11]. Gleichzeitig sollte auf die Bedenken
und Vorbehalte der Teilnehmer eingegangen werden,
ohne strenge Vorschriften zu machen. Es zeigte sich,
dass skeptischen Einstellungen bezüglich neuartigen
Technologien und Videospielen im Allgemeinen häufig
dadurch begegnet werden konnte, dass Teilnehmern die
Möglichkeit geboten wurde, andere Teilnehmer zu
beobachten und zu einem späteren Zeitpunkt selbst ins
Spiel einzusteigen.
4.2 Konsequenzen für das Exergame
Projekt: Open-System-Ansatz und ein
mehrstufiges Forschungsprogramm
Bei genauer Betrachtung der Rahmenbedingungen
dieses Forschungsprogramms und der gesammelten
Informationen aus Sicht der Benutzer, lassen sich zwei
Grundprinzipien für das Projekt ableiten:
1. Um den sehr heterogenen Interessen und
Fähigkeiten der Nutzer sowie deren Verände-
rung im Laufe der Zeit gerecht zu werden,
sollte das System einen open system-Ansatz
verfolgen [12, S. 17]. Dies impliziert einen
modularen Aufbau und ermöglicht die Bereit-
stellung sowohl von Diensten als auch Geräten
des Systems als einzeln stehende Module oder
als Kombinationen. Offenheit auf der Modul-
ebene wird durch die Offenheit auf der
Aktivitätsebene ergänzt: Die Konfigurationen
der einzelnen Übungen, die auf trainings-
wissenschaftlichen Prinzipien basieren, sollen
jedem Spieler individuell zur Verfügung
gestellt werden. Wenn dies nicht durch
automatische Regeln möglich ist, sollte die
Möglichkeit für Experten bestehen manuell in
das System einzugreifen.
2. In Anbetracht der Komplexität des Systems,
nicht nur auf der technischen Ebene (Hard- und
Software) sondern auch auf der Ebene der Use
Cases (individuelle, soziale und institutionelle
Ebene), können von einer einfachen Effekti-
vitätsstudie keine angemessenen Ergebnisse
erwartet werden. Für diese Art von
gesundheitsorientierten Projekten hat sich das
Rahmenmodell des britischen Medical
Research Council als nützlich erwiesen. Es
erfüllt die Komplexität umfassender Entwick-
lungsprogramme, deren Planungs-, Pilot- und
Durchführbarkeitsphasen, sowie der Evaluie-
rungs- und Implementierungsphase [13].
Die Anforderungen von Punkt (1) werden durch einen
vierstufigen Regelkreis und ein spezielles Autoren-
system gelöst, die beide in einem separaten Aufsatz [8]
diskutiert werden. Das allgemeine Prinzip wird in der
Systemübersicht in Kapitel (5) dieses Artikels deutlich.
Das Forschungsprogramm wird in Kapitel (6) erläutert.
5 Lösung und Prototyp
5.1 Gesamtaufbau, Bestandteile, Block-
diagramm
Das Gesamtkonzept unterstützt die interdisziplinäre
Zusammenarbeit verschiedener Expertengruppen bei
der Erstellung von Serious Games für Sport und
Gesundheit (siehe Abb. 1). Im ersten Schritt des
Erstellungsprozesses werden von Fach- und Domänen-
experten Trainingsprogramme definiert, konzeptionell
in Trainingsspiele integriert und in einem Autoren-
werkzeug abgebildet.
Das Autorenwerkzeug unterstützt dabei die inter-
disziplinäre Erstellung von Trainingsprogrammen
durch Sportmediziner und Game-Designer. Konzep-
tionell bietet das Autorenwerkzeug StoryTec zusätzlich
die Möglichkeit Trainingsprogramme zu erstellen, die
nach der Auslieferung von der Anwendung geladen
und zur Steuerung des Spielablaufs genutzt werden. So
lassen sich Trainingskonfigurationen und Inhalte, wie
Anleitungen und Quizelemente langfristig aktuali-
sieren.
