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Unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Brandenburg (abgeschlossene Evaluationsstudie)
- Stefan Thomas
- Ingmar Zalewski
- Madeleine Sauer
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In diesem Abschnitt reflektieren Shahin Mohammed, Harun Muhammed, Ingmar Zalewski und Stefan Thomas in Form eines Multilogs die Resultate eines partizipativen Peer-Research-Projekts, das Berufsforschende der Fachhochschule Potsdam zusammen mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten als Co-Forschende durchgeführt haben. Es werden sowohl Ergebnisse des partizipativen Forschungsprojekts dargestellt als auch die Reflexion der kollaborativen Wissensproduktion. Die Ergebnisse sind aus einer
Gruppendiskussion entstanden und wurden hinsichtlich relevanter Themen gemeinsam ausgearbeitet.
Der Beitrag reflektiert in Form eines Multilogs die Resultate eines partizipativen Peer-Research-Projekts, das Berufsforschende der Fachhochschule Potsdam zusammen mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten als Co-Forschende durchgeführt haben. Es werden sowohl Ergebnisse des partizipativen Forschungsprojekts dargestellt als auch die Reflexion der kollaborativen Wissensproduktion. Die Ergebnisse sind aus einer Gruppendiskussion entstanden und wurden hinsichtlich relevanter Themen gemeinsam ausgearbeitet.
Unter den Menschen, die nach Deutschland flüchten, sind viele Kinder und Jugendliche, die sich aus ihren Heimatländern ohne ihre Familien auf den Weg in eine hoffnungsvollere Zukunft gemacht haben. Andere haben auf der Flucht ihre Familien verloren. Gründe für die Flucht sind materielle Not und Mangel, Verfolgung und Vertreibung, Terror, Krieg, Tötungen, Ent-führungen, Folter, Misshandlungen und Diskriminierungen aufgrund von Ethnizität und Geschlecht. Ebenso gehören dazu gravierende Eingriffe in die Menschenrechte wie fehlende Meinungs-, Religions- und Versamm-lungsfreiheit (etwa UNHCR, 2017). Fluchtursachen, die speziell bei Kin-dern und Jugendlichen gelten, sind Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, Kinderhandel und Kinderprostitution, sklavenförmige Ausbeutung, Zwangsverheiratung, geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gewalt. Ebenso haben viele junge Geflüchtete unter familiärer Gewalt gelitten, ohne angesichts traditioneller Familienformen die Möglichkeiten gehabt zu haben, sich in den Heimatländern woanders hinzuwenden, um dort Hilfe und Schutz zu erhalten (Berthold & Espenhorst, 2011; Rieger, 2010; UNICEF, 2016; Zito, 2017). Um Entbehrungen, Gefährdungen und Bedro-hungen zu entgehen, haben die Minderjährigen ihre Heimat, ihr Zuhause und ihre Eltern zurückgelassen. Sie haben die Anstrengungen, Wagnisse und Gefahren einer mehrere tausend Kilometer langen Flucht auf sich genommen.
Die Situation unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter weist ein hohes Maß an Komplexität auf, gerade weil diese durch vielfältige Faktoren bestimmt ist, die bei „normalen“ Sozialisationspfaden und Biografieverläufen einheimischer Jugendlicher nicht auftreten: Flucht und Migration, Aufenthalts- und Asylrecht, Kinder- und Jugendhilfe, späte Eingliederung in das Schul- und Bildungssystem, Unterbringung in Heimen, Fremdheit mit Sprache und Kultur, Unvertrautheit mit dem deutschen Alltagsleben und vielem mehr. Bevor wir jedoch zu den empirischen Befunden gelangen, wollen wir vorab drei zentrale Betrachtungsperspektiven entfalten, unter denen wir auf die Situation der Jugendlichen geblickt haben. Beginnen werden wir mit einer Auseinandersetzung mit den Begriffen der Teilhabe und der Integration.
In diesem Kapitel wird der strukturelle Rahmen beleuchtet, der die Lebenssituation und Perspektiven der geflüchteten Jugendlichen sowie die professionelle Arbeit mit ihnen prägt. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Spannungsverhältnis zwischen den Prämissen der Kinder- und Jugendhilfe und den asyl- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen: „Während die Jugendhilfe in ihrer Existenz auf dem Begriff des Kindeswohls fußt und jedwedes Handeln durch dieses bestimmt ist, sieht sich das Helfersystem konfrontiert mit Rechtsbereichen, die durch den Begriff des Kindeswohls be-grenzt werden“ (Gumbrecht, 2018, S. 210). Das Spannungsverhältnis speist sich aus den grundlegend divergenten Zielrichtungen der beiden Rechtsbereiche. Zielt das Asylrecht auf die Begrenzung und Steuerung von Zuwanderung, gilt in der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII demgegenüber das Primat des Kindeswohls (siehe auch Merk, 2016). Die jungen Geflüch-teten sind daher nach wie vor „Grenzgänger zwischen der repressiven Aus-länderpolitik und der fördernden Jugendhilfe“ (Espenhorst, 2011, S. 19).
Peer Research ist eine partizipative Forschungsmethode und bedeutet die aktive Beteiligung der Forschungsteilnehmer_innen am Forschungsprojekt. Im Rahmen der Kinder- und Jugendforschung begegnet Peer Research der Herausforderung adulter Zurichtung des Forschungsgegenstands. Sie bietet den jungen Peer Researchern die Möglichkeit, ihre Perspektiven einzubringen und den Forschungsprozess mitzubestimmen. Die vorgestellte Studie zur Situation unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter in Brandenburg nutzt die Peer Research-Methode, um sich der Subjektperspektive und der Lebenswelt unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter partizipativ anzunähern. Der Beitrag berichtet aus dem konkreten Forschungsalltag des Projekts, indem beispielhaft die partizipative Erarbeitung der zentralen Forschungsthemen mit den Jugendlichen vorgestellt wird. Darüber hinaus sollen die Potentiale und Fallstricke von Peer Research anhand des Forschungsprojekts diskutiert und s soll die Frage erörtert werden, welche Erkenntnisprozesse mit anderen qualitativen Methoden nicht oder nur in Ansätzen erfolgt wären.
Wie sind die Lebenssituationen und Perspektiven unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter in Deutschland? Was sind förderliche Organisationskulturen, die eine gelingende Versorgung und Betreuung ermöglichen? Durch eine dreifache Perspektivübernahme gehen die Autor_innen diesen Fragen nach: Gemeinsam mit geflüchteten Jugendlichen nehmen sie die Subjektperspektive ein und erforschen die Sicht der Jugendlichen auf ihr Leben in Deutschland. Aus der Einrichtungsperspektive evaluieren sie, wie Probleme und Herausforderungen in den Einrichtungen bearbeitet werden. Und mit dem Blick aus der Strukturperspektive untersuchen sie schließlich die sozialräumliche Einbettung und fragen nach Faktoren, die die Teilhabe der jungen Geflüchteten am gesellschaftlichen Leben begünstigen.