ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund und Ziele: Internetspiele und Soziale Netzwerke (Social Network Sites = SNSs) bergen ein hohes Suchtpotential. Es ist wichtig die passionierte Nutzung der genannten Medien von der pathologischen Nutzung zu unterscheiden. Die Internet Gaming Disorder (IGD) und die Social Network Use Disorder (SND) gehen mit verschiedenen negativen Auswirkungen auf das Individuum und sein Umfeld einher, die denen in substanzgebundenen Süchten beobachteten Effekten gleichen. Jungen und Männer spielen mehr Internetspiele und haben ein größeres Risiko eine IGD zu entwickeln. Für Mädchen und Frauen scheint das Gleiche für SNSs und SND zu gelten. Es bestehen Geschlechtsunterschiede in verschiedenen Bereichen der Suchtentwicklung und -Aufrechterhaltung. Frauen haben beispielsweise eine höhere Tendenz den Substanzgebrauch oder das Glückspiel zu nutzen, um negative Emotionen zu modulieren, entwickeln nach im Vergleich zu Männern kürzeren Konsumzeiten ein süchtiges Verhalten und weisen höhere Rückfalltendenzen auf. Ein Ansatz die auch bei SND und IGD 2 beobachteten geschlechtsspezifischen Unterschiede zu erklären, sind die bereits in substanzbasierten Süchten und in der Glücksspielsucht (die bereits als Verhaltenssucht klassifiziert ist) beobachteten Effekte der weiblichen Sexualhormone Östrogen und Progesteron auf das Suchtverhalten und das mesolimbische Dopaminsystem. Östrogen hat bei Frauen und weiblichen Individuen eine das Suchtverhalten (Eskalation, Craving u.a.) fördernde Wirkung. Progesteron hingegen scheint in beiden Geschlechtern eine das Suchtverhalten hemmende Wirkung zu haben. Erklärt werden diese Effekte unter anderem über den Einfluss der Hormone auf das dopaminerge Belohnungssystem und GABA-erge Synapsen. Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, ob die von anderen Autoren beobachteten Geschlechterunterschiede bezüglich IGD und SND reproduziert werden können und ob ein Zusammenhang zwischen den Östrogen- und Progesteronkonzentrationen im Serum und der IGD und SND besteht. Methoden: Über einen Zeitraum von drei Jahren wurden insgesamt 192 Probanden rekrutiert (99 Frauen und 93 Männer). Die Rekrutierung erfolgte in drei Schritten. Im Onlinescreening (1), Telefonscreening (2) und der Testung vor Ort in der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik (3). Es erfolgte jeweils die Erhebung des Internetnutzungsverhaltens mittels DSM-5 Kriterien für IGD und von uns adaptiert für SND, der Compulsive Internet Use Scale (CIUS), der Internetnutzungszeiten und ein vor Ort durchgeführtes Craving Experiment. Die Ausschlusskriterien waren u.a. Substanzsüchte, Hinweise auf eine Schizophrenie oder schwere körperliche Erkrankungen. Die Testung vor Ort und die Blutentnahme fanden immer zur gleichen Zeit zwischen 09:00 und 12:00 Uhr am Vormittag statt. Die Bestimmung der Hormone im Serum erfolgte nach Abschluss der Rekrutierung für alle Proben zum gleichen Zeitpunkt. Für die verschiedenen Formen des Estradiols Gesamtestradiol (E2), freies Estradiol (fE2) und bioverfügbares Estradiol (bE2) wurde eine ELISA und für Progesteron die Massenspektrometrie verwendet. Ergebnisse und Beobachtungen: Für die Auswertung der Hormonkonzentrationen im Serum erfolgte die Einteilung der Kohorte in drei Gruppen: Frauen mit hormoneller Kontrazeption (FmH), Frauen ohne hormonelle Kontrazeption (FoH) und Männer. Frauen beider Gruppen erfüllten mehr SND-Kriterien (Männer vs. FmH p = 0,016; Männer vs. FoH p = 0,001), wählten signifikant häufiger SNSs für das Craving-Experiment (Männer vs. FmH p < 0,001; Männer vs. FoH p < 0,001) und FoH verbrachten signifikant mehr Zeit in SNSs (Männer vs. FoH p = 0,004) als Männer. Diese hingegen erfüllten mehr IGD-Kriterien (Männer vs. FmH p = 0,001; Männer vs. FoH p = 0,002) wählten häufiger das Internetspielen für das Craving-Experiment (Männer vs. FmH p < 0,001; Männer vs. FoH p < 0,001) und verbrachten signifikant mehr Zeit mit dem Spielen im Internet als Frauen (Männer vs. FmH p < 0,001; Männer vs. FoH p < 0,001). Insgesamt erfüllten wenige Proband:innen fünf oder mehr IGD-/ bzw. SND-Kriterien. Die 3 Werte für Östrogen und Progesteron waren bei FoH am höchsten und bei FmH am niedrigsten, die Männer lagen dazwischen. Die Estradiolkonzentrationen bei den Männern lagen über den angenommenen Referenzwerten. Bei Männern korrelierte die Estradiolkonzentration signifikant negativ mit den erfüllten SND-Kriterien (bE2) (p = -0,046) und dem maximalen Craving für das Spielen im Internet in den letzten 7 Tagen (E2, fE2, bE2) (p = -0,013; -0,008; -0,007). In der Gruppe FmH zeigte sich eine signifikant positive Korrelation der Estradiolkonzentrationen und der maximalen mit dem Spielen im Internet verbrachten Zeit (p = 0,049), sowie eine signifikant positive Korrelation der Progesteronkonzentration und den erreichten Punkten in der CIUS (p = 0,027). FoH wiesen keinerlei signifikante Korrelationen der untersuchten Parameter auf. Praktische Schlussfolgerungen: Die bereits durch andere Autoren beschriebenen Geschlechterunterschiede bezüglich IGD und SND konnten reproduziert werden. Die Männer erfüllten mehr IGD-Kriterien und verbrachten mehr Zeit mit dem Internetspielen, während die Frauen mehr SND-Kriterien erfüllten und mehr Zeit mit SNSs verbrachten. Höhere Estradiolkonzentrationen scheinen bei Männern im Hinblick auf SND und Craving für Internetspielen protektiv zu sein, während sie bei FmH mit längeren maximalen Internetspielzeiten korrelieren. FoH zeigten in unserer Kohorte keinen Zusammenhang zwischen den Serumkonzentrationen von Östrogen und Progesteron und der IGD bzw. SND. Ursächlich hierfür können unter anderem die geringe Stichprobengröße und die Schwankungen der Hormonkonzentrationen während des Zyklus in dieser Gruppe sein. Insgesamt werden größere Kohorten mit ≥ 5 Kriterien für IGD und SND unter gleichzeitiger Berücksichtigung des hormonellen Status bei weiblichen Probandinnen benötigt. Aufgrund der geringen Stichprobengröße und der bei multipler Testung bestehenden Gefahr falsch positiver Ergebnisse bedürfen unsere Ergebnisse der Replikation.