Die erstellten Spiele werden auf einem speziellen
Computer, der sogenannten M-Box ausgeführt und auf
einem Screen/TV dargestellt. Die Spiele werden über
das Videotracking-System Kinect gesteuert, welches
die Bewegungen des Spielers erfasst. Die Steuerungs-
und Trainingsdaten werden durch die Game-Engine mit
den in den Trainingsprogrammen definierten Zielpara-
metern verglichen und ausgewertet (siehe Abb. 1). Die
Trainingsergebnisse werden an ein Telemedizinisches
Servicecenter übertragen und können dort von
ausgewählten Personen in der Telemedizinischen
Plattform (TMP) eingesehen und für Trainings-
empfehlungen herangezogen werden. Der Spieler
selbst kann seine Trainingsergebnisse über das
sogenannte Teilnehmerinformationsportal (TIP)
einsehen. Dieses ist nahtlos in die Anwendung auf der
M-Box integriert. Als Ausbaustufe ist ein Zugang für
Betreuer vorgesehen. Über diesen können die
Trainingsanforderungen noch präziser an den Fitness-
stand eines einzelnen Spielers angepasst werden.
5.2 Konzeption der Übungen und
Trainingskonfiguration
Ziel von Motivotion60+ ist es angemessene
Trainingsrichtlinien für Senioren zu formulieren. Die
Übungen basieren alle auf sportwissenschaftlichem
und sportmedizinischem Fachwissen. Im Ausdauer-
bereich wird der Anwender einen individualisierten
Trainingsplan bekommen. Die entsprechenden
Übungen werden soweit möglich im Freien durch-
geführt. Im Koordinations- / Kraftbereich (zu Hause),
dem Bereich, auf den dieser Artikel fokussiert ist, wird
der Anwender aufgefordert verschiedene „Minigames“
durchzuführen. Jedes „Minigame“ wird gespielt, indem
bestimmte Übungen mit motorischen oder kognitiven
Anforderungen durchlaufen werden. Das erfolgreiche
und korrekte absolvieren der Übungsspiele wird durch
Erfolge und Punkte belohnt.
Es existieren viele Risikofaktoren, die zu Stürzen bei
älteren Menschen führen (vgl. Kap. 2.2). Die
„Minigames“ basieren auf Übungen, die auf eine
Verbesserung der Kraft- und Balance-Fähigkeiten
abzielen und so die Sturzprävention unterstützen.
Insgesamt werden sieben „Minigames“ entwickelt, die
isolierte oder kombinierte Anforderungen in den beiden
genannten Bereichen stellen und Details zur Trainings-
konfiguration wie Zeit- und Intensitätsvorgaben mit
entsprechender Qualitätskontrolle einschließen [8].
5.3 Hauptkomponenten: „M-Box" und
Videotrackingsystem
Ein wichtiges Ziel des Motivotion Projektes ist es eine
Lösung mit einem „guten Preis-Leistungs-Verhältnis“
zu schaffen, die das knappe Budget sozialer
Organisationen, wie z.B. von Pflegeheimen nicht
belastet. Dies führte zur Entscheidung ein einfaches
System, wie das gewählte Microsoft Kinect in
Kombination mit einem Mini-PC mit einem der neuen
AMD fusion Prozessoren auszuwählen. Diese
Kombination wird als „M-Box“ bezeichnet.
Dank der Infrarot-basierten 3D-Tracking-Funktionen,
die bereits bei der weniger als 150€ teuren Kinect
enthalten sind, ermöglicht dies eine kostengünstige und
objektive Beobachtung mit messbaren Ergebnissen.
Der damit verbundene PC zeichnet sich durch geringe
Größe und Komplexität aus, sodass er einfach und
schnell in einer sozialen Einrichtung installiert werden
kann. Nach Abschluss der Entwicklungen, wird die
„M-Box“ mit vorinstallierter und vorkonfigurierter
Hard- und Software herausgebracht.
Abbildung 1: Das Zusammenspiel der
Komponenten: Trainingsprogramme, M-Box
Videotracking, das „Spiel“, Scoring-System,
Autorensystem, Erweiterbarkeit,
Konfiguration.
5.4 Das Spiel und die Punktevergabe
Die Aufgabe bestand darin, eine Reihe von Übungen
zu identifizieren, die geeignet sind, um einerseits die
medizinische Aufgabe zu erfüllen und andererseits das
hohe Alter der Nutzer zu berücksichtigen. Auch
mussten Spiele entwickelt werden, um diese Übungen
einzubetten. Als Erstes musste eine Rahmenhandlung
geschaffen werden, der die Interessen der älteren
Menschen integriert und sie somit zu den Übungen mit
dem Fokus auf Kraft und Balance motiviert. Das
resultierende Spielkonzept war eine niemals endende
Reise zu interessanten Orten auf der ganzen Welt. Die
technische Realisierung von computerbasierten Sport-
spielen oder Exergames im Motivotion Projekt stellte
eine Herausforderung dar, denn hinter die Videokamera
als primärem Eingabegerät musste eine Bewegungs-
erkennung geschaltet werden, die nicht nur das System
steuert, sondern beim Training auch den Übungsleiter
ersetzt.
Dieser Kern der Spielmechanik wurde mit der
Zielgruppe mit Hilfe des „Sony EyeToy“ sechs Monate
getestet, bevor die Kinect auf den Markt kam.
Basierend auf Erfahrungen, die mit dem EyeToy
gemacht wurden, wurde die Spielmechanik bewusst
einfach gehalten: Obwohl die Übungen in einer
grafisch ansprechenden 3D-Welt durchgeführt werden,
wurde die 3D-Navigation ganz gezielt vermieden, da
sich eine Orientierung im 3D-Raum als zu
anspruchsvoll für die Senioren herausstellte.
Das Spiel motiviert seine Spieler sportliche Übungen
durchzuführen, indem diese in eine spielerische
Umgebung integriert werden. Obwohl die Fähigkeiten
der Microsoft Kinect die Fähigkeiten von Sonys
EyeToy oder Nintendo Wii übertreffen, gibt es noch
Einschränkungen für diese Übungen. Die Darstellung
auf der linken Seite in Abbildung 2 zeigt die Punkte
und Winkel, die für die Übungen gemessen werden.
Die Figur auf der rechten Seite zeigt ein Beispiel, das
durch die Kinect extrahiert wurde. Abhängig von der
Qualität der Umsetzung und des Kamera-Setups, kann
die Kinect Änderungen unter 10 Grad der Winkel-
graden erkennen. In Kombination mit einer niedrigen
Latenz von weniger als 200 ms, können komplexe
Bewegungen analysiert werden.
Dennoch sind die Unterschiede und Anforderungen
zwischen den Übungen in nur drei Stufen angepasst.
Diese eher simple Segmentierung ergibt sich aufgrund
der starken Variation menschlicher Dimensionen
sowohl vertikal als auch horizontal: Während
Gelenkwinkel in absoluten Zahlen gemessen werden
können, werden die räumlichen Positionen der Gelenke
des menschlichen Skeletts nicht in absoluten Zahlen
interpretiert, sondern im Verhältnis zu anderen
Positionen (vgl. Abbildung 2). Dies führt zu der
Tatsache, dass die Höhe eines virtuellen Schrittes nicht
in Zentimetern (z.B. Fuß befindet sich 40 Zentimeter
über dem Boden) gemessen werden kann – die Höhe
muss ins Verhältnis zu einem anderen Gelenk, z.B. dem
Knie, gestellt werden.
Trotz dieses Mangels an Genauigkeit erfordern die
gesundheitlichen Probleme der Zielgruppe, dass
innerhalb der gegebenen drei „Ebenen“ mehrere
Parameter in einem breiten Spektrum je nach
individuellem Fitness-Niveau angepasst werden
können. Innerhalb eines gewissen Grades können diese
Anpassungen automatisch auf der Grundlage der
Ergebnisse des Spiels durchgeführt werden – da jedes
Spiel beim niedrigsten Schwierigkeitsgrad beginnt,
kann die Herausforderung erhöht werden, sobald die
Ergebnisse Potential dazu zeigen. Einige Fälle
erfordern manuelle Anpassungen der Parameter, z.B.
wenn die Person Probleme hat, die Arme bis auf
Schulterhöhe zu bewegen.
Die Levels haben auch auf die Punktewertung Einfluss,
z.B. in der Anzahl der Punkte, die ein Spieler für eine
bestimmte Übung erhält. Anstatt sich auf einen exakten
Vergleich der Leistungen wie in aktuellen gesell-
schaftlichen Spielen zu konzentrieren, fokussiert das
Motivotion60+ Projekt auf den individuellen
Fortschritt und motiviert die Teilnehmer durch
positives Feedback, das z.B. durch die Vergabe von
attraktiven Pokalen oder Medaillen zum Ausdruck
kommt (siehe Abbildung 5).
5.5 Prototypische Implementierung
Zum jetzigen Zeitpunkt umfasst Motivotion60+ sieben
Spiele, die entweder zum Bereich „Kraft“ oder
„Balance“ zugeordnet werden können. Die Spiele, die
beide Bereiche umfassen, werden als „komplexe“
Spiele beschrieben. Das Spiel „Flugzeug steuern“ lässt
sich als typisches „Balancespiel“ charakterisieren.
„Treppen steigen“ hingegen ist ein typisches
„Kraftspiel“. Als komplexe Spiele lassen sich das
„Torwartspiel” und das „Tanzen” beschreiben.
Um einen kurzen Überblick über die momentane
Umsetzung und Realisierung der Spiele zu geben, folgt
nun eine schrittweise Erläuterung zu den jeweiligen
Aktivitäten des Anwenders beim „Torwartspiel.“ Das
„Torwartspiel“ ist eine komplexe Übung, die im
Stadion von Rio de Janeiro stattfindet (siehe Abb. 4).
Abbildung 2: Modell zur Entwicklung der
Übungen sowie ein von der Kinect
extrahiertes Skelett.
Zu Beginn loggt sich der Spieler mit seinem Username
und Passwort in der M-Box ein. Der Spieler hat dann
die Möglichkeit seine momentanen Daten einzusehen,
die nicht nur die gespielten Spiele darstellen, sondern
auch die Verteilung der Punkte auf die Bereiche Kraft,
Balance und Komplex anzeigen (siehe Abb. 3).
Um ein Spiel zu beginnen, wählt der Anwender ein
Spiel aus dem Spiele-Menü aus. Während sich der
Anwender durch das Menü bewegt, werden die
entsprechenden Stationen auf der Weltkarte angezeigt.
Zwischen den Spielen, die immer an einen bestimmten
Ort fixiert sind (z.B. Treppensteigen im Notre Dame
Paris), findet immer ein virtueller Flug statt. Dieser
Flug stellt eine kurze Balanceübung dar, indem der
Anwender dazu aufgefordert wird das Flugzeug mit
seinen ausgestreckten Armen zu steuern und
entgegenkommenden Vögeln auszuweichen. Dieses
regelmäßige Spiel unterstreicht die Wichtigkeit der
Balanceübungen und garantiert dessen regelmäßige
Umsetzung. Sobald das Flugzeug seine Zieldestination
erreicht hat, erscheint ein Startbildschirm, der die
folgenden Informationen zur kommenden Übung bereit
hält: (1) Dauer und (2) Level, (3) Anleitung und eine
(4) Animation des „Personaltrainers“ zur richtigen
Ausführung der Übung, (5) unter der Überschrift
„Wussten Sie schon?“: eine historische oder
geographische Angabe zur Zieldestination, die
eventuell später in einer Quizfrage abgefragt wird.
Wenn der Anwender das Spiel zum ersten Mal spielt,
beginnt der Schwierigkeitsgrad beim niedrigsten Level.
Die Trainingsinhalte sind entweder die Standard-
einstellung oder eine individuelle Anpassung an den
Spieler, z.B. durch den Gebrauch des StoryTec Editors.
Im weiteren Verlauf steigern sich die Anforderungen in
Abhängigkeit von den Leistungen des Anwenders. Die
Ergebnisse jeder Übung in jedem Spiel werden
gespeichert und analysiert, sodass maßgebliche Verbes-
serungen oder Verschlechterungen sofort erkannt
werden. Falls notwendig, werden die Para-
metereinstellungen automatisch umgestellt, um das
neue Level in der nächsten Übung zu erfüllen. Der
Anwender wird über diese in beide Richtungen
möglichen Veränderungen informiert. Die schnelle
Anpassung an die aktuelle Leistungsfähigkeit, z.B. bei
schlechter Tagesform, verhindert einen Verlust der
Motivation.
Das „Torwartspiel“ stellt ein gutes Beispiel für diese
Anpassung der Parameter dar: Die Größe des Bereichs,
den der Torwart abdecken muss und somit die
Anforderung, einen Ball zu fangen, kann angepasst
werden. Ein weiterer Parameter, der sich unmittelbar
auf den Schwierigkeitsgrad auswirkt, ist die Frequenz
der Bälle und deren Flugeigenschaften. Obwohl alle
Bälle in einem beliebigen Winkel geschossen werden,
kann die Höhe der Flugbahn oder sogar die
Möglichkeit des „Aufsetzens“ des Balles angepasst
werden (siehe Abb. 4). Das visuelle Feedback ist
offensichtlich und motivierend: Wenn der Ball gehalten
wird, blinkt der Bildschirm grün und die Menge jubelt.
Wenn der Ball in das Tor gelangt, blinkt der Bildschirm
rot.
Nach jedem Spiel zeigt der Ergebnisbildschirm die
Leistung und die Anzahl der gewonnenen Punkte.
Darüber hinaus informiert es den Spieler, sobald ein
neues Level erreicht worden ist (im Falle von einer
außergewöhnlich guten oder schlechten Leistung) und
zeigt Erfolge wie „Medaillen“ oder „Pokale“. Diese
„Belohnungen“ können gewonnen werden, wenn
bestimmte Grenzwerte erreicht werden (wenn z.B. 100
Bälle gefangen wurden) und dienen dem alleinigen
Zweck, die älteren Spieler zu motivieren. Aus diesem
Grund ist jeder Erfolg in verschiedenen Stufen
(Bronze, Silber, Gold und Diamanten) realisiert. Um zu
verhindern, dass abstrakte Listen von Leistungen
entstehen, wie zum Beispiel bei Spiele-Plattformen wie
X-Box Live, haben wir eine visuelle Darstellung für
jede Medaille oder einer Tasse eingeführt. Insgesamt
können 84 Objekte gewonnen werden. Diese
Errungenschaften werden dann automatisch auf dem
Abbildung 3: Screenshot: Übersicht der
monatlichen und gesamten Übungsaktivitäten.
Abbildung 4: Screenshot: Die Fußballarena in
Rio als motivierende „Bühne“ für eine
komplexe Übung © KORION.
Display in einer Pokal-Vitrine ausgestellt, die sich
direkt über dem Hauptmenü befindet (siehe Abb. 5). So
wie im richtigen Leben können die Spieler mit ihren
erbrachten Leistungen „prahlen“.
Nach der körperlichen Anstrengung folgt nach jedem
Spiel eine Quiz-Frage, die zufällig aus der Menge von
Angaben, die auf dem Startbildschirm angezeigt
wurden, entwickelt wird. So werden kognitive und
körperliche Aktivitäten kombiniert, eine „Blended-
Learning Strategie“, die Pausen garantiert und Leistung
auf beiden Ebenen verbessert [14].
6 Forschungsprogramm
Ziel der Tests, die vom Wohlfahrtswerk Baden-
Württemberg durchgeführt werden, ist es, Antworten
auf spezielle Fragen zu generieren. Diese Fragen
beziehen sich sowohl auf die Akzeptanz von
Motivotion60+ als auch die Funktionsweise und das
Zusammenwirken verschiedener Aspekte des Systems.
Darüber hinaus soll die Bereitschaft erkundet werden,
ob sich Anwender dieses System anschaffen würden.
Für diesen Zweck werden sportlich aktive und inaktive
Senioren ausgewählt. Mit diesen Testpersonen werden
an drei Tagen der Woche zwei einstündige Trainings-
sitzungen durchgeführt. Zwei Trainingssitzungen
werden am Morgen, eine am Nachmittag angeboten.
Insgesamt nahmen 27 Personen an den Trainings-
sitzungen teil, 20 davon an drei oder mehr Tagen.
Die Trainingssitzungen sind in drei Abschnitte
gegliedert. Nach einer gemeinschaftlichen Aufwärm-
phase testen die Senioren individuell die Übungen von
Motivotion60+, die bis zum momentanen Zeitpunkt
bereits vollständig entwickelt worden sind. Die
Teilnehmer spielen in ihrem Profil. Ihre individuellen
Trainingszeiten sowie die erreichten Punkte werden auf
der M-Box gespeichert. Nachdem sämtliche Teil-
nehmer die verfügbaren Spiele mindestens einmal
durchlaufen haben, spielen alle Senioren zum
Abschluss des Trainings noch ein X-Box 360 Spiel.
Auch hier kommt die Microsoft Kinect zum Einsatz.
Die Benutzerzeiten und Trainingsdaten, die auf der M-
Box gespeichert sind, werden nach einer achtwöchigen
Versuchsperiode analysiert. Um diese Daten noch
besser analysieren zu können, wurden zusätzliche
Angaben zum Alter, Körpergröße und -gewicht zu
Beginn der Testphase erfasst. Neben all diesen
gesammelten Daten werden in unregelmäßigen
Abständen Fragebögen ausgeteilt. Ziel dieser Frage-
bögen ist die Erfassung von Informationen, die für die
einzelnen Projektpartner und deren Aufgaben innerhalb
des Projekts sowie für die generelle Projektausrichtung
von Bedeutung sind.
Zusätzlich werden in jeder Trainingssitzung spontane
Äußerungen der Teilnehmer und Beobachtungen der
Instrukteure in einem Logbuch festgehalten. Die
bereits geäußerten Kommentare der Testpersonen
waren sehr verschieden. Dennoch zeichnen sich schon
jetzt die folgenden problematischen Bereiche ab:
generelle Akzeptanz eines auf Technik
basierten Trainings
Graphiken, Farben, Kontraste, Schriftgröße
Bewegungserfassung auf Seiten der Kinect
und die korrekte Bewegungsausführung auf
Seiten der Senioren
Wunsch nach mehr Abwechslung und Heraus-
forderung in den Spielen
Zusammensetzung der Punkte und Ursachen
für Misserfolg
Quizfragen und -antworten
Die Erfahrungen und Eindrücke, die durch die
Machbarkeits- und Akzeptanzstudien erlangt wurden,
werden besonders für den Bereich des konzeptionellen
Designs und für die Umsetzung von Feldtests des
Motivotion60+ Systems genutzt. In dieser Projektphase
ist es zulässig Senioren als Testpersonen auszuwählen,
die an Sport interessiert sind und die zum Erfolg dieses
Projektes beitragen möchten. Mit ihrer Unterstützung
soll die Funktionalität und Akzeptanz des gesamten
Systems überprüft werden. Auch wird die Funktio-
nalität einzelner Komponente, die Zusammenarbeit
dieser Komponenten und die Bereitschaft der
Anwender sich dieses System anzuschaffen überprüft.
7 Fazit / Ausblick
Innerhalb des Forschungs- und Entwicklungsprojektes
„Motivotion60+“, wird ein Exergame für ältere Men-
schen konzipiert. Die technische Umsetzung wird ent-
sprechend durchgeführt. Die zwischenzeitliche Verfüg-
barkeit der Microsoft Kinect führte zu deutlichen
Abbildung 5: Screenshot: Vitrine der Pokale
und Medaillen. Diese Pokale werden für
erbrachte Leistungen im „Outdoor“ sowie in
den Spielen überreicht (z.B. unten links:
Tanzen oder oben rechts: Treppensteigen im
Notre Dame) © KORION.
Erleichterungen. Mittlerweile werden zwei Prototypen
in einer Machbarkeits- und Akzeptanzstudie an zwei
Zentren getestet. Eine Reihe von Aspekten für eine
weitere Verbesserung wurde festgestellt – weitere
werden folgen.
Danksagung
Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung gefördert (Förderungskennzeichen:
16KT0929). Die Autoren bedanken sich bei Christina
Werres und Lisa Rotter für die Hilfe bei Übersetzungen
und beim Zusammenstellen des Manuskripts.
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